Wie soll ich denn anfangen? Vielleicht so. Seit jungen Tagen und der Einführung des Frühstücksfernsehens, kann ich den Finger nicht von der Fernbedienung lassen, wenn ich in der Reichweite derselben genächtigt habe. Das war ganz früher in der WG der Fall, heutzutage eben in Hotels, weil ich es mir für daheim echt verboten habe. Und wo habe ich übernachtet? Richtig. Im Hostal mit Fernseher… Also an damit, und dann die schrecklichen Bilder aus Nizza. Eine Stadt, die ich sehr mag. An der Cote d‘ Azur, einem Sehnsuchtsziel. Unweit von einem Campingplatz, der mir im Zusammenspiel mit der Stadt vor 25 Jahren drei wunderbare Tage mit Blicken über Stadt und Mittelmeer und viel Nachdenken und Klarheit verschafft hat. Meine Stadt, so ein bißchen. Und eine liebe Freundin war erst vor kurzem dort. Das macht es alles irgendwie so konkret, so nah, so nah an mir.
Und in all der Trauer wird in dieser Sendung sofort die Gleichung Tunesischer Hintergrund = Moslem= Islamist/Gaesh aufgemacht. Das macht mich wütend, weil es darum doch schon lange nicht mehr geht. Es ist egal, ob es ein durchgeknallter Irgendwas oder ein politischer Aktivist ist. Der Repressionsapparat wird sich weiter drehen. Frankreich lebt nun seit den Anschlägen von Paris im Ausnahmezustand. Die französische Regierung hat diese Zeit auch genutzt, um die französischen HartzIV-Gesetze durchzusetzen, und das eben auch mit Knüppelei und Tränengas, was auf meinem Weg durch Frankreich nur Wenige gestört hat. Das alles in einem Atemzug zu tun, hat die Regierung Hollande weiter auf den militärischen Weg gezwungen und das ist das Einfallstor für Durchgeknallte an sich und für politische Schwerverbrecher, weil er Ihnen damit in ihren Augen Legitimität für ihre Taten verleiht. Und er hat gestern Nacht die Rechnung präsentiert bekommen. Dabei hätte er es besser wissen können. Bereits vor fast oder mehr als 100 Jahren hat der gute Lenin die Spirale aus individuellem Terror, und auch Lenin wußte schon zwischen durchgeknallten Einzelpersonen und wahnsinnigen Organisationen zu unterscheiden, und Repression beschrieben. Dieser Anschlag macht Le Pen zur nächsten Präsidentin und die Spirale der Repression geht weiter. Das Angela Merkel die leninsche Erkenntnis so eiskalt richtig umgesetzt hat, halte ich ihr zu Gute. Daß sie mittendrin die Linie verliert, ist eine ganz blöde Geschichte. Aber. Und das meine ich ernst. Sie hat den Druck aus dieser Repressionsnummer genommen und daraus ein zivilgesellschaftliches Problem gemacht. Prima. Jetzt können wir es aushandeln. Zusammen kochen oder Heime anzünden, aber wir als Gesellschaft, als Community entscheiden. Zur Zeit sieht es eher nach 2:0 für zusammen Kochen aus. Noch. Dafür müssen wir alles tun. Und solange sich die Cops, Rigaer und so, raushalten und niemand aus dem etablierten Lager schlechte Stimmung macht, kriegen wir das auch hin. Die Sozialdemokratie ist dabei schlechte Stimung zu machen, so leid mir das tut. Der kritische Faktor.den dieser Parteivorstand von Andrea bis Zigmar darstellt, ist dabei unglaublich, weil viele SPDlerInnen vor Ort ja prima unterwegs sind…. Denke ich, aber ich bin ja auch schon n viertel Jahr weg. All das geht mir durch den Kopf . Morgens früh, wegen Frühstücksfernsehen, und sonst auch…
Ich verlasse heute die Region Rioja und komme in das von mir ungeliebte Kastilien. Das hat völlig emotionale Gründe, sicher gibt es da auch nette Menschen, aber für mich steht Kastilien für die spanischen KönigInnen, die Ausbeutung von Südamerika, aber eben auch von Galicien, Asturien, Kantabrien, Euskadi und Catalunya, für Imperialismus der ersten Stunde, für die Antiaufklärung und den klerikalen Konservatismus des frühen 20. Jahrhundert, der schlußendlich auch den Franco-Putsch und das Verharren dieses Landes bis weit in die 80er Jahre bewirkt hat. Die Älteren werden sich erinnern, was das war, als nach Francos Tod keine roten Fahnen durch Madrid getragen wurden, sondern der junge König gefragt wurde, ob er es nicht richten will… Das war 1974 in Portugal schon was anderes. Ich acht Jahre alt, aber die portugiesischen Arbeitskollegen meines Vaters in allerbester Laune. Das war Befreiung. In Spanien gabs Transition… Die InterrailerInnen der 80er werden sich sicher auch noch an den Unterschied zwischen Portugal und Spanien erinnern. In Porto am Bahnhof wurden wir mit bestimmt 400 Schlafsackleuten vorm Bahnhof liegend von der Polizei bewacht und in Spanien mit drei Rucksackis argwöhnisch beäugt. Das sind Lektionen fürs Leben!
Also jetzt dadurch. Und zwar ganz schön lange. Vorsichtig setze ich meinen Fuß über die Landesgrenze und stimme sicherheitshalber mal ein Lied an… “ unsre Heimat liegt heute vor Madrid…“ Es passiert nix. Also gehe ich weiter und werde von goldenen Weizenfeldern, die bis zum Horizont reichen und von der Sonne beschienen werden, geblendet. Wie schön. Das der Weg dabei die ganze Zeit an der N120 vorbeiführt ist fast egal. Die Landschaft malt sich selber als abstrakte gold-scharz Schattierung oder eben monochrom. Herrlich. Wenigstens was. Die Dörfer sind zumeist verschlafen oder nur noch auf Wanderer ausgerichtet und deshalb wenig berichtenswert. Ich komme dann im Zielort an, leg mich wieder aufs Bett, guck spanische Nachrichten, lese einen zur Vorsicht gemahnenden Jacob Augstein und den Rest von Internet und denke, daß der luhmannsche Aufsatz zur Soziologie der Politik, der die Reziprokität von Macht so ganz hervorragend beschrieben hat, also die Aufeinanderbezogenheit von Herrscher und Beherrschtem und der systemischen Komplexität des Prozesses, wenn einer von Beiden den Bezug zum Anderen verliert, von universellem Wert ist. Eine prägende Lektüre. Darüber duckel ich ein, drehe noch eine Runde durchs Kaff und beschließe in der etwas außerhalb gelegenen Unterkunft zu essen. Es macht keinen Sinn in einem von Camino-WandererInnen lebenden Ort nach einem gescheiten Resto zu suchen. Also heim. Das Obst für morgen aufs Zimmer und auf gehts. Salat als Vorspeise, Fritten und Schnitzelchen als Hauptspeise kennen wir. Genau wie die Musik. Ich speise mit dem Musikgeschmack von Henry Maske und diesem anderen deutschen Boxer aus den 90ern. Jetz läuft Conquer of paradise oder wie das heißt. Es ist grausam. Aber als Nachspeise ne Scheibe Melone. Ich gebe zu, Melone ist nicht so ganz mein Ding, aber das hier hat geschmeckt. Keine Friteuse, keine Mikrowelle konnte es verhunzen. Ich bin mal gespannt, wie das kulinarisch weitergeht. Das Viertele Wein zu Essen hatte auch was von Messwein, also irgendwie eine Myrre-Note. Deshalb gibts jetzt nochn Bier auf der Terasse und ich lasse meine Gedanken weiter fliegen. Vielleicht kriege ich sie ja auch mal noch sortiert, daß sie auf einen Bierdeckel passen. Allen die bis hierhin mitgelesen haben auf jeden Fall ein herzliches Danke. Ihr und sie müsst das ja auch alles aushalten..
Lieber Klaus,
gemeinsam halten wir es aus und ich genieße in der Hängematte liegend deine Berichte.
Weiter so! Nur Mut!