ein Siegerländer Blick auf die Transformation der Automobilindustrie

Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit mit mir alleine verbracht und mir Gedanken zu den Parallelen zwischen meinen beruflichen Anfängen und der Situation, in der ich als Beschäftigter in der Automobilindustrie aktuell stehe, gemacht. Aus diesen Selbstgesprächen ist ein Interview mit mir selber geworden:

Klaus, du kommst aus dem Siegerland. Kannst du uns ein wenig über die Region erzählen?

Klar, das mach ich gerne. Das Siegerland liegt im Dreiländereck zwischen NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz und war bis 1964 eines der größten Erzbergbaureviere in Westeuropa. Diese Geschichte endete, als 1964 die letzte Grube schloss. Danach hat sich dann der Schwerpunkt Richtung Verhüttung und Stahlverarbeitung verlagert, die vorher auch schon im Siegtal angesiedelt waren. So sind heute noch, wenn du durchs Siegtal fährt, die großen Stahlwerke zu sehen, wo aber längst nicht mehr so viele Menschen arbeiten, wie noch in den 80er Jahren.

Wieso arbeiten denn da weniger Menschen als früher? Stahl ist doch immer noch wichtig.

In den 90er Jahren geriet die Stahlindustrie von verschiedenen Seiten aus unter Druck: Da waren zunächst neue Technologien, die auch kleinere Stahlwerke mit weniger Tonnage rentabel machten. Diese kleineren Werke zeichneten sich dann auch noch durch höhere Flexibilität aus. Hinzu kam das auch die Minen in Finnland und Schweden nicht mehr so ergiebig waren und die Förderung des Erzes immer teurer wurde. Schlussendlich kamen dann auch neue Wettbewerber auf den Markt und die ersten asiatischen Anbieter aus Indien und China lieferten nach Europa.

Das klingt ziemlich nach den Herausforderungen, vor denen auch die deutsche Automobilindustrie steht. Wie ist es denn im Siegerland dann weitergegangen?

In den 90er Jahren war der Arbeitsplatzabbau in der Stahlindustrie unvermeidbar, weil der technologische Fortschritt das nun mal so mit sich bringt, auch wenn die Region, die Gewerkschaften bis hin zu Schüler*innen und Studierenden dagegen gekämpft haben. Dieser Kampf war aber nur die eine Seite der Auseinandersetzung. In den Stahlwerken haben Betriebsräte und Management an Zukunftslösungen gefeilt, die etwa in Spezialstählen und anderen neuen Produkten gesehen wurde. Daneben wurde auf regionaler Ebene an einem neuen industriellen Schwerpunkt gearbeitet und so wurde aus einem konzerngeprägten Stahlstandort ein starker Standort klein- und mittelständischen Maschinenbaus, der sich zum großen Teil aus den Zulieferern der Stahlwerke herausentwickelte. Schlussendlich haben Industrie und Region dann auch daran gearbeitet mit einer gut ausgebauten Bildungslandschaft von der beruflichen Weiterbildung bis hin zur Universität die Qualifizierung der Beschäftigten sicherzustellen.

Das klingt gut. Du arbeitest jetzt seit mehr als 20 Jahren in der Automobilindustrie. Wie siehst du die Situation denn vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die du in deiner Heimat gemacht hast?

Die Ausgangslage ist sicherlich ähnlich:

  1. Mit der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und der Digitalisierung im Produkt wie in den Arbeitsprozessen haben wir einen technologischen Fortschritt erreicht, der uns zwingt Arbeit anders zu organisieren. Hinzu kommt das wir mit sinkenden Stückzahlen umgehen lernen müssen, weil viel mehr als früher, vor Ort in den Zielmärkten produziert werden muss.
  2. Mit dem Ende der billigen Energie aus Russland und dem Ende der billigen Rohstoffe im Allgemeinen stehen unsere Produkte und Herstellprozesse unter ungeheurem Kostendruck, den wir irgendwie abbilden müssen.
  3. Der Wettbewerb in der Automobilindustrie wird größer und neue Anbieter drängen auf den Markt.

Von daher macht es schon Sinn sich genau anzuschauen, wie dieser Strukturwandel in anderen Branchen und Regionen erfolgreich bewältigt wurde. Die Automobilindustrie hat keine Ewigkeitsgarantie.

Klaus, zum Schluß die Frage aller Fragen: Was tun?

Das ist zunächst eine Frage wo wir überall ansetzen müssen: Wir müssen das in den Fabriken und Büros, genau wie in den Konzernstrukturen tun. Und schlussendlich sind wir auch in den Regionen gefordert, weil wir vieles, aber nicht alles als Unternehmen gestalten können.

Als Standorte müssen wir die Prozesse angucken und gnadenlos entschlacken: Hier ist vielerorts in den letzten Jahren ein Abstimmungsaufwand entstanden, der genauso wenig bringt, wie die Menge unterschiedlichster Reportings, die Mitarbeitende genauso binden wie Führungskräfte und sie von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten. Wir müssen die Entscheidung dahin geben, wo die Kompetenz ist!
Gleichzeitig müssen wir die Produktportfolios nochmal ganz genau anschauen. Ich werde nie vergessen, wie es z.B. 2016 bei ZF in Schweinfurt hieß: Der Dämpfer muss weg. Heute haben die dort gelernt, wie wichtig die Kolbenstange und die Ventile als Teil der Dämpfer für die Wertschöpfung sind und die Kompetenz dafür in Schweinfurt liegt. Das war ein längerer Prozess, aber er hat sich gelohnt, weil es heute noch jede Menge Menschen gibt, die in dem Produktsegment Arbeit haben!

In den Konzernen müssen wir darum kämpfen, die Spielräume der Standorte möglichst groß zu halten und dafür zu sorgen, dass die Overheadstrukturen kein Eigenleben entfalten und nur um sich selber kreisen. Das gilt insbesondere auch für die Arbeitsteilung zwischen den Hierarchieebenen. Hier drängt sich manchmal der Eindruck auf, dass da nicht alles so klar ist, wie es sein sollte.

In der Region muss es darum gehen, die klein- und mittelständische Lieferantenstruktur mitzuentwickeln, was die oft nicht aus eigener Kraft leisten können. Gleichzeitig muss die regionale Infrastruktur, insbesondere was Digitalisierung angeht, vorangebracht werden. Funklöcher sind standortschädlich!
Daneben muss auch die regionale Vermarktung als Industrie- und Innovationsregion weiterentwickelt werden. Und schlussendlich muss die regionale Bildungs- und Weiterbildungslandschaft an die großen Veränderungen angepasst werden, die wir vor der Brust haben, bzw. die wir derzeit konkret erleben.

Und was kann die IG Metall da tun?

Eine alte Chefin von mir hat mal gesagt: Die Strukturpolitik der Region beginnt in den Wirtschaftsausschüssen der Unternehmen. Die IG Metall ist die einzige Organisation, die diese Arbeit mit ihren Mitgliedern in den Wirtschaftsausschüssen und als regionaler Akteur in Sachen Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik, etwa auch in den Verwaltungsausschüssen der Agentur für Arbeit, koordiniert entwickeln kann und daraus sowohl betrieblich als auch regional eine Politik für gute Arbeit und sichere Arbeitsplätze ableiten kann! Ich weiß, dass das ein Sack voll Arbeit ist, aber: Wer, wenn nicht wir!

Klaus, danke für dieses Interview.