104. Etappe: Palas de Rei – Melide

Es regnet. Endlich mal wieder. Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlt. Und für viele Mitwanderer ist das ganz offdnsichtlich eine neue Erfahrung, wie die Schlange vor den Geschäften, die Ponchos verkaufen, zeigt. Da haben wohl wenige dran gedacht, obwohl Galicia für seine Niederschläge auch bekannt ist. Naja ich mache mich in alter Routine regenfest und stiefele los. Daß ich die anderen WandererInnen überhaupt mitkriege, hat damit zu tun, daß die gewartet haben, ob es aufhört zu regnen und ich schlicht liegen geblieben bin. Es geht heute nur auf dreieinhalb Stunden nach Melide und da habe ich eigentlich alle Zeit der Welt. Natürlich dachte ich auch, daß die Corona längst über alle Berge ist. Fehlanzeige. Denn just zu dem Zeitpunkt, an dem ich los will, entscheiden sich auch viele andere dazu. Blöd gelaufen.

Also gehe ich als einer der wenigen ohne Clique, Freund oder Freundin und meine Zwiegespräche verlaufen leise. Hoffe ich zumindest, nicht das ich mir das vor mich hin Brabbeln angewöhnt habe. Die anderen unterhalten sich auf jeden Fall in der üblichen Lautstärke, also landsstypischen Lautstärke. Das macht diesen Spaziergang durch grünes, galicisches und regenverhangenes Hügelland nicht zu dem Ausflug in den Zauberwald, der es ob der Äußerlichkeiten sein könnte, sondern ich wandere einfach vor mich hin.

Und komme dabei natürlich ins Grübeln. Ich bin genau heute seit vier Monaten auf der Walz und übermorgen ist das vorbei. Dann habe ich zwar noch was vor, bis ich im Oktober wieder am Schreibtisch sitze, aber dieser Weg ist dann zu Ende gegangen. Auf der einen Seite bin ich froh, es geschafft zu haben, wenn nix schlimmes mehr passiert, auf der anderen bin ich traurig, daß es vorbei ist. Dabei trifft es traurig gar nicht richtig, vielmehr habe ich Schiß die Routine, die auch in diesem Vagabundenleben steckt, wieder gegen andere Routinen einzutauschen und mache mir Gedanken was von der einen Routine den transferwürdig und -fähig ist. Vier Monate mit 12 Kilo Eigentum, inklusive Zelt, Isomatte und Schlafsack, also Haus und Schlafzimmer, sowie dem kompletten Kleiderschrank, lassen mich schon drüber nachdenken, wieviel ich den wirklich brauche. Dabei freue ich mich schon auch auf einen Satz Unterhosen, der für einen Monat langt und frage mich, ob das mit den 12 Kilo auf Dauer cool ist. Weil es natürlich so ist, daß nach vier Monaten Handwäsche und -ich glaube- drei Waschmaschinenbesuchen aber auch gar nichts mehr wirklich taufrisch riecht. Und die meisten Sachen sind auch durch. Die Wanderhose hat sich bei der letzten Wäsche schonmal sowas wie eine Laufmasche zugelegt. Da wäre es also tatsächlich so, daß ich auf den Mantelsonntag im September hinwirken würde, um was Neues zu bekommen. Und der Gedanke, ob wir mit wenig Klamotten und deren permanenten Nutzung nicht mehr kaputt machen, als der Chance, daß die Materialien sich erholen. Bestes Beispiel Schuhe. Da geht es ja nicht nur um die Sohle, aber die Schuhe, die ich seit St. Jean trage, lüften gar nicht mehr aus, was ihren Zerfall beschleunigt. Also denke ich, daß mindestens zwei paar Schuhe schon Sinn machen, für die Frauen mehr, aber keine 100. Basta. All das geht mir durch den Kopf und will geschüttelt, nicht gerührt werden. Es ist soviel, daß es halt noch nicht strukturiert ist.

Eigentlich wollte ich auch durchgehen, aber als eine Bar „Die zwei Deutschen“ heißt, gehe ich da aus landsmannschaftlicher Zugewandtheit mal rein. Von den beiden Deutschen war zwar nix zu sehen, aber die Pause war trotzdem ok. Wegen des Regens und dem Verband an der rechten Hand konnte ich nicht so konsequent mit den Stöcken arbeiten, wie in den letzten Monaten – wie sich das anhört, ist aber so-  was also mehr Kraft in den Beinen braucht. Und nach dreieinhalb Stunden erreiche ich Melida, unbestätigten Gerüchten zufolge die Stadt mit den besten Pulperias in Galicien.

Aber mein erster Weg geht ins Centro de Salud zum Verbandswechsel. Das Städtchen etwas größer, das Zentrum auch, die Bürokratie deshalb etwas mächtiger. Ich muß also warten, meinen Ausweis abgeben, der kopiert wird und im Hintergrund rechnet bestimmt ein blutjunger Controller aus, ob sich der Aufwand lohnt, den Verbandswechsel in Rechnung zu stellen. Ich habe Glück, es lohnt sich nicht und ich komme dran. Die nette Jungärztin guckt sich den Finger an und schlägt vor, daß ich mir den Verband doch selber wechseln soll und mich erst in einer Woche einem Arzt vorstelle, wenn nix schlimmer wird. Sie hätte den Eindruck, das sähe gut aus und entwickle sich auch anständig weiter. Ich sag ok, und frag nach einer Liste, was ich denn alles in der Farmacia kaufen soll. Sie schreibt mir nur die Salbe auf und stellt aus ihren Beständen die anderen Verbrauchsmaterialien zusammen. Ich sage, so habe ich das nicht gemeint und sie antwortet, das wäre schon ok. Ich bedanke mich vielmals. Das alles haben wir auf Englisch abgewickelt, weil die gute Frau, der Engel von Melide, irgendwo in USA studiert hat. Alles gut.

Dann ins Hotel und ab in den Speisesaal. Seit diesen Verbandswechseln habe ich mittags richtig Hunger. Es gibt grünen Bohnen mit Speck, Zwiebeln und den unvermeidbaren Paprika, sowie Brot. Noch n kaltes Wasser mit aufs Zimmer. Siesta. Von drei bis sechs einfach mal nicht busy, busy sein, sondern auf dem Bett liegen, Fernsehen gucken, Emails checken und was lesen. Das wird auch etwas sein, was als Routine schwer in meinen normalen Alltag zu übertragen sein wird, aber weiß? Wer will, daß die Menschen bis 67 buckeln, muß eben auch über Ruheräume und -zeiten nachdenken. Ich weiß allerdings nicht, ob der spanische Tagestakt, der sicherlich auch dem Wetter geschuldet ist, so mir nichts dir nichts nach Deitschland zu transferieren wäre. Obwohl ich ja hier in Galicien bin, es heute geregnet hat und es auch nicht so heiß war. Vielleicht geht doch was im Klimawandel, der auch Kulturwandel sein muß.

Abends ziehe ich dann los. Ein nettes Städtchen, das neben dem Vorteil die Hütte am Camino vollzukriegen auch Oberzentrum ist und ein wenig industriellen Besatz hat. Merkste sofort. Und das Bummeln macht auch mehr Spaß, als nur über Pilgers Flipflops zu stolpern. Ich lande in einer Bar, wie es in Galicien einige gibt. Die kriegen das Bier nicht in 50l Fässern, sondern direkt aus den großen Tanks der Brauerei unfiltriert in etwa 500l große Fässer gepumpt und von da aus frisch ins Glas. Die permanente Brauereibesichtigung. Schönes Konzept, schmackhaftes Bier, begleitet von einer weiteren, schönen Sitte in Galicia. Die Tapas werden nicht einzeln zum Getränk gereicht, sondern die Damen und Herren von hinter der Theke gehen mit Tabletts rum und reichen Häppchen. Also bist du pappsatt, bevor es ans Essen geht. Aber ich will ja noch Pulpo probieren und latsche Richtung Stadtausgang, wo ich heute schonmal an einer vorbei gelaufen bin, die mittags rappelvoll war. Ich checke dann da ein, bestelle meinen Pulpo und einen Vino blanco, der auch stilecht in der Keramiktasse serviert wird, wie der Cidre in der Bretagne. Kelten halt. Aber der Stoff ist so schlecht, daß ich ihn stehen lasse. Der Pulpo dagegen ist fein. Kein Gummi, Eigengeschmack und gut gewürzt. Alles gut. Mit Essen war es das also für heute. Das mit dem Wein geht gar nicht. Ich bin aber doch eben an einer Bar mit dem Motto „a boa vida – a boa vino“ vorbeigelaufen? Also hin da, dem Wirt mein Leid geklagt und einen guten Weißen aus Galicia eingefordert, den ich dann auch bekommen habe. Zufrieden gehe ich jetzt ins Bett. Morgen gibt es nochmal 33km auf die Füße… Ever forward.