Deutschlehrer. Letzter Weg.

Der Erzähler ist dreihundert Kilometer gefahren. Er parkt sein Auto und betritt die Stadt in der er das Gymnasium besucht hat. Warum besucht man eigentlich eine Schule? Ist man dort zu Gast? Komisch. Oder man geht aufs Gymnasium. Das scheint der Sache schon näher zu kommen, geht man doch zumindest im Westfälischen auch auf Maloche, auf Arbeit, auf Zeche. Egal. Wie lange ist er nicht mehr hier gewesen? Einiges scheint neu, einiges instandgesetzt und einiges beim Alten. Der Gasthof am Marktplatz, das Rathaus, die Kirche. Der Platz an sich wirkt immer noch so überdimensioniert wie zu Schulzeiten. Heute allerdings bietet der Platz ein bizarres Schauspiel. Männer verschiedenen Alters, die sich nicht kennen, gekleidet in dunklen Anzügen, schreiten den Platz unabhängig voneinander irgendwo zwischen Vertrautheit und touristischer Neugier ab. Einer sitzt auf der Terrasse des Gasthofs und isst ein Krüstchen, dieser Versuch einer regionalen Spezialität in diesen Gegenden, die sonst keine haben. Der Esser entschuldigt sich auch fast, indem er darauf verweist, das schon so lange nicht mehr gegessen zu haben. Der Erzähler, den es in eine Weingegend verschlagen hat, denkt sich, dass er dabei nichts verpasst hat. Trotz dieser kulinarischen Arroganz umweht ihn aber ein Hauch von Traurigkeit, weil er genau hier seine Jugend verbracht hat. Hier war er Schüler und hat sich ausprobiert und ausprobieren dürfen, ist geprägt worden und – was wahrscheinlich das wichtigste ist – war eingebettet in eine Horde Gleichaltriger, die erst im soziologischen Seminar zur peer group wurde, vorher aber beste Kumpels waren.

Es ist Zeit zu gehen. 13:30h geht es los. Der hochverehrte Deutschlehrer soll heute unter die Erde gebracht werden. Langsam geht es zur Friedhofskapelle, wo einige ganz frühe Trauernde schon warten. Es kennen sich nicht viele und sie sind nicht in Trauer vereint, sondern vielmehr durch die Erinnerung an und die Prägung durch diesen Mann. Die Versammelten; Abiturjahrgänge aus den frühen 70er Jahren, genauso wie solche aus den 80er und 90er Jahren, sind vorzugsweise Männer, die in ihrer Trauer auf Augenhöhe sind und in ihrem Alter Väter und Söhne sein könnten. Jahrgangskameraden lassen gemeinsam Erlebtes Revue passieren und kurz flammt hier und da auch Feuerzangenbowlenheiterkeit auf, die sich aber dem Anlass gemäß schnell wieder verflüchtigt.
Die Musik setzt ein und es beginnt. Die anscheinend im kirchlichen Umfeld unvermeidliche weibliche Ehrenamtlerin lädt engagiert ins Gebäude ein. Ein Angebot, dass die konsequent Säkularisierten ausschlagen, um den Reden bei bestem Wetter und guter Übertragungsqualität im Freien zu folgen. Es ist ein schöner Herbsttag und über dem Friedhof liegt ein Farbenspiel zwischen indian summer und goldner Oktober, also gelb-rostrot. Der Priester, auch ein Schüler des zu Grabe zu Tragenden, macht den Aufschlag und begrüßt die Versammelten. Dem Erzähler scheint es als ob er mit allerlei christlichen Bezügen vermeiden will, persönlich zu werden. Leichtes Unbehagen macht sich breit, ob das denn angemessen ist. Dann tritt ein Schüler, der wohl Anfang der 90er Jahre Abitur gemacht hat, ans Mikrofon und das Unbehagen verschwindet. Eine Laudatio, die den Ton trifft und den Deutschlehrer für den Dauer der Rede wieder reanimiert. Eine wirklich große Rede. Er war, er ist, er bleibt. Und zwar eben nicht als Körper, sondern als Idee, als gemeinsamer Gedanke. Der Erzähler ist versöhnt und nimmt die Replik des Priesters gelassen hin.

Trauerzug. Der letzte Weg. Die erklecklich große Menge schiebt sich hinter dem Sarg den Hang hinauf und vorm herabgelassenen Sarg nutzen viele die letzte Gelegenheit zur Zwiesprache zwischen Schüler und Lehrer. Dem Erzähler ist es als wenn er wieder im Treppenhaus des alten Schulgebäudes steht und versucht zu erklären, warum er keine Hausaufgaben hat. Hier geht es aber um mehr. Er hat den Lehrer seit vielen Jahren – nach einigen zufälligen Begegnungen an der Hochschule – nicht mehr gesehen; die Begegnung nicht gesucht. Und die Todesnachricht und die Beerdigung hat ihm gezeigt, was er hätte finden können: Das Gespräch, den Streit um den guten Gedanken, die beste Argumentation eben nicht um etwas im Operativen, sondern im Wertigen, im Betrachten der Welt als einem Spiegel des Denkens. Mit diesem Gedanken scheint der Erzähler nicht alleine zu sein und er genießt dieses Aufgehobensein im Kreise Gleicher. Diese schicken sich an, über das übliche Kaffeetrinken hinaus Gelegenheit zu suchen, bei Bacchus Trost zu finden. Der Erzähler verabschiedet sich und fährt dreihundert Kilometer. Grübelnd. Über alles, was sich bietet und letzte Wege, die zu gehen wären. Gemeinsam zu gehen wären…

Durch Brügge und Antwerpen flanieren…

Sonntagmorgen an einem deutschen Provinzbahnhof. Nur ich, mein Rucksack und ein Belgien-Ticket der deutschen Bahn, dass das kostengünstige Reisen nach Belgien erst möglich macht. So ein wenig kommt Interrail-Stimmung auf, weil die Stimmung passt und ich schon lange nicht mehr im Ausland Bahn gefahren bin. Hinzu kommt eine leichte Nervosität, ob denn auch alles klappt und die Vorfreude auf ein wenig Abstand zum Hier und Jetzt. Reiseziele sind Brügge und Antwerpen, zwei der drei flandrischen Städte, die ich schon länger auf dem Plan habe, aber Gent werde ich nicht schaffen. Dafür sind zweieinhalb Tage einfach zu kurz.

Zunächst geht es über Köln und Brüssel nach Brügge. Erwähnenswert an der Bahnfahrt ist eigentlich nur der Aufenthalt in Köln, weil ich als seit Jahren nach Süddeutschland ausgewanderter Arbeitsmigrant die Umsteigezeit für diese wunderbare Mettwurst von Meister Bock nutze, die ich früher häufiger genießen konnte. Dabei kommt mir in den Sinn, dass ich schon ewig nicht mehr durch Köln gebummelt bin. Wahrscheinlich auch ein Fehler. Aber so ändern sich die Zeiten.

Am frühen Nachmittag treffe ich in Brügge ein, einem nicht kriegszerstörten, deshalb zum Weltkulturerbe gemachten 100.000 Leute-Städtchen, also eher übersichtlich. Ein riesiger Bahnhofsvorplatz von quasi-chinesischem Ausmaß ist schnell überquert und ich tauche in die Altstadt ein. Gut erhaltene Bausubstanz, pittoreskes Stadtbild, durchzogen von Kanälen und hie und da ein Baum. Ich checke schnell im Hotel ein, dass in einem ehemaligen Krankenhaus eingerichtet wurde und beginne meine Stadterkundung.P1000639

Und schon nach einigen Schritten fühle ich mich wohl und bekomme diesen provozierend langsamen Gang (denke ich zumindest) des Flaneurs, dieses leider wohl vom Aussterben bedrohten Typus des Tagediebs, der sich durch Stadt und Parks treiben lässt und den Blick für Details nicht verliert. Da sind die vielen kleinen Lädchen mit belgischen Spezialitäten. Da sind das Rathaus, die Kirchen, der Belfort am Marktplatz und vieles mehr. Aber mir geht’s auch nicht um das Sehenswürdigkeiten abhaken, sondern ums Eintauchen. Äh, und wo ginge das besser als bei einem lecker Bierchen auf dem Marktplatz? Nirgends! Also hock ich da, lass Einheimische wie Touristen an mir vorüber ziehen und genieße den Tag, aber langsam stellt sich Hunger ein.P1000655

Beim Flanieren ist mir schon ein Restaurant ins Auge gefallen, das unweit des Marktes als regionale Spezialität ein über Nacht in Trappisten-Bier eingelegtes Kaninchen anbietet. Das muss es dann irgendwie auch unbedingt sein, was sich als gute Wahl erweist, und so sinke ich einige Stunden später (Die Flandern lassen sich eben schon fast so viel Zeit für das Essen wie die Franzosen) weinselig und satt ins Bett.

Am nächsten Morgen checke ich früh im Hotel aus und verstaue mein Gepäck am Bahnhof im Schließfach, was mich allerdings ein wenig ins Grübeln kommen lässt. Schließfächer mit Schloss und Schlüssel haben sich doch super bewährt und sind auch wenig störanfällig, oder? Die belgische Bahn allerdings setzt auf Elektronik und das Einscannen eines Barcodes, was mich immer ein wenig nervös macht… Wo das jetzt welche Vorteile bringt, erschließt sich mir nicht, aber zum wirklich Grübeln ist der Tag auch zu jung. Ich tauche also wieder ein, in das sich belebende Brügge und da heute Montag ist, ist es auch nicht so touristisch geprägt, sondern von Männern und Frauen, die ihrer Arbeit entgegeneilen. Ich genieße es genau das nicht tun zu müssen und schlendere durch die Straßen, trinke einen Kaffee im Stehen und nehme auch die Außenbezirke mal in Augenschein. Siehe da: Windmühlen… An einem Kanal. Wie nett…P1000687

Brügge ist tatsächlich ein sehr ansehnliches Städtchen, das für ein kurzes Wochenende genug zu bieten hat. Gegen Mittag stellt sich Hunger ein und es geht in den Kardinaalshof, weil man sich ja sonst nichts gönnt. Und es wird tatsächlich ein Erlebnis, weil es mein erster zaghafter Ausflug in die Molekularküche wird. Aber da die Chemie sehr dezent eingesetzt wird, werde ich trotzdem satt. Geschmacklich ist die Verdichtung der Aromen natürlich ein Erlebnis, das mich durch den Nachmittag trägt.

Gegen 16:00h breche ich Richtung Antwerpen auf und auch die Elektronik des Schließfaches tut ihren Dienst, so dass die Fahrt mit dem Zug durch Flanderns Felder und Wiesen zum Genuß wird. Die Ankunft in Antwerpen ist kolossal. Ich habe noch nirgends einen solch prachtvollen Bahnhof gesehen. Fantastisch. Ich denke, es war mein alter Geschichtslehrer, der Bahnhöfe, als Kathedralen der Industriegeschichte bezeichnet hat. Wenn das für irgendeinen Bahnhof gilt, dann für den in Antwerpen. Wirklich großartig.P1000727 Nach angemessenem Staunen verlasse ich den Bahnhof Richtung Innenstadt und gehe mitten durch das weltbekannte Diamantenviertel in dem 80% der Weltdiamanten- produktion umgeschlagen wird. Mir schwirrt natürlich alles durch die Hirse, was es an Halbwissen zu dem Thema gibt: Blutdiamanten; Diktatoren, die sich übers Finanzgeschäft finanzieren; Superreiche, die in Diamanten anlegen etc…. und all die scheine ich in ebendiesem Stadtviertel zu sehen. Eine eigentümlich, interessante Stimmung herrscht dort.

Nach dem Einchecken im Hotel, mache ich mich auf den Weg durch die Stadt, der eigentlich kein Weg ist, sondern ein Stromern mit Stadtplan. Deutlich urbaner als Brügge, weniger pittoresk, wenn auch schön und geschäftiger kommt sie rüber, die Stadt an der Schelde. Und Spaß macht sie auch. Diese Mischung aus jahrhundertealter Hafenstadt, jahrzehntealter Kulturhauptstadt und einer jungen Modeszene ist allenthalben zu spüren. Es gibt viele Straßencafés und Eckkneipen, auf den Plätzen sitzen die Menschen und es gibt jede Menge zu gucken.P1000740

Da es schnell Abend wird, sitze ich im Schatten des großen Rathauses und genieße eine Waterzooi, das flandrische Nationalgericht, dass es wie wohl alle Nationalgerichte dieser Welt in unzähligen Varianten gibt. Das Nachtleben der Stadt erschließt sich ob einer urplötzlich eintretenden Bettschwere nicht mehr so ganz, aber es bleiben Blitzlichter von einem regen Treiben auf den Straßen. Und das nicht nur zu Fuß, sondern auch und reichlich mit dem Fahrrad, wobei sowohl der eigenen Drahtesel, als auch Leihfahrräder zum Einsatz kommen, die an fast jeder Ecke zu leihen und zurückzugeben sind. Das Angebot scheint, eben weil es flächendeckend und bequem ist, gut angenommen zu werden. Da könnte sich so manche deutsche Metropole mal ein Beispiel nehmen.

Der Dienstag beginnt spät und nach einem reichhaltigen Frühstück – adäquat zur geografischen Lage Flanderns – mit allem was der Franzose zum petit dejeuner braucht (Bagette, Croissant und Konfitüre) und was der Mitteleuropäer schätzt (Schwarzbrot, Schinken, Käse, Ei) – geht es Richtung altem Hafen, wo ein spektakulärer Museumsneubau entstanden ist und drumrum gerade ein neuer Stadtteil entsteht.P1000775

Der Weg führt einmal durch die Innenstadt, die in den Nebenstraßen eine bemerkenswerte Zahl gut geführter Einzelhandelsgeschäfte aufzuweisen hat. Das unvermeidliche Rotlichviertel ist schnell durchschritten, da es doch recht monozentriert aufgestellt ist und ich nicht interessiert bin. Anders dagegen die Kulisse, die sich an Bonaparte- und Willemdok bietet: die alten Hafenbecken, neue und alte Architektur und mittendrin ein imposantes Museum aan de Strom. Vielfalt pur. Das ist zwar keine wirklich gute, aber eine vielleicht hinreichende Begründung dafür, sich den Museumsbesuch geschenkt zu haben. Es gibt so viel im Echten zu sehen. Und an einem herrlichen Morgen die Schelde Richtung Innenstadt zu schlendern, hat schon was.

Und irgendwas zieht mich wieder ins Diamantenviertel. Richtig. Ein Restaurant. Das Lamalo bietet neben aschkenasischer Küche, Gerichte aus der marokkanischen Heimat der Inhaber. Genau das richtige in einer Hafenstadt, die 160 Nationen eine Heimat bietet. Nach dem exotischen Geschmackserlebnis sollte es so weitergehen und deshalb war der Bahnhofsvorplatz schnell gequert und schwupps: Nach gefühlten zwanzig Jahren betrete ich mal wieder einen Zoo. Der Antwerpener Zoo ist der älteste des Landes und weit über Belgiens Grenzen hinaus berühmt. Es gibt allerlei Tiere zu sehen, die in ihrem Verhalten den Menschen nur zu ähnlich scheinen wie Paviane oder Erdmännchen. Tiere, die im deutschen Liedgut eine wichtige Rolle eingenommen haben, sind ebenfalls zu sehen: Okapis und Schabrackentapire.P1000818

Nach fast drei Stunden war mir aber wieder mehr nach Menschen und ich mach mich wieder auf dem Weg durch die Stadt. Schlußendlich lande ich im Stadtteil um das Museum der schönen Künste, wo ich einen schönen Abend in einer netten Weinbar, einem anständigen Restaurant, dem „Zoro“ am Leopoldplaats 5 und einer prima Bierkneipe, klugerweise schräg gegenüber meines Hotels, verbrachte. Interessante Gespräche mit Belgiern, die sehr offen waren und mit denen die Verständigung auf Deutsch, Englisch, und brockenweise Spanisch und Französisch ganz anständig klappte, ließen mich ein wenig hinter die Kulissen gucken und rundeten den Kurztrip in Flanderns Städte ab.
Und ich glaube auch, dass ich nicht zum letzten Mal in Flandern gewesen bin!

Nachtrag: Nach so einem Abend um 4:00h aufzustehen, um gegen 5:00h in einem Zug zu sitzen, damit man um 9:30h an einer Maikundgebung teilnehmen kann, ist nicht lustig…

Abschied vom Motorradwandern

Heute fahre ich wohl zum letzten Mal mit meiner XT600. Es ist eine Abschiedstour, ein letztes Mal von A nach B, eine letzte Motorradwanderung. Ich fahre die XT nach Siegen und lagere sie bei meiner Schwester ein. Verkaufen will ich sie nicht, dass hätte der Bock nicht verdient. Und nach fast
20 Jahren habe ich nun mal ein emotionales Verhältnis zu dem Haufen Blech.

Er hat mich durch jede Ecke Frankreichs und Spaniens geführt, war die einzige Begleitung auf vier- fünfwöchigen Touren, die ich alleine gefahren bin. Er war auch dabei als ich zwischen Almeria und Murcia verunfallte, was meinem Leben eine Wende gegeben und dem Motorrad eine Reparatur verschafft hat.

Ein Motorrad ist aber auch immer mehr als ein Verkehrsmittel oder Reisemobil. Es ist eine archaische Form der Fortbewegung; du bist Wind und Wetter ausgesetzt, die Technik liegt – zumindest bei den Teilen, die ich für Motorräder halte – recht offen und es gibt keine Knautschzonen.
Das hat mich seitdem ich sechzehn bin immer fasziniert und angezogen, und so bin ich von einer Zündapp KS50 watercooled über eine Kawasaki Z400 schließlich bei der XT gelandet, weil eine Enduro natürlich der Vorstellung von grenzenloser Mobilität am nächsten kommt.

Das hat für mich auch heute noch Geltung und ich ziehe meinen Hut vor Kradvagabunden und Motorradreisenden, aber ich habe in den letzten Jahren immer mehr gemerkt, dass in meinem Leben das Motorrad aufhört, Verkehrsmittel zu sein. Das hat mit neuen Interessen, mit dem Job, mit der Entfernung zur Arbeit und vielem mehr zu tun. Das Ein und Alles wird zum Freizeitmobil, das bewegt werden will. Und das will ich nicht. Ich will es aus Gründen politischer Glaubwürdigkeit nicht, weil man nicht auf der einen Seite postfossile Mobilitäten predigen und auf der anderen Seite zum Spaß mal 5Liter auf 100km verblasen kann. Was aber viel stärker wiegt, ist das Gefühl so Motorrad zu fahren, wie diese Reihe alter Männer, die sich auf dem Motorrad ein Stück Jugend holen, wiederholen oder bewahren. Mir gehen diese Horden offensichtlich gutverdienender, älterer Herren, die da rumcruisen, Sonntagmorgens ihre Tour machen und schon von Weitem grüßen, auf den Wecker. Und ich will mich mit denen nicht gemein machen. Basta.

Deshalb geht heute die Ära des Motorradwanderns für mich zu Ende.
Schweren Herzens, aber reiner Seele, weil es nun mal bei manchen Themen
nichts Richtiges im Falschen gibt!

Kleine Fluchten

Raus. Raus. Nur raus….es gibt Termine, die einen in den Wahnsinn treiben und das nicht mal so sehr wegen dem, was besprochen wird, sondern wegen mangelnder Struktur und Professionalität mit der die scheinbar wichtigen Akteure dort auftreten… Also Raus und zwar schnell. Ab ins Auto. Nach Hause. Raus aus dem Anzug. Rein in die Wanderklamotten. Den vorbereiteten Rucksack auf und ab zum Bahnhof… Natürlich in Eile. Das Ergebnis ist klar: Du stehst völlig verschwitzt, aber 10 Minuten zu früh am Bahnsteig und wartest auf den Zug… Zeitmanagement geht anders, aber das lern ich nicht mehr. Nie.

Nach einer viertelstündigen Zugfahrt bin ich dann in Hassfurt und warte auf das Taxi, dass mich zum Ausgangspunkt der Wanderung bringen soll. Taxis sind ja eher urbane Fahrzeuge, so dass sie in einer knapp 15.000 Leute Kleinstadt ein wenig deplatziert sind und da man weder betrunken noch gehbehindert daherkommt, wird man selber von den Eingeborenen auch kritisch beäugt. Der Taxifahrer ist dann auch ein Outlaw ganz besonderer Art. Ein kurdischer Genosse, den es in die Provinz verschlagen hat und der neben dem Taxidienst, die Bahnhofskneipe und ein Bistro betreibt, zusätzlich noch dieses Regenmacherinstrument spielt und jede Gelegenheit nutzt, um in die Heimat zu fliegen.

Und natürlich hat er die optischen Eindrücke seiner Heimat dabei, mit Musik hinterlegt und kann das während der Fahrt über kurvige Landstraßen auch auf seinem Iphone präsentieren. Und so fährst du – knapp eine Stunde nach dem grausligen Termin – durch das Steigerwald-Vorland und bist schon ganz woanders.

Nach einer herzlichen Verabschiedung geht’s dann endlich los. Rucksack auf und gemessenen Schrittes Richtung Nachtquartier, das nach knapp 2 Stunden auch erreicht ist. Ein kleiner Gasthof am Fuße des Zabelsteins, der von daher Bedeutung hat, weil ich da mit meinen Eltern mal gegessen haben, als sie mich in der neuen Heimat besucht haben. Die Erinnerungen an meine Mama sind dabei so präsent, also ob sie tatsächlich da wäre und ich nicht im Speisebereich Platz nehmen kann, sondern im Thekenbereich einen Platz suche. Das erweist sich nicht als Fehler, ist doch auch in Franken, wo es erstaunlich wenig Stehtheken gibt, das der Bereich, wo du am ehesten ins Gespräch kommst und so vergeht der Abend mit Gebrauchtwagenkaufempfehlungen, Freizeittipps und dummen Zeugs zur Lage der Nation bei Schweinebraten und Kellerbier ohne weiteren Trübsinn. Das Zimmer ist einfach und sauber, wobei das größte Geschenk die absolute Stille ist die gegen 22.00h einkehrt. Geöffnetes Fenster und du hörst nicht einmal mehr die Vögel, weil die sich auch hingelegt haben. Das beruhigt ungemein….

Um 5.45h (blöde Uhrzeit, war aber so) geht’s dann los. Die lange Tagesetappe steht an und beginnt gleich mit einem steilen Anstieg auf den Zabelstein, der aber mit einem fantastischen Blick über das Schweinfurter Becken belohnt wird. Danach senkt sich der Weg über den Rücken des Zabelsteins gemächlich Richtung Michelau, einer kleinen Weinbaugemeinde am Rande des Steigerwalds, die im Schatten ihrer großen Schwestern im Westen steht. Aber auch dort ist die Dualität von lichten Wäldern und Weinbergen, dass was das Herz aufmacht. Ein herrliche Landschaft, die den Hintergrund für allerlei Sortierarbeiten im Kopf und ein flottes Vorankommen liefert. Über Handthal geht’s dann nach Ebrach, einem alten Kloster und natürlich gerate ich – wir haben Christi Himmelfahrt – in eine Wallfahrt. Im Unterschied zu den Prozessionen in heimischen Gefilden scheinen diese Fußwallfahrten um einiges schneller voranzukommen und auch deutlich weltlicher motiviert zu sein. Das freundliche Geplapper und die gut gefüllten Brotzeittaschen sprechen auf jeden Fall dafür. Das wohl unvermeidliche Gesinge beschränkt sich deshalb auch auf die letzten 200 Meter vorm Kloster, was ich schon aus dem klösterlichen Biergarten heraus hören konnte, weil ich einfach überholt habe. Dieser Biergarten bietet mittägliche Entspannung bei Weinschorle und Salat.

Danach geht es auf zu den letzten knapp 20km des Tages Richtung Abtswind. Das schöne an langen Streckenwanderungen ist ja dieser kontemplative Trott der sich irgendwann einstellt  Du gehst in einem Tempo, dass du nicht wirklich steuerst, sondern das sich eingependelt hast und ziehst deinen Kreis, der in diesem Fall geradeaus geht. Landschaftlich wird’s dann langsam weniger waldig und mehr und mehr gewinnen die Weinbergswege optische Dominanz. Leider stört die A3, die an einer Fußgängerbrücke überquert werden will, akustisch doch gewaltig, aber nicht durchgängig. Und irgendwann tun die Füße dann doch weh und dann ist es gut, dass das Ziel nicht mehr weit ist. Abtswind; ebenfalls eine Weinort, allerdings ohne große Namen, weder Weinlagen, noch Winzer, aber als Etappenort durchaus geeignet. Insbesondere auch deshalb, weil sich mit der „Schwane“ ein durchaus ansprechendes Restaurant findet, wo es zu einem Fläschchen Weißburgunder aus Greuth, ein schön buttrig gebratenes (nicht frittiertes) Schnitzel und einen schön schlotziger Kartoffelsalat gab. Leider war dort kein Zimmer mehr zu bekommen, so dass ich in einem Hotel Garni untergekommen bin, das zwar auch sauber, aber wenig einladend war.

Also weiter nach Iphofen. Nach einer durchschlafenen Nacht geht es gegen 8:00h über den Schwanberg nach Iphofen. Der Schwanberg ist einer der heiligen Berge der Franken und bereits seit Urzeiten besiedelt Seine nach Norden, Süden und Westen abfallenden Steilhänge bieten nicht nur reichlich Platz für Weingärten, sondern auch Schutz vor bösen Feinden. Heute findet sich dort ein Friedwald und ein evangelisches Kloster, was die spirituelle Tradition des Ortes fortschreibt. Da es mir aber eher weltlich ist und ich weiß, was mich in Iphofen erwartet, gibt’s keine innere Einkehr, sondern der Abstieg vom Schwanberg beginnt. Eine meiner neueren Entdeckungen beim Wandern, die Knie beim Bergabgehen weniger durch Bremsen zu belasten, sondern Laufen zu lassen, bewährt sich auch hier und ich komme rasch voran. Dann Iphofen. Ziel einer nur knapp zweitägigen Wanderung und trotzdem marschiere ich durch Rödelseer Tor ein, wie der Tour de France Sieger den Champs-Élysées runterfährt.

Und statt Siegertreppchen gibt’s eine Belohnung kulinarischer Natur im Deutschen Hof, den ich an dieser Stelle mal ganz ausdrücklich loben will. Ganz unaufgeregte aber voll geile Küche… Grüner Spargel und Kartoffeln mit Walnusspesto ohne Schnigges.. Dabei echte netter Service.. Herrlich.

Aber alles hat ein Ende… Ich trotte dann zum Bahnhof, wie ein trödelnder Schuljunge, freue mich am rebellischen Geist der Iphöfer Jugend, die an der Bahnhofsunterführung kundtut, dass sie nicht den Kuchen, sondern die ganze Bäckerei will und Gegen Nazis sowieso ist… Die Fahrt mit dem Nahverkehrszug nach Hause ist unspektakulär und nach Entmüdungsbecken, sprich Badewanne, und Erdbeerkuchen ist die kleine Flucht vorbei……