Das war trotz bestem Wetter einer der schwärzesten Tage auf der Tour. Dabei hatte alles positiv angefangen. Das Zelt war völlig trocken, nicht ein Fitzelchen Tau, so daß der Abbau zügig voranging und ich rasch abmarschbereit war. Vorher noch in der Camping-Bar einen Cafe con Leche und Orangensaft. Und los gings. Ein paar Meter hinter dem Campingplatz fiel mir dann auf, daß ich meinen Wanderhut gar nicht aufhatte. Und auch den ganzen Morgen noch nicht aufhatte, wie die letzten anderthalb Tage. Choder. Also zurück. Alles nochmal ausgepackt, selbst das Zelt und geguckt. Nüschte. An der Rezeption und in der Bar gefragt, ob jemand n Wanderhut gefunden hat. Ebenfalls negativ. Ich war mir aber todsicher am Freitag mit Hut eingecheckt zu sein und den am Samstag auch noch im Zelt gesehen zu haben. Zur Stadtbesichtigung und auf dem Platz habe ich ihn nicht getragen. Ich muß mich wohl damit abfinden, daß sich der treue Begleiter selbständig gemacht hat. Und das macht mich richtig traurig, weil mich das Teil über die Alpen, den Rennsteig und wo weiß ich noch, begleitet hat. Ich bin genervt und stapfe los. Weitergehen muß es ja. Nach zehn Minuten merke ich, daß es ohne Sonnenschutz qua Hut gar nicht geht.
Woher nehmen? Ersatz für diese schmucke Kopfbedeckung zu finden wird reichlich schwierig und außerdem hilf auch keine Meditation zum Fetischcharakter der Ware und sonstige Rationalisierung. Ich bin traurig, daß das Teil weg ist. Ich habe es gern gehabt. Das ist doof, weiß ich, aber ich kann da gerade nix machen. Auf dem Weg durch Estella hat eine Camino-Boutique schon geöffnet, aber die Wanderhüte sind alle mit Camino-Emblem und völlig daneben. Also weiter. Und wieder mal erweist sich eine subkulturelle Vergangenheit als echte Überlebenshilfe. Eine große 24h-Tankstelle kommt in Sichtweise, und wer an diesen Konsumtempeln nicht nur getankt hat, sondern auch das Sortiment im Auge hat, weiß, daß sich dort alles findet, was man im zumeist urbanen Dschungel braucht. Halleluja. Ich betrete den Laden und sehe, das es einige Sonnenhüte gibt. Darunter auch einen, der halbwegs geht. Halbwegs. Acht Euro abgedrückt und dem Hitzetod durch Sonnenstich entronnen. Prima. Meine Laune bessert sich millimeterweise. Ich begieße dIe Neuerwerbung mit einer eiskalten Cola, ebenfalls von der Tanke und beruhige mich weiter, indem ich google, ob es den meinen alten Hut noch im Sortiment gibt. Der ist bzw. war nämlich von einem Markenhersteller aus dem Hutfachgeschäft. Und siehe da. Natürlich gibt es den noch. Dann gibt es im Oktober einen Neuen und die untreue Tomate soll woanders glücklich werden.
Nun rückt langsam diese fantastische Landschaft wieder in den Vordergrund, die sich je weiter ich nach Westen gehe, immer sanfter darstellt. Das Raue der Berge weicht geschwungenen Hügeln und die Farben wirken im Zusammenspiel von Sonnenschein und klarer Sicht noch intensiver. Bei Villamayor de Montjardin gibt es nochmal einen Aufstieg, der mit einer fantastischen Panoramasicht belohnt wird. Das ist hier wirklich ein herrlicher Fleck Erde.
Am späten Nachmittag erreiche ich Los Arcos, einen kleinen Ort mit einem schönen Marktplatz für die Touristen und einem Nebenplatz, wo sich die Einheimischen tummeln. Ich beziehe aber erstmal die Unterkunft und mache Siesta. Die laufen mir schon nicht weg. Als ich abends los will, informiere ich mich beim überaus netten Rezeptionisten nach einem authentischen Restaurant und er bedauert überaus, daß sein Favorit Sonntags zu hat. Ich auch. So geht es also Richtung Marktplatz, wo ich kurz mit einem Engländer und seiner mexikanischen Lebensgefährtin plaudere, die ich vor ein paar Tagen schonmal kurz gesprochen habe und den schweizer Maroniverkäufer treffe ich auch wieder. Irgendwie kann man sich auf diesem Weg schlecht aus dem Weg gehen, aber ich will schon zusehen, daß da nix zu eng wird. Was da die Camino-Gerüchteküche von Dramen zu erzählen weiß, die nach Trennungen von Leuten passieren, die nur drei Tage zusammen gelaufen sind, ist der Hammer. Naja, neben Selbstoptimierern und Studis aus aller Welt sind eben auch sackweise Leute unterwegs, die schonmal zum Töpfern in der Toskana waren oder andere Angebote aus dem Markt der Lebenshilfe ausgeschöpft haben. Und da kann es halt schonmal anstrengend werden. Deshalb heißt es von meiner Seite aus weiterhin: vornehme Zurückhaltung bis hin zur blassierten Distanz!
Ich hock mich aber zum Maroni-Dealer und esse mit ihm zu Abend, was Salat, Pommes, Hühnchen heißt, Mich ziehts dann auch rasch auf die Stube. Ein EM-Endspiel im public viewing brauche ich heute abend nicht. Ich gehe also und beschließe den Abend mit einem nicht ganz freiwilligen Gedanken an den Hut… Oh Fetischcharakter der Ware. Blöd.