Heute stellt sich die Strecke von der Humanseite her deutlich entspannter dar, weil es einfach nicht so voll ist, was einfach daran liegt, daß alle 100KilometlerInnen zwar zusammen loslaufen, aber nicht gleich weit kommen. So streut sich das schon nach der ersten Etappe und meine Laune ist bestens. Vor allem auch, weil ich ausgesprochen gut gefrühstückt habe. Jogurt, Obst und frisches Brot ist an Spaniens Frühstückstischen nämlich eine echte Seltenheit. Daß es dazu Cafe con Leche und frischgepressten Orangensaft satt gab, brauche ich nicht zu erwähnen, oder? Das wird dann in Deutschland -Klimawandel hin oder her- etwas schwieriger, aber irgendwie hab ich mich dran gewöhnt.
Es geht also weiter durch das galicische Hügelland. Sanfte Auf und Abs, Blicke von sonnenbeschienenen Gipfeln, wenn das Oben bei Hügeln auch so genannt wird, in nebelverhangene Täler, zwischendurch kleine Weiler, deren Betriebsführung für jemanden aus dem Land der industriellen Massentierhaltung so aus der Zeit gefallen scheint, daß es sich nur als touristische Attraktion lohnt, aber die Leute leben anscheinend davon. Vielleicht ist es aber auch nur der Bauernverband und die Fleisch-, Gemüse- und sonstwas Industrie, die das Märchen von der Rentabilität ab einer Betriebsgröße Richtung Megastall erzählt. Meine Eindrücke in Frankreich und Spanien sind andere und das werde ich im Auge behalten, wenn ich wieder daheim bin.
Das ist so ein Ding. Der Kradvagabund Panni hatte mich als erfahrener Weltenbummler auf das Dilemma am Ende einer Reise hingewiesen. Du willst die letzten Tage genießen, aber denkst schon an zu Hause. Nun habe ich das Glück, daß meine Wanderung zu Ende geht, nicht aber meine Reise. Trotzdem verstehe ich, was er meint. Je näher Santiago kommt, desto mehr merke ich, wie schwer das Ankommen fällt. Kleinere Etappen. Viele Pausen. Und auf der anderen plane ich meinen Asturienaufenthalt und freu mich auf die Tage im Baskenland mit meiner Liebsten und stelle mir vor, wie beides wohl wird. Das kennen aber bestimmt auch viele aus Kurzurlauben. Verlängertes Wochenende und genau an dem Zusatztag springt die Hirse schon wieder fürs Geschäft an, wie der Schwabe sagen würde. Naja, ich gebe mir Mühe, das alles zu genießen und Galicia ist wie geschaffen dafür.
Gegen Mittag etwa zwingt mich das Dilemma in eine Casa blabla, liegt an einem Hügel am Weg, hat einen Biergarten unter mittelalten Bäumen aufgebaut und ist gut gefüllt, aber eben nicht rappelvoll. An der Theke rieche in die Küche und das riecht gut. Ergebnis ist, daß ich mit einem Bocadillo con Tortilla y Chorizo und einem Bier im Garten hock und den Leuten zugucken kann. Und dieses Bocadillo, belegt mit einem Omelett und einer galizischen Chorizo ist der Hammer. Ein gutes Brot. Eier, wo du beim Legen dabei gewesen bist. Eine galicische Chorizo, die nicht nur Geschmacksträger, sonder eben auch Wurst ist. Herrlich.
Dann geht das noch ein wenig weiter und das Ziel ist erreicht. Mittlerweile hat sich dabei eine neue Routine ergeben. Im örtlichen Centro de Salud vorsprechen und nach einem neuen Verband fragen. Das ist hier in Palas de Rei echt vorbildlich. Ich spreche vor, sag mein Sprüchlein auf und werde schwupps von einer jungen Ärztin abgepasst. Zurückgepfiffen werden wir beide von den Damen am Empfang. Peregrino? Si/No. Passaporte? Si, claro. Erst nachdem das geklärt ist, kriege ich meinen neuen Verband, der als dritter Verband in drei Tagen, wieder ganz anders aussieht, als die anderen Zwei. Egal, auch die Ärztin hat keine Bedenken mich weiterlaufen zu lassen.
Danach beziehe ich meine Unterkunft und gehe sofort wieder los, weil ich mich für die Siesta mit kalten Wasser und ner Cola rüsten will. Als ich verschwitzt über das Resto das Haus verlassen will, sehe ich, wie einer alten Frau eine Linsensuppe gebracht wird. Ich rieche das Linsige, aber auch Knoblauch und Piementos und weil nichts so alt ist, wie die Idee von eben, hocke ich im Resto und esse eine Linsensuppe bei 25Grad, die was von Sommer und Süden hat. Großartig. Ich kauf mir noch ne Flasche Wasser an der Theke, gehe hoch und bin um.
Gegen Sechs guck ich mir mal das Örtchen an und finde trotz eines ja großkotzigen Namens eine schützenswerte Pilgerbutze, weil die hier anscheinend seit 500 Jahren nur Leute beherbergen und verpflegen. Auch gut, aber langweilig. Außer du hast einen guten Platz in einer schattigen Bar und kannst weitere Feldforschung zum Thema „Wer pilgert denn da alles rum?“ betreiben. Den Platz hatte ich und meinen Spaß hatte ich auch. Die Forschungsergebnisse: Ich habe Joy Fleming auf dem Camino gesehen, mittags völlig durch die Hecke und sich nur noch millimeterweise bewegend, abends mit Stirnband die Mähne bändigend, geschminkt und ganz in Schwarz, aber in schillernden Flipflops mit Absatz, wie auch sonst. Das war nicht wirklich Joy Fleming, aber genau dieser schillernde Typ. Daneben aber eben auch der Typ Frau mit immer schlechter Laune. In den 50 Jahren Leben viel gelernt, auch deshalb schlechte Laune und sie will jetzt n Tee, genau wie daheim. Natürlich bandagiert, aber das Ding wird durchgezogen und am kommenden Montag wieder mit schlechter Laune Sozialarbeit gemacht oder in der Druckerei geschafft oder ist auch egal. Hauptsache Berlin oder Hamburg. Die Typen sind langweiliger, weil eh alle Helden. Aber es gibt welche, die -ich rede jetzt mal von Typen in meinem Alter- zeigen müssen, wie fit sie immer noch sind (Typ 1, viele Radfahrer und die Wanderer eher ohne Sonnenhut, eher mit Bandana.) oder die Combo (Typ 2, eher zu Fuß unterwegs, zusammen mit Kumpels), die zeigen wollen, daß, sie immer noch rebel sind, wozu in dem meisten Fällen ein nerdiges T-Shirt herhalten muß, was der internetaffine Organisator der Veranstaltung gleich für alle bestellt hat, natürlich in der Funktionsshirt-Ausführung. Der Typ, der heute auf dem Weg mit einem ausgewaschenen Ramones-TShirt unterwegs war und sich über mein GabbaGabbaHeyHey sichtlich freute – wir ballten auf jeden Fall beide mal die Faust und rissen sie nach oben – war da echt eine erwähnenswerte Ausnahme. Die jungen Leute laufen außer Konkurrenz. Das ist Sommer, Urlaub. Irgendwie wie Interrail zu Fuß und das sei Ihnen gegönnt. Obwohl ich auch da das Gefühl habe, daß Deppentum sich schon in frühen Jahren zeigt.
Sei es drum. Ich hocke jetzt wieder im Comidor der Unterkunft, habe hervorragende Hausmannskost serviert bekommen. Wieder eine Suppe, diesmal eine Möhrensuppe mit Lauch, Zwiebeln, Kartoffeln und Kräutern, die der Süße der Möhren einen Kontrapunkt setzten und ein großartiges Kotelett mit Patatas. Danach und das war für mich eine Premiere, als Nachtisch einen Obstteller. Und so hatte ich Gelegenheit den Albariño -der halbe Liter, der das Menü begleitete- mal mit Obst zu probieren. Habe ich noch mit keinem Wein gemacht. Vielleicht ist das doof, weil das hier Spaß gemacht hat. Banane, Nektarine und Orange mit einem Weißwein zu untermalen. Interessant, wobei das Herbe der Bananas de Canaria, am besten harmonierte.
Jetzt sitz ich immer noch hier und während ich schreibe findet sich die Wirtsfamilie zum Abendessen zusammen. Das ist schön, wie die Generationen da um den Tisch hocken, den Tag nachbereiten, sich um die ganz Kleinen kümmern und das Essen genießen. Dabei läuft natürlich die ganze Zeit der Fernseher. Es ist also nicht die heilige Familie, sondern ein Haufen Leute, die von diesem Haus und einem Weinberg leben. Das mit dem Weinberg hab ich eben mitbekommen, weil da plötzlich ein Glas Tinto vor mir stand. Ein Geschenk des Hauses. Ja, dann trink ich das jetzt mal ganz gemütlich und starre auf den Fernseher…