Ich war bereits um Viertel vor Acht Richtung Pamplona unterwegs, weils mit sechs Leuten in dem kleinen Zimmer nicht auszuhalten war. Pamplona wird der Mega-Boxenstopp auf der heutigen Etappe. In Pamplona wird nämlich jedes Jahr ab dem 6. Juli San Fermin gefeiert, weil das der Stadtpatron ist und heute haben wir den 7., also ist die Fiesta in vollem Gange. Ernest Hemingway hat mit seinem gleichnamigen Roman dieses Fest weltbekannt gemacht und für viele Amerikaner ist es ein must have einmal dabei gewesen zu sein. Ich dagegen war nicht scharf drauf mit den Stieren um die Wette zu rennen, weshalb ich gegen halb Zwölf, wenn die Rennerei gelaufen ist, in Pamplona eintrudeln will. Hab ich auch geschafft. Nach dreieinhalb Stunden bei bestem Wetter durch ein Meer von Beige und Brauntönen, die mit dem satten Grün von Weinbergen und Wäldern harmonieren, kam ich in die ersten Vororte. Ausgestorben. Alle Schotten dicht, nur hier und da hatte eine Bar auf und es huschten Männer und Frauen ganz in Weiß mit roten Halstuch und roten Gürtel durch die Gassen. Aufgeregt. Whole town in panic.
Dann passierte ich das Ortsschild unter dem ein ebenso großes Schild verkündete, daß die Stadt keine sexuelle Aggressionen toleriert. Sowas würde ich mir ja mal fürs Oktoberfest wünschen, wo man doch eher versucht alles kleinzureden und zu vertuschen, was an sexuellen Übergriffen bis bin zur Vergewaltigung so alles vorkommt, Jahr für Jahr. Da scheint Pamplona einen offensiveren Umgang mit dem Thema zu pflegen. Je näher ich dem Stadtzentrum kam, desto mehr Menschen sah ich in Tracht und desto häufiger war die baskische Fahne gehisst, politische Transparente über die Strasse gespannt und die Stadt entsprechend plakatiert. Ein reichlich großer Bierstand war mit ökologisch, antikapitalistisch und antisexistisch überschrieben. Ob der Stand so groß war, weil das komplette politische Programm dargestellt werden sollte, ob der ob das sich so ergeben hat, blieb unklar. Ist auch egal. Aber das so eine große Veranstaltung, ein Volksfest zur Bühne fortschrittlicher, gar linker Politik werden kann, ist schon ein Unicum der politischen Kultur im Baskenland. Vielleicht geht sowas noch in Rojave. Es war auf jeden Fall schön, das zu sehen. Und all die tanzenden und singenden Menschen, die sich auf den großen Festzeug freuten. Besoffene hab ich keine gesehen, obwohl alle n Bier, n Wein oder Sidra in den Händen hatten. Dem konnte ich mich nicht entziehen, stellte mich in einer Bar an die Thekr, bestellte ein Bier und habe die ersten Pinchos meiner Wanderung genossen. Kunstvoll geschichtete Leckereien mit allem Möglichen. Basis ist in der Regel eine Brotscheibe auf die in gewagten Konstruktionen und Kombinationen alles kommt, was schmeckt. Herrlich. Ich ließ mich weiter durch das Geschehen treiben und fand daran Gefallen. Das hatte -vielleicht muß ich mir dieses Stierdingens doch mal angucken- sowas Archaisches, sowas Ursprüngliches und trotz der ganzen Touris und mir nichts Gekünsteltes, sondern das Tragen der Tracht, also weiße Klamotten, rote Accessoaires ist ja kein Dirndl-Kram von 50 bis 5000 Euro, sondern funktioniert mit ner Malerhose genauso wie einer weißen boss-Jeans, hat also an sich etwas zutiefst Nivellierendes. Ich kauf mir auch so ein rotes Halstuch und empfinde meinen Rucksack zum ersten Msl nach langer Zeit als störend. Mit dem Teil am Rucken flutschst du halt nicht mal eben durch ne Menschenmenge, sondern musst aufpassen, daß du mit den Stecken, die ich am Rucksack festgemacht habe, um die Hände frei zu haben, keinem wehtust. Manche Wanderer sehen das anders und mal wieder ist fremdschämen angesagt. Dir haben einen Plan, einen Rückflug ab Compostelle für kleines Geld schon gebucht und müssen heute dadurch. Die Pissnelken. Das hier, das ist das pralle Leben und weil es eben ein Leben ist, das auch politisch in meine Richtung tickt, wünsche ich mir meine Bande, um das richtig genießen zu können. Es ist nämlich doch etwas anderes alleine über so ein großes Fest zu ziehen, zu sehen, zu schmecken und zu beobachten, als mit guten FreundInnen dabei zu sein. So gucke ich mir das halt mehr an und freue mich, daß der Raul Zelig -sehe ich abends auf fb – dieses Fest ähnlich wahrnimmt. Und worüber ich mich noch mehr freue ist die Tatsache, daß wir mit diesem roten ersten Mai in Siegen so etwas Ähnliches doch recht erfolgreich etabliert haben. Ok, es gibt keine Tracht, außer dieses lebhafte und nivellierende Schwarz ☺, aber ansonsten ist dieser Ansatz Volksfest plus linke Inhalte seit mehreren Dekaden erfolgreich. Ich steh an einer Ecke und überlege, ob wir beim nächsten ersten Mai die FleischesserInnen von ein paar VeganerInnen durch Siegens Altstadt jagen lassen sollten, um das noch cooler zu machen. Ich verwerfe den Gedanken aber sofort wieder.
Nach zwei Stunden packt mich dann doch die Unruhe und ich ziehe weiter,obwohl ich mir den Umzug gerne angesehen hätte. Ein anderes Mal. Rasch ging es durch das Universitätsviertel wieder aufs Land, was auch heißt, das es mit geeigneten Unterkünften nicht so ganz einfach ist. Landschaftlich ging das Farben- und Panoramaspektakel vom Vormittag weiter und weil ich von San Fermin, der Landschaft und Allem reichlich guter Dinge war, ging es immer weiter bis ich in Puente la Reina war und ich merkte, daß ich heute locker zwei Etappen zusammengelegt habe. Kommt vor. Ich war dann aber auch brotfertig und froh ein günstiges Hotel gefunden zu haben, in dem ich auch Essen konnte. Dazu traf ich einen alten Bekannten, einen Rose aus dem Hause Inurieta, einem Winzer der aus Puente la Reina stammt und auch in Deutschland zu haben ist. Ein echt lecker Stöffche. Den Rest der Flasche nahm ich mit aufs Zimmer und war dann froh, daß nach neunzig Minuten mit Fußball Schluß war und ich das Licht ausmachen konnte.