Ich werde gegen halb sechs wach, gucke aus dem Fenster, sehe eine weiße Wand und denke mir, ihr könnt mich mal. Dann lege ich mich gepflegt wieder hin und nehme das Tagewerk erst gegen acht Uhr wieder auf. Nachdem ich nämlich gestern schon nix von der Landschaft hatte, will ich der Sache heute eine Chance geben. Also zivilierte Morgentoilette inklusive Rasur, dann zum Frühstück, was nach dem petit dejeuner der letzten Monate schon fast üppig war, weil es zwei Scheiben Käse und zwei Scheiben gekochten Schinken gab. Dazu eine Orange und eine Nektarine. Leider keinen Joghurt, aber ich kann nunmal nicht alles haben. Lecker wars und ich um Neun auf der Straße. Der Nebel löste sich langsam auf und hing dann nur noch zwischen den Bergspitzen und wurde von der steigenden Sonne angestrahlt. Das war schon herrlich anzuschauen und als sich auch der letzte Rest in Wohlgefallen aufgelöst hatte, war es ein wolkenloser Sommertag wie er sein soll.
Da es mein erster Tag nach dem Grenzübertritt war und dieser Camino Frances ja der Hotspot unter den Jakobswegen, und das nicht erst seit Hape Kerkeling, ist, war ich auch gespannt, wer mir da alles vor die Füße fällt. Und ich war überrascht. Zunächst mal nämlich niemand, weil die alle schon weg waren. Vielleicht werden die alle nach der Frühmesse um Sieben aus der Herberge gekehrt und müssen los. Damit hatten die fast zwei Stunden Vorsprung und ich meine Ruhe. So nach und nach begegnete mir dann doch das ein oder andere Grüppchen und ich konnte mal ein wenig gucken. Empirische Befunde sind das jetzt auch nicht, aber mal soviel. Das Publikum wird jünger, was insbesondere an den spanischen KollegInnen liegt, die den Weg -hm, wie sag ich das denn jetzt???- als lange Drosselgasse oder Wanderwellness oder Saisonabschlußfahrt oder Abiabschluß-Gedöns mit günstigen Unterkünften links und rechts inklusive internationalem Publikum nutzen. Nix dagegen einzuwenden, es wird halt nur lauter -die quatschen in einer Tour- und a weng mehr Laufsteg ist auch, weil hie und da Tesosteron und Östrogene in der Luft hängen. Ihren Beitrag dazu leisten auch All American Boys and Girls für die ein paar Tage auf dem Camino zum Eurotrip dazugehören, bevor sie zu San Fermin den Hemingway in Pamplona geben. Dann gibt es Einzel- und Gruppenwanderer, zumeist ältere Semester, denen das Ernst ist bzw. die das mal machen wollen. Hinzu kommen asiatische Manga-Leute, die bei 32Grad mit Handschuhen und Gesichtsschutz unterwegs sind. Einige Italiener sind auch auf dem Weg, aber die treff ich erst später.
Nach ein paar Stunden mit vielen Kurzstopps zum Schuhe nachbinden, trinken und fotografieren laufe ich in den Zielort ein und werde bös von der neuen Quantität des Weges überrascht. Nach drei ergebnislosen Anfragen, ob denn was frei wäre, beschließe ich weiterzugehen. Bis zum nächsten Ort sind das nochmal fünf Kilometer, aber weil es kein offizieller Etappenort ist, kriege ich da sofort was. 10 Euro für n Platz im Mehrbettzimmer, das ich mir mit einem italienischen Pärchen teile. Jaaa, eigentlich gilt der Grundsatz Einzelzimmer oder Zelt, aber von jedem Grundsatz gibt es Ausnahmen. Basta.
Das ist auch ganz in Ordnung, bis auf den Punkt, daß ich keinen Bock habe, dem Pärchen beim Abhängen zuzuhören. Also verzupf ich mich auf die Terrasse und Gut ist. Ich werde das schon überstehen, als kurz vorm Abendessen noch zwei weitere Italiener auf ihren Fahrrädern auftauchen, ein Bier bestellen und ihren Helm nicht abziehen. Ob die auch hier pennen wollen? Im selben Zimmer? Mir schwant Übles. Und richtig. Die pennen auch hier und deshalb gibt es später Abendessen. Ich koche, weil ich Hunger habe und drei Leute ok, fünf Leute in dem eher kleinen Schlafsaal scheiße finde.
Das Abendessen ist dann sehr lecker und sehr italienisch aufgebaut mit Antipasti:Salat, primi piatti: Pasta (mit dieser baskischen Bratwurst), secondi piatti: Schweinemedaillon mit Karottengemüse und Dolce: Creme Catalan. Das wunderte mich nun auch und war sicherlich kein Tribut an die italienischen Gäste, aber die Italienisierung der Speisewelt nimmt wohl auch in Spanien ihren Lauf. Ich werde das weiter im Auge behalten. Mit den vier ItalienerInnen geht es nicht um Fußball, sondern ums Reisen und autochthone Rebsorten, was mir zusagt und wir kriegen auf englisch, deutsch, italienisch sowas wie eine Unterhaltung hin, die zumindest fürs Tischgespräch langt. Also an der Stelle alles gut. Ich geh jetzt mal hoch und guck, ob die tatsächlich auch in demselben Zimmer pennen wie ich. Und wenn, dann würde mein alter Herr wohl sagen „Hütte, Gut Nacht“, dem ich mich anschließen würde.