Ich bin einfach liegengeblieben. Es ist kein langer Wandertag und kein rat race um eine Unterkunft, weil ich reserviert habe. So what? Außerdem war das gestern ein langer Abend. Es war warm und nachdem ich mit dem Essen fertig war, machte sich das ganze Städtchen auf, um ins Wochenende zu starten. Es war ein Heidenspaß, dabei zuzusehen und da ich einen guten Platz hatte, gab es auch genug zu gucken. Es wurde Mitternacht und das Treiben nahm kein Ende, aber ich hab mich dann verabschiedet, weil ich ja heute eben doch was vor habe. Knapp fünf Stunden in sanftem Bergauf bevor es morgen die Überschreitung nach Galizien gibt. Die will ich gerne am späten Vormittag erleben, wegen Frühnebel und so.
Nach einer Stunde gehen, schreit mein Körper nach Cafe con Leche und Orangensaft. Also kehre ich in der nächsten Bar ein und gebe dem Schreihals wonach er verlangt. Danach geht es weiter, etwas dumpfbackig neben einer Nationalstraße, was mir aber recht ist. Ich hänge meinen Gedanken nach. Meine Mutter wäre heute 76 geworden, was sie aber leider nicht mehr erleben kann. Wie immer geht mir dieses „Solang du noch eine Mutter hast, so danke Gott dafür…“ durch den Kopf und ich summe es vor mich hin. Ich denke auch, was sie mit ihrer Arbeitsmoral zu dieser Auszeit gesagt hätte und warum ich bei jedem getapten Mitwanderer denke, daß er sich nicht so anstellen soll. Daß man sich nicht anstellen, sondern durchbeißen, wegstecken, funktionieren und wenig Rücksicht auf sich selber nehmen soll, habe ich von ihr. Naja, andererseits denke ich, hätte Sie sich sehr gefreut, daß ich meine Träume verwirklichen kann, weil das Ihr leider verwehrt blieb. Mama, ich laufe auch für dich!
Das alles wird begleitet von einer zunehmend grüner werdenden Landschaft, mit enger werdenden Tälern und höher werdenden Bergen. Überwältigend schön. Aber der Weg ist halt keine touristische Erfindung, sondern ein alter Pilgerweg, weshalb natürlich auch heute die Verkehrsströme denselben Weg nehmen, nämlich den des geringsten Aufwands. Deshalb wird diese großartige Landschaft und dieser uralte Weg mittlerweile mit einer Autobahn und einer Nationalstraße geteilt. Gibt es eigentlich eine Geschichte der Handelswege? Warum habe ich auch in Deutschland das Gefühl, die Bundesstraßen und Autobahnen verbinden immer noch die Hanse und ander mittelalterlichen Bünde? Warum stehe ich auf der A3 vor Würzburg im selben Stau den schon Goethe auf seiner Italienreise beklagte? So lande ich wieder bei einem Logistikthema, was mir mittlerweile echt am Herzen liegt.
Dann passiert noch eine ganz komische Geschichte. Ich komme durch einen Ort und sehe, kurzsichtigerweise, einen alten Mann die Straße überqueren, tüttelig sein Taschentuch rausholend und schneuzen. Der hat auch nicht mehr alle Kaninchen im Stall, denke ich noch und gehe an im vorbei. Auf der Straße liegt ein Bündel Fünfziger. Uppsa, da hat der alte Mann wohl sein Taschengeld verloren. Ich hebe also die Kohle auf und laufe ihm hinterher. Und der hat wirklichlich nicht mehr alle Kerzen am Baum. Guckt mich an und faselt, was ich den wolle und wie er denn an das Geld gekommen sein soll. Ich bin heilfroh, als ein Auto hält und der leicht übergewichtige Kommunalpolitiker (Muß so einer sein. Eigentlich zu jung, um schon so alt auszusehen und zu checkerig, um nur hilfsbereit zu sein.) die Sache in die Hand nimmt. Bei mir bedankt er sich und führt eigenhändig den Alten und die Kohle in Richtung Familie, hoffe ich. Ich gehe weiter und hoffe, daß es bei mir nie so weit kommt.
Dann ist der Zielort irgendwann erreicht und ich freue mich wirklich gut untergekommen zu sein. Mit Restaurant im Haus, das mit lobender Erwähnung in der Lokalpresse wirbt. Da weiß ich doch, wo es heute abend hingeht. Ein wenig Wäsche gewaschen, selber geduscht, gelesen, geduckelt, nachgedacht und telefoniert. Dann eine Runde durchs Dörfchen gedreht und um halb Acht mit einem Mordskohldampf endlich ins Restaurant. Lalala, war das gut. Vorneweg eine Empanada, gefüllt mit Muscheln, Langostinos und Porree. Danach Kurzgebratenes vom iberischen Schwein, dem wo dieser jamon Iberico raus gemacht wird, mit Bratkartoffeln, die 50:50 von Gemüsezwiebeln begleitet wurden und einem tollen Olivenöl. Zum Niederknien. So schlicht und so gut. Der Nachtisch bestand aus einer Lecha Cocida, also Panna Cotta, einer Trilogie von Schokolade und einem Stück Kaffeesahne auf Bisquit. Wie schön. Zum ganzen Menü ein halber Liter junger Rotwein aus der Mencia-Traube. Der Gute hat zu allen drei Gängen eine gute Figur gemacht, wenn ich auch das Dessert eher an einem Cafe Solo vorbeirutschen habe lassen. Boah, war das gut. So gestärkt kann ich doch morgen über die Berge nach Galicien gehen und nächsten Samstag bin ich in Santiago! Alerta.