82. Etappe: Los Arcos – Logroño

Am Morgen geht es früh los, weil 29km zu bewältigen sind, aber wider Erwarten sind nicht viele Wanderer unterwegs. Mir solls recht sein. Es ist auch etwas kühler wie gestern und bewölkt hat es sich auch. Zum Wandern ist es also recht angenehm. Heute geht es von Navarra nach Rioja, dem wohl bekanntesten Anbaugebiet Spaniens. Zielort ist Logroño, die Hauptstadt der Region und Universitätsstadt. Ich werde zwei Nächte dort bleiben, weil ich mir die Stadt seit der Lektüre eines Weinkrimis, der dort spielte, recht interessant vorstelle. Außerdem gilt es auch auf der Spur weißer Trauben zu bleiben, die mit Hitze umgehen können, weil unser deutsches Portfolio von Riesling bis Silvaner ja bei hohen Temperaturen richtig Stress kriegt und da ich denke, daß es im Klimawandel zu Perioden mit hohen Temperaturen und großer Trockenheit kommen wird, gilt es schonmal nach Alternativen Ausschau zu halten. Unterstützung werde ich von einem Freund und Kollegen erhalten, den es nach seiner Verrentung Richtung Spanien gezogen hat.

Aber zunächst geht es durch Weinberge, Felder und Wäldchen flott voran. Zwei Einkehrschwünge für den Mineralienhaushalt führen zu einer echt miesen Erfahrung. Beim zweiten Boxenstopp war mir nach einem Mineralwasser mit Blubb. Dieses stille Wasser aus dem Hahn hängt mir nämlich allmählich zum Hals raus. Und bei dem Straßenverkauf mit Sitzgelegenheit entdecke ich ein Dose auf der was mit Aqua und con Gas steht. Gekauft. Aufgerissen und an den Hals damit. Aber so schnell wie ich die Dose wieder abgestellt habe, habe ich lange nichts mehr abgestellt. Das reinste Zuckerwasser. Ich hatte irgend so einen halbseidenen Energydrink erwischt. Bah, schmeckt das eklig. Da lob ich mir doch Coca-Cola, eiskalt, zumindest hier auf dem Weg. Ich hoffe nämlich, daß sich mein Softdrink-Konsum zuhause wieder runterfahren lässt. Zur Zeit ist mein Kalorienumsatz so, daß ich das verkrafte, vor allem weil ich tagsüber eigentlich auf feste Nahrung verzichte, mal hie und da ein Pintcho, aber das zählt ja nicht. Ab Oktober sitze ich aber wieder an einem Schreibtisch oder sonstwo. Da wäre das fatal. Naja, wird schon klappen, gibt ja dann wieder Mineralwasser mit Blubb.

Mit solch schwergewichtigen Gedanken nähere ich mich Logroño und sehe mal wieder Industrie, produzierendes Gewerbe, was mich echt freut. Es ist natürlich nicht wirklich lauschig durch ein Industriegebiet zu wandern, aber es fühlt sich gut an. Danach geht es bergab durch eine kleine Straße Richtung Innenstadt an der ein ganz besonderer Verkaufsstand Getränke und Souvenirs anbietet. Vor einem kleinen Häuschen sitzt eine alte Frau, die sich mit diesem Stand finanziert, so wie das schon ihre Mutter gemacht hat, die schon 2002 gestorben ist und der mit einer Tafel am Haus gedacht wird. Das wirkt alles mächtig sympathisch und ich beschließe die 29km in sieben Stunden mit einem San Miguel.

Danach geht es in die Unterkunft, duschen und ruhen und los. Zum Busbahnhof, meinen Freund abholen, der aber erst morgen um die gleiche Zeit kommen wird. Stellen wir telefonisch fest. Da haben wir uns wohl mißverstanden. Naja, ziehe ich halt alleine los. Ab in die Altstadt. Menschen, Bars und Läden. Der abendliche Corso beginnt langsam. Man flaniert durch die Gassen, trinkt hier ein Glas, nimmt da ein Pintcho und geht weiter, trifft sich auf einen kurzen Plausch. Alles geht schrecklich laut zu und ich bin nach vier Pintchos satt. Pappsatt. Schön finde ich, daß die zum Pintcho immer nur ein Schlückchen Wein ausschenken und keinen Schoppen, sonst wäre der Abend schnell vorbei. So kann ich weiter cruisen und eintauchen. Ab 21.00h öffnen dann die Restaurants und die Pintchos werden abgeräumt, bzw. nicht mehr nachgefüllt und dann gehen die Leute noch richtig Essen. Das ist der Hammer. Naja, ich hab genug gesehen und geh schlafen.

Morgens schlafe ich aus, ignoriere das Frühstück im Hotel und beziehe einen guten Platz in einem Marktcafe, bestelle Cafe con Leche und Zumo de Narañja und beginne den gestrigen Tag festzuhalten. Diese Kaffeehäuser haben einfach eine tolle Ausstrahlung. Businesspeople und Marktfrauen, die Chicas aus den Boutiquen, die erst um zehn öffnen und Bauarbeiter, die schon um sieben angefangen haben und eine Kaffeepause machen. Mittendrin ich, also weniger mittendrin als in einer Ecke mit guter Übersicht. Schön. Nachdem das Schreiben und Sitzen und Gucken rum ist, wird es auch Zeit zum Busbahnhof zu gehen und den Claus abzuholen, der sich extra meinetwegen auf den Weg aus Donostia hierher gemacht, wo er im Ruhestand seine Zelte aufgeschlagen hat. Ich freue mich und der Bus ist pünktlich. Herzliches Hallo. Nachdem wir sein Gepäck in meinem Zimmer verstaut haben, gehen wir erstmal nen Kaffee trinken, dann am Ebro spazieren, um dann quer durch die Stadt zu laufen. Es gibt zu erzählen und zu diskutieren, nachzufragen, gemeinsam zu beleuchten, was mir nach all den Wochen seit dem Burgund, wo ich alleine unterwegs bin, richtig gut tut. Irgendwann werden wir hungrig und essen eine Kleinigkeit, bevor es weitergeht.

Dann kann Claus in seinem Hotel einchecken, was er dann auch tut und wir wenden uns den angenehmen Dingen des Lebens zu. Eine Weinbar mit einem guten Überblick ist in der Altstadt schnell gefunden und wir fangen bei den einfachen Weinen an. Dazwischen immer wieder ein Pintcho oder Tapas, wie die hier auch schon heißen. Wir führen weiter Gespräche über die Rettung der Welt und merken, daß uns ein junger Kerl die ganze Zeit schon mit zunehmender Aufmerksamkeit zuhört. Wir fragen nach und er entpuppt sich als wiss. Mitarbeiter an der Uni Birmingham, der dort Sozialarbeiter ausbildet und kurz drauf diskutieren wir zu dritt die Rettung der Welt aus der Perspektive der Sozialarbeit im Europa der leeren Dörfer und der überforderten Metropolen. Das ist sehr interessant, weil der Kollege, der übrigens wegen seiner Oma aus Hannover ganz gutes Deutsch spricht, eben auch die methodischen und qualitativen Ansätze einer Sozialarbeit im 21. Jahrhundert und deren strukturellen Rahmenbedingungen einbringt. Gemeinwesenarbeit mit einer einzigen Planstelle wird eben schwierig und schon entsteht Migrationsdruck vom Land in die Stadt, weil nur dort adäquat geholfen werden kann. Es ist ein fulminanter Abend, der mich an beste Studienzeiten erinnerte, wo wir auf theoretisch hohem Niveau die neuen Welten auf einen Bierdeckel brachten, oder ein Flugblatt oder einen Artikel. Zwischendurch spielt auch noch ein Japaner mit, der eine Woche auf dem Camino verbracht hat und seinen letzten Abend feierte. Das konnte er mit einem japanischen Pintcho, weil der Wirt der Kneipe eine japanische Freundin hat, die ihm das Rezept gedrückt hat. Deshalb also mitten in einer Weinbar in Logroño Sushi und ein Japaner, der sich freut. Ich find das schon großartig, das es einen Schlag junger Leute gibt, die echterdings als international zu bezeichnen sind und viel reisen und hoffentlich den Anderen, die höchstens Urlaub machen, beibringen, daß Nation ein Konstrukt ist und wir alle Menschen.

Als es dann aber immer mehr Under30 wurde, haben Claus und Klaus sich verzogen. Wir sind dann in einer Sidreria etwas außerhalb der Partyzone eingecheckt und haben den Wein erstmal mit Sidra neutralisiert, bevor wir -einer Empfehlung der Wirtin folgend- noch Essen gingen. Der Geheimtip entpuppte sich als das Teil, wo alle Vertriebler ihre Kunden zum Essen hinzerren, weils da soooo authentisch ist. Seis drum. Essen lecker. Es gab was zum lästern und wir hatten weiterhin unseren Spaß. Weil man aufhören soll, wenn es am Schönsten ist, gings nach einer herzlichen Verabschiedung dann in die jeweilige Unterkunft. Ein schöner Tag und Logroño war genau der richtige Ort. Super-Weine, coole Bars, nette Leute und Universitäts-/Verwaltungsstadt, also fast wie Würzburg! ☺

  

81. Etappe: Estella/Lizarra – Los Arcos

Das war trotz bestem Wetter einer der schwärzesten Tage auf der Tour. Dabei hatte alles positiv angefangen. Das Zelt war völlig trocken, nicht ein Fitzelchen Tau, so daß der Abbau zügig voranging und ich rasch abmarschbereit war. Vorher noch in der Camping-Bar einen Cafe con Leche und Orangensaft. Und los gings. Ein paar Meter hinter dem Campingplatz fiel mir dann auf, daß ich meinen Wanderhut gar nicht aufhatte. Und auch den ganzen Morgen noch nicht aufhatte, wie die letzten anderthalb Tage. Choder. Also zurück. Alles nochmal ausgepackt, selbst das Zelt und geguckt. Nüschte. An der Rezeption und in der Bar gefragt, ob jemand n Wanderhut gefunden hat. Ebenfalls negativ. Ich war mir aber todsicher am Freitag mit Hut eingecheckt zu sein und den am Samstag auch noch im Zelt gesehen zu haben. Zur Stadtbesichtigung und auf dem Platz habe ich ihn nicht getragen. Ich muß mich wohl damit abfinden, daß sich der treue Begleiter selbständig gemacht hat. Und das macht mich richtig traurig, weil mich das Teil über die Alpen, den Rennsteig und wo weiß ich noch, begleitet hat. Ich bin genervt und stapfe los. Weitergehen muß es ja. Nach zehn Minuten merke ich, daß es ohne Sonnenschutz qua Hut gar nicht geht.

Woher nehmen? Ersatz für diese schmucke Kopfbedeckung zu finden wird reichlich schwierig und außerdem hilf auch keine Meditation zum Fetischcharakter der Ware und sonstige Rationalisierung. Ich bin traurig, daß das Teil weg ist. Ich habe es gern gehabt. Das ist doof, weiß ich, aber ich kann da gerade nix machen. Auf dem Weg durch Estella hat eine Camino-Boutique schon geöffnet, aber die Wanderhüte sind alle mit Camino-Emblem und völlig daneben. Also weiter. Und wieder mal erweist sich eine subkulturelle Vergangenheit als echte Überlebenshilfe. Eine große 24h-Tankstelle kommt in Sichtweise, und wer an diesen Konsumtempeln nicht nur getankt hat, sondern auch das Sortiment im Auge hat, weiß, daß sich dort alles findet, was man im zumeist urbanen Dschungel braucht. Halleluja. Ich betrete den Laden und sehe, das es einige Sonnenhüte gibt. Darunter auch einen, der halbwegs geht. Halbwegs. Acht Euro abgedrückt und dem Hitzetod durch Sonnenstich entronnen. Prima. Meine Laune bessert sich millimeterweise. Ich begieße dIe Neuerwerbung mit einer eiskalten Cola, ebenfalls von der Tanke und beruhige mich weiter, indem ich google, ob es den meinen alten Hut noch im Sortiment gibt. Der ist bzw. war nämlich von einem Markenhersteller aus dem Hutfachgeschäft. Und siehe da. Natürlich gibt es den noch. Dann gibt es im Oktober einen Neuen und die untreue Tomate soll woanders glücklich werden.

Nun rückt langsam diese fantastische Landschaft wieder in den Vordergrund, die sich je weiter ich nach Westen gehe, immer sanfter darstellt. Das Raue der Berge weicht geschwungenen Hügeln und die Farben wirken im Zusammenspiel von Sonnenschein und klarer Sicht noch intensiver. Bei Villamayor de Montjardin gibt es nochmal einen Aufstieg, der mit einer fantastischen Panoramasicht belohnt wird. Das ist hier wirklich ein herrlicher Fleck Erde.

Am späten Nachmittag erreiche ich Los Arcos, einen kleinen Ort mit einem schönen Marktplatz für die Touristen und einem Nebenplatz, wo sich die Einheimischen tummeln. Ich beziehe aber erstmal die Unterkunft und mache Siesta. Die laufen mir schon nicht weg. Als ich abends los will, informiere ich mich beim überaus netten Rezeptionisten nach einem authentischen Restaurant und er bedauert überaus, daß sein Favorit Sonntags zu hat. Ich auch. So geht es also Richtung Marktplatz, wo ich kurz mit einem Engländer und seiner mexikanischen Lebensgefährtin plaudere, die ich vor ein paar Tagen schonmal kurz gesprochen habe und den schweizer Maroniverkäufer treffe ich auch wieder. Irgendwie kann man sich auf diesem Weg schlecht aus dem Weg gehen, aber ich will schon zusehen, daß da nix zu eng wird. Was da die Camino-Gerüchteküche von Dramen zu erzählen weiß, die nach Trennungen von Leuten passieren, die nur drei Tage zusammen gelaufen sind, ist der Hammer. Naja, neben Selbstoptimierern und Studis aus aller Welt sind eben auch sackweise Leute unterwegs, die schonmal zum Töpfern in der Toskana waren oder andere Angebote aus dem Markt der Lebenshilfe ausgeschöpft haben. Und da kann es halt schonmal anstrengend werden. Deshalb heißt es von meiner Seite aus weiterhin: vornehme Zurückhaltung bis hin zur blassierten Distanz!

Ich hock mich aber zum Maroni-Dealer und esse mit ihm zu Abend, was Salat, Pommes, Hühnchen heißt, Mich ziehts dann auch rasch auf die Stube. Ein EM-Endspiel im public viewing brauche ich heute abend nicht. Ich gehe also und beschließe den Abend mit einem nicht ganz freiwilligen Gedanken an den Hut… Oh Fetischcharakter der Ware. Blöd.

80. Etappe: Puente-la-Reina – Estella/Lizarra

Nach dem langen Marsch und San Fermin gestern, gings heute gemächlich los, vor allem auch, weil sich das Frühstück, nach vielen Wochen petit dejeuner fast üppig ausnahm. Gekochter und roher Schinken, regionale Käse, Rührei und Würschtle, sowie Speck, Joghurts und Obstsalat, sowie frisch gepresster Orangensaft. Dazu Brot und Süßgebäck, sowie das übliche Marmeladen-Plastikzeigsl. Und ich habs probiert. Hab mir gesagt, mal wieder frühstücken. Toll. Nix. Ich hab zwar alles mal probiert, aber das die Lust am üppigen Frühstück zurückgekehrt wäre, kann ich nicht sagen. Mal gucken, wie das daheim wird.

Nachdem ich gestern nur noch bis zum Ortseingang gekommen bin, guck ich mir das Städtchen heute genauer an. Schön. Pittoresk. Hier ein Foto, da ein Bild und dann will ich auch schon weiter. Hinaus in diese Landschaft, die mir so nahe scheint. Ich summe Lieder des spanischen Bürgerkriegs und schreite voran. Alte Dörfer, auf Hügeln als Wehrdörfer gebaut, sind einladend und wirken wie aus der Zeit gefallen. Naja, auch hier ist die Zeit nicht stehengeblieben und ich werde bei der Einkehr mit Hallo begrüßt. Der Typ sieht aus wie ein hängengebliebener Deutscher, aber er winkt ab und sagt nur: „Deuter – Aleman“. Weiß ich das also auch. 

Als der Weg weiter Richtung Estella geht, aber ein Wegweißer nach links auf den Camping hinweist und die Nachfrage bei googles ergibt, daß es zum Camping schlappe 900m sind, gehe ich links. Hoch die Hände, Wochenende. Ein vier Sterne-Campingplatz mit Bar und Restaurant und Piscine und Waschmaschine und Lädchen. Herz, was willst du mehr? Das Ding ist so ein richtiger Platz, wie er auch an der Bigge stehen könnte. Viele Stammgäste mit Jahresverträgen und das bißchen Kroppzeug an Einmal-Übernachtern kriegen wir auch verarztet. Ich also Kroppzeug und deshalb Platz P28. Naja, egal. Zelt aufgebaut, Wäsche gewaschen und das Schwimmbecken angeschaut. Danach wieder zum Zelt, einfach mal dumm geguckt und dabei eingeschlafen. Macht man eh zu selten, dumm gucken. Einschlafen geht ja meistens.

Irgendwann kriege ich Hunger und ziehe mich mal abendtauglich an. Dann gehe ich in den Bar/Restaurantbereich des Campings und muß mir klar werden, daß ich in Spanien bin. Vor 20:30h keine warme Küche. Oh my God, ich werde verhungern. Oder wie anscheinend alle anderen Menschen auf diesem Platz die Zeit zwischen sieben und halbneun mit Chipsen und Nüssen verbringen. Nüsse und Sidra. Als Aperitiv muß das schicken. Als ich um Punkt halbneun nach der Speisekarte frage, kriege ich die auch und wähle. Tja, dann müßte ich wohl ins Restaurant. Dazu zückt der Kollege einen Schlüsselbund und schließt mir die Tür auf. Dann hockt ich da, in einem Resto für gut 150 Leute, alleine an einer Glasscheibe und werde das Gefühl nicht los, daß alle Leute auf der anderen Seite chipsessender Weise denken: „Oh guck mal, der arme Kerl, der ißt so früh, wie will der denn durch die Nacht kommen.“ Mir eigentlich egal, aber da ich nun noch fast zwei Monate hier bin, muß ich mir da wohl was einfallen lassen. Naja, und morgen ist ein neuer Tag und ich bleibe eh hier, weil ich ja gestern diese Doppeletappe hingelegt habe und am Montag in Logrono verabredet bin. Deshalb geht es hier erst Sonntag weiter.

Und jetzt werde ich den Teufel tun und schon ins Bett gehen. Ich will wissen, wie das gleich im Speisessaal aussieht. Im Fernsehen läuft ein Pelota-Tounier, was wohl auch zu San Fermin gehört und ähnlich wie beim Rugby sehe ich keine Regeln, aber die CamperInnen wissen Bescheid. Gegen halb elf betreten die letzten Leute das Resto und bestellen mit großer Selbstverständlichkeit ihre Raciones. Bewundernswert. Bewundernswert auch deshalb, weil ich mich nun drauf einstelle, daß hier vor halb zwei kein Schlaf zu finden sein wird. Pustekuchen. Ab halb zwölf liegt alles in der Pofe oder ist zumindest so leise, daß es mich nicht stört.

Das verhilft mir zu einem langen Schlaf und Spaniens Himmel, der tatsächlich seine Sterne ausbreitet und es mal nicht regnet. Schön. Ich werde gegen halb acht wach, bleib aber noch liegen und gehe erst später frischgeduscht und rasiert zum Frühstück, das aus Cafe con Leche und Zumo de Naranja, also Orangensaft besteht. Dabei fällt mir auch auf, daß mir so ganz langsam die ein oder andere Vokabel wieder einfällt, die in den vielen Anläufen Spanisch zu lernen mal hängengeblieben sind. Das ist schön, macht es doch das Leben hier leichter, wenn ich den Service nicht mit der Frage nach Mangare nerve, sondern nach Comida frage. Auf jeden Fall guckt der nicht mehr ganz so unverständig. Naja, seitdem ich im Freistaat wohne, ziehts mich eher über den Brenner, während in Siegen Frankreich/Spanien die Ziele der Wahl waren. Das ist ja im Prinzip auch richtig so. Wenn es nur um Urlaub geht, sollte man sich bei der Anreise keinen Stress machen und ressourceneffizient reisen. Fliegen geht eh eigentlich gar nicht. Eigentlich.

Eh. Egal. Frühstück beendet und ab in die Stadt, deren Name ja an ihre strahlende Wirkung erinnert und die einer der ersten touristischen Coups an diesem Jakobsweg war. 1090 entschied sich nämlich der König von Navarra dazu den Jakobsweg ein wenig umzuleiten, ließ ein unangenehmes Kloster dadurch ausbluten, ließ eine Burg und eine prächtige Kirche bauen, siedelte Franzosen an (Sprachkompetenz… Man spricht deutsch, you know…) , und nahm die Steuern auf Übernachtung und Verköstigung gerne ein. Ich war deshalb schon sehr gespannt, welche Pracht mich da erwartet. Und tatsächlich stellte sich die Stadt auf der linken Seite des Rio Ega, wenn man denn auf dem Weg läuft, tatsächlich recht pittoresk und eindrucksvoll dar. Nett, hatte ich aber schon und als Ensemble auch schöner und in der Verbindung und Mittelalter und Moderne gelungener in Erinnerung. Um nämlich im 21. Jahrhundert anzukommen, muß ich den Fluß überqueren und das Gefühl, was mich vorher schon beschlichen hatte, verstärkte sich. Nämlich selbst auf der mittelalterlichen Seite der Ciutad waren viele Läden geschlossen, auf der modernen Seite ging das konsequent weiter. Also bin ich hin zum Tourist Office und hab gefragt, ob hier jetzt wegen San Fermin oder so alles zu hätte? Nönö, so ab 10Uhr wären die Geschäfte in der shopping zone schon offen. Ok. Ich also los, erstmal noch n Cafe getrunken und abgewartet, was passiert. Wenig. Ich sah zwar auch Leute in Tracht, die anscheinend Richtung Pamplona unterwegs waren, aber das Geschäft wollte sich nicht wirklich beleben. Bis mir das nette Schild auf einem Fischgeschäft den richtigen Tip gab. In Spanien sind nun auch Ferien.

Das merkte ich sehr intensiv, als ich nach einem Bier und ein paar Pintchos wieder auf dem Campingplatz eincheckte. Nachdem anscheinend gestern nur die Vorhut schonmal da war, kam heute der Rest der Corona. Überall großes Hallo und Reparatur- und Aufbauarbeiten, sowie ein vollständig belegter Swimmingpool. Ich fand das nett, aber irgendwann war es mir zuviel und ich verzupfte mich in meine Parzelle. Passte auch. Siesta. Isomatte ausm Zelt und den Krimi weiterlesen, bis einem die Augen zufallen. Als ich dann mit meiner Liebsten telefoniere, taucht ein Radfahrer auf, der auf Schwäbisch „Alemania“fragt. Ok, die Richtung nach Hause hätte ich im gerne gezeigt. Das ich am Telefonieren war, hat ihn nicht gestört, aber als er sein Fahrrad dann abstellte und begann den Platz auszumessen, musste ich auflegen. Was das denn werden solle? Ja hier wäre doch Platz. Ich hab dann die schwäbische Karte gezogen und gesagt, dess dess mei Parzelle wär für die i bezahlt hädd, und ich nicht wüßte, was er hier wollte. Ah. Parzellen. Richtig, die vergeben hier Parzellen. Sucht euch ne freie Parzelle und verpisst euch. Ich war echt geladen.

In dem Zusammenhang mal kurz ein paar Gedanken zu Kategorien, die mich nun schon länger begleiten. Es geht um vornehme Zurückhaltung und Umsichtigkeit. Vornehme Zurückhaltung ist eben mehr als sich beim Buffet den Teller nicht zu voll zu machen. Vornehme Zurückhaltung heißt auch, dem oder der anderen gute Gründe für sein Handeln zu unterstellen und wenn da jemand Waschsalon und Handtuch auf getrennte Haken hängt, dann ist halt kein Haken mehr frei. Oder wenn jemand seinen Rucksack dahin gestellt hat, stelle ich den nicht davor, weils ja dem oder der anderen dann schwieriger macht wieder an seinen Rucksack zu kommen. Mit dem Konzept vornehmer Zurückhaltung nehme ich also eher einen Nachteil in Kauf, als mich aufzudrängen. Das Vornehme an dieser Zurückhaltung kommt dabei nicht aus Demut, sondern aus dem Wissen um sich selber, seinem eigenen Wert. Umsicht ist etwas, was daraus folgt. Umsicht kommt von Umsehen, eine Situation in Gänze zu überblicken und in ihrer Komplexität zu verstehen, was eben auch heißen kann, jemand anders den Vortritt zu lassen oder jemandem zu sagen, wo er lang laufen soll. Das hat dann was mit Führung zu tun, was aber gerade nicht hier hin gehört.

Die haben sich dann auch anhand vor Rechnung und Lageplan davon überzeugen lassen, daß das so ist und sich ihre Parzelle gesucht. Schön. Die Campingplatzcrew macht es sich an der Stelle nämlich einfach. Soundsoviel freie Plätze, soundsoviel freie Camper. Platz voll. Wer da wo zeltet, kann denen ja auch egal sein. Niemals mehr messen, als gemessen werden muß. Ich war natürlich in meiner Siesta blöd unterbrochen und widmete mich deshalb meinem Nachmittagsprojekt. Geräte aufladen. Mit einem Zelt unterwegs zu sein, heißt nämlich immer nach ner Steckdose Ausschau halten. Und die gabs in der Campingbar ganz hinten, wo jemand ne Doppelsteckdose angebracht hatte, aber nur eine belegt war. Hatte ich morgens schon gesehen, der Platz war frei und ich dahin. Super. Weshalb der Platz frei war, wurde mir auch schnell klar. Das war der Pustepunkt der Klimaanlage, also leichter Wind von schräg oben.

Das war alles zu ertragen, hab ein wenig gelesen, ein wenig was geliked, als die Tür aufging und die beiden Schwaben die Bar betraten. So  und nu. Ich hab dann mal runtergeschaltet und Hallo gesagt, ob sie jetzt angekommen seien und sie haben ihrerseits drauf erwidert, das mit den Parzellen hättense nicht gecheckt. Und hab mich bei die gehockt und wir haben n Bier zusammen getrunken, die deutsche Form des Friedenschlusses. Nun ja, der Metzgermeister war nett und der distanzlose Typ war beim Daimler. Meiner vorhin dargelegten Wertschätzung für vornehme Zurückhaltung und Umsichtigkeit ist an der Stelle wenig hinzuzufügen, außer evtl. die bissig Bemerkung, daß die organisierte Arbeiterbewegung in Deutschland eben auch aus den Arbeiterbildungsvereinen und Lassalles ADAV entstanden ist. So. Basta.

Nachdem ich mich von den Beiden verabschiedet hatte und mich abendfein gemacht habe – lange Hose, halbwegs frisches Hemd und Haare gekämmt- wares auch schon halb Neun. Abendessenszeit. Heute mach ich nicht den Fehler im Restaurant essen zu wollen, sondern bestelle patatas bravas und ein bocadillo. Da ist jetzt wenig Salat bei, aber ich hab heute schon zwei Nektarinen gegessen. Gesunde Ernährung? 50 Punkte. Stimmung in der Kneipe? Unbezahlbar! Im Fernsehen läuft die San-Fermin-Berichterstattung, es gibt immer wieder Begrüßungsszenen von Nachbarn für sechs Wochen und Leute, die nach einer langen Anreise auch Bocadillos essen. Eben das pralle Leben. Das wiederum auch ein wenig distanzlos ist, aber ich habe ja mein Platz im Eck mit der Steckdose wieder ergattert und sitz hier schreibenderweise, während im Fernsehen jetzt ein Chorwettbewerb läuft. Alle in Tracht und die Kneipe kommentiert genauso lautstark, wie beim Stierrennen oder beim Pelota. Hm… Zeit ins Bett zu gehen. Heute verstehe ich das wohl nicht mehr…

79. Etappe: Zurinain – Puente-la-Reina

Ich war bereits um Viertel vor Acht Richtung Pamplona unterwegs, weils mit sechs Leuten in dem kleinen Zimmer nicht auszuhalten war. Pamplona wird der Mega-Boxenstopp auf der heutigen Etappe. In Pamplona wird nämlich jedes Jahr ab dem 6. Juli San Fermin gefeiert, weil das der Stadtpatron ist und heute haben wir den 7., also ist die Fiesta in vollem Gange. Ernest Hemingway hat mit seinem gleichnamigen Roman dieses Fest weltbekannt gemacht und für viele Amerikaner ist es ein must have einmal dabei gewesen zu sein. Ich dagegen war nicht scharf drauf mit den Stieren um die Wette zu rennen, weshalb ich gegen halb Zwölf, wenn die Rennerei gelaufen ist, in Pamplona eintrudeln will. Hab ich auch geschafft. Nach dreieinhalb Stunden bei bestem Wetter durch ein Meer von Beige und Brauntönen, die mit dem satten Grün von Weinbergen und Wäldern harmonieren, kam ich in die ersten Vororte. Ausgestorben. Alle Schotten dicht, nur hier und da hatte eine Bar auf und es huschten Männer und Frauen ganz in Weiß mit roten Halstuch und roten Gürtel durch die Gassen. Aufgeregt. Whole town in panic.

Dann passierte ich das Ortsschild unter dem ein ebenso großes Schild verkündete, daß die Stadt keine sexuelle Aggressionen toleriert. Sowas würde ich mir ja mal fürs Oktoberfest wünschen, wo man doch eher versucht alles kleinzureden und zu vertuschen, was an sexuellen Übergriffen bis bin zur Vergewaltigung so alles vorkommt, Jahr für Jahr. Da scheint Pamplona einen offensiveren Umgang mit dem Thema zu pflegen. Je näher ich dem Stadtzentrum kam, desto mehr Menschen sah ich in Tracht und desto häufiger war die baskische Fahne gehisst, politische Transparente über die Strasse gespannt und die Stadt entsprechend plakatiert. Ein reichlich großer Bierstand war mit ökologisch, antikapitalistisch und antisexistisch überschrieben. Ob der Stand so groß war, weil das komplette politische Programm dargestellt werden sollte, ob der ob das sich so ergeben hat, blieb unklar. Ist auch egal. Aber das so eine große Veranstaltung, ein Volksfest zur Bühne fortschrittlicher, gar linker Politik werden kann, ist schon ein Unicum der politischen Kultur im Baskenland. Vielleicht geht sowas noch in Rojave. Es war auf jeden Fall schön, das zu sehen. Und all die tanzenden und singenden Menschen, die sich auf den großen Festzeug freuten. Besoffene hab ich keine gesehen, obwohl alle n Bier, n Wein oder Sidra in den Händen hatten. Dem konnte ich mich nicht entziehen, stellte mich in einer Bar an die Thekr, bestellte ein Bier und habe die ersten Pinchos meiner Wanderung genossen. Kunstvoll geschichtete Leckereien mit allem Möglichen. Basis ist in der Regel eine Brotscheibe auf die in gewagten Konstruktionen und Kombinationen alles kommt, was schmeckt. Herrlich. Ich ließ mich weiter durch das Geschehen treiben und fand daran Gefallen. Das hatte -vielleicht muß ich mir dieses Stierdingens doch mal angucken- sowas Archaisches, sowas Ursprüngliches und trotz der ganzen Touris und mir nichts Gekünsteltes, sondern das Tragen der Tracht, also weiße Klamotten, rote Accessoaires ist ja kein Dirndl-Kram von 50 bis 5000 Euro, sondern funktioniert mit ner Malerhose genauso wie einer weißen boss-Jeans, hat also an sich etwas zutiefst Nivellierendes. Ich kauf mir auch so ein rotes Halstuch und empfinde meinen Rucksack zum ersten Msl nach langer Zeit als störend. Mit dem Teil am Rucken flutschst du halt nicht mal eben durch ne Menschenmenge, sondern musst aufpassen, daß du mit den Stecken, die ich am Rucksack festgemacht habe, um die Hände frei zu haben, keinem wehtust. Manche Wanderer sehen das anders und mal wieder ist fremdschämen angesagt. Dir haben einen Plan, einen Rückflug ab Compostelle für kleines Geld schon gebucht und müssen heute dadurch. Die Pissnelken. Das hier, das ist das pralle Leben und weil es eben ein Leben ist, das auch politisch in meine Richtung tickt, wünsche ich mir meine Bande, um das richtig genießen zu können. Es ist nämlich doch etwas anderes alleine über so ein großes Fest zu ziehen, zu sehen, zu schmecken und zu beobachten, als mit guten FreundInnen dabei zu sein. So gucke ich mir das halt mehr an und freue mich, daß der Raul Zelig -sehe ich abends auf fb – dieses Fest ähnlich wahrnimmt. Und worüber ich mich noch mehr freue ist die Tatsache, daß wir mit diesem roten ersten Mai in Siegen so etwas Ähnliches doch recht erfolgreich etabliert haben. Ok, es gibt keine Tracht, außer dieses lebhafte und nivellierende Schwarz ☺, aber ansonsten ist dieser Ansatz Volksfest plus linke Inhalte seit mehreren Dekaden erfolgreich. Ich steh an einer Ecke und überlege, ob wir beim nächsten ersten Mai die FleischesserInnen von ein paar VeganerInnen durch Siegens Altstadt jagen lassen sollten, um das noch cooler zu machen. Ich verwerfe den Gedanken aber sofort wieder. 

Nach zwei Stunden packt mich dann doch die Unruhe und ich ziehe weiter,obwohl ich mir den Umzug gerne angesehen hätte. Ein anderes Mal. Rasch ging es durch das Universitätsviertel wieder aufs Land, was auch heißt, das es mit geeigneten Unterkünften nicht so ganz einfach ist. Landschaftlich ging das Farben- und Panoramaspektakel vom Vormittag weiter und weil ich von San Fermin, der Landschaft und Allem reichlich guter Dinge war, ging es immer weiter bis ich in Puente la Reina war und ich merkte, daß ich heute locker zwei Etappen zusammengelegt habe. Kommt vor. Ich war dann aber auch brotfertig und froh ein günstiges Hotel gefunden zu haben, in dem ich auch Essen konnte. Dazu traf ich einen alten Bekannten, einen Rose aus dem Hause Inurieta, einem Winzer der aus Puente la Reina stammt und auch in Deutschland zu haben ist. Ein echt lecker Stöffche. Den Rest der Flasche nahm ich mit aufs Zimmer und war dann froh, daß nach neunzig Minuten mit Fußball Schluß war und ich das Licht ausmachen konnte.

78. Etappe: Roncesvalles – Zuriain

Ich werde gegen halb sechs wach, gucke aus dem Fenster, sehe eine weiße Wand und denke mir, ihr könnt mich mal. Dann lege ich mich gepflegt wieder hin und nehme das Tagewerk erst gegen acht Uhr wieder auf. Nachdem ich nämlich gestern schon nix von der Landschaft hatte, will ich der Sache heute eine Chance geben. Also zivilierte Morgentoilette inklusive Rasur, dann zum Frühstück, was nach dem petit dejeuner der letzten Monate schon fast üppig war, weil es zwei Scheiben Käse und zwei Scheiben gekochten Schinken gab. Dazu eine Orange und eine Nektarine. Leider keinen Joghurt, aber ich kann nunmal nicht alles haben. Lecker wars und ich um Neun auf der Straße. Der Nebel löste sich langsam auf und hing dann nur noch zwischen den Bergspitzen und wurde von der steigenden Sonne angestrahlt. Das war schon herrlich anzuschauen und als sich auch der letzte Rest in Wohlgefallen aufgelöst hatte, war es ein wolkenloser Sommertag wie er sein soll. 

Da es mein erster Tag nach dem Grenzübertritt war und dieser Camino Frances ja der Hotspot unter den Jakobswegen, und das nicht erst seit Hape Kerkeling, ist, war ich auch gespannt, wer mir da alles vor die Füße fällt. Und ich war überrascht. Zunächst mal nämlich niemand, weil die alle schon weg waren. Vielleicht werden die alle nach der Frühmesse um Sieben aus der Herberge gekehrt und müssen los. Damit hatten die fast zwei Stunden Vorsprung und ich meine Ruhe. So nach und nach begegnete mir dann doch das ein oder andere Grüppchen und ich konnte mal ein wenig gucken. Empirische Befunde sind das jetzt auch nicht, aber mal soviel. Das Publikum wird jünger, was insbesondere an den spanischen KollegInnen liegt, die den Weg -hm, wie sag ich das denn jetzt???- als lange Drosselgasse oder Wanderwellness oder Saisonabschlußfahrt oder Abiabschluß-Gedöns mit günstigen Unterkünften links und rechts inklusive internationalem Publikum nutzen. Nix dagegen einzuwenden, es wird halt nur lauter -die quatschen in einer Tour- und a weng mehr Laufsteg ist auch, weil hie und da Tesosteron und Östrogene in der Luft hängen. Ihren Beitrag dazu leisten auch All American Boys and Girls für die ein paar Tage auf dem Camino zum Eurotrip dazugehören, bevor sie zu San Fermin den Hemingway in Pamplona geben. Dann gibt es Einzel- und Gruppenwanderer, zumeist ältere Semester, denen das Ernst ist bzw. die das mal machen wollen. Hinzu kommen asiatische Manga-Leute, die bei 32Grad mit Handschuhen und Gesichtsschutz unterwegs sind. Einige Italiener sind auch auf dem Weg, aber die treff ich erst später.

Nach ein paar Stunden mit vielen Kurzstopps zum Schuhe nachbinden, trinken und fotografieren laufe ich in den Zielort ein und werde bös von der neuen Quantität des Weges überrascht. Nach drei ergebnislosen Anfragen, ob denn was frei wäre, beschließe ich weiterzugehen. Bis zum nächsten Ort sind das nochmal fünf Kilometer, aber weil es kein offizieller Etappenort ist, kriege ich da sofort was. 10 Euro für n Platz im Mehrbettzimmer, das ich mir mit einem italienischen Pärchen teile. Jaaa, eigentlich gilt der Grundsatz Einzelzimmer oder Zelt, aber von jedem Grundsatz gibt es Ausnahmen. Basta.

Das ist auch ganz in Ordnung, bis auf den Punkt, daß ich keinen Bock habe, dem Pärchen beim Abhängen zuzuhören. Also verzupf ich mich auf die Terrasse und Gut ist. Ich werde das schon überstehen, als kurz vorm Abendessen noch zwei weitere Italiener auf ihren Fahrrädern auftauchen, ein Bier bestellen und ihren Helm nicht abziehen. Ob die auch hier pennen wollen? Im selben Zimmer? Mir schwant Übles. Und richtig. Die pennen auch hier und deshalb gibt es später Abendessen. Ich koche, weil ich Hunger habe und drei Leute ok, fünf Leute in dem eher kleinen Schlafsaal scheiße finde.

Das Abendessen ist dann sehr lecker und sehr italienisch aufgebaut mit Antipasti:Salat, primi piatti: Pasta (mit dieser baskischen Bratwurst), secondi piatti: Schweinemedaillon mit Karottengemüse und Dolce: Creme Catalan. Das wunderte mich nun auch und war sicherlich kein Tribut an die italienischen Gäste, aber die Italienisierung der Speisewelt nimmt wohl auch in Spanien ihren Lauf. Ich werde das weiter im Auge behalten. Mit den vier ItalienerInnen geht es nicht um Fußball, sondern ums Reisen und autochthone Rebsorten, was mir zusagt und wir kriegen auf englisch, deutsch, italienisch sowas wie eine Unterhaltung hin, die zumindest fürs Tischgespräch langt. Also an der Stelle alles gut. Ich geh jetzt mal hoch und guck, ob die tatsächlich auch in demselben Zimmer pennen wie ich. Und wenn, dann würde mein alter Herr wohl sagen „Hütte, Gut Nacht“, dem ich mich anschließen würde.

77. Etappe: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles

Heute gehts nach Spanien und das ist ein ganz besonderer Schritt, nicht nur weil ich damit nach den Alpen mein zweites europäisches Hochgebirge überquere, sondern weil ich das Gefühl habe, daß eine der Intentionen, die ich mit dieser Wanderung verbinde, zumindest teilweise erfüllt ist. Doch bevor Zeit für große Gefühle ist, muß gepackt werden und angesichts des nächtlichen Regens der erst gegen fünf aufgehört hat, muß ich wohl umdisponieren. Bislang habe ich nämlich den Rucksackinhalt auf der Isomatte gelagert, um dann das Zelt abzubauen und im Rucksack zu verstauen und den anderen Kram dann drumrum zu schichten. Das würde heute bedeuten, daß die Isomatte patschnass wird. Also nix gut. Deshalb geht es darum, den Rucksack im Zelt zu packen, den trocken zu lagern und dann das Zelt abzubauen und am Rucksack zu befestigen. Ich bin kein Freund davon das Zelt außen hinzuhängen, weil dadurch die ganze Chose weniger kompakt wird. Damit kann man hängenbleiben und Sachen können verrutschen. Alles blöd, aber heute geht das nicht anders. Dabei habe ich noch richtig Glück und kann das Außenzelt über der Wäscheleine trocknen, während ich das Innenzelt zusammenlege und den Unterboden beim Zusammenrollen schön Umdrehung für Umdrehung trocken und sauber wische. Irgendwann ist alles getan und es geht los. Wir haben halb Zehn und es klart nicht auf.

Das macht am Anfang nicht wirklich was aus, weil ich das Gefühl habe, das klart doch noch auf und sich lichtender Nebel im Gebirge hat schon auch was. Ich komme aber rasch höher und der Nebel wird dichter. Sichtweite um die zwanzig Meter. Also nicht sooo prickelnd, aber die Wegführung ist gut zu erkennen und ich stolpere auch nicht über die Hape Kerpelings dieser Welt, die sich in einem unangenehmen Fall als Jungingenieure entpuppen, die das wohl machen, weil man das macht und weil es evtl. Credit points zum Kompensieren fehlender Sozialkompetenz gibt. Auf jeden Fall geht es nur ums wie und wo wie billig. Hoffentlich kriegen die niemals Personalverantwortung; diese Sprösslinge einer bürgerlichen Mittelschicht, der das kulturelle und soziale Kapital so vollständig abhanden gekommen zu sein scheint. Ach so, neben billig, geht es immer auch um Präsentationen. Schriftsprache, Memos und Fließtext scheint echt auszusterben. Schade eigentlich. Ich frage mich manchmal, ob die sich in der Schule nicht mit der deutschen Klassik, Heinrich Manns Untertan und alldem auseinandersetzen mußten und jemand denen die universellen Werte hinter den ollen Schinken vermittelt hat. Ich weiß, das ich bestimmt pauschaliere, aber diese vier Typen sind fast Prototypen und da kann man ja auch schonmal den großen Wurf wagen, oder?

Ich überschreite die französisch-spanische Grenze, aber die spanische Zentralregierung stellt kein „Bienvenidos a Espana“-Schild auf, sondern ich werde in der Provinz Navarra begrüßt und ein improvisierter, aber stabiler Aufsteller weist darauf hin, daß ich mich immer noch im Baskenland befinde. Das finde ich ausgesprochen sympathisch, weil ich mich hier schon wohl fühle. Naja, in Spanien bin ich jetzt trotzden, aber das Wetter und das fehlende Espagna-Schild lässt mich nur kurz innehalten und gedenken. Denke an Helden, die sich ohne Smartphone, Internet und Gymnasium nur mit Schulatlanten und Straßenkarten auf den Weg nach Spanien gemacht haben. Das ist mir erst in den letzten Wochen klar geworden, wieviel schwerer es diese Männer und Frauen hatten, nach Spanien zu kommen. Aber sie haben es getan, um mit der Waffe in der Hand gegen Francos Faschisten zu kämpfen.

Ich trage seit Würzburg eine Fahne der zweiten spanischen Republik mit mir. Diese eine Fahne wurde das erste Mal 2014 anläßlich des 70. Jahrestages der Landung in der Normandie von mir und vier Freunden gezeigt, um an die zu erinnern, die nicht nur als Interbrigadisten, sondern bereits ein paar Jahre später wieder in den Linienorganisationen der allierten Armeen ihren Platz einnahmen, um den Faschismus zu bekämpfen. Ich trage sie 2016 anläßlich des 80. Jahrestags des Spanischen Bürgerkriegs mit mir, der von 1936-1939 und viel länger dauerte. Die spanische Republik, die rechtmäßige und gewählte Regierung wurde im Kampf gegen die FrancoFaschisten, die geputscht hatten, von vielen Freiwilligen aus vielen Vaterländern unterstützt, die in den internationalen Brigaden zusammengefasst wurden. Auch aus Deutschland machten sich mehrere 10000 meistens junge Leute, aber auch Veteranen des ersten Weltkriegs auf den Weg und das unter den erschwerten Bedingungen des Hitlerfaschismus in Deutschland. Sie gingen zu Fuß, fuhren Fahrrad oder Motorrad, waren mit der Bahn unterwegs, um der spanischen Republik zu helfen. Und zwar mit der Waffe in der Hand. Ich empfinde einen außerordentlich tiefen Respekt vor diesen Männern und Frauen, die sich unter den Bedingungen der 30er Jahre auf den Weg gemacht haben. Sie haben mit ihrem Engagement das letzte Zeichen vor dem großen Weltenbrand, dem Weltkrieg II, gesetzt, daß die Zivilgesellschaft wehrhaft ist!

Upps, das ist jetzt etwas länger geworden, aber ich hoffe es ist klar geworden, warum mir das mit der Fahne wichtig ist. Wir leben nämlich in Zeiten, in denen die Zivilgesellschaft gut beraten ist, wehrhaft zu sein! Alerta Antifascista! Mit alle dem im Kopf, komme ich in Roncesvalles an. Der Ort hat ein Pilgerhospiz mit 180 Schlafplätzen, wonach mir nach den Jungingenieuren und dem Rest von der Kerkeling-Combo überhaupt nicht ist. Also steigt der Arbeiteradel woanders ab – siebzehn saubere Zimmer über ner Kneipe – duscht und freut sich schreibenderweise aufs Abendessen.Das gibts erst um halb Acht. Da kann ich ja nochmal ein wenig ruhen. Kluger Plan.

Aber der Hunger meldet sich und ich hock mich mit der Schreibwerkstatt in die Kneipe unter mir und bestelle txistorras, das sind baskische Bratwürste mit Piment gewürzt, die im Baguette serviert werden. Paarweise. Fast wie daheim. Und lecker sind sie, dazu ein Bier und der Hunger schweigt. Ich schreibe noch ein wenig, betrachte das Treiben in der Bar und freue mich mal wieder im Baskenland bzw. in Spanien zu sein.Um sieben geht es dann zum Abendessen und ich bekomme einen Schreck. Die 180Betten-Herberge schickt ihre Gäste zum Abendessen auch hierüber und so komme ich neben drei Italienern, einer US-Amerikanerin, einer Marburgerin, einer Engländerin und zwei Norwegern am runden Tisch zu sitzen. Die Verständigung auf Englisch klappt und es wird ganz lustig, vor allem weil das Essen weitgehend ungewürzt und zerkocht auf den Tisch kommt. Salz und Pfeffer ist schnell organisiert, die Qualität italienischer Pasta gelobt und die spanische für untauglich erklärt. Mit der Frau aus Marburg klappt die Verständigung auch auf Deutsch und wir unterhalten uns über die verschiedenen Beweggründe den Camino zu gehen und sie bestätigt – sie ist schonmal den Camino del norte gegangen – die These von den Credit Points, die das Gehen des Weges in Sachen Tiefe und Sozialkompetenz geben könnte. Außerdem gehört es in gewissen Kreisen wohl auch zum guten Ton. Naja, dann…

Nach dem Essen verläuft sich die Tischgesellschaft schnell, mich zieht es allerdings auf einen Absacker nochmal in die Kneipe in der mittlerweile das lokale Publikum die Mehrheit stellt. Ich ergattere einen Platz an der Theke und beschließe den Tag mit einem schönen Rose aus navarra, der eine kirschrote Farbe hat und dunkle Beerennoten im Geschmack verbreitet. Lecker. Es ergibt sich noch ein Gespräch mit einer Frau aus Nebraska, in dem es um den unvermeidlichen Trump, das Wahlsystem in den USA und die Krankenversicherung geht. Ich habe nicht so oft die Möglichkeit mit US-Amerikanern zu reden, weshalb ich das interessant finde. Aber irgendwie ist auch gut für heute und ich verabschiede mich Richtung Cama und finde schnell in den Schlaf. 

76. Etappe: Ostabat – Saint-Jean-Pied-de-Port

Ich lasse mir mit dem Aufstehen Zeit, weil ich diese letzte Etappe bis Saint Jean genießen will. Es sind nur fünf Stunden in relativ flachem Gelände und es herrscht bestes Wetter. Und mit dem lange liegen bleiben, habe ich auf das richtige Pferd gesetzt. Alle schon weg und ich hab den Weg für mich alleine. Und es lohnt sich. Es ist ein Weg durch grüne Täler mit den höher werdenden Hügeln der  Vorpyrenäen. Ich nähere mich Saint Jean Pied de Port, diesem uralten Sammelpunkt der Pilgerströme, bevor es über die Berge nach Spanien geht. Heute ist Saint Jean der Startpunkt für die Hape Kerkelings dieser Welt, die also nicht an der Haustür losgehen, sondern hier.

Das bedeutet für mich, daß ich mich auf viel mehr Menschen einrichten muß, daß ich trotz dieser Menschen meinen Stiefel weitergehen muß, was auch heißt mich abzugrenzen. Es heißt auch, mich nicht von irgendeiner Art Leuten nerven zu lassen, die ich schon vor Jahren aus meinem Sandkasten gejagt habe. Also nochmal eine andere Art Gelassenheit zu lernen, als die, die ich in der Frage von Zeit und Entfernung gewonnen habe. Es wird also spannend.

Deshalb mache ich morgen auch erstmal einen Tag Pause. Ich bin seit Cahors durchgegangen, was immerhin 12 Tage sind. Ich kenne Saint Jean und den gutgelegenen Campingplatz ja von früheren Motorradreisen und einem Urlaub mit meiner Liebsten und kann die Stadt ganz gut haben. Trotzdem ist es ein anderes, und zugegebenermaßen reichlich geiles, Gefühl durch das Jakobstor zu gehen und zu wissen, daß ich vor drei Monaten zu Hause los bin und den ganzen Weg gegangen bin, zugegebenermaßen mit ein wenig Shuttelei, aber trotzdem. Ein tolles Gefühl.

Ich genieße das ein wenig und mache mich dann auf zum Campingplatz, baue mein Zelt auf, dusche und hole dann meine neuen Schuhe ab, die ich ja per Email klargemacht hatte. Die standen auch parat und es entspann sich ein nettes Gespräch mit Pierre über die Haltbarkeit von Outdoor-Schuhen bzw. deren Sohlen und dem Quatsch, daß die Renegade-Sohlen nicht auszutauschen sind. Das hören ein paar Wanderer mit, die ich vom Sehen her kenne und es gibt einen lustigen Plausch. Das Problem mit den Schuhen kennen wohl alle Weitwanderer. Wenig tröstlich, aber hilfreich. Also beim Kauf noch mehr auf die Erneuerbarkeit der Sohlen achten.

Der Laden hatte übrigens am Sonntag auf, weil Saint Jean einfach voll der Touri-Ort ist. Und das merke ich jetzt beim Rumbummeln. Restaurant, Souvenir, Kunsthandwerk wechselt sich in schöner Regelmäßigkeit ab, was mich heute garnicht so sehr stört. Ich will mich feiern und stoße auf ein kleines Gault Millau empfohlenes Resto, das einen schönen Hinterhof hat, wo mir auch ein Platz gegönnt wird. Der Abend wird nett, auch weil der Service wohl noch vor der Zwischenprobe steht. Amuse-Bouche und Entree werden gleichzeitig serviert, dafür aber das Brot vergessen. Alles egal. Viel Pardon und Erklärungsversuche, die ich leider nicht verstehe und ein sympathisches Auftreten der blutjungen Crew machen das wieder wett. Es gibt Charcuterie von einem Bauernhof mit unaussprechlichem Namen und eine Forelle aus den Pyrenäen, die der Baske mit angeschwitzten Zwiebeln, rohem Schinken und Piment de Espelette füllt und als Beilage einen Tomatenreis reicht. Zum Abschluß ein Ziegenfrischkäse mit Berghonig. Dazu je einen Schoppen Rose fürs Entree und Weißwein für den Rest. Ein gelungener Abend. Ich trolle mich Richtung Zelt und schlafe tief und fest.

Morgens mache ich erstmal überhaupt nichts außer dumm gucken, weil die Leute, die heute aufbrechen jede Menge Tamtam veranstalten. Dabei dauert die Tour auch nur knapp 7 Stunden. Egal. Ich bleibe liegen und mache Pläne für den Tag. Die Schuhe müssen ein wenig warmgetragen und eingefettet werden. Ich muß den alten Wanderführer und einige Karten sowie Devotionalien, die ich eingesammelt habe, auf die Post bringen. Ich will die alten Schuhe bestmöglich entsorgen. Ich muß mir einen neuen Ladestecker besorgen, weil der alte Stecker weg ist. Puh, als für jemand der sonst nur gehen muß, ist der Tag voll. Komme mir vor, wie die Arbeitslosen von Marienthal. Also, auf. Körperpflege und stadtfein gemacht. Dann auf die Post und eins dieser Standardpäckchen besorgt, die sich so bewährt haben. Das zum Zelt gebracht und wieder in die Stadt. Der Camping liegt keine fünf Minuten von der Innenstadt. Wieder ins Städtchen Richtung Markt, weil nämlich heute, an einem Montag; man höre und staune, Markttag ist. Und da es zeitlich mittlerweile zwischen spätem Frühstück und frühem Mittagessen ist, beschließe ich mich auf dem Markt zu versorgen und vorm Zelt zu picknicken. Auf der Erde, weil ein Stuhl diesmal nicht aufzutreiben ist. Märkte im Süden. Herrlich. Ich erstehe ein Stück bleu de bebris, einem mit Blauschimmel behandelten Ziegenkäse, was mich einiges an Überwindung gekostet hat, weil der Verkäuferin schon aus zehn Metern anzumerken war, daß die schwierig ist. Aber es gab diesen Käse bei niemand anders, weshalb ich mir einen Ruck gegeben habe. Ich bestellte eine petit tranche und sie hält das Messer an den halben Käse und ich bedeute ihr, daß das Stück deutlich kleiner werden muß, weil es für une person, moi, sein soll. Sie wird zögerlich kleiner, was ich verstehe, weil so ein mit Schimmel behandelter Ziegenkäse und so wie der hier eh aussieht eine  bröckelige Angelegenheit sein kann. Ich wiederhole also das Spiel bis sie das erste Mal no sagt und erwerbe eine 200g Scheibe. Geht doch. Bei dem Tomme will sie das Spiel nicht wiederholen und zeigt auf vorverpackte Stücke, die mir aber zu groß sind. Dann reichts mir und ich bezahle. Weiter gehts. Es gibt auch hier einen Bäcker, wo die Leute Schlange stehen in die ich mich einreihe. Dann zum Obst, wo es Erdbeeren und Nektarinen gibt, und zum Rotiseur, der Schweinebauch und Piperade, eine schmackhafte Zwiebel-Paprika-Tomatensauce hat. Mit meinen Schätzen gehts zum Camping und mein Picknick kann beginnen. Danach strecke ich mich nur noch aus und mache Siesta, die bis in den frühen Nachmittag geht. Dann fette ich die Schuhe ein und mach das Päckchen für die Post fertig. Wo es einen Elektrofachmarkt gibt, weiß ich mittlerweile auch und bereits am morgen war mir eine Boutique Social, eine Kleiderkammer der katholischen Kirche aufgefallen. Da will ich meine Schuhe abgeben. Post und Fachmarkt. Erledigt. Bei der Boutique war zu und ich war gerade dabei die alten Schuhe an die Tür zu hängen, als eine ältere Dame aus dem Hinteren des Ladens kam. Ich erklärte, daß ich die Schuhe gerne spenden möchte (Collecte hat sie dann verstanden) und das die Qualite noch gut wäre (Ich zeigte auf das Leder und sagte: „Qualite, bonne!“), nur die Sohlen halt ein Malheur hätten. Sie hat das verstanden und sich gefreut, die Schuhe auf jeden Fall angenommen und sich bei mir bedankt und mir einen guten Weg gewünscht. Ach, war ich froh. Weil die Schuhe für jemanden, der damit nur zur Schule oder durch die Stadt will, noch prima sind. Aber in die Berge will ich damit nicht. So soll es sein und schön, daß es Leute gibt die sich für solche engagieren.

So, während ich hier sitze und schreibe, hat es sich auch zugezogen, was eigentlich klar war. Ich will ja morgen weiter. Mal gucken was das gibt. Jetzt hole ich erstmal die Wäsche rein, die da noch beim Zelt rumhängt. Innenstadtnahe Campingplätze sind super. Es hat dann noch gewittert und geregnet, was mich nicht davon abgehalten hat, angesichts der Widrigkeiten nochmal Essen zu gehen. Diesmal gabs Axoa, eine baskische Spezialität, die mir ja schonmal begegnet war. Im Prinzip ein Gemüsegulasch zu dem Kartoffeln gereicht werden. Nachdem mir die Rechnung einfach hingestellt wird, bin ich auch ganz schnell raus aus dem Laden, nicht ohne die Chefin darauf hinzuweisen, daß das ein sehr unfreundlicher Akt ist, worauf sich die junge Servicekraft entschuldigt und sie hätte mich wohl falsch verstanden. Ich hab aber garnix gesagt, sondern mich nur stumm am ersten Kaffee des Tages gefreut. Schlußendlich egal, aber es gibt Phasen, da nehme ich sowas persönlich. Das ist so eine Nummer aus der ich immer noch nicht raus kann.

So sollte der Abend aber nicht zu Ende gehen. Also steuerte ich eine Weinbar an, die mir gestern schon aufgefallen war, weil dort eher einheimisches Publikum zu verkehren schien. Ich setzte mich auf ein Glas an einen Bartisch auf der Terasse und betrachtete die Szenerie als drei Zottels mit ihren Hunden, die auch auf dem Camping unter waren – also die Hunde und die Zottels – eintrudelten und Platz nahmen. Sie erkannten mich auch, nickten mir zu und ich nahm mein Glas und gesellte mich zu ihnen. Alles drei Franzosen mit Schulenglisch und ich. Es ging natürlich um den Weg, der mit Hunden wegen den Unterkünften nicht ganz so unkompliziert ist. Dann gings um Musik und wir trafen uns bei Ska, obwohl franzöischer Ska nicht durchgängig mein Gefallen findet. Während sie nix von den baskischen Skapunk-Sachen kannten. Ein lustiger Abend inkl. Youtube-Battle, bei dem wir uns eine Flasche Rose vom Weingut Mourguy hier aus der Gegend teilten. Dan trollten wir uns gemeinsam Richtung Camping und nachdem ich mich in dem Schlafsack geschossen hatte, fing es wieder an zu regnen. Alles richtig gemacht. Und falls sich jemand fragt, wie ich mich denn mit meiner sprichwörtlichen Beweglichkeit mit so einer Dackelgarage als Wohnhome fühle, kann ich nur sagen, daß ich das Gefühl habe, n Vierteljahr mit dem Equipement an einem sonnigen Strand und ich wäre beweglich wie vor vierzig Jahren. Ich nehm mir das raus, weil ich merke, daß sich meine Beweglichkeit eben durch das Zelten ergeben muß und dann zippts ein, zwei Mal, aber die Sehne merkt, daß sie gebraucht wird. Das funktioniert wahrscheinlich nicht nur beim Zelten in fernen Ländern und an sonnigen Stränden, weshalb ich das mal nicht weiter vertiefen will… Außerdem werde ich müde und das leichte Trommeln der Tropfen aufs Zeltdach hat was sehr Entspannendes… Gut Nacht.

75. Etappe: Aoure – Ostabat

Ich hab so schlecht geschlafen, wie lange nicht mehr. Zwei Stechmücken benutzten meinen Körper als Tränke und ich lag auf einer dieser Inkontinenzmatratzen . Das Problem bei diesen Dinger entsteht, wenn das Betttuch so dünn ist, daß du das Gefühl hast, im eigenen Saft zu liegen. Wer die roten Kunstlederbänke der deutschen Bundesbahn noch kennt, weiß wie sich das anfühlt, wenn es mal mehr wie 20Grad hat. Es war eine grausame Wältzerei und Juckerei. Am morgen fühlte ich mich wie ausgespieen und kam deshalb heute später los als geplant.Auch weil ich mir das Frühstück bei der Frau Köchin nicht engehen lassen wollte. Und richtig. Mit selbstgemachten Marmeladen und einem Jogurt aus eigener Herstellung, der wirklich nach Milch schmeckte und die Konsistenz von Panna Cotta hatte, war die Nacht schnell vergessen.

Fast vergessen hatte ich auch schon, daß es regnen kann. Aber dieser Wetterzustand brachte sich heute in eindrucksvoller Weise in Erinnerung. Es regnete in allen Varianten von leichtem Nieseln bis minutenlangem Starkregen. Zwischendurch hörte es auch wieder auf, heller wurde es auch schon wieder, aber die Hoffnungen trogen. Und als ich dann an dem Punkt stand, für den der Wanderführer einen exzellenten Blick auf die Pyrenäen versprach und der es sogar zu einer Panoramatafel gebracht hatte, die die Gipfel benamten und nur in eine weiße Wand gucken konnte, hätte ich echt heulen können. Da latschst du fast 2000km und dann wird dir so ein Panorama versagt. Die Laune war also nicht nur im Keller, sondern in der Kanalisation.

Das wurde auch nicht besser als ich den Zielort betrat und das Gefühl hatte, daß hier aber auch garnix los ist, geschweige denn eine touristische Infrastruktur vorhanden ist. Bei dem Wetter brauch ich die aber und hatte mir schon das ein oder andere ausgemalt. Pustekuchen. Nun liege ich in einem ZweiBettZimmer und bleibe hoffentlich alleine, werde den ganzen Nachmittag aber schon von vier saublöden Fliegen genervt, die sich entweder an meinem neuen Duschzeug oder eben was ich sonst so mittlerweile mit mit rumschleppe gar nicht oft genug ne Nase holen kommen können. Um sieben gibts Abendessen, aber ich geh – denk ich – vorher mal aufn Apero.

Das war ein lecker regionales Bier mit einem unaussprechlichen Namen, der eher nach Saurier als Kaltgetränk klang. Geschmacklich ging es in Richtung der dunklen Biere aus der fränkischen Schweiz. Ach, wie ich mich darauf auch wieder freue. Nach dem Bier in der einen Bar des Ortes mußte ich wieder in die andere Bar des Ortes, weil dort das Abendessen serviert wurde. Die kleine Karawane durch den Ort zeigte, daß es dir anderen Gäste des Ortes ebenso gehalten haben. Am Abendessen hatte ich meine helle Freude gab es doch zunächst eine frische Gemüsesuppe, die ich schon seit dem Burgund nicht mehr hatte. Dann gabs ein Schweinekotelett mit grünen Bohnen und Pasta äh Pate und zum Schluß einen Käse aus dem Ort, schnittfester Schafskäse. Bonne. Die Tischgesellschaft bestand aus einem französischen Pärchen und einem Einzelwanderer, ebenfalls Franzose und Unsympath. Der war mir schon tagsüber aufgefallen, weil er jede Zurückhaltung, über das Maß hinaus an das ich mich mittlerweile gewöhnt habe, vermissen ließ. Also saß mir gegenüber ein alter Mann der schmatzend und grunzend sein Essen verschlang und darauf bedacht war, von Brot und Wein soviel wie möglich einzuheimsen. Das er dazu ein Armeeunterhemd trug und das Pärchen immer wieder mit Beiträgen malträtierte in denen die Wörter Nation und France auftauchten, machte das Bild für mich rund. Ich hab ja keine Vorurteile, aber ne leichte Kindheit hatte der auch nicht. Um das mal so zu sagen.

Damit war der Abend aber noch nicht vorbei. Ich fragte den Wirt nach wifi und als ich im Gespräch rausarbeiten konnte, daß ich Fußball gucken wollte, meinte er nur, ich solle mal mitkommen. Er schloß einen Raum auf, der mir bislang verschlossen geblieben war, genau gegenüber meines Zimmers lag und sowas wie den Partykeller der Butze beherbergte, inklusive eines mordsgroßen Fernsehers. Getränketechnisch versorgte ich mich mit einer Flasche baskischen Cidre, wovon ich auch noch nie gehört hatte, und los gings mit dem bekannten Ergebnis, einem langen Abend. Aber dann ging es nur eine Tür weiter und in Orpheus Arme.

74. Etappe: Navarrenx – Aoure

Heute stand ein viereinhalbstündiger Spaziergang über 18km auf der Tagesordnung und da sich die Unterkunft auch schon ergeben hatte, war ich reichlich entspannt. Frühstück um Acht, gemeinsam mit dem Vermieter, der auch Englisch sprach, so daß ein launiges Tischgespräch über Lebensmittel und Landwirtschaft in Frankreich, sowie die arg fleischlastige Gastro-Kultur entstand. Im Zuge dessen legte er mir doch für heute eine Unterkunft nahe, in der die Vermieterin gelernte Köchin und eine exzellente Vertreterin der baskischen Küche ist. Gesagt getan. Mail raus. Schnelle Antwort. Chambre mit Halbpension. Alles klar.

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73. Etappe: Arthez-le-Bearn – Navarrenx

Ich liebe das Internet. So etwas fantastisches. Unglaublich. Aber von Anfang an. Das mir meine Schuhe, die ich ja seit sechs Wochen trage, sohlentechnisch nun auch den Dienst versagen, ist ja bekannt. Das Problem hat sich auf den knapp 60km der letzten Tage soweit zugespitzt, daß ich häufiger Pause machen muß, weil jeder Tritt ungedämpft an meine Haxen weitergegeben wird. Also muß Abhilfe her. So habe ich dann im Netz einen Outdoorladen in Saint Jean aufgetrieben und nach demselben Modell in meiner Größe gefragt, daß ich derzeit an den Füßen habe. Die Antwort kam relativ prompt per Mail. Alles klar. Ab Montag gibts frisches Schuhwerk. Bis dahin muß es halt irgendwie gehen.
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