103. Etappe: Portomarin – Palas de Rei

Heute stellt sich die Strecke von der Humanseite her deutlich entspannter dar, weil es einfach nicht so voll ist, was einfach daran liegt, daß alle 100KilometlerInnen zwar zusammen loslaufen, aber nicht gleich weit kommen. So streut sich das schon nach der ersten Etappe und meine Laune ist bestens. Vor allem auch, weil ich ausgesprochen gut gefrühstückt habe. Jogurt, Obst und frisches Brot ist an Spaniens Frühstückstischen nämlich eine echte Seltenheit. Daß es dazu Cafe con Leche und frischgepressten Orangensaft satt gab, brauche ich nicht zu erwähnen, oder? Das wird dann in Deutschland -Klimawandel hin oder her- etwas schwieriger, aber irgendwie hab ich mich dran gewöhnt.

Es geht also weiter durch das galicische Hügelland. Sanfte Auf und Abs, Blicke von sonnenbeschienenen Gipfeln, wenn das Oben bei Hügeln auch so genannt wird, in nebelverhangene Täler, zwischendurch kleine Weiler, deren Betriebsführung für jemanden aus dem Land der industriellen Massentierhaltung so aus der Zeit gefallen scheint, daß es sich nur als touristische Attraktion lohnt, aber die Leute leben anscheinend davon. Vielleicht ist es aber auch nur der Bauernverband und die Fleisch-, Gemüse- und sonstwas Industrie, die das Märchen von der Rentabilität ab einer Betriebsgröße Richtung Megastall erzählt. Meine Eindrücke in Frankreich und Spanien sind andere und das werde ich im Auge behalten, wenn ich wieder daheim bin.

Das ist so ein Ding. Der Kradvagabund Panni hatte mich als erfahrener Weltenbummler auf das Dilemma am Ende einer Reise hingewiesen. Du willst die letzten Tage genießen, aber denkst schon an zu Hause. Nun habe ich das Glück, daß meine Wanderung zu Ende geht, nicht aber meine Reise. Trotzdem verstehe ich, was er meint. Je näher Santiago kommt, desto mehr merke ich, wie schwer das Ankommen fällt. Kleinere Etappen. Viele Pausen. Und auf der anderen plane ich meinen Asturienaufenthalt und freu mich auf die Tage im Baskenland mit meiner Liebsten und stelle mir vor, wie beides wohl wird. Das kennen aber bestimmt auch viele aus Kurzurlauben. Verlängertes Wochenende und genau an dem Zusatztag springt die Hirse schon wieder fürs Geschäft an, wie der Schwabe sagen würde. Naja, ich gebe mir Mühe, das alles zu genießen und Galicia ist wie geschaffen dafür.

Gegen Mittag etwa zwingt mich das Dilemma in eine Casa blabla, liegt an einem Hügel am Weg, hat einen Biergarten unter mittelalten Bäumen aufgebaut und ist gut gefüllt, aber eben nicht rappelvoll. An der Theke rieche in die Küche und das riecht gut. Ergebnis ist, daß ich mit einem Bocadillo con Tortilla y Chorizo und einem Bier im Garten hock und den Leuten zugucken kann. Und dieses Bocadillo, belegt mit einem Omelett und einer galizischen Chorizo ist der Hammer. Ein gutes Brot. Eier, wo du beim Legen dabei gewesen bist. Eine galicische Chorizo, die nicht nur Geschmacksträger, sonder eben auch Wurst ist. Herrlich.

Dann geht das noch ein wenig weiter und das Ziel ist erreicht. Mittlerweile hat sich dabei eine neue Routine ergeben. Im örtlichen Centro de Salud vorsprechen und nach einem neuen Verband fragen. Das ist hier in Palas de Rei echt vorbildlich. Ich spreche vor, sag mein Sprüchlein auf und werde schwupps von einer jungen Ärztin abgepasst. Zurückgepfiffen werden wir beide von den Damen am Empfang. Peregrino? Si/No. Passaporte? Si, claro. Erst nachdem das geklärt ist, kriege ich meinen neuen Verband, der als dritter Verband in drei Tagen, wieder ganz anders aussieht, als die anderen Zwei. Egal, auch die Ärztin hat keine Bedenken mich weiterlaufen zu lassen.

Danach beziehe ich meine Unterkunft und gehe sofort wieder los, weil ich mich für die Siesta mit kalten Wasser und ner Cola rüsten will. Als ich verschwitzt über das Resto das Haus verlassen will, sehe ich, wie einer alten Frau eine Linsensuppe gebracht wird. Ich rieche das Linsige, aber auch Knoblauch und Piementos und weil nichts so alt ist, wie die Idee von eben, hocke ich im Resto und esse eine Linsensuppe bei 25Grad, die was von Sommer und Süden hat. Großartig. Ich kauf mir noch ne Flasche Wasser an der Theke, gehe hoch und bin um.

Gegen Sechs guck ich mir mal das Örtchen an und finde trotz eines ja großkotzigen Namens eine schützenswerte Pilgerbutze, weil die hier anscheinend seit 500 Jahren nur Leute beherbergen und verpflegen. Auch gut, aber langweilig. Außer du hast einen guten Platz in einer schattigen Bar und kannst weitere Feldforschung zum Thema „Wer pilgert denn da alles rum?“ betreiben. Den Platz hatte ich und meinen Spaß hatte ich auch. Die Forschungsergebnisse: Ich habe Joy Fleming auf dem Camino gesehen, mittags völlig durch die Hecke und sich nur noch millimeterweise bewegend, abends mit Stirnband die Mähne bändigend, geschminkt und ganz in Schwarz, aber in schillernden Flipflops mit Absatz, wie auch sonst. Das war nicht wirklich Joy Fleming, aber genau dieser schillernde Typ. Daneben aber eben auch der Typ Frau mit immer schlechter Laune. In den 50 Jahren Leben viel gelernt, auch deshalb schlechte Laune und sie will jetzt n Tee, genau wie daheim. Natürlich bandagiert, aber das Ding wird durchgezogen und am kommenden Montag wieder mit schlechter Laune Sozialarbeit gemacht oder in der Druckerei geschafft oder ist auch egal. Hauptsache Berlin oder Hamburg. Die Typen sind langweiliger, weil eh alle Helden. Aber es gibt welche, die -ich rede jetzt mal von Typen in meinem Alter- zeigen müssen, wie fit sie immer noch sind (Typ 1, viele Radfahrer und die Wanderer eher ohne Sonnenhut, eher mit Bandana.) oder die Combo (Typ 2, eher zu Fuß unterwegs, zusammen mit Kumpels), die zeigen wollen, daß, sie immer noch rebel sind, wozu in dem meisten Fällen ein nerdiges T-Shirt herhalten muß, was der internetaffine Organisator der Veranstaltung gleich für alle bestellt hat, natürlich in der Funktionsshirt-Ausführung. Der Typ, der heute auf dem Weg mit einem ausgewaschenen Ramones-TShirt unterwegs war und sich über mein GabbaGabbaHeyHey sichtlich freute – wir ballten auf jeden Fall beide mal die Faust und rissen sie nach oben – war da echt eine erwähnenswerte Ausnahme. Die jungen Leute laufen außer Konkurrenz. Das ist Sommer, Urlaub. Irgendwie wie Interrail zu Fuß und das sei Ihnen gegönnt. Obwohl ich auch da das Gefühl habe, daß Deppentum sich schon in frühen Jahren zeigt.

Sei es drum. Ich hocke jetzt wieder im Comidor der Unterkunft, habe hervorragende Hausmannskost serviert bekommen. Wieder eine Suppe, diesmal eine Möhrensuppe mit Lauch, Zwiebeln, Kartoffeln und Kräutern, die der Süße der Möhren einen Kontrapunkt setzten und ein großartiges Kotelett mit Patatas. Danach und das war für mich eine Premiere, als Nachtisch einen Obstteller. Und so hatte ich Gelegenheit den Albariño -der halbe Liter, der das Menü begleitete- mal mit Obst zu probieren. Habe ich noch mit keinem Wein gemacht. Vielleicht ist das doof, weil das hier Spaß gemacht hat. Banane, Nektarine und Orange mit einem Weißwein zu untermalen. Interessant, wobei das Herbe der Bananas de Canaria, am besten harmonierte.

Jetzt sitz ich immer noch hier und während ich schreibe findet sich die Wirtsfamilie zum Abendessen zusammen. Das ist schön, wie die Generationen da um den Tisch hocken, den Tag nachbereiten, sich um die  ganz Kleinen kümmern und das Essen genießen. Dabei läuft natürlich die ganze Zeit der Fernseher. Es ist also nicht die heilige Familie, sondern ein Haufen Leute, die von diesem Haus und einem Weinberg leben. Das mit dem Weinberg hab ich eben mitbekommen, weil da plötzlich ein Glas Tinto vor mir stand. Ein Geschenk des Hauses. Ja, dann trink ich das jetzt mal ganz gemütlich und starre auf den Fernseher… 

102. Etappe: Sarria – Portomarin

Nach einer erstaunlich ruhigen Nacht, ohne Pochen im Finger oder sonstige Hinweise auf Komplikationen bin ich dann zeitig los, um mich wieder in der Ambulanz vorzustellen. Da war ich auch und habe da den Unterschied zwischen „Mañana. Mañana“ und „mañana mañana“ kennengelernt. Während das erstere Irgendwann mal heißt, soll dem Sprachunkundigen oder auch allen Anderen das gedoppelte Wort zweimalmorgen, also Übermorgen bedeuten. Ich werde also freundlich angehört, aber abgewiesen und mache mich auf den Weg.

Das Gesundheitszentrum liegt zunächst nicht auf dem Weg, aber als ich auf den Weg einbiege, wird er wahr. Der Alptraum dieser vielen, aneinandergereihten PilgerInnenhorden, die sich aus welchen Gründen auch immer auf den Weg machen. Jetzt isses soweit. Gegen das, was hier dem Weg zugespült wird, ist Le Puy, Conques, selbst Saint Jean ein Kinderspiel gewesen. Und ich mittendrin, gehandicaped, weil ich ja den verbundenen Mittelfinger spazierentrage. Das macht keine gute Laune und ich muß das Mantra von meinem Weg und meinem Tempo ein paar Kilometer vor mich herbeten, bis es wieder passt.

Die haben jedes Recht hier zu sein und auch so laut, wie sie wollen. Die spielen in einer anderen Liga. Ich bin seit fast vier Monaten unterwegs und die sind heute Morgen losgegangen. Natürlich ist man da aufgeregt und wenn die Clique dabei ist, wird eben gequatscht. Alles ok, wer aber bei alle dem aufhört im Kopf zu haben, daß er oder sie nicht alleine auf der Welt ist, sollte diesen Weg sehr langsam auf sich wirken lassen. Ich freue mich wie Bolle auf den 100km Stein, also den Hinweis, daß es nur noch 100km zu Laufen sind, weil daß für jemanden mit einem nicht-linearen Zahlenverständnis n echt schönes Ding ist, wenn es nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Zahlen vor dem Komma sind. Und dann isses da und ein possendes, selfie-optimierendes Twentysomething-Gedöns ertrage ich ja. Als aber eine Gruppe jungebliebener 40jähriger Französinnen, an mir und ein paar MountainbikerInnen die auch weiter wollen, die SelfieNummer schieben wollen, rauschts. Ich werde laut und verweise die Damen auf den Platz, schieße mein Foto, zusammen mit der MountainbikerInnengruppe, zeitgleich und wir können weiter. Was die Mädels danach an Aufwand treiben, ist mir Latte, aber ich denke nach, wieviel Aufwand es machen würde, die Zeit am Stein zu verkaufen. Also 100 Meter vorher ein Schild aufzustellen und anzukündigen, daß es Stau gäbe, aber 5 Minuten alleine mit den Stein auch nur fünf Euro kosten würden und dann können die SelfiePosing machen wie sie wollen, aber ich verdiene mein Taschengeld. Ich überlege noch das business modell an einen notleidenden spanischen Rentner zu verschenken und dann ist der Gedanke auch schon wieder weg.

Kurz nach einer völlig überfüllten Raste, kommt ein souverän geführtes Haus für Leute, wie mich. Familienbetrieb, wenig zu Essen, wenn dann Menü, kein Englisch, aber ein frischgezapftes Estrella Galicia für die letzten Kilometer rücken sie raus. Lecker und ich habe die Ruhe, während die Corona an mir vorbeilatscht, diesen Moment zu genießen. Nur noch 100km. Wenn mir am 4. April mal jemand gesagt hätte, daß ich 100km zu Fuß und vier Tage für recht überschaubare Einheiten im Sinne von Geschwindigkeit und Dauer halte, hätte ich wahrscheinlich ungläubig geguckt. Ist aber so. Es hat sich was verändert. Ob das gut oder durchhaltbar ist, wenn ich wieder Auto fahre, ist dabei zweitrangig. Das es in geänderten gesellschaftlichen Bedingungen zu veränderten Interpretationen von Nah und Fern, sowie von Dauer kommt, kommen kann, ist doch schonmal positiv. Beim Bezahlen treffe ich noch ein sehr nettes dänisches Pärchen. Wir unterhalten uns kurz, aber klug und weiter gehts.

Dann checke ich in Portomarin ein und gehe erstmal zum Centro de Saude wie das hier in Galizien heißt und lasse mich neu verbinden. Ikke und ein Doktor plus der Typ am Wareneingang, die beide gar kein Englisch sprechen. Ein Traum. Nun kann ich ja ein paar Brocken, was aber macht ein Refugee, der nichtmal die rausbringt und erklären muß, was ihm gerade fehlt und, so wie ich -hüstel- auch keine Krankenkarte dabei hat, also Cash bezahlen will. An dieser Stelle meinen Respekt für alle, die sich auf diese lange Reise einlassen und ein großes Danke ans Centro, weil ich einen neuen coolen Verband bekommen habe. Dann habe ich Hunger und ess was. Beim Blick darauf, wo ich den jetzt hin muß, meine Unterkunft, merke ich, daß die zwar ein gut besprochenes Resto hat, aber außerhalb liegt. Also geht es nochmal los, als ein Auto neben mir hält und mich fragt, ob ich da hin will. Lustigerweise hat er das Logo der Unterkunft auf der Fahrertür und ich steige ein. Toll, n Shuttelservice, der mich morgen auch zurück auf den Weg bringt.

Zimmer beziehen. Waschen. Duschen. Duckeln. Und dann mal runter in den Landgasthof. An der Theke ein ein irisches  Lehrerpärchen, mit dem es vor und während dem Essen um eines der wichtigen Themen der Welt geht. Wie kriegen wir welche Problemlösungskompetenz mit welchen Ausgangswissenbeständen in welche Köpfe und wie kriegen wir es hin, daß als allererstes alle begreifen, daß alle Kinder in eine Schulklasse gehören und das dreigliedrige Schulsystem sowas von oldschool ist. Ein ganz tolles Tischgespräch, das mir viel mitgegeben hat. In Irland haben die wohl nie Inklusion beschlossen, weil sie das Prinzip der Einheitsklasse nie aufgegeben und somit quasi natürlich inklusiv sind, was wieder auch ein Fingerzeig drauf sein kann, daß gute Konzepte auch aus der Not geboren sein können. Hm, so kann es also auch gehen. Ich hätte es halt lieber ohne Not. Aber ich geh jetzt aufs Zimmer, ess Pistazien für die Blutbildung und schlafe…

101. Etappe: Triacastela – Sarria

Nach dem Nebelgedöns gestern, hab ich mich einfach noch zweimal rumgedreht, bevor der Tag losging und so war ich um zehn auf der Strecke. Die Sonne war mittlerweile überwiegend präsent und die Wegführung so, daß der Touristiker wohl von einem Panoramaweg faseln würde. Halbhoch am Berg mit guten Sichten. Alles in sattgrün. Schön. Und wenig anstrengend, wobei allerdings nach anderthalb Stunden die Einkehr schief ging, weil sich in der lauschigen Bar einfach niemand blicken ließ, der mir was verkaufen wollte. Allerdings lagen Backwaren rum, die Kasse war in Betrieb und die Musik lief. Als sich nach zehn Minuten immer noch niemand blicken ließ, bin ich weiter. Weiterhin entspannt, weil Koffein- und Orangensaftpegel schon vorher auf Normal gebracht worden waren.

Nach drei Stunden war es dann soweit. Eine Bar, die ihren Namen verdient, lag am Weg und das Angebot zur Einkehr nahm ich gerne, trotz voller Belegung, an. In den letzten Tagen sind schon deutlich mehr Leute unterwegs. Also die Rückwärtsrechner. Wo muß ich einsteigen, um in ein, zwei Wochen in Santiago zu sein. Und seit ein paar Tagen sind die zehn-Tage-Wanderer dabei. Die haben 14 Tage Urlaub und ziehen je einen Tag für An-und Abreise per se ab. Müssen packen (Minus ein weiterer Tag) und sind lieber schon Samstags zuhause, wenn sie montags wieder ran müssen. Die hatte ich so nicht auf dem Schirm, scheint aber eine Menge davon zu geben. Es sind vor allem Familien, die unterwegs sind. Das bietet natürlich auch ein neues Panoptikum. Gelangweilte Pubertierende beim Wandern mit den Eltern, während sich die Kumpels an irgendeinem Strand flätzen oder das elterliche Eigenheim mit einer Sturmfrei-Party zerlegen. Einem, der seinen Wanderstab ganz selbst vergessen als Strahlenschwert sieht und damit rumfuchtelt und mich dabei fast trifft, muß ich unterwegs mal scharf die Wache ansagen. Schön ist, daß er nicht anfängt zu weinen, mich verklagen will oder nach seinem Rechtsanwalt schreit, sondern einfach wach wird und Perdon sagt. Nachdem auch keine Helikoptereltern den Kleinen beschützen wollen, signalisiere ich ihm Ok und „Tu no solo a la mundo“, was sprachlich wahrscheinlich total falsch ist, sich auf den ersten Blick so anhört, wie „You’ll never walk alone“ aber tatsächlich als Appell an die Umsichtigkeit gemeint war. Trotz meines Stammelspanisch hatte ich das Gefühl, daß die Botschaft angekommen ist. Und für die weniger pädagogisch, als kulinarisch Interessierten: Ja, es war eine dieser Bars, in der die Empanada nicht aus der Metro, sondern von mindestens der Oma gemacht wird und so lecker ist, daß ich sie mit dem Messer in kleine Stückchen geschnitten habe, um nichts zu versäumen.

Danach gehts abwärts Richtung Sarria, das schon von weitem zu sehen ist und einen wenig einladenen Eindruck macht, weil es mit fünf-sechsgeschössigen Häusern prangt und nicht mit einer Kathedrale oder so. Ich betrete also das Stadtgebiet und verstehe es nicht. Der Weg führt durch Neubaugebiete und es gibt dann einen Flußübergang an dessen Ufer Restaurants und eine dahinterliegende Einkaufsstraße auf den ersten Blick von neuem Wohlstand zeugen. Übergangslos geht es dann eine Treppe hoch und überall hängen Weltkulturerbeflaggen. Wenn das eine Bewerbung sein soll, ist noch viel zu tun. Ich muß nach rechts Richtung Unterkunft abbiegen und verschiebe die weitere Erkundung auf den frühen Abend. Von der Unterkunft bin ich mehr als positiv überrascht. Ein echt schönes Zimmer mit einem kleinen verglasten Balkon, der seine Tücken erst im Laufe des Abends zeigen sollte. Also gabs erstmal ne Runde Wohlfühlsiesta inklusive Jogurt- und Obstsnack.

Dann war es früher Abend und die Exkursion begann. Aus dem Haus rechts zunächst in das neue Stadtzentrum. Wenn es Baugeschäfte und Handwerkerbedarf bis in die Innenstadt schaffen, hat eine Stadt schon fast verloren. Danach kommen Spielhallen und Ein-Euro-Läden. Hier war eine Stadt im Stadium der Baumärkte, kleinerer Ausführung, also n Farbengeschäfte, Eisenwaren und Gartenkrams, aber wenig Damen- und Herrenoberbekleidung, Schuhe und Schniggesläden für Wohnaccessoires. Hm, also weiter Richtung Altstadt. Die wiederum war vollgestopft mit Pilgerherbergen, die nun auch nicht den Charme von Weltkulturerbe verströmen. Echt schwierig. Ich hab dann mal nachgeguckt: Industrie gibt es hier auch nicht. Echt eine komische Stadt.

Da es der letzte Bahnhof vor der 100km-Marke ist, kamen gegen Abend auch noch reichlich neue Leute an, die wohl morgen beginnen zu wandern. 100km-Marke meint, daß diejenigen Wanderer/Pilger, die sich zweimal am Tag ihren Pilgerpass abstempeln lassen, dann in Santiago auch ihre Urkunde kriegen. Das scheint einigen echt wichtig zu sein. Ich hab mich schon vor längerem dagegen entschieden, weil ich keine Urkunde brauche, die ich an die Wand hängen kann. Ich hab meinen Blog, meine Bilder und meine Erinnerungen. Mehr brauche ich nicht. Und wenn ich vor meinen Herrgott trete und der das Ding sehen will, muß ich wohl ne Tür weitergehen.

Dann geht es zum Abendessen in die Nähe des Bahnhofs, wo die Freunde von Michelin etwas empfohlen haben und zwar zu vertretbaren Preisen. Also hinein. Vorneweg eine Kichererbsensuppe mit Speck und Chorizo vom galizisch-keltischen Schwein und nachher Kotelett von eben dem Schwein mit Patatas und Piementos. Das Besondere an dem Lokal war, daß es sich um eine Parradilla handelte, also ein aufs Grillen spezialisierten Laden. Und das haben sie auch gut gemacht. Dazu einen leichten Weißen aus Ribeiro und dann heim.

Im Zimmer war es total stickig und eine Klimaanlage gab es auch nicht. Ich wollte aber noch was schreiben, weshalb ich ich dachte: „Weißte was, du machst die Fenster in deinem überdachten Balkon auf und schreibst mit Blick auf die Straße vor dich hin.“ Gesagt getan und ein Fenster hochgeschoben, das aber so schnell wieder runterkam, daß mein rechter Mitelfinger nicht mehr ganz davon kam. Der sah aus wie guilliotiniert, so daß ich mit dem Taxi ins Hospital bin, die das aber entspannter gesehen haben, weil nichts gebrochen und auch nix wirklich abgerissen ist. So hock ich nun adrenalingeschwängert auf dem Bett und schreib dann doch noch. So ein Mist. Hoffentlich heilt das schnell aus. Ich will ans Meer und ins Wasser… Morgen früh muß ich mich da wieder vorstellen und dann wohl jeden Tag mal sehen, wo es so ein Centro de Salud gibt. Jetzt leg ich mich nach dem Schreck aber erstmal hin… Guts Nächtle.

100. Etappe: Las Herrerias – Triacastela

Als ob ich es geahnt hätte. Morgens um acht zeigen sich die zu überwindenden Berge in vornehmen Weiß, was nichts anderes als schnöder Nebel bzw. tiefhängende Wolken bedeutet. Entsprechend gelaunt ziehe ich los und hoffe darauf, daß meine Strategie aufgeht und gegen Mittag der Himmel aufreißt. Meine Laune bessert sich, als ich ich die ersten Meter gegangen bin. Ein sattes Grün leuchtet mir entgegen und diese tiefen, fast engen Täler entfalten ihre Wirkung auch ohne Lichtspiele. Ich komme gut voran und nach einer Stunde, bevor es richtig bergauf geht, kehre ich ein und bekomme meinen Cafe con Leche. Zumo de Naranja fällt aus, wegen ist nicht.

Dann gehts aufwärts in den Nebel. Grüne Hölle. Echt interessant, aber kaum zu schildern, wie sich taubesprengte Spinnennetze um ganze Bäume schlingen oder eine kämpfende Sonne schillernde Lichteffekte auf die Hügel zaubert. Weil es aber bergauf geht, schwitzel ich a weng, gleichzeitig geht Wind und ich hole, nach langen Tagen, die Softshell-Jacke mal wieder raus und das alte Spiel geht los. Sobald die Sonne rauskommt, ist es mit der Jacke zu warm. Ohne, ist es zu kalt, sobald der Wind bläst. Zwischendurch treibt der Wind auch noch Wasser vor sich her, was ich noch nicht Regen nennen würde, was es aber zusätzlich blöd macht. Egal, irgendwann ist oben!

Angekommen in Galicia. Deutlich unter 200km bis Santiago. Und endlich comida gallego, die galizische Küche, die ich für eine der besten Spaniens halte. Aber das erste Dorf auf galizischer Seite ist zum Museumsdorf gemacht worden, was nicht unsympathisch ist, und ich höre ja auch die Dudelsäcke gerne, aber dieser Gaelic/Kelten-Kram, der in den Shops angeboten wird und genauso wie in der Bretagne und Wales auch in Fernost gefertigt wird, lässt mich weitergehen.

Deshalb gibt es erst oben in der Bar am Pass die erste Caldo Callego seit vielen Jahren. Das ist eine vegetarische Suppe mit einer regionalen Kohlart, weißen Bohnen und Kartoffeln. Dieser regionale Kohl ist nun in Deutschland recht schwer zu organisieren, weshalb das Nachkochen einfach schwerfällt. Und mit den bei uns erhältlichen Kohlsorten kriege ich den Geschmack nicht hin. Also nutze ich die erste Gelegenheit und bestelle ein Töpfchen zum Aufwärmen. Wobei ich das mit dem Aufwärmen ehrlich meine. Mir war trotz Softshell auf 1400m im Juli in Spanien voll kalt. Die Suppe war gut und als ich mir ein Gipfelbier gönnen wollte, betrat jemand suchend die Bar und starrte den Leuten quasi auf den Teller. Als sie den Typen am Tisch gegenüber der Theke beäugte, wollte ich helfen und sagte, daß das Caldo Gallego sei, eine regionale Spezialität. Auf spanisch. Das kriege ich mittlerweile verständlich hin, denke ich zumindest. Als sie „Wie bitte?“ antwortete, bin ich ins Muttersprachliche gewechselt und hab ihr erklärt, was das ist. Das würde sich ja gut treffen, sie wäre nämlich Vegetarier. Als szenegeschulter Kerl weißte da, das die aus einer anderen Welt kommt. Sprachlich nicht so sensibel, die Gute. Ich geh dann mit meinem Gipfelbierchen zu meinem Platz und denk an das Etappenziel. Zweieinhalb Stunden noch. Zack, sitzt die da. Nä, sie hat natürlich gefragt, ob sie sich dahin setzen kann und da kannste ja nicht nein sagen. Das wäre ja unhöflich. Als sich die Frau aber nach einiger Zeit als dieser Typ Ich-hab-die-ganzen-sechs-Wochen-Urlaub-auf-den-Abflug-am-soundsovielsten-beplant-und-jetzt-bin-ich-viel-zu-schnell-und-wohin-soll-ich-denn-bis-zum-Abflug-noch-Laufen loslegte, hab ich mich verdünnisiert und den Hinweis, das sie ja weiter vor sich davon laufen könnte, runtergeschluckt. Ich habe derzeit die Freiheit zu sagen, mit dir ja, mit dir nein. Das ist so kostbar, weshalb ich kein Gramm dieses Schatzes verschenken möchte.

Also gehts dann Bergab ins erste galizische Städtchen. Und abends dann. Alles gut. Wieder Suppe. Sopa de Marisco, mit Muscheln und Krebschen. Danach Pollo vom Bauernhof an einer sehr leckeren Sauce mit Paprika. An, damit die Haut schön kross bleibt. Dazu Salat und Kartoffeln, sowie ein leichter Weißer aus Ribeiro, nicht zu verwechseln mit dem Ribera… Regionale Weinsorte, trinky wie ein Muscadet. Schön, sowas auch mal zu entdecken, nach all dem Rotweinen der letzten Tage. Ich freue mich auf Galizien und hab einen Tag auf dem Land dazwischengebastelt, weil ich hier weiter probieren will. Das ist eine gute Gegend fürs buen vivir. Mit dem Gedanken beschließe ich den Tag.

99. Etappe: Villafranca de Bierzo – Las Herrerias

Ich bin einfach liegengeblieben. Es ist kein langer Wandertag und kein rat race um eine Unterkunft, weil ich reserviert habe. So what? Außerdem war das gestern ein langer Abend. Es war warm und nachdem ich mit dem Essen fertig war, machte sich das ganze Städtchen auf, um ins Wochenende zu starten. Es war ein Heidenspaß, dabei zuzusehen und da ich einen guten Platz hatte, gab es auch genug zu gucken. Es wurde Mitternacht und das Treiben nahm kein Ende, aber ich hab mich dann verabschiedet, weil ich ja heute eben doch was vor habe. Knapp fünf Stunden in sanftem Bergauf bevor es morgen die Überschreitung nach Galizien gibt. Die will ich gerne am späten Vormittag erleben, wegen Frühnebel und so.

Nach einer Stunde gehen, schreit mein Körper nach Cafe con Leche und Orangensaft. Also kehre ich in der nächsten Bar ein und gebe dem Schreihals wonach er verlangt. Danach geht es weiter, etwas dumpfbackig neben einer Nationalstraße, was mir aber recht ist. Ich hänge meinen Gedanken nach. Meine Mutter wäre heute 76 geworden, was sie aber leider nicht mehr erleben kann. Wie immer geht mir dieses „Solang du noch eine Mutter hast, so danke Gott dafür…“ durch den Kopf und ich summe es vor mich hin. Ich denke auch, was sie mit ihrer Arbeitsmoral zu dieser Auszeit gesagt hätte und warum ich bei jedem getapten Mitwanderer denke, daß er sich nicht so anstellen soll. Daß man sich nicht anstellen, sondern durchbeißen, wegstecken, funktionieren und wenig Rücksicht auf sich selber nehmen soll, habe ich von ihr. Naja, andererseits denke ich, hätte Sie sich sehr gefreut, daß ich meine Träume verwirklichen kann, weil das Ihr leider verwehrt blieb. Mama, ich laufe auch für dich!

Das alles wird begleitet von einer zunehmend grüner werdenden Landschaft, mit enger werdenden Tälern und höher werdenden Bergen. Überwältigend schön. Aber der Weg ist halt keine touristische Erfindung, sondern ein alter Pilgerweg, weshalb natürlich auch heute die Verkehrsströme denselben Weg nehmen, nämlich den des geringsten Aufwands. Deshalb wird diese großartige Landschaft und dieser uralte Weg mittlerweile mit einer Autobahn und einer Nationalstraße geteilt. Gibt es eigentlich eine Geschichte der Handelswege? Warum habe ich auch in Deutschland das Gefühl, die Bundesstraßen und Autobahnen verbinden immer noch die Hanse und ander mittelalterlichen Bünde? Warum stehe ich auf der A3 vor Würzburg im selben Stau den schon Goethe auf seiner Italienreise beklagte? So lande ich wieder bei einem Logistikthema, was mir mittlerweile echt am Herzen liegt.

Dann passiert noch eine ganz komische Geschichte. Ich komme durch einen Ort und sehe, kurzsichtigerweise, einen alten Mann die Straße überqueren, tüttelig sein Taschentuch rausholend und schneuzen. Der hat auch nicht mehr alle Kaninchen im Stall, denke ich noch und gehe an im vorbei. Auf der Straße liegt ein Bündel Fünfziger. Uppsa, da hat der alte Mann wohl sein Taschengeld verloren. Ich hebe also die Kohle auf und laufe ihm hinterher. Und der hat wirklichlich nicht mehr alle Kerzen am Baum. Guckt mich an und faselt, was ich den wolle und wie er denn an das Geld gekommen sein soll. Ich bin heilfroh, als ein Auto hält und der leicht übergewichtige Kommunalpolitiker (Muß so einer sein. Eigentlich zu jung, um schon so alt auszusehen und zu checkerig, um nur hilfsbereit zu sein.) die Sache in die Hand nimmt. Bei mir bedankt er sich und führt eigenhändig den Alten und die Kohle in Richtung Familie, hoffe ich. Ich gehe weiter und hoffe, daß es bei mir nie so weit kommt. 

Dann ist der Zielort irgendwann erreicht und ich freue mich wirklich gut untergekommen zu sein. Mit Restaurant im Haus, das mit lobender Erwähnung in der Lokalpresse wirbt. Da weiß ich doch, wo es heute abend hingeht. Ein wenig Wäsche gewaschen, selber geduscht, gelesen, geduckelt, nachgedacht und telefoniert. Dann eine Runde durchs Dörfchen gedreht und um halb Acht mit einem Mordskohldampf endlich ins Restaurant. Lalala, war das gut. Vorneweg eine Empanada, gefüllt mit Muscheln, Langostinos und Porree. Danach Kurzgebratenes vom iberischen Schwein, dem wo dieser jamon Iberico raus gemacht wird, mit Bratkartoffeln, die 50:50 von Gemüsezwiebeln begleitet wurden und einem tollen Olivenöl. Zum Niederknien. So schlicht und so gut. Der Nachtisch bestand aus einer Lecha Cocida, also Panna Cotta, einer Trilogie von Schokolade und einem Stück Kaffeesahne auf Bisquit. Wie schön. Zum ganzen Menü ein halber Liter junger Rotwein aus der Mencia-Traube. Der Gute hat zu allen drei Gängen eine gute Figur gemacht, wenn ich auch das Dessert eher an einem Cafe Solo vorbeirutschen habe lassen. Boah, war das gut. So gestärkt kann ich doch morgen über die Berge nach Galicien gehen und nächsten Samstag bin ich in Santiago! Alerta.

98. Etappe: Ponferrada – Villafranca de Briezo

So. Nun aber hinein in dieses mir gänzlich unbekannte Weingebiet. Ich hab bis halb neun die Füße still gehalten, weil ich den Troß heute nicht erleben will, aber jetzt gehts los. Zunächst mal durch die langen Straßen der Vorstädte dieser durchaus industriell geprägten Stadt. Da gibt es Gebäude, die so auch in den 80ern als Zeichen des Strukturwandels von Oberbürgermeistern im Ruhrgebiet gefeiert hätten werden können. Das sah gestern schon so a la Neue Hafen oder Zeche blabla aus und woher der Wind weht, war klar, als ich im Tourist Office nach diesen interessanten Gebäuden fragte. Das wären Appartementhäuser, war die wenig zufriedenstellende Antwort. Also mal wieder durch den Strukturwandel gehen, was mir die den Gedanken einer politisch-kulinarischen Exkursion vom Siegerland über Wetter, Witten, Hattingen, also Ruhr, Bochum und Essen nicht vergessen, an die Wupper und von da aus rüber ins Rheintal über Ddorf nach Köln wieder in den Kopf bringt. Da könnte mit der entsprechenden Gruppe zu Fuß eine Menge drüber besprochen und angeeignet werden, was derzeit nur als  dumpfes Gefühl vorliegt. In Südtirol, ich sprach davon, werden wir das mal ausprobieren.

Das Gefühl einer Erkundung zu Fuß, einer teilnehmender Beobachtung in Wanderschuhen und einer Exploration sich medial-real darstellender gesellschaftlicher Widersprüche, was ich an anderer Stelle gerne weiterführen würde, löst sich bei der Überschreitung des ersten Hügels als Priorität erstmal wieder in Richtung „normal“ auf. Wer „eilig, brandeilig und dringend“ auf Auftragszetteln kennt, weiß wie es mir geht. Ich bin überwältigt vom Blick auf dieses breite Tal, auf die Weinberge, die Dörfer und Städtchen und eben die Berge Richtung Galicia. Das ist hier fast so schön wie in Südtirol, echt jetzt. Die Berge sind nicht so hoch, aber es geht in die Richtung. Wunderschön. Und directamente nach dem Eintritt ins Weinland „el Bierzo“ gibts auch schon lecker Cafe con Leche und Sumo de Narañja – für Wein ist es noch zu früh – und weiter gehts. Ein paar Hügel weiter komme ich an einer Fruteria nicht vorbei und esse mal wieder Nektarinen, die zum Niederknien sind. Was ich allerdings gerne nochmal lernen wollen würde, wäre so das Ding, wie man sowas ist, ohne das es spritzt. Ich habe mal jemanden so einen weichen Pfirsich Scheibe für Scheibe mit dem Messer vom Kern trennen sehen. So will ich das können. Wenn die nichts können und hart sind, krieg ich das hin. Wenn die schmecken, spritzen die leckeren Früchte. Doof, trotzdem lecker.

Der nächste Hügel bring mich tatsächlich in ein Weindorf, allerdings auf Rüdesheimniveau, was mir für den Mittelrhein echt leid tut und die hier anscheinend auch nicht bereit sind zu lernen. Am Ende der Ortschaft lädt die Winzergenossenschaft der Weinregion ein, wovon ich ja eigentlich die Finger lassen sollte. (Wer nur GWF-Weine trinkt, hat Frankenweine nicht kapiert.) Aber wenn ich Cooperative lese, werde ich sentimental. Ich gehe also rein und frage nach einem Doña Blanca, das ist eine regionale, für Massenweine angebaute Sorte, und frage ob sie den auch in buena hätten. Warum? Nach all den Offenbarungen in Franken, wo sich junge Leute, der Johannes Nickel sei hier mal ausdrücklich genannt, aber auch sonstwo in der Republik, mit den Themen Kerner, Bacchus, Müller oder Scheurebe so sensibel und geil auseinandergesetzt haben, denke ich mir, daß der hochwertige Ausbau ebendieser Massenweine die Qualität des Winzers zeigt. Die Antwort ist unfreundlich, liegt aber nicht am Wein, sondern an der Verkäuferin und das Ergebnis ausbaufähig. Was ich auf meinem Zettel auf der Rebenliste „Potentialkandidat im Klimawandel“ unter nicht ganz so eilig buche. Weiter. Und dabei wird mir klar, daß ich zwar die Windparks angesprochen habe, aber das Thema Solarenergie noch gar nicht geschildert habe. Wahrscheinlich weil es das nicht gibt. Ich werde mir darüber erst wirklich klar, als ich den nächsten Hügel Richtung Ziel überschreite. 

Da steht nämlich ein Mountainbiker, der mich am Berg überholt hat und als ich mich , kann halt nicht anders, mit einem „amazing“ bemerkbar mache, kommen wir ins Gespräch. Der Typ ist im worldwide Vertrieb von spanisch Dachziegel… also die spanischen Braas…  Mächtig interessant, weil er eigentlich aus Madrid kommt, aber die hiesige Gegend gut kennt. Das ist nämlich die Gegend in Spanien mit dem kontinentalsten Klima. Als ich doof gucke, sagt er, daß sie hier die Produkte für Rusland testen. Wir wären zwar Kontinent, hätten aber nicht so ein Klima, ganz kalte Winter, ganz heiße Sommer. In Deutschland wäre es ja eher gemäßigt, auch auch was den Niederschlag angeht. Yo, sag ich. Bei uns fällt der Sommer aus und es regnet, wenn es regnet, völlig heftig. Haber wir uns dann geschenkt ich hab aber dann doch noch nach Solarenergie im Eigenheim gefragt, wo er sagt, das wäre bei ihnen bislang kein Thema. Stimmt. Egal wo ich durchgekommen bin, und das war ja in den letzten Wochen schon das ein oder andere Neubauviertel, wenig, ganz wenig. Das ist natürlich in einem Land, wo die Sonne ziemlich regelmäßig scheint, schon doof. Aber wahrscheinlich ist der Zusammenhang zwischen Sonnenenergie und Strom in einem Land, wo du dich vor der Sonne schützen musst, also Energie brauchst um die Wärme draußen zu halten, kommunikativ anders aufzubauen. Das sieht der spanische Kollege ähnlich, hat das aber bislang nicht so aufm Schirm gehabt. Die Chinesin, die in Kanada lebt und sich erschöpft daneben stellt, auch nicht. Also geht es wohl auch darum, den monokausalen Zusammenhang von Sonne und Wärme in Richtung  Sonne und Energie weiterzuentwickeln und zwar auch da wo der Zusamenhang eigentlich so offensichtlich ist. Mir wäre er auch beinahe abhanden kommen, weil es brüllwarm ist. Ich komme also in einen Ort, knappe anderthalb Stunden vor dem Ziel, und muß was trinken, und weil es nicht mehr lange geht, darf es ein Bier sein.Nach all dem Denken vorher, werde ich vom Wirt gefragt, ob das Vaso frio sein soll und ich sage ja, si, claro.Der Wirt geht an die vierte oder fünfte Tiefkühle in seiner Butze und holt ein tiefgefrorenes Glas raus, füllt  ein eh eiskaltes Bier rein und stellt mir das hin. Das ist klimawandel- und energiepoltisch eigentlich unverantwortlich, aber so unbeschreiblich schön. So kalt, so erfrischend, so feinherb… 

Im Zielort komme ich dann tatsächlich noch an einer Herberge mit Solarzellen aufm Dach vorbei. Vielleicht muß man es ja auch nur beschreien. Ich checke ein und bin dann erstmal um. Dann gehts los und ich gucke mir das Städtchen an. Nett. Meine Unterkunft ist auch gut, aber ich finde keinen wirklichen Draht, und bleibe nach einer unfreundlichen, also nicht von meiner Seite, Einkehr in derörtlichen Vinothek, am Plaza Mayor, also im Touristenbums hängen, erobere mir aber das Herz der Mädels mit einer Bestellung jenseits des Menu de Dia indem ich einen Salat und Pommes bestelle. Vielleicht gibt das ja mal Durchschlafen trotz Warm. Das ist echt lecker, vor allem wahrscheinlich auch wegen der selbstangerührten Vinaigette. Ich habe nämlich vor ein paar Tagenbeobachtet, wie eine spanische Mama, die Tütchen und den Pfeffer/Salz Ständer aus dem mitgelieferten Porzellanschälchen nahm, alles einfüllte und die Vinaigrette darin anrührte. Eine Salatsauce, z.B. eine Vinaigrette, wirkt nämlich nicht über ihre Einzelteile, sondern  ihre Composition. Habe ich dann auch mal so gemacht. Touristenbums. Glatze. Crogs. Und ? Als ich nach der Hälfte von Salat und Pommes alles zusammenschütte und das nochmal durchmisch, sagt ein alter Mann von Nebentisch, daß wäre bueno. Wer mich kennt, weiß wie sehr mich sowas freut. Als ich nach dem Essen und einem Rosado, statt dem Nachtisch nach einem Vino Dulce frage, kriege ich den auch. Dann bestelle ich die Rechnung und trotz aller Extras finde ich nur das Menu Peregrino mit all inclusive auf dem Zettel. Ich frage nach und bekomme als Antwort „It’s ok. Muchas Gracias.“ Das freut mich, gibt mir aber auch weiter zu denken. 

97. Etappe: El Acebo – Ponferrada

Es gibt, Punkt acht, ein französisches Frühstück mit frischen getoastetem Brot und selbstgemachten Marmeladen, serviert vom Hausherrn, der so einen freundlichen und zufriedenen Eindruck macht, daß ich nachfragen muß. Ja, ist er. Er hat mit der Vermietung und dem Leben hier in den Bergen sein Ding gefunden. Ich spare mir die Nachfrage, was er denn vorher gemacht hat. Geschliffenes Englisch, aufwendige Renovierungsarbeiten und eine gewisse Weltläufigkeit lassen wenig andere Schlüsse zu, als daß er mal mit irgendwas richtig Schotter in gehobener Position gemacht hat. Es sei ihm gegönnt. 

Ich stelle dann doch noch eine Frage, weil ich im Ohr habe, daß hier auch lange Jahre nach dem Bürgerkrieg Leute gegen Franco gekämpft haben. Es gibt auch eine regionale Berühmtheit, den Manuel Giron, der diesen Kampf mit seinem Leben bezahlt hat. Mir liegt die Frage nah einem Denkmal auf den Lippen, die er wohl geahnt hat und sagt nur: Transition, der Mantel des Schweigens über den Franquismus. Naja, ich geh dann los und auf dem Weg ins Tal werde ich das Gefühl nicht los, daß die Guerilleros doch hier oder da sicherlich unterwegs gewesen sind. Mit dem einschlägigen Liedgut auf den Lippen erreiche ich nach rund vier Stunden das Ziel, nicht ohne vorher eine aufgelöste Gruppe junger Spanier zu passieren. Einen der Wanderer hat es kreislaufmäßig umgehauen. Der Krankenwagen ist aber schon unterwegs, so daß ich meinen Weg fortsetzen kann.

Angekommen, stadtfein gemacht und den späten vormittag also die Zeit von 12:00h bis 14:00h in der Stadt mitgemacht und genossen. Danach Siesta, ein wenig, und die Office-Pflichten erledigt. Nachmittags wieder raus und eine SD-Karte gejagt. Die 16mb sind voll. (Das werden Keine Diaabende, sondern Diatage.) Aber im nächstbesten Photogeschäft werde ich fündig und alles ist gut. Danach besichtige ich die Templerburg, organisiere ein frühes Abendessen, den ersten spanischen Döner (Nicht der Rede wert) und sitze nun mit den Rolling Stones (aus der Konserve) in einer Weinbar und probiere die Weißen. Das kann sich alles blicken lassen und macht Spaß. Ins Kerngebiet der Weinregion komme ich allerdings erst morgen. Vorfreude macht sich bei der zweiten Position breit, sehr fruchtig. Pfirsiche satt. Cool…

96. Etappe: Astorga – El Acebo

Um Viertel nach Sieben stand ich auf den Straßen des langsam erwachenden Städtchens und machte mich auf den Weg. Nachdem ich gestern reichlich üppig und spät zu Abend gegessen hatte, war mir überhaupt nicht nach Frühstück, selbst die Kaffee/Orangensaft-Kombi wäre mir zuviel gewesen. Der Weg führte zügig aus der Stadt hinaus und neben wir war alles auf dem Camino unterwegs, was aus den Hostals und Herbergen gekehrt worden war. Mir war das fast ein wenig zuviel Trubel, und ich war dankbar für die Ruhe der letzten Tage, die sich aus meinen späten Starts ergeben hatte. 

Bei neuneinhalb Stunden reiner Gehzeit, 32km Länge und 500hm im Auf und Ab, die auf dem Zettel standen, habe ich davon Abstand genommen, was sich auch als gut und richtig erweisen sollte. Denn wie im Autosport ist auch beim Wandern die richtige Boxenstrategie entscheidend. Nach rund zwei Stunden stand die erste Ruhepause auf der Tagesordnung und es war nun Zeit für Cafe con Leche und frischgepressten Orangensaft. Ich hatte einen guten Platz vor der Bar erwischt und konnte die ganze Corona an mir vorbei defilieren lassen. Wirklich hängengeblieben, und zwar fürs Poesiealbum, ist der erste Aluhutträger, den ich live und in Farbe gesehen habe. Das es das echt gibt, hätte ich nicht wirklich geglaubt. Aber da diese Typen ja unberechenbar sind, hab ich mich nicht an ihn gewandt, sondern von hinten fotografiert. Im Schlepptau hatte der Typ, als wenn ich es geahnt hätte, ein ätherisches Wesen aus der Töpfern-in-der-Toscana-Ecke mit ärmelloser hellblauer Blümchenbluse und diesem Gesicht, wo mein Freund Ralf schon immer gesagt hat: „Finger weg. Gibt nur Probleme.“Hat auch immer Probleme gegeben, aber…

So hing ich in wenig meiner Vergangenheit hinterher und bin froh, daß ich da mittlerweile hingucken kann, ohne den Retter zu spielen. Wer so doof ist, muß leider ohne mich klüger werden. Nach der zweiten Pause, etwa vier Stunden später, verläuft sich das alles. Einige sind wohl nach vier Stunden schon am Ende und warten auf ihren Gepäckexpress, damit sie an ihr Duschzeug kommen und andere brauchen eine lange Mittagspause, was sich nicht anbietet, weil es halt eben erst gegen vier richtig heiß wird. Das gibt mir die Chance nach Cola und Empanada durchzustarten. Es geht in die Berge, was mich nach all den Tagen im Flachland echt freut. Auffi.

Sensationelle Rückblicke in die Ebene von Leon und vor mir nur Berg. Da muß doch jetzt irgendwann die Überschreitung Richtung Bierzo kommen. Menno. Nachdem ich nochmal genauer nachgeguckt habe, freue ich mich jetzt erstmal auf das Croz de Ferro. Das liegt auf etwa 1500hm und ist dann auch erreicht. Daß es danach nur noch bergab gehen würde, glauben auch nur Leute, die Mittelwerte für aussagefähig halten. Als geht erstmal noch vier Kilometer an der Bergkante auf und ab. Schöne Aussichten, zugegebenermaßen, aber mir wäre langsam mal nach Ziel. Dann geht es die nächsten zwei Kilometer steil bergab und die Füße tun weh, die Knie sind genervt und der Kleine will ein Feierabendbier.

Geschafft. Eingecheckt und ungeduscht erstmal in die Bar um die Ecke und ein eiskaltes Bier gegen den Durst getrunken. Dann selbstreden geduscht und geruht. Eigentlich wäre das auch die Zeit, um die nächsten Unterkünfte zu checken, Fotos zu sichern und all sowas, aber manchmal, eher meistens bleibt es beim Krimi lesen und a weng duckeln. Von daher bin ich über kurze Wandertage ganz froh, dann kann ich das am Stück wegschaffen. Heute geht es dagegen nur zum Essen, wieder um die Ecke in die Bar-Restaurante-Auberge. Zu einer Suppe mit Kartoffeln, Bohnen und Porree sowie dem Hauptgang, einer gut abgehangenen Rouladen-Scheibe, die angebraten mit Pommes serviert wird, gibt es einen Rosado aus der Region. Das Dorf macht auch Werbung damit, daß es das erste Dorf in Bierzo ist. Alles eine Frage des Standpunkts. Mir auch egal. Ich freue mich jedenfalls mal wieder in eine Weingegend jzu geraten, die mir gar nichts sagt.

Am Nebentisch sitzt ein Spanier, dessen Teller so aussieht, als ob er das, was ich in Astorga schön getrennt bekommen habe, alles auf einmal bekommen hat. Es sieht jedenfalls reichlich mächtig aus. Ich frage ihn auch, was das ist und es stellt sich heraus, daß er kein Englisch spricht, aber nachdem der Wirt freundlicherweise kulinarische Nachhilfe leistet (In der Provinz Leon heißt die Chose Cocido Maragado und die Zutaten werden in der Reihenfolge Fleisch, Gemüse, Suppe serviert. In der Provinz Bierzo gibt es diesselben Zutaten alle auf einmal und die Suppe wird zur Sauce. Das Ganze heißt dann Botillo oder so.) entspannt sich ein ganz interessantes Gespräch über den Camino, warum jeder von uns Beiden denn überhaupt geht, über den Unfug außerhalb Valencias eine Paella zu bestellen und das Kastilier arrogante Säcke sind. Hände, Füße und mein Küchenspanisch reichen aus. Schön und interessant. Leider reicht es sprachlich nicht, um mal nachzufragen, wie die Situation in Spanien denn eingeschätzt wird. Ich habe auch, noch stärker als in Frankreich, das Gefühl, das interessiert die Leute auch nicht, wer sie regiert. Vielleicht ist das in den Metropolen anders, aber hier auf dem platten Land spüre und sehe ich nichts.

Es wird über die Tour aber spät, was aber niemanden, vor allem den Hausherr, davon abhält mich noch auf ein Glas und das Dessert einzuladen, als ich bei meiner Unterkunft auf die Terrasse einbiege. Ich bin heute nämlich in einer Casa Rural, der spanischen Variante einer Chambre d‘ Hote unter und die anderen Hausgäste haben sich vom Hausherrn bekochen lassen. Auch das wird ein sehr netter Plausch über die Vorteile eines Sabbaticals, die Länge des Weges und das Oktoberfest. Irgendwann zieht es mich aber in die Heia und ich schlafe bewacht von den drei Hunden des Hauses tief und fest. Der Tag war ja auch lang genug.

95. Etappe: Hospital de Orbigo – Astorga

Ich sitze in einem Speisesaal, der aus einer ganz anderen Zeit stammt. Die Wände mit Stoff bespannt, schwere Stühle, dunkles Holz und ich in dem, was ich für stadtfein halte. Der Grund dafür diese Zeitreise anzutreten, ist eine Spezialität der Region, der Cocido Maragato. Und da der Vermieter bei der Nachfrage bestimmt auf dieses Resto verwiesen hat, bin ich halt hier. Dieser Cocido ist eine Variande des bollito misto oder pot au feu, in dem die Zutaten zwar in einem Topf gegart werden, aber getrennt voneinander serviert werden. Suppe, Gemüse und Fleisch. Das Besondere an dieser Variante ist die quasi umgekehrte Reihenfolge. Zunächst das Fleisch, dann das Gemüse und zum Schluß die Suppe. Das Fleisch war der unspektakulärste Teil. Nase und Schwänzchen vom Schwein, Bauch, Speck, und ein wenig was aus dem Schinken. Eben das ganze Tier. Das Gemüse war der Hammer, Kichererbsen und Weißkohl, zusammen mit Paprika abgeschmeckt. Sehr cool. Die Suppe zum Schluß war wie so ne Schlachtesuppe halt ist. Auch cool.

Tja, und eigentlich war es das von heute auch schon. Ich bin in meinem Fernfahrerhostel lange liegen geblieben und spät los, weil es heute nur vier Stunden Gehzeit waren. Die Strecke war anspruchslos und auch landschaftlich nicht so dolle. Na gut, es ging zum Schluß über eine Hochebene, die schöne Aussichten ermöglichte. Und am Ende dieser Hochebene hat ein Hippiemädchen sein Ding gedreht. Kleines Haus im Hintergrund und direkt an dem Weg ein Stand mit Saft, Obst und so, sowie Sitzgelegenheiten aus Paletten. Alles auf Spendenbasis zu erwerben, also nicht die Möbel, sondern Saft, Obst, Wasser, Müsliriegel, etc. Und alle glücklich, am Zufriedensten die Hippiefrau. Da war es schön zuzugucken und ich hab auch brav Obst gegessen und gespendet, aber so ganz ist das nicht meins. Also weiter und eh ich gucken kann, bin ich auch schon da.

Das war so gegen eins und da geht der Spanier ja schonmal was Essen, dem ich mich dann angeschlossen habe. Eine tolle Fischsuppe und Albodingas. Danach ausführlichst Siesta und abends wieder los. Gaudi-Kathedrale und die anderen Sehenswürdigkeiten anschauen. Schönes, kleines Städtchen. Und nun sitze ich hier. Schwere Gedanken zur Rettung der Welt hatten heute Pause. Überstundenfrei. Aber der neue Krimi fängt gut an… und mit dem geh ich jetzt auch heim. Morgen gehts über 32km und ein paar Höhenmeter. Da will ich doch ausgeschlafen sein.

94. Etappe: Leon – Hospital de Orbigo

Das war ein schwerer Aufstand. So schön dieser Tag in Leon gewesen ist, unvergesslich, aber ich hatte um sechs noch das Gefühl, weiterschlafen zu können, was ich dann auch getan habe. Um neun gings dann aber auf die Piste, nicht ohne mein spanisches Frühstück, Milchkaffee und Orangensaft, frischgepresst, einzunehmen. Tja und dann geht es rund zwei Stunden durch Vorstädte und Industriegebiete im Strukturwandel. Das ist so, als ob jemand den Weg von Essen Richtung Norden als Wanderweg ausschreibt und du durch Stoppenberg und Katernberg musst. Möbel- und Matratzenoutlets, Autoaufpimpereien und n paar Hallen die günstig zu mieten sind. Nicht schön, aber so ist das Leben.

Danach wirds dann wieder ländlicher, aber mein Weg führt an der N120 entlang, einer Straße auf der ich, ich erwähnte es bereits, schonmal mit dem Motorrad Richtung Santiago gefahren bin. Ich denke also an meine Motorradzeit, überlege ob ich hier schonmal gewesen bin und komme wieder auf die Langsamkeit, weil es eben ein Unterschied ist, ob ich mit 4 oder mit 80km/h unterwegs bin. Das eine ist nicht schlechter als das andere, aber ich habe tatsächlich das Gefühl, daß ich mehr mitkriege. Außerdem ist der Fotoapparat schneller zur Hand. Bei einer Einkehr unterhalte ich mit einem Belgier über genau das Thema, weil er gar nix dabei hat, weil er keine Fotos machen will, keine fb-Paniken und -Unfug mitkriegen will und telefonisch nur über seinen alten Nokiaknochen erreichbar ist. Gestern hat er aber mitgekriegt, was im Freistaat los ist. Würzburg-Müchen-Ansbach… Ich berichte und finde es sehr angenehm, daß es nicht um Hautfarbe, Religion und Ballerspiele geht, sondern um diese bekloppte Welt. Dadurch wird die Mittagspause natürlich etwas länger und ich komme später ins Ziel. Diesmal schlafe ich in einem Fernfahrer-Hostal an der Bundessstraße und finde tatsächlich eine Szenerie vor wie dieses Bild von Hoppers Nachtschwärmern, allerdings ein paar Stunden vor Sonnenuntergang. Aufs Zimmer, und zugegenbenermaßen der späten Ankunft geschuldet, komme ich heute um acht los.

Ich schlurfe auf den Crogs ins Dörfchen und gucke wo es denn was Gescheites gibt. Upps, da lockt jemand mit einer regionalen Fischsuppe. Das finde ich erstaunlich, weil ich -selbst wenn ich intensiv nachdenke- keine Fischsuppe mit Süßwasserfischen kenne. Fischsuppen gibt es am Meer. Also hin da. Gepflegter Eindruck. Hingesetzt. Bestellt. Und dann kam die Suppe. Und aus dieser Suppe sprach die Sozialgeschichte der Region. Es war eine Brotsuppe, in der altes Brot mit einer pimentgewürzten Brühe oder nur Wasser eingeweicht und angewärmt wird und eine Forelle oder ihre Teile mit garziehen. Voll sättigend und aus Resten das Beste gemacht. Danach gabs noch ein Kalbskotelett, wo die Hauptleistung der Köchin darin bestand einen guten Metzger aufzutreiben. Vielleicht ist das aber auch der eigentliche Job von Köchen. Sie sollten Lebensmittelexperten sein und ihren Kunden erstklassige Ware präsentieren. Sie sollten die auch angemessen zubereiten können, aber die Qualität wäre der Punkt. Kochen kann ich ja selber. Aber jemand der erzählen kann, daß das Freilandschweine aus dem Steigerwald sind und damit eine Schlachtschüssel organiert, der wäre ein guter Gastwirt. Mit Schweinen aus der Metro geht es nur ums Fressen. Mehr nicht. Mir geht es aber eben um mehr, eben auch um weniger Fleisch, um Fleisch aus bäuerlicher Landwirtschaft mit soviel Freilandhaltung wie vertretbar, mir geht es ums fünfte Viertel,, die Innereien, die Unterschenkel, den (Ochsen-)Schwanz und da sind die Menschen hier, was auch die Blicke in die Metzgereien zeigen, noch anders drauf.

Cool. Ich hocke tatsächlich an einem Ecktisch in dieser Nachtschwärmerkneipe von Hopper, aber es ist halt nichtirgendeine Metropole, sondern eine Fernfahrerkneipe. Ich sag mal so. Die haben auch keinen leichten Job. Ich leg mich jetzt hin und nach den 32km heute, winkt mir morgen ein echt kurzer Wandertag. Tranquilo…