Die Zukunft der Arbeit und die Konsequenzen für die berufliche Bildung

Der Artikel ist zunächst hier erschienen:
https://www.zeitschrift-berufsbildung.de/archiv/bildungspersonal-in-der-coronakrise-update

Die Pandemie hat wie im Brennglas gezeigt, dass das Einzige was an der Zukunft von Arbeit sicher ist, die schlichte Tatsache ist, dass sie getan werden soll! Aber über welche Arbeit reden wir überhaupt? Sind es die Kurierfahrer*innen oder die Influencer*innen? Sind es die Kolleg*innen im Homeoffice oder die an den Fließbändern und in den Werkstätten? Sind es die Krankenpfleger*innen oder die Qualitätsmanager*innen in der Altenpflege? In der Pandemie wurde alles erledigt und ist doch anders geworden. Die einen wurden beklatscht, die anderen haben Arbeit und Leben integrieren gelernt und die anderen haben weiter Autos produziert, wenn sie nicht in Kurzarbeit waren.

Im Folgenden soll der Frage nach der Zukunft von Arbeit nachgespürt werden, indem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Tätigkeiten genauso betrachtet werden, wie die allgemeinen Trends die das Bild von Arbeit in den nächsten Jahren prägen werden. Schlussendlich soll das in Überlegungen zu den Konsequenzen für Struktur und Inhalt beruflicher Bildung münden.

Die Perspektiven zukünftigen Arbeitens werden zentral durch alle Facetten der digitalen Transformation geprägt. Das bedeutet auf der einen Seite, dass alle Arbeiten nun eine technische Dimension haben, die die professionelle Nutzung von Hard- und Software meint, was neben der eigentlichen Nutzung oftmals auch Wartung und Reparatur umfasst. Auf der anderen Seite werden kommunikative Fragen und die Herausforderungen digitaler Identität und Sozialbeziehungen immer wichtiger. Schlussendlich kommt, gerade auch in industriellen Großorganisationen ein steigendes Maß an standardisierter Berichterstattung, also schlichte Verwaltungsarbeit, hinzu.

So entsteht eine Landkarte digitaler Kompetenzen, die drei unterschiedlichen Logiken folgt; nämlich einer technischen, einer administrativen und einer sozialen Logik, die allesamt die digitale Gesamtkompetenz abbilden, wobei

  • die technische Logik die handwerkliche Beherrschung von Hard- und Software bedeutet;
  • administrative Logik die professionelle Verwaltung von Daten und Dateien meint und
  • soziale Logik die Fragen der digitalisierten Interaktion umfasst.

Ergänzt werden diese Themen noch durch die individuellen Herausforderungen, die die neuen Formen raum- und zeitunabhängigen Arbeitens mit sich bringen.

Wie sieht also ein ganz normaler Arbeitstag, für wen auch immer, aus? Ein typischer Vormittag könnte so aussehen:

Nachdem die Mails gecheckt sind, die über Nacht reingekommen sind, soll eigentlich der regelmäßige Früh-Call als erste Regelkommunikationsschleife des Tages stattfinden, der aber leider recht rüde durch ein nicht zu stoppendes Update der VR-Brille unterbrochen wird. Danach funktioniert der VPS-Client nicht mehr. So ist der Umstieg aufs Smartphone zwingend und der Früh-Call ist zwar fast vorbei, aber die lieben Kolleg*innen zeigen Verständnis. Die IT schickt eine Mail mit kryptischen Anweisungen, aber mit dem guten alten Tool, mal alles vom Strom zu nehmen, wird alles wieder gut. Allerdings fragt die IT, wegen ihres Qualitätsmanagements, nun automatisiert nach, ob den alles zur Zufriedenheit läuft. Das Formular will ausgefüllt sein, bevor der nächste Videocall ansteht oder ob eines Präsenztermins in die Firma gewechselt werden muss….

An diesem durchaus typischen, wenn auch verdichteten, Vormittag eines Büromenschen, zeigt sich, wie sich die drei Logiken operativ auf den Alltag auswirken. So wollen Tätigkeiten aus allen drei Bereichen erledigt werden, und das teilweise automatisiert, so dass sich die Frage nach Priorisierung und Autonomie nicht stellt. Die kommunikative Seite dient zur Kompensation technischer und administrativer Defizite und wird so für Karriere und kollegiale Zusammenarbeit noch wichtiger, als sie in vordigitalen Zeiten eh schon war.

Zusammenfassend werden sich also Berufsbilder der Zukunft zunehmend aus Elementen der drei genannten Logiken zusammensetzen, die dabei im Gegensatz zu heute fast gleichwertig Nebeneinander stehen. Damit sind also die beruflichen Perspektiven für Beschäftigte, deren Begabung stark auf eine Logik fokussiert ist, in Zukunft limitiert. Auch die Entscheidung für einen technischen, kaufmännischen oder erzieherischen Beruf wird wohl nicht mehr so eindeutig zu treffen sein.

Das klingt auf der einen Seite sicherlich bedrohlich, aber es bietet neue Bilder beruflicher Tätigkeit, die vor dem Hintergrund der digitalen Transformation bereits im Entstehen sind. So finden sich in hochautomatisierten Fertigungen, mehr und mehr Runden zusammen, wo die Notwendigkeit vorausschauender Instandhaltung, die logistischen Bedarfe und die Produktionsplanung immer wieder aufs Neue austariert werden müssen, damit jede Fachabteilung im Sinne eines unternehmerischen Gesamtoptimums zu ihrem Recht kommt. Und dazu brauchen die Mechatroniker*innen, Logistiker*innen und Arbeitsvorbereiter*innen eben nicht nur ihre technischen Kompetenzen, sondern in einem hohen Maß kommunikative und planerische Kompetenzen und eben auch die administrative Kompetenz diese Planungen auch systemseitig abzulegen und einzupflegen. Derlei interdisziplinäre Abstimmungen und Projekte finden sich im modernen Industriebetrieb reichlich und nur allzu oft scheitern diese Projekte eben an der Dominanz einer Logik, sei es die technische Seite oder eben die logistische Perspektive.

Was heißt all das für die Zukunft der beruflichen Bildung?

Berufe folgen in der Regel der weiter oben vorgestellten Logik und sind deshalb in der Regel entweder technisch-handwerklicher, kaufmännischer oder pflegerisch-erzieherischer Natur. Von daher ist auch die Ausbildung stark auf die Vermittlung von Kenntnissen fokussiert, die diesen Logiken folgen. Die vorstehende Darstellung hat aber aufgezeigt, dass sich diese Fokussierung abschwächen muss und eine eher ganzheitliche Ausbildung erfolgen muss, wenn sie den arbeitsadäquat sein soll.

Das heißt für die technischen Berufe, dass neben den berufsinhaltlichen Kompetenzen wie die Metall- oder Elektrotechnik, zunächst auch die digitalen Kompetenzen für die Beherrschung von Laptop und Smartphone im Hier und Jetzt und das Bewegen in Augmented und Virtual Realities im Jetzt und Dann vermittelt werden müssen, bevor es auch, stärker als bisher, um die Fragen administrativer und kaufmännischer (beispielsweise bei der Handwerkerin im Verkaufsgespräch und der Kundenberatung) Kompetenz und um die kommunikativ-kreativen Kompetenzen etwa bei der Koordination von Baustellen gehen muss.

Das bedeutet für die administrativen Berufe einen höheren Ausbildungsanteil in Sachen digitaler Technologien und Beherrschung von Hard- und Software, inkl. Wartung und Reparatur einerseits und andererseits verstärkt Elemente von Projektmanagement und interdisziplinär abgestimmter Arbeit. Ähnliches gilt für
die erzieherischen Berufe.      

Ein weiterer Aspekt, der bislang noch nicht zur Sprache gekommen ist, ist die in der Digitalisierung steigende Bedeutung der Schriftsprache. Von Email und SMS bis whatsapp und den Chatfunktionen bei Teams, Zoom etc. wird mehr geschrieben, auch wenn es sich oftmals um geschriebene Sprechsprache handelt. Das allerdings führt nicht allzu selten zu Missverständnissen, die im betrieblichen Umfeld sogar Schaden anrichten (Stichwort: Satzzeichen retten Leben!). Ob das durch die Zunahme von Videokonferenzen und Videochats beheben lässt, ist solange offen, wie in vielen Fällen die Kamera ja ausbleibt!

Abschließend soll noch ein Thema angesprochen werden, dass die Unterscheidung von allgemeiner und beruflicher Bildung trifft. Es ergibt sich aus der steigenden Bedeutung von Kommunikation, Kreativität und Teamspirit. Um hier effizient zu arbeiten und gute Ergebnisse zu erzielen, kann es nicht nur um streng fachliche Inhalte gehen, sondern eben auch um Konversation und Small Talk. Und selbst der hat seine Voraussetzungen in einer gewissen Allgemeinbildung bzw. kultureller Bildung. Dabei geht es nicht um die Fokussierung auf Aspekte der Hochkultur, sondern um einen breiten Wissensbestand, der situations- und adressatengerecht abgerufen werden kann.          

Die berufliche Bildung der Zukunft wird also vier Säulen haben müssen. Da wäre

  1. die Technik
    Hier geht es einerseits für Alle um die technischen Kompetenzen die benötigt werden, um Hard- und Software professionell zu nutzen, sowie zu warten und ggfls. zu reparieren. Andererseits bedarf es in den technischen Berufen selbstredend einer fachlich fundierten Ausbildung an den Maschinen und Werkzeugen, sie den dahinterliegenden physikalisch-technischen Grundlagen.
  2. Die Administration / Das Kaufmännische
    Hier geht es einerseits um die Grundlagen des Projektmanagements und etwa bei handwerklichen Berufen um kaufmännische Grundlagen von Vertrieb und Buchhaltung. Andererseits sind natürlich auch hier bei den kaufmännischen Berufen die fachlichen Grundlagen zu legen.
  3. Das Soziale
    Hier geht es einerseits um die notwendigen Kompetenzen für professionelle aber empathische Kommunikation in Schrift und Wort, sowie den Grundlagen von Zusammenarbeit und Kollegialität. Die erzieherischen und pflegenden Berufe benötigen selbstredend darüber hinaus auch die entsprechenden fachlichen Grundlagen.
  4. Allgemeinbildung
    Hier geht es für alle um den kompetenten Umgang mit social media einerseits und das Lernen und Kennenlernen von Inhalt und Form guter Konversation in der analogen wie digitalen Welt. Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang auch Demokratie und demokratische Tugenden ein Lernfeld.

Zusammenfassend wird sich die Berufswelt wohl stärker diversifizieren und von allem ein wenig gebraucht werden, auch wenn die Fokussierungen in bestimmten Berufen recht ähnlich bleiben. Hier gilt es vorsichtig zu sein, einfach weitere Kompetenzanforderungen oben auf zu packen, sondern den richtigen Mix zu gestalten. Und das wäre die fordernde Aufgabe für die berufliche Bildungsplanung der kommenden Jahre!


Klaus Mertens
Oktober 2021

Literatur:

Gottschall, K.; Voß, G. (2003), Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag, Mering

Oesch, D. (2013), Occupational Change in Europe. How Technology and Education transform the Job Structure, Oxford

Raphael, L. (2021), Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin

Reckwitz, A. (2017), Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin

Vester, M.; Weber-Menges, S. (2014), Zunehmende Kompetenz – wachsende Unsicherheit. Bericht zu dem von der Hans Böckler Stiftung geförderten Kurzprojekt Explorative Entwicklung und Erprobung eines Untersuchungsinstruments für integrierte und differenzierte Langfrist-Analysen der beruflichen Arbeitsteilung und der Prekarisierung der Erwerbsstruktur in der BRD 1991-2009 mit den Daten des Mikrozensus, Hannover

https://www.arbeit-corona.uni-osnabrueck.de/ (zuletzt besucht am 03.11.2021)

https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/Klassen_und_Sozialstruktur/Vester_Michael_Berufsgliederung_BRD_S_GB_2000.pdf (zuletzt besucht am 03.11.2021)

Bildet Banden!

Dieser Text, den ich letztes Jahr geschrieben habe, ist mir beim Aufräumen in die Hände gefallen. Und weil er leider nichts von seiner Aktualität verloren hat, gibts den halt heute:

Ich hatte neulich die Gelegenheit einer Lesung von Sven Gringmuth zu folgen, der seine Dissertation vorgestellt hat. Bei der Arbeit geht es um den Übergang vom Summer of Love 1968 in die scheinbar widersprüchliche Zeit der K-Gruppen. Gringmuth denkt laut und anschaulich darüber nach, ob und welche, manchmal auch nur scheinbaren, Brüche es in dieser Chronologie der Bewegung, aber eben auch in den Biografien einzelner Akteure gegeben hat. Im Kern liest er das aber auch als die quasi zwangsläufige Hinwendung sozialer Bewegungen zur Frage von Kapital und Arbeit, als dem zentralen systemprägenden Faktor, und die Solidarität mit denen, die auf der Seite der Arbeit in diesen Kämpfen stehen. Im Nachgang dazu ist mir die aktuelle Lage vor dem Hintergrund dieser historischen Blaupause nochmal durch den Kopf gegangen.
Wir stehen aktuell in der Metall- und Elektroindustrie vor einer der schwersten Tarifaus-einandersetzungen der letzten Jahre und die Beteiligung der Kolleg*innen ist nicht nur deshalb hoch, weil Sie mehr Geld wollen, sondern auch weil es ein Ringen um Anerkennung ihrer Leistung ist. In der öffentlichen Diskussion dominiert die Diskussion ums Homeoffice, new work und Agilität, die die Kolleg*innen an den Fließbändern und in den Werkstätten außen vor lässt. Die Industriearbeiter*in kommt im öffentlichen Diskurs nicht mehr vor und viele Szenarien, die im Zuge des Klimawandels und seiner Eingrenzung entwickelt werden, sehen Industrie und die mit ihr verbundenen Arbeit als abzuschaffendes Übel.
Der Protest gegen das politische Nichtstun in Sachen Klimawandel hat mit Fridays for Future massenhaft Menschen auf die Straße getrieben und das Thema endlich auf die politische Agenda gesetzt. Diese Bewegung stellt nun zunehmend nicht mehr nur die Frage nach der Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch nach den systemischen Rahmenbedingungen und hat sich theoretisch über Postwachstumsdebatten und Degrowth der Kategorie der Kapitalismuskritik eher vorsichtig genähert Unter dem Slogan „system change not climate change“ ist sie nun, zumindest in Teilen dort angekommen.
In der IG Metall wird die Frage sozial-ökologischer Transformation und einer ganzheitlichen klimafreundlichen Politik durchaus gesehen und auch bearbeitet, wie die große Demonstration in Berlin, die unter dem Motto „fairwandeln“ stand, schon 2019 gezeigt hat. Aber sie hat ihre natürlichen Grenzen an den Komfortzonen der Kolleg*innen vor Ort und findet mit großer Ernsthaftigkeit eher auf den überregionalen Ebenen statt.
Die Herausforderung einer politischen Linken würde nun darin bestehen für die Begegnung von Klimabewegung und Gewerkschaft zu sorgen, und zwar vor Ort, ganz operativ und maßnahmenorientiert, nicht in überregionalen Arbeitskreisen und Bündnistreffen, die auch ihre Berechtigung haben, aber – ich denke – dass es an der Zeit ist, diesen Punkt stark zu machen: Es gilt einerseits, soziale und die ökologische Frage zusammen zu denken, und die soziale Frage dabei als Frage von Arbeit und Beschäftigung zu sehen. Andererseits gilt es, operative Formen der Kooperation in den Regionen zu entwickeln, die beim Transformieren anpacken wollen. Das ist bislang leider nur selten zu sehen. Ursächlich dafür ist die kulturelle und soziale Unterschiedlichkeit von Klima- und Gewerkschaftsbewegung, was sicherlich längst nicht mehr so holzschnittartig wie in den 68ern funktioniert, aber trotzdem hat jede Blase ihr Dispositiv und ihre Narrative.
Wer ist nun gefragt? Es sind die „organischen Intellektuelle“, wie Gramsci das nennt, die in Gewerkschaft, wie Klimabewegung eingebettet sind und ob ihrer Intellektualität in der Lage sein sollten Dispositive und Narrative zu lesen und zu diskutieren, dadurch auch aufzuweichen und so als Synthesen etwas Neues entstehen zu lassen. Dafür müssen wir weder Parteien gründen, noch den Habitus eines Arbeiters aus den 20Jahren imitieren oder mit Schmerbauch auf irgendwelche Bäume krabbeln. Authentisch und auf Augenhöhe ins Miteinander zu kommen und da ist eine Voraussetzung tatsächlich das gegenseitige Verstehen. Das wäre der Riesenunterschied zu der historischen Formation der End60er/Anfang70er Jahre: es wäre ein emanzipatorisches Projekt und nicht die autoritären Befreiungsphantasie für eine imaginierte Arbeiter*innenklasse.