98. Etappe: Ponferrada – Villafranca de Briezo

So. Nun aber hinein in dieses mir gänzlich unbekannte Weingebiet. Ich hab bis halb neun die Füße still gehalten, weil ich den Troß heute nicht erleben will, aber jetzt gehts los. Zunächst mal durch die langen Straßen der Vorstädte dieser durchaus industriell geprägten Stadt. Da gibt es Gebäude, die so auch in den 80ern als Zeichen des Strukturwandels von Oberbürgermeistern im Ruhrgebiet gefeiert hätten werden können. Das sah gestern schon so a la Neue Hafen oder Zeche blabla aus und woher der Wind weht, war klar, als ich im Tourist Office nach diesen interessanten Gebäuden fragte. Das wären Appartementhäuser, war die wenig zufriedenstellende Antwort. Also mal wieder durch den Strukturwandel gehen, was mir die den Gedanken einer politisch-kulinarischen Exkursion vom Siegerland über Wetter, Witten, Hattingen, also Ruhr, Bochum und Essen nicht vergessen, an die Wupper und von da aus rüber ins Rheintal über Ddorf nach Köln wieder in den Kopf bringt. Da könnte mit der entsprechenden Gruppe zu Fuß eine Menge drüber besprochen und angeeignet werden, was derzeit nur als  dumpfes Gefühl vorliegt. In Südtirol, ich sprach davon, werden wir das mal ausprobieren.

Das Gefühl einer Erkundung zu Fuß, einer teilnehmender Beobachtung in Wanderschuhen und einer Exploration sich medial-real darstellender gesellschaftlicher Widersprüche, was ich an anderer Stelle gerne weiterführen würde, löst sich bei der Überschreitung des ersten Hügels als Priorität erstmal wieder in Richtung „normal“ auf. Wer „eilig, brandeilig und dringend“ auf Auftragszetteln kennt, weiß wie es mir geht. Ich bin überwältigt vom Blick auf dieses breite Tal, auf die Weinberge, die Dörfer und Städtchen und eben die Berge Richtung Galicia. Das ist hier fast so schön wie in Südtirol, echt jetzt. Die Berge sind nicht so hoch, aber es geht in die Richtung. Wunderschön. Und directamente nach dem Eintritt ins Weinland „el Bierzo“ gibts auch schon lecker Cafe con Leche und Sumo de Narañja – für Wein ist es noch zu früh – und weiter gehts. Ein paar Hügel weiter komme ich an einer Fruteria nicht vorbei und esse mal wieder Nektarinen, die zum Niederknien sind. Was ich allerdings gerne nochmal lernen wollen würde, wäre so das Ding, wie man sowas ist, ohne das es spritzt. Ich habe mal jemanden so einen weichen Pfirsich Scheibe für Scheibe mit dem Messer vom Kern trennen sehen. So will ich das können. Wenn die nichts können und hart sind, krieg ich das hin. Wenn die schmecken, spritzen die leckeren Früchte. Doof, trotzdem lecker.

Der nächste Hügel bring mich tatsächlich in ein Weindorf, allerdings auf Rüdesheimniveau, was mir für den Mittelrhein echt leid tut und die hier anscheinend auch nicht bereit sind zu lernen. Am Ende der Ortschaft lädt die Winzergenossenschaft der Weinregion ein, wovon ich ja eigentlich die Finger lassen sollte. (Wer nur GWF-Weine trinkt, hat Frankenweine nicht kapiert.) Aber wenn ich Cooperative lese, werde ich sentimental. Ich gehe also rein und frage nach einem Doña Blanca, das ist eine regionale, für Massenweine angebaute Sorte, und frage ob sie den auch in buena hätten. Warum? Nach all den Offenbarungen in Franken, wo sich junge Leute, der Johannes Nickel sei hier mal ausdrücklich genannt, aber auch sonstwo in der Republik, mit den Themen Kerner, Bacchus, Müller oder Scheurebe so sensibel und geil auseinandergesetzt haben, denke ich mir, daß der hochwertige Ausbau ebendieser Massenweine die Qualität des Winzers zeigt. Die Antwort ist unfreundlich, liegt aber nicht am Wein, sondern an der Verkäuferin und das Ergebnis ausbaufähig. Was ich auf meinem Zettel auf der Rebenliste „Potentialkandidat im Klimawandel“ unter nicht ganz so eilig buche. Weiter. Und dabei wird mir klar, daß ich zwar die Windparks angesprochen habe, aber das Thema Solarenergie noch gar nicht geschildert habe. Wahrscheinlich weil es das nicht gibt. Ich werde mir darüber erst wirklich klar, als ich den nächsten Hügel Richtung Ziel überschreite. 

Da steht nämlich ein Mountainbiker, der mich am Berg überholt hat und als ich mich , kann halt nicht anders, mit einem „amazing“ bemerkbar mache, kommen wir ins Gespräch. Der Typ ist im worldwide Vertrieb von spanisch Dachziegel… also die spanischen Braas…  Mächtig interessant, weil er eigentlich aus Madrid kommt, aber die hiesige Gegend gut kennt. Das ist nämlich die Gegend in Spanien mit dem kontinentalsten Klima. Als ich doof gucke, sagt er, daß sie hier die Produkte für Rusland testen. Wir wären zwar Kontinent, hätten aber nicht so ein Klima, ganz kalte Winter, ganz heiße Sommer. In Deutschland wäre es ja eher gemäßigt, auch auch was den Niederschlag angeht. Yo, sag ich. Bei uns fällt der Sommer aus und es regnet, wenn es regnet, völlig heftig. Haber wir uns dann geschenkt ich hab aber dann doch noch nach Solarenergie im Eigenheim gefragt, wo er sagt, das wäre bei ihnen bislang kein Thema. Stimmt. Egal wo ich durchgekommen bin, und das war ja in den letzten Wochen schon das ein oder andere Neubauviertel, wenig, ganz wenig. Das ist natürlich in einem Land, wo die Sonne ziemlich regelmäßig scheint, schon doof. Aber wahrscheinlich ist der Zusammenhang zwischen Sonnenenergie und Strom in einem Land, wo du dich vor der Sonne schützen musst, also Energie brauchst um die Wärme draußen zu halten, kommunikativ anders aufzubauen. Das sieht der spanische Kollege ähnlich, hat das aber bislang nicht so aufm Schirm gehabt. Die Chinesin, die in Kanada lebt und sich erschöpft daneben stellt, auch nicht. Also geht es wohl auch darum, den monokausalen Zusammenhang von Sonne und Wärme in Richtung  Sonne und Energie weiterzuentwickeln und zwar auch da wo der Zusamenhang eigentlich so offensichtlich ist. Mir wäre er auch beinahe abhanden kommen, weil es brüllwarm ist. Ich komme also in einen Ort, knappe anderthalb Stunden vor dem Ziel, und muß was trinken, und weil es nicht mehr lange geht, darf es ein Bier sein.Nach all dem Denken vorher, werde ich vom Wirt gefragt, ob das Vaso frio sein soll und ich sage ja, si, claro.Der Wirt geht an die vierte oder fünfte Tiefkühle in seiner Butze und holt ein tiefgefrorenes Glas raus, füllt  ein eh eiskaltes Bier rein und stellt mir das hin. Das ist klimawandel- und energiepoltisch eigentlich unverantwortlich, aber so unbeschreiblich schön. So kalt, so erfrischend, so feinherb… 

Im Zielort komme ich dann tatsächlich noch an einer Herberge mit Solarzellen aufm Dach vorbei. Vielleicht muß man es ja auch nur beschreien. Ich checke ein und bin dann erstmal um. Dann gehts los und ich gucke mir das Städtchen an. Nett. Meine Unterkunft ist auch gut, aber ich finde keinen wirklichen Draht, und bleibe nach einer unfreundlichen, also nicht von meiner Seite, Einkehr in derörtlichen Vinothek, am Plaza Mayor, also im Touristenbums hängen, erobere mir aber das Herz der Mädels mit einer Bestellung jenseits des Menu de Dia indem ich einen Salat und Pommes bestelle. Vielleicht gibt das ja mal Durchschlafen trotz Warm. Das ist echt lecker, vor allem wahrscheinlich auch wegen der selbstangerührten Vinaigette. Ich habe nämlich vor ein paar Tagenbeobachtet, wie eine spanische Mama, die Tütchen und den Pfeffer/Salz Ständer aus dem mitgelieferten Porzellanschälchen nahm, alles einfüllte und die Vinaigrette darin anrührte. Eine Salatsauce, z.B. eine Vinaigrette, wirkt nämlich nicht über ihre Einzelteile, sondern  ihre Composition. Habe ich dann auch mal so gemacht. Touristenbums. Glatze. Crogs. Und ? Als ich nach der Hälfte von Salat und Pommes alles zusammenschütte und das nochmal durchmisch, sagt ein alter Mann von Nebentisch, daß wäre bueno. Wer mich kennt, weiß wie sehr mich sowas freut. Als ich nach dem Essen und einem Rosado, statt dem Nachtisch nach einem Vino Dulce frage, kriege ich den auch. Dann bestelle ich die Rechnung und trotz aller Extras finde ich nur das Menu Peregrino mit all inclusive auf dem Zettel. Ich frage nach und bekomme als Antwort „It’s ok. Muchas Gracias.“ Das freut mich, gibt mir aber auch weiter zu denken.