Was war das kalt. In der Nacht waren die Temperaturen derartig in den Keller gegangen, daß ich mir zunächst mit langer U-Hose und T-Shirt geholfen habe, über die ich dann nachts um drei noch den Reiseschlafanzug gezogen habe. Hat aber auch nichts genutzt. Der Schlafsack ist für einen richtigen Sommer gemacht und die Nacht war für die Katz. Gegen halb sechs bin ich dann doch weggedämmert und erst um halb neun wachgeworden. Boah, war ich fertig. Deshalb mussten es eine heiß-kalte Dusche, zwei Cafe con Leche und ein frischgepresster Orangensaft sein, bevor es auf die Strecke ging. Ich dachte, daß das späte Losgehen vielleicht von Vorteil sei, weil ich alleine unterwegs wäre, aber ich hatte diejenigen WandererInnen vergessen, die ihre Etappen mit geringeren Kilometerzahlen beplant haben und deshalb nicht bis Najera gekommen waren, aber eben um halb elf dort sein konnten, weil sie da schon zwei Stunden unterwegs waren. Naja, mittlerweile habe ich mich an Begleitung fast gewöhnt und die meisten habe ich dann im Laufe des Tages auch hinter mir gelassen. Da für heute nur 20km in 4h, wegen eigentlich recht flachem Streckenverlauf, aufgerufen waren, ist das ja auch mehr unter Spazierengehen zu buchen. Deshalb genieße ich trotz des späten Aufbruchs die Landschaft. Am Horizont sind Berge zu sehen, die Ebene ist fruchtbar wie nur was und es wird Wein und Getreide angebaut. In den Weilern, die ich streife, betreiben die Menschen kleinere und größere Gemüsegärten, die allesamt prächtig dastehen. Dabei sind die Wege staubtrocken, geregnet hat es schon länger nicht mehr und ich sehe nun auch offene Bewässerungskanäle aus Beton und -gräben, die gezogen wurden. Durch einzelne Weingärten ziehen sich dicke, schwarze Schläuche zu den einzelnen Rebstöcken, was ja schonmal ein Fortschritt ist. Nach Tröpfchenbewässerung sieht das hier alles nicht aus. Und wieder mal denke ich drüber nach, was die Menschen wohl machen werden, wenn das Wasser entweder zerstört oder wegbleibt. Wie schnell werden sie sich darauf einstellen und welche Maßnahmen ergreifen. Wie können so Leute wie ich mithelfen, diesen Wandel, der ja zunächst in den Köpfen stattfinden muß, voranzutreiben. Wie sähe sie denn aus, eine Politik der klimafesten Landwirtschaft in Europa? Ich weiß es auch nicht genau, aber ich denke, es wäre wichtig, die richtigen Leute an einen Tisch zu holen, bevor auch der Klimawandel eine Frage der Metropolen wird.
In solcherlei Gedanken verstrickt erklimme ich eine Anhöhe, vergleichbar mit dem Wilseder Berg in der Lüneburger Heide, und lese kurz vor dem Gipfel ein Schild, das auf die exorbitante Jugendarbeitslosigkeit in Spanien verweist. Hier sind rund 60% der Menschen unter 25 Jahren ohne Arbeit und nicht mehr in Schule oder Hochschule. Das ist schon dramatisch, weil es eine Lost Generation sein wird, die diesem Land Spanien, diesem Europa helfen will und kann, aber einfach nicht gefragt wird. Zwanzig Meter nach dem Schild sehe ich einen Sonnenschirm, darunter ein junger Bursche, der Getränke und Camino-Gedöns für die vorbeidefiliernden Mittelschicht präsentiert. Ich erstehe eine Cola und frage nach dem Preis und er antwortet, daß jeder gibt, was er kann. Mein Herz geht auf und ich sage ihm, wie wichtig ich so ein Schild auf diesem Weg finde. Dann geht sein Herz auch auf und wir erzählen sehr offen warum und wieso. Als ich die Fahne der spanischen Republik aus meinem Rucksack zerre, ihm zeige und erzähle warum ich die seit Deutschland mit mir führe, kommt er um den Tisch und wir fallen uns als Freunde und Genossen um den Hals. Er zerrt sich das Hemd vom Leib und ich sehe ein Tatoo, das eben genau die Farben der Fahne zeigt. Und er beginnt zu erzählen, daß er eigentlich aus Leon, eigentlich Castilien, aber nahe an Asturien, kommt und dort Leute seit den 30er Jahren bis zu Francos Tod im Maquis gewesen sind, also versteckt gelebt haben und immer wieder die Franquisten angegriffen haben. Und das all diese Geschichten bis heute totgeschwiegen werden, weil sich das Establishment nach Francos Tod darauf verständigt hat, den Mantel des Schweigens über alles zu legen und heute auf den Zerfall des klassischen Zwei-Parteiensystems und dem entstehen neuer sozialer Bewegungen mit Repression reagiert. Ich erzähle von den Auseinandersetzungen in Deutschland mit AFD und Konsorten und den Abwehrkämpfen um die Aushöhlung des Sozialstaats , die wir mit der Umsetzung von Hartz IV und der Ökonomisierung des Sozialen schon 2000 verloren haben. Das alles auf Englisch-Spanisch, weil der Kollege des Englischen nämlich mehr als leidlich mächtig ist. Eine ganz tolle Begegnung und nach fb-Daten austauschen und gemeinsamen Fotos, mache ich mich tief bewegt auf meinen weiteren Weg.
Das Ziel ist bald erreicht. Ich checke ein und da sich vor halb sechs eh kein Schritt auf die Straße lohnt, geh ich horizontal und gucke Tour de France. Was hat dieses Ereignis mich früher vor die Glotze getrieben. Klaus Peter Thaler (ein Siegerländer), Didi Thurau, Indurain und wie sie alle heißen, aber das ist lange her. Ich gucke weiter und es fesselt mich nicht so ganz wie früher. Um halb sechs steige ich in den beginnenden Corso ein und gucke mir das Städtchen an. Schön und geschäftig. Ich such mir ein strategisch gutes Plätzchen und betrachte die Szenerie. Dann denke ich mir, daß ich meine Essensvorräte mal wieder auffüllen könnte. Was sich so dramatisch anhört ist ein Päckchen Erdnüsse und eine Dose Ölsardinen, die ich immer für den Fall dabei haben wollte, daß ich einen Hungerast kriege. Allerdings fühle ich mich mit der Versorgungslage bislang auf der sicheren Seite. Naja, sicher ist sicher. Und weil der Supermercado aufm Weg liegt, wird halt eingekauft.
Nach zwei Stunden Rumlaufen wird es mir auch leid und ich gehe in die Unterkunft zu der auch ein Resto gehört. Ich lege mich aber, trotz großem Hunger nochmal hin, weil das Resto erst in einer halben Stunde, also 20.30h, aufmacht. Punkt 20.30h bin ich da, natürlich der einzige Gast und das in einem Saal gegen den das Messerschmitt in Bamberg wie eine lebhafte Szenekneipe wirkt. Naja, wenigstens schwirrt nicht eine ganze Armee uniformierter Kellner um mich rum, sondern nur eine nette Frau und das Essen ist auch gut. Vorneweg eine Fischsuppe, die aus der Terrine in den Teller kommt, was ich eine schöne Geste finde und dann, zum Mitschreiben, geschmorte Kalbsbäckchen in einer mit Orangensaft und Weißwein abgelöschten Sauce. Dazu die unvermeidlichen Pommes. Aber aus diesem ja oft schweren Schmorgericht, mit Weißwein, statt Rotwein und Orangensaft, statt Sahne oder Butter einen sommerlichen Genuß zu machen, ist toll. Chapeau. Als Postre habe ich wegen der Vitamine Obst bestellt und mit einem Apfel aus Südtirol und einer Banane unbekannter Herkunft das große Los gezogen. Hauptsache gesund. Dazu istmir dann schon wieder der Weiße vom Herrn Martinez kredenzt worden. Manche Winzer haben es einfach drauf, die Gastronomie der Region unter ihre Fuchtel zu kriegen. Egal, der Wein schmeckt ja. Um zehn Uhr betritt dann doch noch jemand den Saal, aber das wars dann wohl für heute. Oder kommen die alle erst um elf? Das halte ich aber nicht durch. Ich muß mal mittags ausführlich Essen gehen, dann vorschlafen, um mal zu erleben, wann denn die Post abgeht. Heute nicht mehr. Morgen ist ja auch noch ein Tag.
Nach kurzem Tränenwegdrücken bei der Begegnung mit dem jungen Burschen, muss ich kurz mal wieder erwähnen wie stolz ich auf Dich bin und wie ich mich freue für Dich. Und wie geil situationsnahebringend Deine Schreibe ist, habe ich vermutlich schon mal an anderer Stelle erwähnt, oder? Ich werfe da einfach mal ein fettes Danke in die Gemeinde;-)
Hallo Klaus, jetzt hab ich die ganzen Berichte gelesen – auf einem Campingplatz in Frankreich war ich vor 20 Jahren schon! Bewundernswert wie du schreibst und beneidenswert was du erlebst (wenn auch manchmal im Regen und abgelaufenen Sohlen). Beim Essenfassen kommt doch immer wieder dein Feinschmeckersinn durch. Mach weiter so!
Lb. Gruß auch DON Anneliese