77. Etappe: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles

Heute gehts nach Spanien und das ist ein ganz besonderer Schritt, nicht nur weil ich damit nach den Alpen mein zweites europäisches Hochgebirge überquere, sondern weil ich das Gefühl habe, daß eine der Intentionen, die ich mit dieser Wanderung verbinde, zumindest teilweise erfüllt ist. Doch bevor Zeit für große Gefühle ist, muß gepackt werden und angesichts des nächtlichen Regens der erst gegen fünf aufgehört hat, muß ich wohl umdisponieren. Bislang habe ich nämlich den Rucksackinhalt auf der Isomatte gelagert, um dann das Zelt abzubauen und im Rucksack zu verstauen und den anderen Kram dann drumrum zu schichten. Das würde heute bedeuten, daß die Isomatte patschnass wird. Also nix gut. Deshalb geht es darum, den Rucksack im Zelt zu packen, den trocken zu lagern und dann das Zelt abzubauen und am Rucksack zu befestigen. Ich bin kein Freund davon das Zelt außen hinzuhängen, weil dadurch die ganze Chose weniger kompakt wird. Damit kann man hängenbleiben und Sachen können verrutschen. Alles blöd, aber heute geht das nicht anders. Dabei habe ich noch richtig Glück und kann das Außenzelt über der Wäscheleine trocknen, während ich das Innenzelt zusammenlege und den Unterboden beim Zusammenrollen schön Umdrehung für Umdrehung trocken und sauber wische. Irgendwann ist alles getan und es geht los. Wir haben halb Zehn und es klart nicht auf.

Das macht am Anfang nicht wirklich was aus, weil ich das Gefühl habe, das klart doch noch auf und sich lichtender Nebel im Gebirge hat schon auch was. Ich komme aber rasch höher und der Nebel wird dichter. Sichtweite um die zwanzig Meter. Also nicht sooo prickelnd, aber die Wegführung ist gut zu erkennen und ich stolpere auch nicht über die Hape Kerpelings dieser Welt, die sich in einem unangenehmen Fall als Jungingenieure entpuppen, die das wohl machen, weil man das macht und weil es evtl. Credit points zum Kompensieren fehlender Sozialkompetenz gibt. Auf jeden Fall geht es nur ums wie und wo wie billig. Hoffentlich kriegen die niemals Personalverantwortung; diese Sprösslinge einer bürgerlichen Mittelschicht, der das kulturelle und soziale Kapital so vollständig abhanden gekommen zu sein scheint. Ach so, neben billig, geht es immer auch um Präsentationen. Schriftsprache, Memos und Fließtext scheint echt auszusterben. Schade eigentlich. Ich frage mich manchmal, ob die sich in der Schule nicht mit der deutschen Klassik, Heinrich Manns Untertan und alldem auseinandersetzen mußten und jemand denen die universellen Werte hinter den ollen Schinken vermittelt hat. Ich weiß, das ich bestimmt pauschaliere, aber diese vier Typen sind fast Prototypen und da kann man ja auch schonmal den großen Wurf wagen, oder?

Ich überschreite die französisch-spanische Grenze, aber die spanische Zentralregierung stellt kein „Bienvenidos a Espana“-Schild auf, sondern ich werde in der Provinz Navarra begrüßt und ein improvisierter, aber stabiler Aufsteller weist darauf hin, daß ich mich immer noch im Baskenland befinde. Das finde ich ausgesprochen sympathisch, weil ich mich hier schon wohl fühle. Naja, in Spanien bin ich jetzt trotzden, aber das Wetter und das fehlende Espagna-Schild lässt mich nur kurz innehalten und gedenken. Denke an Helden, die sich ohne Smartphone, Internet und Gymnasium nur mit Schulatlanten und Straßenkarten auf den Weg nach Spanien gemacht haben. Das ist mir erst in den letzten Wochen klar geworden, wieviel schwerer es diese Männer und Frauen hatten, nach Spanien zu kommen. Aber sie haben es getan, um mit der Waffe in der Hand gegen Francos Faschisten zu kämpfen.

Ich trage seit Würzburg eine Fahne der zweiten spanischen Republik mit mir. Diese eine Fahne wurde das erste Mal 2014 anläßlich des 70. Jahrestages der Landung in der Normandie von mir und vier Freunden gezeigt, um an die zu erinnern, die nicht nur als Interbrigadisten, sondern bereits ein paar Jahre später wieder in den Linienorganisationen der allierten Armeen ihren Platz einnahmen, um den Faschismus zu bekämpfen. Ich trage sie 2016 anläßlich des 80. Jahrestags des Spanischen Bürgerkriegs mit mir, der von 1936-1939 und viel länger dauerte. Die spanische Republik, die rechtmäßige und gewählte Regierung wurde im Kampf gegen die FrancoFaschisten, die geputscht hatten, von vielen Freiwilligen aus vielen Vaterländern unterstützt, die in den internationalen Brigaden zusammengefasst wurden. Auch aus Deutschland machten sich mehrere 10000 meistens junge Leute, aber auch Veteranen des ersten Weltkriegs auf den Weg und das unter den erschwerten Bedingungen des Hitlerfaschismus in Deutschland. Sie gingen zu Fuß, fuhren Fahrrad oder Motorrad, waren mit der Bahn unterwegs, um der spanischen Republik zu helfen. Und zwar mit der Waffe in der Hand. Ich empfinde einen außerordentlich tiefen Respekt vor diesen Männern und Frauen, die sich unter den Bedingungen der 30er Jahre auf den Weg gemacht haben. Sie haben mit ihrem Engagement das letzte Zeichen vor dem großen Weltenbrand, dem Weltkrieg II, gesetzt, daß die Zivilgesellschaft wehrhaft ist!

Upps, das ist jetzt etwas länger geworden, aber ich hoffe es ist klar geworden, warum mir das mit der Fahne wichtig ist. Wir leben nämlich in Zeiten, in denen die Zivilgesellschaft gut beraten ist, wehrhaft zu sein! Alerta Antifascista! Mit alle dem im Kopf, komme ich in Roncesvalles an. Der Ort hat ein Pilgerhospiz mit 180 Schlafplätzen, wonach mir nach den Jungingenieuren und dem Rest von der Kerkeling-Combo überhaupt nicht ist. Also steigt der Arbeiteradel woanders ab – siebzehn saubere Zimmer über ner Kneipe – duscht und freut sich schreibenderweise aufs Abendessen.Das gibts erst um halb Acht. Da kann ich ja nochmal ein wenig ruhen. Kluger Plan.

Aber der Hunger meldet sich und ich hock mich mit der Schreibwerkstatt in die Kneipe unter mir und bestelle txistorras, das sind baskische Bratwürste mit Piment gewürzt, die im Baguette serviert werden. Paarweise. Fast wie daheim. Und lecker sind sie, dazu ein Bier und der Hunger schweigt. Ich schreibe noch ein wenig, betrachte das Treiben in der Bar und freue mich mal wieder im Baskenland bzw. in Spanien zu sein.Um sieben geht es dann zum Abendessen und ich bekomme einen Schreck. Die 180Betten-Herberge schickt ihre Gäste zum Abendessen auch hierüber und so komme ich neben drei Italienern, einer US-Amerikanerin, einer Marburgerin, einer Engländerin und zwei Norwegern am runden Tisch zu sitzen. Die Verständigung auf Englisch klappt und es wird ganz lustig, vor allem weil das Essen weitgehend ungewürzt und zerkocht auf den Tisch kommt. Salz und Pfeffer ist schnell organisiert, die Qualität italienischer Pasta gelobt und die spanische für untauglich erklärt. Mit der Frau aus Marburg klappt die Verständigung auch auf Deutsch und wir unterhalten uns über die verschiedenen Beweggründe den Camino zu gehen und sie bestätigt – sie ist schonmal den Camino del norte gegangen – die These von den Credit Points, die das Gehen des Weges in Sachen Tiefe und Sozialkompetenz geben könnte. Außerdem gehört es in gewissen Kreisen wohl auch zum guten Ton. Naja, dann…

Nach dem Essen verläuft sich die Tischgesellschaft schnell, mich zieht es allerdings auf einen Absacker nochmal in die Kneipe in der mittlerweile das lokale Publikum die Mehrheit stellt. Ich ergattere einen Platz an der Theke und beschließe den Tag mit einem schönen Rose aus navarra, der eine kirschrote Farbe hat und dunkle Beerennoten im Geschmack verbreitet. Lecker. Es ergibt sich noch ein Gespräch mit einer Frau aus Nebraska, in dem es um den unvermeidlichen Trump, das Wahlsystem in den USA und die Krankenversicherung geht. Ich habe nicht so oft die Möglichkeit mit US-Amerikanern zu reden, weshalb ich das interessant finde. Aber irgendwie ist auch gut für heute und ich verabschiede mich Richtung Cama und finde schnell in den Schlaf.