Jetzt sitze ich hier am Vorabend der letzten Etappe und will was über heute schreiben. Die vorletzte Etappe. Die Situation ist aber gerade dadurch geprägt, daß ich da hocke, wo Hinz und Kunz seinen letzten Abend auf dem Camino feiert. Deshalb muß sich die Gastronomie eh nicht reinhängen, weil die Leute ausgelassen genug sind. Das ist einerseits schön, andererseits zwingt es mich dazu außerhalb der Partyzone was zu suchen. Ich finde dann auch was. Sopa de Fideos als Vorspeise, was eine schlichte Nudelsuppe, verfeinert mit Safran, meint. Und der Safran haut es halt raus. Vor einigen Tagen habe ich am Nebentisch Leute gesehen, die genau die Suppe bestellten, gegrillte Piementos, Chorizo und Langustinos als Raciones dazu orderten und die dann einzeln oder gemischt in die Suppe warfen oder dazu gegessen haben. Die hatten einen Heidenspaß und sowas kann man ja auch mal nachkochen. Dann gab es ein Schweinegeschnetzeltes a la Chorizo, also scharf gewürzt mit Pommes und, echte Überraschung, einen Beilagensalat, der üppig und von der Küche mit einer dazugehörigen Salatsauce versehen war. Der Wein dazu kam aus Spanien und war in Lugo abgefüllt, aber wer will für die 13Euro mehr verlangen wollen? Da habe ich für deutlich mehr Geld schon geringere Lebensmittelqualität und Kochkompetenz am Gaumen gehabt.
Derart gesättigt und gestärkt geht es zurück in die Partyzone. Dachte ich. Die hat sich dann doch um zehn schon merklich geleert. Und dann fällt es mir, wie Schuppen aus den Haaren. Für die 100km-Wanderer ab Sarria, die sich dafür eine Woche Zeit nehmen, ist das morgen die zweite längere Etappe, nämlich satte 21km, was mir mittlerweile wie ein längerer Spaziergang vorkommt. Nun entwickele ich aber Verständnis für die 100km-Leute, hab aber keineswegs die Lust morgen früh aufzustehen und das runterzureißen.
Es soll dieses Auslaufen werden, was ja in den letzten Tagen schon begonnen hat und heute einfach weiterging. Das hat zum Teil mit der Landschaft zu tun, die irgendwas von deutschem Mittelgebirge hat, egal ob Rothaargebirge, Rhön oder Steigerwald. Weil es in den letzten Tagen mal wieder schlechte Nachrichten hagelte, spielt die Landschaft aber nur die zweite Geige. Ich trödele und schweife rum und denke in Liedern. Dabei kommt mir als erstes „So nimm denn meine Hände“, mittlerweile als Trauerlied anerkannt, aber meine Eltern haben damit noch geheiratet, in den Kopf. Weiter geht es mit dem geliebten „Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde“. Danach gibt mit Sin Dios „Alerta Antifascista“ was auf die virtuellen Ohren und ich lande bei „Gegrüßet seist du Königin“. Die Playlist, beileibe nicht vollständig, steht für all das, was mir durch den Kopf geht. Ich habe mir mit 50 die Zeit genommen vier Monate rumzustrolchen, Erfahrungen zu machen und mir Dinge genauer anzugucken und zu durchdenken. Das ich dabei gut gegessen und getrunken habe, ist ja eh klar. Derweil hat sich diese Welt weitergedreht, was sie selbst in meiner Anwesenheit vor Ort getan hätte. So vermessen bin ich nicht, aber es sind eben auch Leute gestorben oder liegen im Sterben, die sich immer einer Aufgabe, einem Auftrag verpflichtet gefühlt haben, und das muß nicht mal moralisch überhöht werden, die haben eigentlich immer nur gearbeitet. Und mir wird bei der Singerei, also eher Summerei -keine Auffälligkeiten- dieses Riesenglück klar, daß ich da arbeite, wo ich arbeite; daß wir diese sensationell geile Betriebsvereinbarung haben; daß meine Liebstse das mitmacht und das ich nicht Spitz auf Knopf genäht bin. Und ich mir eigentlich auch wünsche, daß vielmehr Menschen diese Chance kriegen und nutzen, um eben zu merken, daß Arbeit, egal wie cool, eben nicht alles ist.
Ich gehe weiter, und mache Pause. Und entdecke beim Sinnieren über meinen prima Rucksack, daß die Schulterpolster zur Seite rausquetschen. Die sind nun also auch platt. Ich hatte mir die Tage schon Gedanken gemacht, ob meine Schultern jetzt doch schlapp machen, aber es wird halt nix mehr gedämpft, was das Ziehen in den Schultern erklärt. Ich bin mal gespannt, ob sich das Schaumstoffzeigsl wieder aufrichtet, wenn es mal drei Tage in der Ecke steht. Der Tip für Leute, die ähnlich lang oder länger gehen wollen, lautet also: Lieber n Rucksack nehmen, der auf höheres Gewicht ausgelegt ist und trotzdem eiserne Packdisziplin halten.
Nächste Ruhepause, ne Stunde vor dem Etappenziel, deshalb jetzt n kleines Bier. Familie mit vier Kindern kommt an. Die beiden Kleinsten quengeln, also Pause. Mutter holt ein Kartenspiel raus und fängt an, was zu spielen (Gibts in Deutschland auch. Geht nicht um die Karten, sondern um die Reaktionsgeschwindigkeit). Die Kurzen sind sofort dabei. Müdigkeit und Quengeln sind vergessen. Nach zwanzig Minuten fragt der abseitig dösende Papa, ob denn nun alle wieder fit wären, es wäre ja auch nicht mehr lang. Dann könnte ja weitergespielt werden. Zack, und die Bande steht parat… Das war schön anzusehen und es gab einige Eltern(teil)-Kind-Gruppen auf dem Weg, wo ich mir das gedacht habe. Wie schön. Daß was unsereins mit der Caritas-Kinderfreizeit erlebt und gelernt hat, mit den eigenen Eltern auf so einem internationalem Weg, wie diesem Camino, zu erleben. Daß die Eltern(teile) alle pädagogisch durch „Psychologie Heute“ und „Eltern“ geschult waren und nicht morgen wieder am Fließband stehen, ist leider auch Tatsache. Zeit, das zu ändern. Naturfreunde, olè! Ich freue mich drauf, da im Herbst mit anzupacken. Diese Organisation hat soviel Tradition, so viel Erfahrung in genau den Fragen, die mich auf dieser Wanderung umtreiben. Das wird prima.
Und jetzt bin ich alles losgeworden. Nein halt, als ich auf dem Weg nach Hause bin, treffe ich einen der Zottels, samt Hund und neuer Freundin wieder, die ich in Saint Jean kennengelernt habe. Er latscht mittlerweile mit der neuen Perle alleine, was ich ja wußte, weil die anderen Zottels habe ich schon hinter dem Cruz de Fero getroffen. Und da hocken wir im Park und quatschen, unterhalten uns, ob der Camino ein Ende hat oder man auf dem Weg bleibt, wenn du den erlebt hast. Und wie lange es sich denn lohnt in Santiago zu feiern und was danach kommt. Ich bin ja fein raus. Der Bursche muß gucken, wie er mit dem Hund zackig nach Paris kommt und hat noch keine kostengünstige Idee, weil bei der Größe muß er für den Hund den Viehtransport bezahlen. ☺.
So, jetzt aber um. Die haben nu schon den Rasensprenger angeschaltet… während ich noch da sitze und schreibe. Ignoranten.