82. Etappe: Los Arcos – Logroño

Am Morgen geht es früh los, weil 29km zu bewältigen sind, aber wider Erwarten sind nicht viele Wanderer unterwegs. Mir solls recht sein. Es ist auch etwas kühler wie gestern und bewölkt hat es sich auch. Zum Wandern ist es also recht angenehm. Heute geht es von Navarra nach Rioja, dem wohl bekanntesten Anbaugebiet Spaniens. Zielort ist Logroño, die Hauptstadt der Region und Universitätsstadt. Ich werde zwei Nächte dort bleiben, weil ich mir die Stadt seit der Lektüre eines Weinkrimis, der dort spielte, recht interessant vorstelle. Außerdem gilt es auch auf der Spur weißer Trauben zu bleiben, die mit Hitze umgehen können, weil unser deutsches Portfolio von Riesling bis Silvaner ja bei hohen Temperaturen richtig Stress kriegt und da ich denke, daß es im Klimawandel zu Perioden mit hohen Temperaturen und großer Trockenheit kommen wird, gilt es schonmal nach Alternativen Ausschau zu halten. Unterstützung werde ich von einem Freund und Kollegen erhalten, den es nach seiner Verrentung Richtung Spanien gezogen hat.

Aber zunächst geht es durch Weinberge, Felder und Wäldchen flott voran. Zwei Einkehrschwünge für den Mineralienhaushalt führen zu einer echt miesen Erfahrung. Beim zweiten Boxenstopp war mir nach einem Mineralwasser mit Blubb. Dieses stille Wasser aus dem Hahn hängt mir nämlich allmählich zum Hals raus. Und bei dem Straßenverkauf mit Sitzgelegenheit entdecke ich ein Dose auf der was mit Aqua und con Gas steht. Gekauft. Aufgerissen und an den Hals damit. Aber so schnell wie ich die Dose wieder abgestellt habe, habe ich lange nichts mehr abgestellt. Das reinste Zuckerwasser. Ich hatte irgend so einen halbseidenen Energydrink erwischt. Bah, schmeckt das eklig. Da lob ich mir doch Coca-Cola, eiskalt, zumindest hier auf dem Weg. Ich hoffe nämlich, daß sich mein Softdrink-Konsum zuhause wieder runterfahren lässt. Zur Zeit ist mein Kalorienumsatz so, daß ich das verkrafte, vor allem weil ich tagsüber eigentlich auf feste Nahrung verzichte, mal hie und da ein Pintcho, aber das zählt ja nicht. Ab Oktober sitze ich aber wieder an einem Schreibtisch oder sonstwo. Da wäre das fatal. Naja, wird schon klappen, gibt ja dann wieder Mineralwasser mit Blubb.

Mit solch schwergewichtigen Gedanken nähere ich mich Logroño und sehe mal wieder Industrie, produzierendes Gewerbe, was mich echt freut. Es ist natürlich nicht wirklich lauschig durch ein Industriegebiet zu wandern, aber es fühlt sich gut an. Danach geht es bergab durch eine kleine Straße Richtung Innenstadt an der ein ganz besonderer Verkaufsstand Getränke und Souvenirs anbietet. Vor einem kleinen Häuschen sitzt eine alte Frau, die sich mit diesem Stand finanziert, so wie das schon ihre Mutter gemacht hat, die schon 2002 gestorben ist und der mit einer Tafel am Haus gedacht wird. Das wirkt alles mächtig sympathisch und ich beschließe die 29km in sieben Stunden mit einem San Miguel.

Danach geht es in die Unterkunft, duschen und ruhen und los. Zum Busbahnhof, meinen Freund abholen, der aber erst morgen um die gleiche Zeit kommen wird. Stellen wir telefonisch fest. Da haben wir uns wohl mißverstanden. Naja, ziehe ich halt alleine los. Ab in die Altstadt. Menschen, Bars und Läden. Der abendliche Corso beginnt langsam. Man flaniert durch die Gassen, trinkt hier ein Glas, nimmt da ein Pintcho und geht weiter, trifft sich auf einen kurzen Plausch. Alles geht schrecklich laut zu und ich bin nach vier Pintchos satt. Pappsatt. Schön finde ich, daß die zum Pintcho immer nur ein Schlückchen Wein ausschenken und keinen Schoppen, sonst wäre der Abend schnell vorbei. So kann ich weiter cruisen und eintauchen. Ab 21.00h öffnen dann die Restaurants und die Pintchos werden abgeräumt, bzw. nicht mehr nachgefüllt und dann gehen die Leute noch richtig Essen. Das ist der Hammer. Naja, ich hab genug gesehen und geh schlafen.

Morgens schlafe ich aus, ignoriere das Frühstück im Hotel und beziehe einen guten Platz in einem Marktcafe, bestelle Cafe con Leche und Zumo de Narañja und beginne den gestrigen Tag festzuhalten. Diese Kaffeehäuser haben einfach eine tolle Ausstrahlung. Businesspeople und Marktfrauen, die Chicas aus den Boutiquen, die erst um zehn öffnen und Bauarbeiter, die schon um sieben angefangen haben und eine Kaffeepause machen. Mittendrin ich, also weniger mittendrin als in einer Ecke mit guter Übersicht. Schön. Nachdem das Schreiben und Sitzen und Gucken rum ist, wird es auch Zeit zum Busbahnhof zu gehen und den Claus abzuholen, der sich extra meinetwegen auf den Weg aus Donostia hierher gemacht, wo er im Ruhestand seine Zelte aufgeschlagen hat. Ich freue mich und der Bus ist pünktlich. Herzliches Hallo. Nachdem wir sein Gepäck in meinem Zimmer verstaut haben, gehen wir erstmal nen Kaffee trinken, dann am Ebro spazieren, um dann quer durch die Stadt zu laufen. Es gibt zu erzählen und zu diskutieren, nachzufragen, gemeinsam zu beleuchten, was mir nach all den Wochen seit dem Burgund, wo ich alleine unterwegs bin, richtig gut tut. Irgendwann werden wir hungrig und essen eine Kleinigkeit, bevor es weitergeht.

Dann kann Claus in seinem Hotel einchecken, was er dann auch tut und wir wenden uns den angenehmen Dingen des Lebens zu. Eine Weinbar mit einem guten Überblick ist in der Altstadt schnell gefunden und wir fangen bei den einfachen Weinen an. Dazwischen immer wieder ein Pintcho oder Tapas, wie die hier auch schon heißen. Wir führen weiter Gespräche über die Rettung der Welt und merken, daß uns ein junger Kerl die ganze Zeit schon mit zunehmender Aufmerksamkeit zuhört. Wir fragen nach und er entpuppt sich als wiss. Mitarbeiter an der Uni Birmingham, der dort Sozialarbeiter ausbildet und kurz drauf diskutieren wir zu dritt die Rettung der Welt aus der Perspektive der Sozialarbeit im Europa der leeren Dörfer und der überforderten Metropolen. Das ist sehr interessant, weil der Kollege, der übrigens wegen seiner Oma aus Hannover ganz gutes Deutsch spricht, eben auch die methodischen und qualitativen Ansätze einer Sozialarbeit im 21. Jahrhundert und deren strukturellen Rahmenbedingungen einbringt. Gemeinwesenarbeit mit einer einzigen Planstelle wird eben schwierig und schon entsteht Migrationsdruck vom Land in die Stadt, weil nur dort adäquat geholfen werden kann. Es ist ein fulminanter Abend, der mich an beste Studienzeiten erinnerte, wo wir auf theoretisch hohem Niveau die neuen Welten auf einen Bierdeckel brachten, oder ein Flugblatt oder einen Artikel. Zwischendurch spielt auch noch ein Japaner mit, der eine Woche auf dem Camino verbracht hat und seinen letzten Abend feierte. Das konnte er mit einem japanischen Pintcho, weil der Wirt der Kneipe eine japanische Freundin hat, die ihm das Rezept gedrückt hat. Deshalb also mitten in einer Weinbar in Logroño Sushi und ein Japaner, der sich freut. Ich find das schon großartig, das es einen Schlag junger Leute gibt, die echterdings als international zu bezeichnen sind und viel reisen und hoffentlich den Anderen, die höchstens Urlaub machen, beibringen, daß Nation ein Konstrukt ist und wir alle Menschen.

Als es dann aber immer mehr Under30 wurde, haben Claus und Klaus sich verzogen. Wir sind dann in einer Sidreria etwas außerhalb der Partyzone eingecheckt und haben den Wein erstmal mit Sidra neutralisiert, bevor wir -einer Empfehlung der Wirtin folgend- noch Essen gingen. Der Geheimtip entpuppte sich als das Teil, wo alle Vertriebler ihre Kunden zum Essen hinzerren, weils da soooo authentisch ist. Seis drum. Essen lecker. Es gab was zum lästern und wir hatten weiterhin unseren Spaß. Weil man aufhören soll, wenn es am Schönsten ist, gings nach einer herzlichen Verabschiedung dann in die jeweilige Unterkunft. Ein schöner Tag und Logroño war genau der richtige Ort. Super-Weine, coole Bars, nette Leute und Universitäts-/Verwaltungsstadt, also fast wie Würzburg! ☺