80. Etappe: Puente-la-Reina – Estella/Lizarra

Nach dem langen Marsch und San Fermin gestern, gings heute gemächlich los, vor allem auch, weil sich das Frühstück, nach vielen Wochen petit dejeuner fast üppig ausnahm. Gekochter und roher Schinken, regionale Käse, Rührei und Würschtle, sowie Speck, Joghurts und Obstsalat, sowie frisch gepresster Orangensaft. Dazu Brot und Süßgebäck, sowie das übliche Marmeladen-Plastikzeigsl. Und ich habs probiert. Hab mir gesagt, mal wieder frühstücken. Toll. Nix. Ich hab zwar alles mal probiert, aber das die Lust am üppigen Frühstück zurückgekehrt wäre, kann ich nicht sagen. Mal gucken, wie das daheim wird.

Nachdem ich gestern nur noch bis zum Ortseingang gekommen bin, guck ich mir das Städtchen heute genauer an. Schön. Pittoresk. Hier ein Foto, da ein Bild und dann will ich auch schon weiter. Hinaus in diese Landschaft, die mir so nahe scheint. Ich summe Lieder des spanischen Bürgerkriegs und schreite voran. Alte Dörfer, auf Hügeln als Wehrdörfer gebaut, sind einladend und wirken wie aus der Zeit gefallen. Naja, auch hier ist die Zeit nicht stehengeblieben und ich werde bei der Einkehr mit Hallo begrüßt. Der Typ sieht aus wie ein hängengebliebener Deutscher, aber er winkt ab und sagt nur: „Deuter – Aleman“. Weiß ich das also auch. 

Als der Weg weiter Richtung Estella geht, aber ein Wegweißer nach links auf den Camping hinweist und die Nachfrage bei googles ergibt, daß es zum Camping schlappe 900m sind, gehe ich links. Hoch die Hände, Wochenende. Ein vier Sterne-Campingplatz mit Bar und Restaurant und Piscine und Waschmaschine und Lädchen. Herz, was willst du mehr? Das Ding ist so ein richtiger Platz, wie er auch an der Bigge stehen könnte. Viele Stammgäste mit Jahresverträgen und das bißchen Kroppzeug an Einmal-Übernachtern kriegen wir auch verarztet. Ich also Kroppzeug und deshalb Platz P28. Naja, egal. Zelt aufgebaut, Wäsche gewaschen und das Schwimmbecken angeschaut. Danach wieder zum Zelt, einfach mal dumm geguckt und dabei eingeschlafen. Macht man eh zu selten, dumm gucken. Einschlafen geht ja meistens.

Irgendwann kriege ich Hunger und ziehe mich mal abendtauglich an. Dann gehe ich in den Bar/Restaurantbereich des Campings und muß mir klar werden, daß ich in Spanien bin. Vor 20:30h keine warme Küche. Oh my God, ich werde verhungern. Oder wie anscheinend alle anderen Menschen auf diesem Platz die Zeit zwischen sieben und halbneun mit Chipsen und Nüssen verbringen. Nüsse und Sidra. Als Aperitiv muß das schicken. Als ich um Punkt halbneun nach der Speisekarte frage, kriege ich die auch und wähle. Tja, dann müßte ich wohl ins Restaurant. Dazu zückt der Kollege einen Schlüsselbund und schließt mir die Tür auf. Dann hockt ich da, in einem Resto für gut 150 Leute, alleine an einer Glasscheibe und werde das Gefühl nicht los, daß alle Leute auf der anderen Seite chipsessender Weise denken: „Oh guck mal, der arme Kerl, der ißt so früh, wie will der denn durch die Nacht kommen.“ Mir eigentlich egal, aber da ich nun noch fast zwei Monate hier bin, muß ich mir da wohl was einfallen lassen. Naja, und morgen ist ein neuer Tag und ich bleibe eh hier, weil ich ja gestern diese Doppeletappe hingelegt habe und am Montag in Logrono verabredet bin. Deshalb geht es hier erst Sonntag weiter.

Und jetzt werde ich den Teufel tun und schon ins Bett gehen. Ich will wissen, wie das gleich im Speisessaal aussieht. Im Fernsehen läuft ein Pelota-Tounier, was wohl auch zu San Fermin gehört und ähnlich wie beim Rugby sehe ich keine Regeln, aber die CamperInnen wissen Bescheid. Gegen halb elf betreten die letzten Leute das Resto und bestellen mit großer Selbstverständlichkeit ihre Raciones. Bewundernswert. Bewundernswert auch deshalb, weil ich mich nun drauf einstelle, daß hier vor halb zwei kein Schlaf zu finden sein wird. Pustekuchen. Ab halb zwölf liegt alles in der Pofe oder ist zumindest so leise, daß es mich nicht stört.

Das verhilft mir zu einem langen Schlaf und Spaniens Himmel, der tatsächlich seine Sterne ausbreitet und es mal nicht regnet. Schön. Ich werde gegen halb acht wach, bleib aber noch liegen und gehe erst später frischgeduscht und rasiert zum Frühstück, das aus Cafe con Leche und Zumo de Naranja, also Orangensaft besteht. Dabei fällt mir auch auf, daß mir so ganz langsam die ein oder andere Vokabel wieder einfällt, die in den vielen Anläufen Spanisch zu lernen mal hängengeblieben sind. Das ist schön, macht es doch das Leben hier leichter, wenn ich den Service nicht mit der Frage nach Mangare nerve, sondern nach Comida frage. Auf jeden Fall guckt der nicht mehr ganz so unverständig. Naja, seitdem ich im Freistaat wohne, ziehts mich eher über den Brenner, während in Siegen Frankreich/Spanien die Ziele der Wahl waren. Das ist ja im Prinzip auch richtig so. Wenn es nur um Urlaub geht, sollte man sich bei der Anreise keinen Stress machen und ressourceneffizient reisen. Fliegen geht eh eigentlich gar nicht. Eigentlich.

Eh. Egal. Frühstück beendet und ab in die Stadt, deren Name ja an ihre strahlende Wirkung erinnert und die einer der ersten touristischen Coups an diesem Jakobsweg war. 1090 entschied sich nämlich der König von Navarra dazu den Jakobsweg ein wenig umzuleiten, ließ ein unangenehmes Kloster dadurch ausbluten, ließ eine Burg und eine prächtige Kirche bauen, siedelte Franzosen an (Sprachkompetenz… Man spricht deutsch, you know…) , und nahm die Steuern auf Übernachtung und Verköstigung gerne ein. Ich war deshalb schon sehr gespannt, welche Pracht mich da erwartet. Und tatsächlich stellte sich die Stadt auf der linken Seite des Rio Ega, wenn man denn auf dem Weg läuft, tatsächlich recht pittoresk und eindrucksvoll dar. Nett, hatte ich aber schon und als Ensemble auch schöner und in der Verbindung und Mittelalter und Moderne gelungener in Erinnerung. Um nämlich im 21. Jahrhundert anzukommen, muß ich den Fluß überqueren und das Gefühl, was mich vorher schon beschlichen hatte, verstärkte sich. Nämlich selbst auf der mittelalterlichen Seite der Ciutad waren viele Läden geschlossen, auf der modernen Seite ging das konsequent weiter. Also bin ich hin zum Tourist Office und hab gefragt, ob hier jetzt wegen San Fermin oder so alles zu hätte? Nönö, so ab 10Uhr wären die Geschäfte in der shopping zone schon offen. Ok. Ich also los, erstmal noch n Cafe getrunken und abgewartet, was passiert. Wenig. Ich sah zwar auch Leute in Tracht, die anscheinend Richtung Pamplona unterwegs waren, aber das Geschäft wollte sich nicht wirklich beleben. Bis mir das nette Schild auf einem Fischgeschäft den richtigen Tip gab. In Spanien sind nun auch Ferien.

Das merkte ich sehr intensiv, als ich nach einem Bier und ein paar Pintchos wieder auf dem Campingplatz eincheckte. Nachdem anscheinend gestern nur die Vorhut schonmal da war, kam heute der Rest der Corona. Überall großes Hallo und Reparatur- und Aufbauarbeiten, sowie ein vollständig belegter Swimmingpool. Ich fand das nett, aber irgendwann war es mir zuviel und ich verzupfte mich in meine Parzelle. Passte auch. Siesta. Isomatte ausm Zelt und den Krimi weiterlesen, bis einem die Augen zufallen. Als ich dann mit meiner Liebsten telefoniere, taucht ein Radfahrer auf, der auf Schwäbisch „Alemania“fragt. Ok, die Richtung nach Hause hätte ich im gerne gezeigt. Das ich am Telefonieren war, hat ihn nicht gestört, aber als er sein Fahrrad dann abstellte und begann den Platz auszumessen, musste ich auflegen. Was das denn werden solle? Ja hier wäre doch Platz. Ich hab dann die schwäbische Karte gezogen und gesagt, dess dess mei Parzelle wär für die i bezahlt hädd, und ich nicht wüßte, was er hier wollte. Ah. Parzellen. Richtig, die vergeben hier Parzellen. Sucht euch ne freie Parzelle und verpisst euch. Ich war echt geladen.

In dem Zusammenhang mal kurz ein paar Gedanken zu Kategorien, die mich nun schon länger begleiten. Es geht um vornehme Zurückhaltung und Umsichtigkeit. Vornehme Zurückhaltung ist eben mehr als sich beim Buffet den Teller nicht zu voll zu machen. Vornehme Zurückhaltung heißt auch, dem oder der anderen gute Gründe für sein Handeln zu unterstellen und wenn da jemand Waschsalon und Handtuch auf getrennte Haken hängt, dann ist halt kein Haken mehr frei. Oder wenn jemand seinen Rucksack dahin gestellt hat, stelle ich den nicht davor, weils ja dem oder der anderen dann schwieriger macht wieder an seinen Rucksack zu kommen. Mit dem Konzept vornehmer Zurückhaltung nehme ich also eher einen Nachteil in Kauf, als mich aufzudrängen. Das Vornehme an dieser Zurückhaltung kommt dabei nicht aus Demut, sondern aus dem Wissen um sich selber, seinem eigenen Wert. Umsicht ist etwas, was daraus folgt. Umsicht kommt von Umsehen, eine Situation in Gänze zu überblicken und in ihrer Komplexität zu verstehen, was eben auch heißen kann, jemand anders den Vortritt zu lassen oder jemandem zu sagen, wo er lang laufen soll. Das hat dann was mit Führung zu tun, was aber gerade nicht hier hin gehört.

Die haben sich dann auch anhand vor Rechnung und Lageplan davon überzeugen lassen, daß das so ist und sich ihre Parzelle gesucht. Schön. Die Campingplatzcrew macht es sich an der Stelle nämlich einfach. Soundsoviel freie Plätze, soundsoviel freie Camper. Platz voll. Wer da wo zeltet, kann denen ja auch egal sein. Niemals mehr messen, als gemessen werden muß. Ich war natürlich in meiner Siesta blöd unterbrochen und widmete mich deshalb meinem Nachmittagsprojekt. Geräte aufladen. Mit einem Zelt unterwegs zu sein, heißt nämlich immer nach ner Steckdose Ausschau halten. Und die gabs in der Campingbar ganz hinten, wo jemand ne Doppelsteckdose angebracht hatte, aber nur eine belegt war. Hatte ich morgens schon gesehen, der Platz war frei und ich dahin. Super. Weshalb der Platz frei war, wurde mir auch schnell klar. Das war der Pustepunkt der Klimaanlage, also leichter Wind von schräg oben.

Das war alles zu ertragen, hab ein wenig gelesen, ein wenig was geliked, als die Tür aufging und die beiden Schwaben die Bar betraten. So  und nu. Ich hab dann mal runtergeschaltet und Hallo gesagt, ob sie jetzt angekommen seien und sie haben ihrerseits drauf erwidert, das mit den Parzellen hättense nicht gecheckt. Und hab mich bei die gehockt und wir haben n Bier zusammen getrunken, die deutsche Form des Friedenschlusses. Nun ja, der Metzgermeister war nett und der distanzlose Typ war beim Daimler. Meiner vorhin dargelegten Wertschätzung für vornehme Zurückhaltung und Umsichtigkeit ist an der Stelle wenig hinzuzufügen, außer evtl. die bissig Bemerkung, daß die organisierte Arbeiterbewegung in Deutschland eben auch aus den Arbeiterbildungsvereinen und Lassalles ADAV entstanden ist. So. Basta.

Nachdem ich mich von den Beiden verabschiedet hatte und mich abendfein gemacht habe – lange Hose, halbwegs frisches Hemd und Haare gekämmt- wares auch schon halb Neun. Abendessenszeit. Heute mach ich nicht den Fehler im Restaurant essen zu wollen, sondern bestelle patatas bravas und ein bocadillo. Da ist jetzt wenig Salat bei, aber ich hab heute schon zwei Nektarinen gegessen. Gesunde Ernährung? 50 Punkte. Stimmung in der Kneipe? Unbezahlbar! Im Fernsehen läuft die San-Fermin-Berichterstattung, es gibt immer wieder Begrüßungsszenen von Nachbarn für sechs Wochen und Leute, die nach einer langen Anreise auch Bocadillos essen. Eben das pralle Leben. Das wiederum auch ein wenig distanzlos ist, aber ich habe ja mein Platz im Eck mit der Steckdose wieder ergattert und sitz hier schreibenderweise, während im Fernsehen jetzt ein Chorwettbewerb läuft. Alle in Tracht und die Kneipe kommentiert genauso lautstark, wie beim Stierrennen oder beim Pelota. Hm… Zeit ins Bett zu gehen. Heute verstehe ich das wohl nicht mehr…

2 Gedanken zu „80. Etappe: Puente-la-Reina – Estella/Lizarra

  1. …und so nebenbei hat der Klaus mit seinem Konzept von „vornehmer Zurückhaltung und Umsichtigkeit“ sozusagen den kategorischen Imperativ des Weitwanderers entwickelt – es wundert dabei nicht, dass er dies in Abgrenzung zur Grundhaltung des Schwaben im Allgemeinen und dessen Handeln im Speziellen tut…nicht ohne dann postwendend seiner eigenen Maxime zu folgen und per Bier in die zugegebenermaßen schwierige Völkerverständigung zwischen Südwestfale und Alemannen einzutreten….das muss man erst mal schaffen an ein und demselben Tag. Hut ab!

    • Das sag ich dir. Leicht war das nicht. Aber du kennst das ja. Deshalb nehme ich dein Chapeau als echtes Kompliment und gebe das mit einem größeren Hut an dich zurück. Du weißt weshalb!!

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