Aufbruch – in eine lebenswerte Zukunft investieren!

Der Gesprächskreis „Die Transformateure“, dessen Mitglied ich bin, hat sich in seiner bekannt vielfältigen Mischung, die der Mitglieder_innenliste zu entnehmen ist, in den vergangenen Tagen Gedanken zu den Anforderungen an ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gemacht. Dabei geht es uns darum, dieses Programm als Vehikel zu nutzen, um die notwendige sozial-ökologische Transformation nach Vorne zu bringen. Leider mehren sich die Anzeichen, dass das kein Automatismus ist.
Dieses Papier versteht sich deshalb als Beitrag dazu, die Debatte in die Richtung sozialen und ökologischen Fortschritts zu entwickeln.
Ich freue mich über Rückmeldungen, Anmerkungen und Weiterverbreitung.

Aufbruch – in eine lebenswerte Zukunft investieren
Sozial-ökologische Transformation als Leitlinie für Investitionsprogramme
Die Covid-19 Pandemie hat nachdrücklich in Erinnerung gerufen, wie wichtig ein funktionierender Staat zur Sicherung der Grundversorgung und des Daseinsschutzes ist. Neben den aktuellen Herausforderungen wird in diesen Wochen über die anschließenden Maßnahmen und Investitionsprogramme zur Wiederankurbelung der Wirtschaft debattiert und entschieden.

Es gilt also bereits heute wichtige Lehren aus der Pandemie zu ziehen und zukunftsgerichtet zu entscheiden. Gesundheitsvorsorge und Klimaschutz sind auf das engste verknüpft. Ein Beispiel sind die Wetterextreme, die etwa bei großer Sommerhitze zu zahlreichen Toten führen. Der immer stärkere Druck auf die Tierwelt und Ökosysteme verstärkt die Anfälligkeit für Epidemien. Die Feinstaubbelastung als Teil der Luftverschmutzung erhöht diese Anfälligkeiten ebenfalls.

Die sozial-ökologische Transformation zu einer nachhaltigeren Entwicklung sollte die Leitlinie für die anstehenden Maßnahmen und das Konjunkturprogramm sein. Es ist die Aufgabe, damit zukunftsfeste Arbeitsplätze zu sichern, den Klimaschutz in der gebotenen Dringlichkeit voranzubringen, die Artenvielfalt und ökologische Vielfalt zu erhalten sowie lebenswerte Städte und Gemeinden zu fördern: erneuerbar, klimaverträglich, gerecht und sozialverträglich. Anders formuliert: Lebensqualität stärken und Systeme wetterfest machen.

Neben Sofortmaßnahmen ist die Resilienz des Gesundheitssystems dauerhaft zu verbessern. Ebenso sind der Alten- und Pflegebereich sowie die Kitas und die Bildung von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Die Berufe in diesen Bereichen sind aufzuwerten und ihrem Wert entsprechend zu entlohnen. Kulturschaffende, Gastronomie und lebenswerte Städte und Gemeinden sind kein Luxus, sondern sie prägen die Vielfalt des Landes.

Die Krise hat nachdrücklich erlebbar gemacht, welchen Wert Lebensmittel haben, wie leicht Lieferketten reißen können, welche inhumanen Arbeitsbedingungen etwa in der landwirtschaftlichen Gemüseproduktion ganz in unserer Nähe toleriert werden. Die Pandemie kann zur treibenden Kraft für Reformen in der Ernährung und in der Agrarpolitik werden. Es ist ein Wandel, der längst überfällig ist, hin zu einem umsichtigen, sorgsamen und vorausschauenden Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen.

Gerade in Zeiten, in denen vorübergehend Abgrenzungen erforderlich sind, ist es wichtig, dass internationale Verantwortlichkeit übernommen wird. Deshalb ist komplementär zu Investitionsprogrammen ein ressourcenorientiertes Lieferkettengesetz zu verabschieden.

Die Krise der Automobilindustrie hat bereits vor dem Ausbruch der Pandemie mit niedrigeren bzw. stagnierenden Stückzahlen, neuen Technologien im Produkt und Automatisierung/Digitalisierung in allen Unternehmensprozessen begonnen. Die Pandemie ist also keinesfalls Ursache der Probleme, sondern kann durchaus als Katalysator auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität wirken. Denn viele Menschen machen gerade die Erfahrung sauberer und lebenswerter Städte, guter Luft und einer neuen Wertschätzung von Nähe. Wer also auch immer die Krise nutzen will, um auf dem Pfad hin zu nachhaltiger Mobilität umzukehren, ist auf dem Holzweg!

Die sich abzeichnenden Konjunktur- und Investitionsprogramme müssen fokussiert in Richtung resiliente Wirtschaft und nachhaltige Mobilitätswende zugeschnitten werden. Das bedeutet für die Mobilitätsindustrie neben der weiteren Transformation der Automobilindustrie insbesondere:

  • die Stärkung des ÖPNV und die Förderung von Elektro/Wasserstoff-Antrieben sowie
  • die Stärkung der kommunalen Infrastrukturen für eine aktive Mobilität.

Die Energiewende muss Vorrang bekommen und die in den vergangenen Jahren aufgebauten Hemmnisse sind zügig abzubauen. Ein Programm zum Ausbau einer Metall-Recycling-Infrastruktur ist aufzulegen, das dem Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft den nötigen Schub gibt.

Der Klimaschutz ist ein Kernstück der sozial-ökologischen Transformation. Einen besonders wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten in unseren Breitengraden Moore (hohe CO2-Bindung). Es ist ein groß angelegtes Programm zur Erhaltung und zur Wiederherstellung von Mooren auf den Weg zu bringen. Dieses Programm dient zugleich dem Hochwasser- und Grundwasserschutz sowie dem Erhalt der Biodiversität. Ebenso wichtig ist die CO2-Bindung durch Humusaufbau einer ökologischen Landwirtschaft.

Die aktuelle Trockenheit in vielen Regionen Deutschlands ist ein ernstes Warnsignal des Klimawandels. Über den Brandschutz hinaus ist nachhaltig in Brandprävention zu investieren. Dementsprechend ist die Bewirtschaftung der Wälder in eine naturnahe Waldwirtschaft massiv weiter zu entwickeln und ein Umbauprogramm reiner Nadelwälder in Mischwälder aufzusetzen.

Die Covid-19 Pandemie ist ebenso eine globale Herausforderung wie die Klimakrise. Damit wird die globale Koordination der Staaten umso wichtiger. Zugleich sind entschlossen nationale Antworten zu geben. Beispielsweise ist einerseits eine Re-Adjustierung der Lieferketten erforderlich, etwa die Produktion von Arzneimitteln für die Grundversorgung in Deutschland bzw. Europa. Andererseits sind Grenzziehungen nur als vorübergehende Krisenmaßnahmen angebracht. Vielmehr ist Weltoffenheit und Austausch zu fördern. Nationale Abschließungen und neue Grenzzäune, tatsächlich und mental, sind zu vermeiden.

Viel zu viele Jahre wurde das Mantra vorgetragen: Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Mobilitätswende, zum Artenschutz – geht gerade leider nicht, kostet zu viel, gefährdet Arbeitsplätze. In der jetzigen Pandemie-Krise wurde über Nacht sichtbar: Plötzlich geht doch ganz viel. Plötzlich wird Wissenschaft ernst genommen. Je früher die anstehenden Aufgaben für eine sozialökologische Transformation angegangen werden, desto besser. Je länger nicht vorgesorgt wird, desto höher werden die späteren Kosten für unterlassene Vorsorge ausfallen: too little too late.

Es ist ein Konjunkturprogramm aufzulegen, das einen Aufbruch in eine lebenswerte Zukunft verkörpert. Dieses Programm muss auf Verstetigung angelegt sein. In der Vergangenheit gab es viel zu oft gute Einzelprojekte, aber kein konsequentes Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit. Es gilt, Chancen zu nutzen und in eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Zukunft zu investieren: die sozial-ökologische Transformation auf den Weg bringen – weltoffen und solidarisch!

Die Transformateure sind eine Gruppe von Personen, die für die sozial-ökologische Transformation in Richtung einer nachhaltigeren Entwicklung aktiv sind.
Mitglieder:
Dr. Eberhard Faust, Forschungsleiter Naturgefahren und Klimarisiken, Munich Re, München
Dr. Andrea Fehrmann, Leiterin Abteilung Industrie-, Beschäftigungs- und Strukturpolitik, IG Metall Bayern, München
Adrian Ganz, Coaching, Mediation und Teamentwicklung, PolitikLabor, München
Martin Geilhufe, Landesbeauftragter, BUND Naturschutz in Bayern, München/Nürnberg
Josef Göppel, Energiebeauftragter BMZ für Afrika, Vorsitzender Deutscher Verband für Landschaftspflege, Bundestagsabgeordneter 2002 – 2017, Herrieden
Dr. Martin Held, freier Mitarbeiter Evangelische Akademie Tutzing, Koordinator Die Transformateure, Tutzing
Johann Horn, Bezirksleiter IG Metall Bayern, München
Dieter Janecek MdB, Mitglied Ausschuss Wirtschaft und Energie, Ausschuss Digitale Agenda und Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz, Deutscher Bundestag, Berlin
Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter Erzbistum München und Freising, Sprecher der AGU – Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der deutschen (Erz-)Diözesen, München
Silvia Liebrich, Redakteurin Ressort Wirtschaft, Süddeutsche Zeitung, München
Richard Mergner, Landesvorsitzender, BUND Naturschutz in Bayern, Nürnberg
Klaus Mertens, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Betriebsrat ZF Friedrichshafen AG, Standort Schweinfurt
Manfred Neun, langjährig Präsident ECF – European Cyclists’ Federation, Memmingen
Jörg Schindler, Vorstandsmitglied ASPO Deutschland – Association for the Study of Peak Oil and Gas, langjährig Geschäftsführer Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, Neubiberg
Prof. Dr. Irmi Seidl, Leiterin Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Zürich
Prof. Dr. Hubert Weiger, Mitglied Rat für nachhaltige Entwicklung, Ehrenvorsitzender BUND Naturschutz in Bayern, Ehrenvorsitzender BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Fürth

a view from inside the box oder Don`t waste the crisis!

Ich glaube, es ist gerade in diesen Zeiten der Pandemie wichtig, laut darüber nachzudenken, wie aus dem täglichen Tun in den Betrieben nachvollziehbare Bezüge zu den notwendigen, grundlegenderen Debatten abgeleitet werden können, um das Danach aktiv gestalten zu können.
Ich spreche dabei von „den“ Betrieben, weil es zum Teil eigenes Erleben, zum Teil aber auch die Wiedergabe von Gesprächen mit einem Teil von Euch ist.
Ich habe meine Gedanken entlang von fünf Themenclustern strukturiert, um abschließend aufzuzeigen, wo Erfahrungen aus Corona-Zeiten auf ein „buen vivir“ danach verweisen.

1. Die Corona-Krise ist ja nur das i-Tüpfelchen.
Insbesondere bei den Automobilzulieferern ist ja bereits seit dem 3. Quartal 2019 Krisenstimmung, die Sparpakete sind längst aufgerufen und von Audi bis ZF sind Beschäftigungs- und Standortsicherungsverträge verhandelt worden. Die haben wahrscheinlich alle eine Hagelschlagsklausel und hie und da ist zu hören, dass diese Klausel arbeitgeberseitig gezogen werden soll, um die Sparschraube nochmal weiter zu drehen und evtl. betriebsbedingte Kündigungen nicht länger ausschließen zu müssen.

2. Daily Business: Kurzarbeitsverhandlungen und Sozialpolitik
Derzeit geht es in den Betriebsräten hauptsächlich um die betriebliche Ausgestaltung der Kurzarbeit mit all den detailreichen Tücken eines solchen Unterfangens. Da beschäftigen sich die Betriebsräte nun z.B. gerade damit, wie sich Kurzarbeit auf die Höhe des Elterngelds zukünftiger Mütter und Väter auswirkt und ab wann den zumindest Schwangere deshalb von der Kurzarbeit ausgenommen werden müssten. Diese Detailfragen gibt es wie Sand am Meer, wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt. Das absorbiert viel Kapazität, erzeugt aber viel Kompetenz zu Fragen des SGBIII.

3. BR und VK goes new work.
Von der Digitalisierung wird vielerorts gesprochen, und nun hält die Digitalisierung mit Gewalt Einzug in die bislang reichlich analoge Arbeitsstruktur der Gremien. BA/BR-Sitzungen via Skype, Verhandlungen mit dem AG als Videokonferenz, ein deutlich höheres Maß verschriftlichter Kommunikation via chat, whats app und was auch immer. Bereichsbetriebsräte im Homeoffice, deren Kalender bislang mit face-to-face Kommunikation und Terminen gefüllt waren, müssen lernen das virtuell zu organisieren, die Ergebnisse zu verschriftlichen und weiter zu verteilen. Das lief sonst zwischen Tür und Angel. Nun erzwingt sich eine Professionalisierung der Arbeit, die manche auch überfordert.

4. Die Transformation geht unter kapitalistischen Vorzeichen weiter
Der Umbau der Branche geht weiter und das Personalkarussell bei OEMs und Zulieferern rotiert fröhlich weiter und Portfoliobereinigungen und Zukäufe werden nicht mehr eingefangen, selbst wenn das gewollt wäre. Das ist alles keine progressive Transformation, sondern das Arbeiten an Umsätzen und Rendite in einer Welt, deren Transformation ausschließlich in der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und a bisserl autonomes Fahren besteht.

5. Der Kapitalismus frisst seine Kinder
In der Zulieferindustrie stehen die Margen ja ständig unter Druck, gleichzeitig gibt es notwendige Investitionen, die den avisierten Wandel der Branche möglich machen und bislang auch mit billigem Geld durchaus handhabbar finanziert werden konnten. Nun ändern sich die Ratings und Umsätze brechen ein, was einzelne Unternehmen in irgendwas zwischen Rentabilitäts- und Liquiditätskrise schliddern lässt. Das werden nicht alle Unternehmen schadlos überstehen.

6. Und nun?
Das alles trifft die betriebliche Mitbestimmung ganz aktuell. Und es ist an uns, Ansätze zu entwickeln, die im Sinne einer Arbeit an der sozial-ökologischen Transformation diese Alltagserfahrungen nutzbar machen.
Ich denke an
• die Digitalisierung von Beteiligungsprozessen und die Konsequenz von digitaler Meinungsäußerung
• die Erfahrung mit dem Sozialstaat und seinen Institutionen
• die Erfahrung von Immobilität, ihrer digitalen Kompensation und dem Gewinn von Lebensqualität und -zeit.
• das – zumeist virtuelle – Erleben von Delfinen in der Bucht von Venedig und der – hoffentlich realen – Erfahrung
• von sauberer Luft in unseren Städten
• die homöopathische Erfahrung von Konsumentzug
• die Handlungsfähigkeit und -geschwindigkeit von Politik, die im krassen Widerspruch zu den Zögerlichkeiten in der Klima- und Ressourcenpolitik steht.

Ich hoffe, es ist gelungen einen Eindruck zu vermitteln, was auf betrieblicher Ebene gerade los ist und hoffe damit aber auch einen Beitrag zur Debatte liefern zu können, wie wir auch in Corona-Zeiten die notwendigen Veränderungen im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation vorantreiben können.