Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 3

Gutes Leben, Geiles Leben. Darum soll es im ersten Panel gehen und zu richtigen Einstimmung starte ich langsam und mit dem Morgenmagazin in den Tag. Das Panel selbst startet dann ein bisschen aufgeregt, weil die Wissenschaftlerinnen sich ob der vermeintlichen sprachlichen Vulgarität des Veranstaltungstitels besonders strukturiert geben. Das hatte ein wenig was Groteskes, aber auch das kann ja auch unterhaltsam sein.
Inhaltlich ging es um die schlichte Erkenntnis, das mit dem Appell an die permanente Askese, um das Klima zu schützen und die Welt zu retten, wohl weite Teile der Menschheit außen vor wären und keinen Bock auf irgendeine Form von Transformation entwickeln würden. Folglich ging es darum, was ein gutes Leben und was ein geiles Leben ist und wie die Beziehungen zwischen diesen Leben sich entwickelt haben. Dabei wurde als gutes Leben eine nachhaltige Lebensführung mit Ressourcenschonung, Mülltrennung und Repair-Cafe etc. bezeichnet. Was auf den ersten Blick nach Prenzlauer Berg oder Glockenbachviertel klingt, war bis in die 50er Jahre weit verbreitet und endet in NAWEO (NordAmerika, WestEuropa, Ozeanien) mit der Massenmotorisierung und dem Wohlstandsgewinn für breite Bevölkerungsschichten. Im Zuge dieser ökonomischen Entwicklung verändert sich im politischen Raum auch die sozialstaatliche Zielsetzung. Es geht nun um die Verallgemeinerung und Zugänglichmachung von Konsummöglichkeiten für alle, was vielfach mit Teilhabe verwechselt wird. Umweltpolitik ist in diesem Zusammenhang nichts anders als Legitimierung der Konsumoptionen und Kosmetik an Phänomenen (Kalken gegen Waldsterben etc.).
Schlussendlich fallen gutes Leben und geiles Leben auseinander, weil das geile Leben kulturell leider durchgängig konsumistisch überformt ist. Das treibt in Zeiten wie diesen, wo die Meisten die Notwendigkeit einer guten nachhaltigen Lebensführung durchaus erkennen, aber eben auch ein geiles Leben haben wollen, merkwürdige Stilblüten. Trotz Flugscham und Zugstolz wird so viel geflogen, wie noch nie. Alle reden von einer Reduzierung des Fleischkonsums, aber jeder Dorfmetzger hat nun eine Reifeschrank für Dry Aged Steaks vom Rind!
Das Dilemma liegt auf der Hand und die Frage, die sich stellt, ist halt die, wie gutes und geiles Leben massentauglich synchronisiert werden können. Das ist eine offene Frage, sowohl politisch, als auch wissenschaftlich. Es wurde allerdings erste Befunde und Ideen genannt.
So wäre beispielsweise die Wiederentdeckung des öffentlichen und sozialisierten Konsums ein Weg, d.h. mehr Feste zusammen feiern, als das alle zu Zweit vor ihrem Weber-Grill hocken. Das geht soweit, dass sich die unterstellte entspannende Wirkung des Autoinnenraums als letztem Rückzugsraum des NAWEO-Menschen mit lauter Musik und Mitsingen, ungestraftem Brüllen und Fluchen etc. durchaus auch bei der Nutzung anderer Verkehrsmittel zeigt. Alles eine Frage des Wollens und Machens. Einfach machen. Oder mal nichts machen. Diese Frage löse ich Richtung nichts machen auf und gehe nach dem Thüringer Imbiss schlechthin, der Bratwurst, in die Horizontale.

Nach dieser meditativen Mittagspause breche ich unwillig, aber interessiert zum nächsten Panel auf, das die Sektion der Arbeits- und Industriesoziolog_innen unter dem etwas sperrigen Thema namens „(Wessen) Utopien oder Dystopien der Arbeit? Akteure, Interessen und Effekte von Zukunftsdiskussionen auf die Gestaltung von Arbeit heute“ veranstaltet. Der Titel spricht für sich, was den Zustand der Arbeits- und Industriesoziologie angeht. Finde ich. Es geht interessanterweise nämlich eher um die Betrachtung diskursiver Aspekte als den Versuch eines tiefen Verstehens von dem, was sich da tut, wo es weh tut: am Arbeitsplatz. Konkret!

Da wird es nämlich interessant und Hajo Holst macht da einen klugen Aufschlag, weil er dazu geforscht hat, wie die Transformationsthemen von Digitalisierung bis Klimawandel denn als Konsequenz für die Arbeit in der Automobilindustrie von den Arbeitnehmer_innen aufgenommen werden. Und das Bild stellt sich differenziert dar, was ja nicht überrascht. Die einen sehen Chancen, die anderen haben Angst. Geschenkt. Was interessant und diskutabel ist, dass die Belegschaften es als befremdlich empfinden, dass das Management die Offenheit des Transformationsprozesses thematisiert und dabei das was gerade in Sachen Digitalisierung kommt, als konsequente Fortschreibung bekannter Automatisierungsprozesse mit den bekannten Folgen für die Beschäftigten interpretieren.
Ich stelle mir die Frage, warum es denn problematisch ist, wenn jemand sagt, dass er was nicht weiß? Warum? Suchen die Deitschen immer noch nach dem Allwissenden? Oder ist dieses Zukunftsthema viel zu hoch aufgehängt? All die Plakate mit Future und Digital Transformation und Agility erreichen wohl niemanden, der davon betroffen ist. Also herrscht Schweigen und Misstrauen…
Die schlechte Prognostizierbarkeit transformativer Prozesse, die ja eigentlich auf der Hand liegt, scheint die Arbeitsbeziehungen also zu belasten. Das ist flankiert von der konjunkturellen Eintrübung, die die strukturellen Veränderungen nun teilweise verdeckt. Kein Befund, der Freude macht. Denn was in vielen Branchen und Unternehmen dringend nötig wäre, ist nichts weniger als eine Konversionsdebatte, was denn wie und in welchen Mengen mit welchen Ressourcen produziert werden soll. Eine solcher Prozess wird aber ohne Vertrauen, Beteiligung und Risikofreude nicht auf den Weg zu bringen sein.

Weitere Hinweise darauf, wie sich dieser Prozess gestalten lassen könnte, gab der Beitrag von Martin Kuhlmann und Stefan Rub vom SOFI in Göttingen, die sich genauer mit der betrieblichen Digitalisierungsstrategie und den dahinterstehenden Diskursen befassten. Sie unterscheiden dabei
– den Automatisierungsdiskurs,
– den Überwachungsdiskurs,
– den Wettbewerbsdiskurs und
– den Demokratisierungsdiskurs.
Diese Diskurse überlappen sich teilweise und erschweren so eine rationale Bewertung des betrieblichen Geschehens, so denn niemand der betrieblichen Akteure versucht, die Themen sauber zu differenzieren oder einzelne Aspekte schlicht ignoriert. Damit wäre zumindest ein Baustein für die oben dargestellte betriebliche Misstrauenskultur identifiziert.
Die These belasteter Arbeitsbeziehungen auf der betrieblichen Ebene, mit einem Mangel an Miteinander und einem Zuviel an Misstrauen, einem gefühlten Zeitdruck und dem Fehlen von Spielräumen, sowie eben einer flachen und altbacken auf Technik und Datenschutz fokussierten Diskussion, bestätigt sich in einigen Gesprächen, die abseits von Panels geführt wurden, leider. Da gibt es also was zu tun.

Den Abschluss des Tages bildet ein Vortrag von Andreas Reckwitz, der unter der Überschrift „Klasse als Schicksal?“ zur Drei-Klassen-Gesellschaft der Spätmoderne und dem Aufstieg der neuen Mittelklassen sprach. Die ebenfalls angekündigte Rahel Jaeggi ist leider erkrankt und der Vortrag fällt aus.
Reckwitz entwickelt ein Bild spätmoderner Gesellschaften, dass vier von ihm als Klasse bezeichnete Blöcke kennt: eine wirklich kleine, abgeschottete Oberschicht, darunter eine neue Mittelschicht und eine alte Mittelschicht, sowie ganz unten die Prekarisierten als klassische Unterschicht. Diesen Klassenformationen ordnet er einzelne Milieus aus den Sinusstudien eindeutig zu. Das ist für Reckwitz recht einfach zu machen, weil er seine Formationen aus dem Zusammenspiel von ökonomischen, sozialen und kulturellem Kapital, sowie Wertmustern und Einstellungen und, was ich dann originell fand, aus dem Mix von räumlicher Mobilität und Wohnortwahl konstituiert. Als zentrale Klassenauseinandersetzung sieht er dabei die Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Mittelschichten, die ja mit allen Mitteln geführt wird. Auf der politischen Ebene ist es der Aufstieg der Grünen als der Partei neuer Mittelschichten und dem Stellungskrieg der Partei des alten Mittelstands, der CDU, einerseits und des sozialdemokratischen Kleinbürgertums andererseits. Der Kulturkampf, der derzeit um Klimagerechtigkeit vs. Wachstumszwang tobt, ist ein weiterer Beleg für die Auseinandersetzung um die Hegemonie eines der beiden Lager, wobei die Faktizität des Klimawandels die Ausgangslage der alten Mittelschichten entscheidend schwächt. Dabei geht es bei dieser Schwächung nicht so sehr um sozialen Abstieg, sondern um die soziale Abwertung des eigenen Status. Der Metzgermeister mit drei Filialen ist nicht länger ein angesehener Unternehmer, sondern ein Tiermörder und Klimawandelbeschleuniger. Das kann schon weh tun.
Die Klasse der prekarisierten Unterschicht bezeichnet er als das sichtbare Zeichen dafür, dass der klassische Deal der Industriegesellschaft aufgekündigt ist und sich harte körperliche Arbeit nicht länger in Lohn und sozialer Anerkennung widerspiegelt. Der tränenreiche Abschied des Ruhrgebiets vom Kohlebergbau war auch der Abschied vom Bergmann, der für die Arbeit unter Tage gut bezahlt wurde und geachtet wurde. Einen tränenreichen Abstieg von der letzten Paketfahrerin oder dem letzten Fahrradkurier wird es wohl nicht geben und anständig bezahlt werden diese Beschäftigtengruppen schon gar nicht.
Was kann also passieren? Reckwitz denkt über drei Szenarien nach, wobei in allen die Oberklasse klein und abgeschottet, aber oben bleibt, was ja eigentlich schade ist.
Szenario 1: Die alte Mittelschicht wird kleiner und diffundiert in die neue Mittelschicht. Das Prekariat bleibt gleich groß. Damit ist kulturelle Hegemonie hergestellt, aber die Frage ökonomischer Ungleichheit bleibt unbeantwortet.
Szenario 2: Die alte Mittelschicht wird kleiner, weil sie auch in das Prekariat absteigt und nur ein Teil in die neuen Mittelschichten wechseln kann. Aus der neuen Mittelschicht geraten ebenfalls zunehmend Teile in eine zugespitzte ökonomische Situation und sind Teil des Prekariats. Das Prekariat wird deutlich größer.
Szenario 3: Die alte Mittelschicht verschwindet, das Prekariat wird durch Bildung, Tarifverträge und einträgliche Löhne kleiner und verstärkt die neue Mittelschicht.
Die Reihenfolge der Szenarien ist so zu lesen: Probable, Plausible and Possible! Leider. Und der ganz große Wurf ist ja auch nicht dabei, weil die Frage nach Auflösung der Oberschicht nicht einmal gestellt wurde.

So gehe ich nachdenklich in die FeWo und koche Nudeln mit Paprika-Zwiebel-Tomatensauce und Makkaroni, die ich schon ewig nicht mehr gegessen habe. Dazu einen Sauvignon aus der Region. Der ist jetzt auch Geschichte und ich geschafft von
einem nunmehr dritten Tag voller Inspiration, kluger Gedanken und Diskussionen.

Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 2

Dieses Gefühl, ein Stück von einem frischen Baguette abzubrechen und es sofort in den Mund zu schieben, nachdem man die Bäckerei verlassen hat, ist eigentlich unbezahlbar. Und wenn das Baguette dann noch wirklich gut ist, wird es richtig schön. Der zweite Tag der Tagung und ich bin immer noch in Jena und nicht in Paris. Aber hier gibt es eine zauberhafte Bäckerei in der Grietgasse 10, die alles von einer französischen Boulangerie hat. Herrlisch…

So geht es dann gutgelaunt und frisch gestärkt zur ersten Veranstaltung des Tages. Die wird vom Ökonomen James K. Galbraith bestritten, der im breitesten Texanisch zum Thema „Inequality and the end of normal“ spricht und dabei in die Vollen geht.
Zunächst macht er mal klar, dass es auf Spitz und Knopf steht, wie und ob es überhaupt mit Welt und Gesellschaft weiter geht und lässt die Möglichkeiten regionaler Atomkriege und die Wahrscheinlichkeiten des beschleunigten Klimawandels antönen. Nach dem Einstieg wendet er sich seinem Kernthema zu und wirft den politischen Akteuren vor, sich der Phantasie hinzugeben, die zukünftigen und langfristigen Folgen des Klimawandels heute mit marktwirtschaftlichen Mitteln steuern zu wollen. Diese Idee wirkt in seinen Augen noch phantastischer, weil das dieselben Leute propagieren, die die Finanzkrise als unvorhersehbares Ereignis etikettieren und damit in die Nähe einer Naturkatastrophe rücken, was sie ja beileibe nicht ist. Er folgert, das wir politisch gerade nicht in guten Händen sind.
Aber, so Galbraith, selber schuld. Die Freunde von John Maynard Keynes konnten weder politisch noch wissenschaftlich Gewinn aus diesem offensichtlichen Versagen neoliberaler Finanzökonomie schlagen.
Und das obwohl, so führt er weiter aus, lebensweltlich die Fragen von Leistung, Einkommen und Leben sich ja seit 2008 weiter entkoppelt haben. Hieraus ergeben sich dann auch Fragen an die politische Linke, die der Ökonom nicht beantworten kann, obwohl er Teil davon ist, sondern wir im Diskurs lösen müssen.

Also geht’s weiter zum ersten Panel, das sich mit „(Gegen)Hegemonie – Emotion – Transformation“ beschäftigt. Ich hatte mich für die Veranstaltung entschieden, weil es endlich auch mal um die subjektive Seite der Transformation gehen sollte. Und darum ging es auch aus unterschiedlichen Perspektiven, die von Nudging, einer Sozialtechnologie, bis hin zur teilnehmenden Beobachtung des Lebens in der Lausitz reichte. Die Erkenntnisse waren für jemanden, der schon lange Politik macht, nicht wirklich überraschend, aber das sie ihren Weg in die soziologische Diskussion finden, ist ein Schritt nach vorne. Wir müssen doch verstehen, warum sich Menschen im Angesicht von Klimawandel und Ressourcenknappheit für den Diesel stark machen; warum es einfach „Weiter so“ gehen soll und die Angst um den Arbeitsplatz in der Automobilindustrie zu Realitätsverweigerung und nicht zu Veränderungsbereitschaft führt. Und wenn wir das verstehen wollen, müssen wir auch darüber reden, dass es Klassen, Schichten und Milieus gibt, die wir mit unseren Emotionen, Werten und Ideen eines guten Lebens schon sprachlich nicht erreichen, aber müssen, wenn das mit der SÖT (sozial-ökologische Transformation. Ich liebe die Österreicher für so ne Abkürzung) was werden soll. Dann sind die 2,5 Stunden rum und die Teilnehmer_innen sind sich irgendwie einig, dass das Thema weiter beackert werden muss.

Ich gehe auch deshalb frohgemut ins Städtchen und finde den Metzger meines Vertrauens auf Anhieb, lasse mich freundlich in die Welt Thüringer Wurstwaren einführen, gehe dann in meine FeWo, called City Appartement, und kann die Vorteile einer Unterkunft mit Einrichtung voll auskosten: Es gibt Teller und Tassen, Messer und Gabel und die Brotzeit kann anders als im Hotel anständig am Tisch eingenommen werden. Das es lecker war, ist dieser netten Begegnung französisch inspirierter Backwaren und eine gute Auswahl Thüringer Würste geschuldet. Danach noch kurz horizontal und auf geht’s zum nächsten Panel.

In diesem Panel waren die Städte als Ort von (Post)Wachstum und Transformation, Gegenstand der Betrachtung. Den Auftakt machte Oliver Schwedes von der TU Berlin, der launig und plausibel argumentierte, dass sich seit vielen Jahren schlicht nichts an der Veränderung des modal split getan hat. Es fahren zwar absolut mehr Leute Fahrrad, aber weil genauso viel mehr Leute mit dem Auto fahren, ändert sich am modal split nix. Klingt komisch, ist aber so.
In der Konsequenz heißt das aber, dass politisch nichts anderes übrig bleibt als in dem Maß, wie in ÖPV und aktive Mobilität investiert wird, die Automobilität zu beschneiden, wenn ein anderer modal split her soll. Das war die erste Lektion.
Die zweite war kurz, aber folgenreich: Wirtschaftswachstum erzeugt immer auch mehr Verkehr. Wehr weniger Verkehr will, muss über Wachstum nachdenken. Basta.
Die dritte Lektion hat Feindbilder ins Wanken gebracht, weil 40% aller Verkehre Freizeitverkehre sind. Das sind also wir. Urlaub, Freunde und Familie besuchen, mal wieder in einer Großstadt shoppen oder nach Bregenz auf die Seebühne… Alles ganz normal, aber Verkehr und damit klimaschädlich…
Danach wurde therapeutisch wertvoll sanfter fortgefahren und in der Zusammenfassung des Panels wurde dann doch deutlich, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und deshalb Infrastruktur für ÖPV und aktive Mobilität (zu Fuß und Fahrrad) gestärkt und die Autofahr- und Autoparkstrukturen aktiv geschwächt werden müssen.

Damit ist es allerdings nicht getan, weil sich Politik und soziale Akteure auch daran machen sollten, diesen Umbau transparent und plausibel zu kommunizieren. Sie müssen die Idee zu Fuß zu gehen, cool machen. Ein tolles Beispiel war der Bau von Bürgersteigen in Seattle, USA. Bürgersteige sind in den USA städtebaulich nicht selbstverständlich, aber alle, die in Europa waren kennen die, weshalb der Bau von Bürgersteigen kulturell überformt als Absicherung und Wertschätzung des Fußverkehrs wahrgenommen wird. Ein weiteres, und für mich coolstes Beispiel für ein transparentes, plausibles und cooles Instrument einer fordernden Mobilitätswende ist die Grätzloase (https://www.graetzloase.at/), wo auf Antrag Parkraum und Leerstand sozial umgewidmet werden kann. Ganz großes Kino.
Es braucht also einerseits entschlossenes Handeln politischer Entscheidungsträger und der ihnen zugeordneten Verwaltung (Hallo Klima-Kabinett) und andererseits Partizipation und Einbindung der Zivilgesellschaft.
Für dieses Andererseits war Saskia Hebert zuständig, die als Architektin an vielen Beispielen und an ihrer Biografie deutliche machte, dass sich Sozialräume nicht nur mit Beton, sondern durch Umnutzung verändern lassen. Das dazu Kreativität, ein offener Kopf und eine subkulturelle Vergangenheit gehört ist klar, oder?

Den Abschluss des Tagungstages bildete dann eine Podiumsdiskussion zum Thema „Nach dem raschen Wachstum“, die für mich deshalb interessant war, weil endlich auf großer Bühne die Subsistenzversuchung des Menschen und seine fortgesetzte Repression als zentraler Motor der Industrialisierung diskutiert wurde. Wer die aktuelle Diskussion ums „Ausschlafen als Revolution“ verfolgt, weiß, dass die fortgesetzte Repression der Kitt ist, der alles zusammenhält. Ach so, Subsistenzversuchung ist der von Prof. Streeck eingeführte Begriff, der sagt, dass Menschen über lange Zeit nicht höher gesprungen – also gearbeitet haben – sind, als sie mussten, um zu überleben und n paar Bier zu zwitschern. Fühlt sich gut an…

Ich sitze jetzt hier und reflektiere den Tag. Wenn die Subsistenzversuchung tief in uns schlummert, könnte doch genau die, der Ausgangspunkt für eine SÖT (sozial-ökologische Transformation :-)) sein, weil es aus einem Weniger an Arbeit ein Mehr an Lebensqualität geben könnte, das nix mit Konsum zu tun hat, deshalb also auch Wachstum erledigt. Das erinnert mich an einen alten Wahlkampfslogan aus Studi-Zeiten, der unser Listenkürzel DLL mit Dekadent Laues Leben! übersetzte… 🙂 Morgen geht’s weiter und hier jetzt ins Bett.

Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 1

Den ersten Arbeitstag nach dem Sommerurlaub mit einem Tagungsbesuch, der bis Freitag dauert, zu beginnen, war nicht beabsichtigt, hat aber ganz unbestreitbar was von Klassenfahrt und Exkursion. Und weil ich nunmal Gymnasiumer bin, trage ich es mit Fassung und Würde. Es geht nach Jena zur Abschlusskonferenz des DFG-Sonderforschungskollegs zur Postwachstumsgesellschaft, die unter dem Motto „Great Transformation – Die Zukunft moderner Gesellschaften“ steht. In dem Thema bin ich ja halbwegs zu Hause und so geht es gut gelaunt mit der Bahn nach Jena, wie der Sport-LK in den Ski-Kurs. Die Bahn ist pünktlich. So kann ich in Ruhe die Unterkunft beziehen und die Nachbarschaft erkunden. Das ist auch nötig, weil ich nicht im Hotel unter bin, sondern mir für die vier Nächte ein City-Appartement geschossen habe und so freie Bahn für die Erkundung der  regionalen Lebensmittelszene habe. Nun ist Jena nicht so groß, im Umfeld von 800 Metern werde ich fündig (mehr als das, da ist hie und da in den kommenden Tagen nochmal ein Blick zu riskieren) und nachdem das verstaut ist, geht’s zur Anmeldung.

Das klappt gut und ich frage mich warum auf den Buchungsbeleg, am besten Digital (wegen den Bäumen und der Umwelt), soviel Wert gelegt wird, wenn’s doch klappt. Auf Nachfrage kriege ich die universitäre Antwort: Zu Viele Anmeldungen nach Anmeldungsfrist… Lovely.

Da das Volkshaus, wo die Auftaktveranstaltung stattfindet, und der Anmeldeort a bisserl auseinanderliegen, was denen die lesen können bekannt ist, denen die irgendwie anders akademische Würden erreicht haben nicht – oder verpeilt sind -, habe ich ne Menge Spaß mit Rucksäcken, die rein und wieder rausgetragen werden, weil die Security keine Gnade kennt. Dass ich pünktlich im Saal sitze, aber alle anderen das Ding mit der Viertelstunde noch im Blick haben, ärgert mich dann wiederum etwas. Dann geht’s los. Die Veranstaltung wird mit zwei Klarinetten (ich glaub das waren Klarinetten) eröffnet, die improvisierten, wobei wohl wichtig war, damit musikalisch das Thema des Unübersichtlichen deutlich wurde. Ich sag das jetzt mal so. Von sowas habe ich keine Ahnung.

Und dann moderiert Frau von Thadden von der Zeit, also dem Hamburger Wochenblatt, den inhaltlichen Teil klug und journalistisch kurz an und Minister Tiefensee spricht sein Grußwort genau wie der OB der Stadt. Alle beiden sind hocherfreut, dass es Sozialwissenschaften gibt, die sich des Themas Transformation, das sie selber offensichtlich ratlos lässt, annehmen. Ein weiteres Grußwort kommt dann von Prof. Silke van Dyk, die herzerfrischend offen darüber spricht, wie sehr die Faktizität der Naturwissenschaften und die Krise des Kapitalismus schon 2008 die Soziologie belebt hat und wie das DFG-Kolleg die Soziologie in Jena befruchtet. Das höre ich sehr gern, weil ich mich da manchmal schon recht alleine fühle, wenn ich Ingenieure, Kaufleute und Naturwissenschaftler mit dem zutiefst Menschlichen bzw. Gesellschaftlichen ihrer Themen vertraut machen darf. Eine weitere schöne Geste, ist der gemeinsame Auftritt von alter und neuer Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, weil die eine die Gründung und die andere nun den Abschluss dieses Forschungskollegs verantwortet hat. Die eine fängt an, formuliert ihren Standpunkt, übergibt freundlich und die andere formuliert ihre Position. Ohne Schärfe. Ohne Häme. Frauen halt. Tolle Geste.

Dann dürfen Klaus Dörre und Hartmut Rosa als Direktoren des Kollegs mit ihren Grußworten ran und – ganz im Sinne des Forschungsprogramms – steht eine Vertreterin des Klimaratschlags der students for future mit auf der Bühne. Dörre beginnt und erzählt die Geschichte des Kollegs. Das macht er gut und flicht ganz nett ohne explizit zu zitieren, die Gleichzeitig des Ungleichzeitigen ein. Im Anschluss dann die Studierende, die begleitet von einem Wahnsinnsapplaus der anderen Studierenden des Klimaratschlags, die Bühne betritt und zunächst mit Leichtigkeit über sich und ihren Weg zu den schweren Themen und dann über den Ratschlag und seine Beschlüsse berichtet. Und dann habe ich Pipi im Auge. Erstens hat es wohl auch in Siegen, my hometown, eine studentische Vollversammlung zum Klimawandel gegeben und dieser Klimaratschlag aus bundesweit mehreren Hochschulen hat tatsächlich beschlossen, eine alternative Vorlesungswoche zu organisieren, in der die normalen Vorlesungen ausfallen sollen und stattdessen gemeinsam und interdisziplinär dem Thema Klimawandel gewidmet werden soll. Ich fühl mich mindestens 25 Jahre jünger in einem StuPa-Raum sitzend…
Und bleibe etwa in dem Alter als Hartmut Rosa mit Verve und Leidenschaft das Forschungsprogramm und die Themen einer Soziologie des 21. Jahrhunderts unters Publikum jubelt. Es ist ihm genau wie Klaus Dörre anzumerken, dass sie in den vergangenen Jahren im Jenaer Kolleg tatsächlich methodisch, wissenschaftsorganisatorisch/-methodisch und politisch viel geschafft haben. Er faltet rhetorisch das Programm der kommenden Tage auf, wo es neben Vorträgen und Workshops, auch Konzerte, Wanderungen, Müllkippenbesichtigungen und Yoga gibt, die eigentlich für nichts anderes stehen als eine neugierige Soziologie, die Gesellschaft verstehen und nicht analysieren will, weil es das tiefe Verstehen braucht, gerade in Zeiten der Transformation.

Deshalb hält wohl auch ein Wirtschaftswissenschaftler den eigentlichen Festvortrag. Prof. Dr. Branco Milanovic stellt seine spannenden Überlegungen zur sozialen Ungleichheit vor und gibt der soziologischen Ungleichheitsforschung zunächst mal richtig was vor den Latz. Denn: Wer nur im nationalen Maßstab soziale Ungleichheit anschaut, verkennt das Karl Marx die „Proletarier aller Länder“ nur deshalb vereinigen wollte, weil der – als guter Ökonom – wusste, dass zu seiner Zeit die Proletarier_innen in England genauso arm waren, wie die in Indien. Das hat sich dann aber geändert, weshalb es heute gilt über globale Ungleichheit nachzudenken, ohne die volkswirtschaftliche, also nationale Dimension außer Acht zu lassen, weil die nämlich bewusstseinsbildend ist. Ich habe heute den Unterschied zwischen global und international gelernt. (Es lohnt sich drüber nachzudenken). Zum Abschluss stellte er noch zwei grundsätzlichere Überlegungen vor.
Zunächst geht es um den schlichten Appell die Verringerung sozialer Ungleichheit im globalen Maßstab nicht als Gewinn in der Transformation zu sehen, weil er dem rising east und dem zunehmenden Wohlstandgewinn in Asien, der leider nicht in Yoga, sondern in Konsum aufgelöst wird, geschuldet ist.
Und zweitens macht sich der Ökonom den Spaß und indexiert das steigende Wohlstandsniveau Asiens auf 100 und rechnet die anderen Weltregionen in Relation. Ich sag mal so. Das sieht nicht gut aus, ist aber fundiert und hat mehr mit dem Wachstum Asien als mit Deppigkeit Europa zu tun. Ich mach mir also Gedanken, wie wir eine Postwachstumsgesellschaft in Westeuropa stark machen und die so cool machen, dass auch die Inder_innen kein Hühnchen mehr wollen (Der Fleischkonsum in Indien steigt gerade wie doof, wegen mittelschichtigem Status „Wir gönnen uns ja sonst nix“ – Kram). oder die Inder kommen wieder vintage und traditional drauf und die Europäer_innen entdecken deshalb auch ihren Kloß mit Sauce ohne Schweinebraten wieder…
Dann ist seine Zeit um, er hat ein paar Hausaufgaben verteilt und ich bin auch mit guten Anregungen reichlich bedient.

Also heim. Thüringische Brotzeit und n Schoppen von der Unstrut.
Regional rules! Und morgen geht’s ja weiter…
Freundschaft!