77. Etappe: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles

Heute gehts nach Spanien und das ist ein ganz besonderer Schritt, nicht nur weil ich damit nach den Alpen mein zweites europäisches Hochgebirge überquere, sondern weil ich das Gefühl habe, daß eine der Intentionen, die ich mit dieser Wanderung verbinde, zumindest teilweise erfüllt ist. Doch bevor Zeit für große Gefühle ist, muß gepackt werden und angesichts des nächtlichen Regens der erst gegen fünf aufgehört hat, muß ich wohl umdisponieren. Bislang habe ich nämlich den Rucksackinhalt auf der Isomatte gelagert, um dann das Zelt abzubauen und im Rucksack zu verstauen und den anderen Kram dann drumrum zu schichten. Das würde heute bedeuten, daß die Isomatte patschnass wird. Also nix gut. Deshalb geht es darum, den Rucksack im Zelt zu packen, den trocken zu lagern und dann das Zelt abzubauen und am Rucksack zu befestigen. Ich bin kein Freund davon das Zelt außen hinzuhängen, weil dadurch die ganze Chose weniger kompakt wird. Damit kann man hängenbleiben und Sachen können verrutschen. Alles blöd, aber heute geht das nicht anders. Dabei habe ich noch richtig Glück und kann das Außenzelt über der Wäscheleine trocknen, während ich das Innenzelt zusammenlege und den Unterboden beim Zusammenrollen schön Umdrehung für Umdrehung trocken und sauber wische. Irgendwann ist alles getan und es geht los. Wir haben halb Zehn und es klart nicht auf.

Das macht am Anfang nicht wirklich was aus, weil ich das Gefühl habe, das klart doch noch auf und sich lichtender Nebel im Gebirge hat schon auch was. Ich komme aber rasch höher und der Nebel wird dichter. Sichtweite um die zwanzig Meter. Also nicht sooo prickelnd, aber die Wegführung ist gut zu erkennen und ich stolpere auch nicht über die Hape Kerpelings dieser Welt, die sich in einem unangenehmen Fall als Jungingenieure entpuppen, die das wohl machen, weil man das macht und weil es evtl. Credit points zum Kompensieren fehlender Sozialkompetenz gibt. Auf jeden Fall geht es nur ums wie und wo wie billig. Hoffentlich kriegen die niemals Personalverantwortung; diese Sprösslinge einer bürgerlichen Mittelschicht, der das kulturelle und soziale Kapital so vollständig abhanden gekommen zu sein scheint. Ach so, neben billig, geht es immer auch um Präsentationen. Schriftsprache, Memos und Fließtext scheint echt auszusterben. Schade eigentlich. Ich frage mich manchmal, ob die sich in der Schule nicht mit der deutschen Klassik, Heinrich Manns Untertan und alldem auseinandersetzen mußten und jemand denen die universellen Werte hinter den ollen Schinken vermittelt hat. Ich weiß, das ich bestimmt pauschaliere, aber diese vier Typen sind fast Prototypen und da kann man ja auch schonmal den großen Wurf wagen, oder?

Ich überschreite die französisch-spanische Grenze, aber die spanische Zentralregierung stellt kein „Bienvenidos a Espana“-Schild auf, sondern ich werde in der Provinz Navarra begrüßt und ein improvisierter, aber stabiler Aufsteller weist darauf hin, daß ich mich immer noch im Baskenland befinde. Das finde ich ausgesprochen sympathisch, weil ich mich hier schon wohl fühle. Naja, in Spanien bin ich jetzt trotzden, aber das Wetter und das fehlende Espagna-Schild lässt mich nur kurz innehalten und gedenken. Denke an Helden, die sich ohne Smartphone, Internet und Gymnasium nur mit Schulatlanten und Straßenkarten auf den Weg nach Spanien gemacht haben. Das ist mir erst in den letzten Wochen klar geworden, wieviel schwerer es diese Männer und Frauen hatten, nach Spanien zu kommen. Aber sie haben es getan, um mit der Waffe in der Hand gegen Francos Faschisten zu kämpfen.

Ich trage seit Würzburg eine Fahne der zweiten spanischen Republik mit mir. Diese eine Fahne wurde das erste Mal 2014 anläßlich des 70. Jahrestages der Landung in der Normandie von mir und vier Freunden gezeigt, um an die zu erinnern, die nicht nur als Interbrigadisten, sondern bereits ein paar Jahre später wieder in den Linienorganisationen der allierten Armeen ihren Platz einnahmen, um den Faschismus zu bekämpfen. Ich trage sie 2016 anläßlich des 80. Jahrestags des Spanischen Bürgerkriegs mit mir, der von 1936-1939 und viel länger dauerte. Die spanische Republik, die rechtmäßige und gewählte Regierung wurde im Kampf gegen die FrancoFaschisten, die geputscht hatten, von vielen Freiwilligen aus vielen Vaterländern unterstützt, die in den internationalen Brigaden zusammengefasst wurden. Auch aus Deutschland machten sich mehrere 10000 meistens junge Leute, aber auch Veteranen des ersten Weltkriegs auf den Weg und das unter den erschwerten Bedingungen des Hitlerfaschismus in Deutschland. Sie gingen zu Fuß, fuhren Fahrrad oder Motorrad, waren mit der Bahn unterwegs, um der spanischen Republik zu helfen. Und zwar mit der Waffe in der Hand. Ich empfinde einen außerordentlich tiefen Respekt vor diesen Männern und Frauen, die sich unter den Bedingungen der 30er Jahre auf den Weg gemacht haben. Sie haben mit ihrem Engagement das letzte Zeichen vor dem großen Weltenbrand, dem Weltkrieg II, gesetzt, daß die Zivilgesellschaft wehrhaft ist!

Upps, das ist jetzt etwas länger geworden, aber ich hoffe es ist klar geworden, warum mir das mit der Fahne wichtig ist. Wir leben nämlich in Zeiten, in denen die Zivilgesellschaft gut beraten ist, wehrhaft zu sein! Alerta Antifascista! Mit alle dem im Kopf, komme ich in Roncesvalles an. Der Ort hat ein Pilgerhospiz mit 180 Schlafplätzen, wonach mir nach den Jungingenieuren und dem Rest von der Kerkeling-Combo überhaupt nicht ist. Also steigt der Arbeiteradel woanders ab – siebzehn saubere Zimmer über ner Kneipe – duscht und freut sich schreibenderweise aufs Abendessen.Das gibts erst um halb Acht. Da kann ich ja nochmal ein wenig ruhen. Kluger Plan.

Aber der Hunger meldet sich und ich hock mich mit der Schreibwerkstatt in die Kneipe unter mir und bestelle txistorras, das sind baskische Bratwürste mit Piment gewürzt, die im Baguette serviert werden. Paarweise. Fast wie daheim. Und lecker sind sie, dazu ein Bier und der Hunger schweigt. Ich schreibe noch ein wenig, betrachte das Treiben in der Bar und freue mich mal wieder im Baskenland bzw. in Spanien zu sein.Um sieben geht es dann zum Abendessen und ich bekomme einen Schreck. Die 180Betten-Herberge schickt ihre Gäste zum Abendessen auch hierüber und so komme ich neben drei Italienern, einer US-Amerikanerin, einer Marburgerin, einer Engländerin und zwei Norwegern am runden Tisch zu sitzen. Die Verständigung auf Englisch klappt und es wird ganz lustig, vor allem weil das Essen weitgehend ungewürzt und zerkocht auf den Tisch kommt. Salz und Pfeffer ist schnell organisiert, die Qualität italienischer Pasta gelobt und die spanische für untauglich erklärt. Mit der Frau aus Marburg klappt die Verständigung auch auf Deutsch und wir unterhalten uns über die verschiedenen Beweggründe den Camino zu gehen und sie bestätigt – sie ist schonmal den Camino del norte gegangen – die These von den Credit Points, die das Gehen des Weges in Sachen Tiefe und Sozialkompetenz geben könnte. Außerdem gehört es in gewissen Kreisen wohl auch zum guten Ton. Naja, dann…

Nach dem Essen verläuft sich die Tischgesellschaft schnell, mich zieht es allerdings auf einen Absacker nochmal in die Kneipe in der mittlerweile das lokale Publikum die Mehrheit stellt. Ich ergattere einen Platz an der Theke und beschließe den Tag mit einem schönen Rose aus navarra, der eine kirschrote Farbe hat und dunkle Beerennoten im Geschmack verbreitet. Lecker. Es ergibt sich noch ein Gespräch mit einer Frau aus Nebraska, in dem es um den unvermeidlichen Trump, das Wahlsystem in den USA und die Krankenversicherung geht. Ich habe nicht so oft die Möglichkeit mit US-Amerikanern zu reden, weshalb ich das interessant finde. Aber irgendwie ist auch gut für heute und ich verabschiede mich Richtung Cama und finde schnell in den Schlaf. 

76. Etappe: Ostabat – Saint-Jean-Pied-de-Port

Ich lasse mir mit dem Aufstehen Zeit, weil ich diese letzte Etappe bis Saint Jean genießen will. Es sind nur fünf Stunden in relativ flachem Gelände und es herrscht bestes Wetter. Und mit dem lange liegen bleiben, habe ich auf das richtige Pferd gesetzt. Alle schon weg und ich hab den Weg für mich alleine. Und es lohnt sich. Es ist ein Weg durch grüne Täler mit den höher werdenden Hügeln der  Vorpyrenäen. Ich nähere mich Saint Jean Pied de Port, diesem uralten Sammelpunkt der Pilgerströme, bevor es über die Berge nach Spanien geht. Heute ist Saint Jean der Startpunkt für die Hape Kerkelings dieser Welt, die also nicht an der Haustür losgehen, sondern hier.

Das bedeutet für mich, daß ich mich auf viel mehr Menschen einrichten muß, daß ich trotz dieser Menschen meinen Stiefel weitergehen muß, was auch heißt mich abzugrenzen. Es heißt auch, mich nicht von irgendeiner Art Leuten nerven zu lassen, die ich schon vor Jahren aus meinem Sandkasten gejagt habe. Also nochmal eine andere Art Gelassenheit zu lernen, als die, die ich in der Frage von Zeit und Entfernung gewonnen habe. Es wird also spannend.

Deshalb mache ich morgen auch erstmal einen Tag Pause. Ich bin seit Cahors durchgegangen, was immerhin 12 Tage sind. Ich kenne Saint Jean und den gutgelegenen Campingplatz ja von früheren Motorradreisen und einem Urlaub mit meiner Liebsten und kann die Stadt ganz gut haben. Trotzdem ist es ein anderes, und zugegebenermaßen reichlich geiles, Gefühl durch das Jakobstor zu gehen und zu wissen, daß ich vor drei Monaten zu Hause los bin und den ganzen Weg gegangen bin, zugegebenermaßen mit ein wenig Shuttelei, aber trotzdem. Ein tolles Gefühl.

Ich genieße das ein wenig und mache mich dann auf zum Campingplatz, baue mein Zelt auf, dusche und hole dann meine neuen Schuhe ab, die ich ja per Email klargemacht hatte. Die standen auch parat und es entspann sich ein nettes Gespräch mit Pierre über die Haltbarkeit von Outdoor-Schuhen bzw. deren Sohlen und dem Quatsch, daß die Renegade-Sohlen nicht auszutauschen sind. Das hören ein paar Wanderer mit, die ich vom Sehen her kenne und es gibt einen lustigen Plausch. Das Problem mit den Schuhen kennen wohl alle Weitwanderer. Wenig tröstlich, aber hilfreich. Also beim Kauf noch mehr auf die Erneuerbarkeit der Sohlen achten.

Der Laden hatte übrigens am Sonntag auf, weil Saint Jean einfach voll der Touri-Ort ist. Und das merke ich jetzt beim Rumbummeln. Restaurant, Souvenir, Kunsthandwerk wechselt sich in schöner Regelmäßigkeit ab, was mich heute garnicht so sehr stört. Ich will mich feiern und stoße auf ein kleines Gault Millau empfohlenes Resto, das einen schönen Hinterhof hat, wo mir auch ein Platz gegönnt wird. Der Abend wird nett, auch weil der Service wohl noch vor der Zwischenprobe steht. Amuse-Bouche und Entree werden gleichzeitig serviert, dafür aber das Brot vergessen. Alles egal. Viel Pardon und Erklärungsversuche, die ich leider nicht verstehe und ein sympathisches Auftreten der blutjungen Crew machen das wieder wett. Es gibt Charcuterie von einem Bauernhof mit unaussprechlichem Namen und eine Forelle aus den Pyrenäen, die der Baske mit angeschwitzten Zwiebeln, rohem Schinken und Piment de Espelette füllt und als Beilage einen Tomatenreis reicht. Zum Abschluß ein Ziegenfrischkäse mit Berghonig. Dazu je einen Schoppen Rose fürs Entree und Weißwein für den Rest. Ein gelungener Abend. Ich trolle mich Richtung Zelt und schlafe tief und fest.

Morgens mache ich erstmal überhaupt nichts außer dumm gucken, weil die Leute, die heute aufbrechen jede Menge Tamtam veranstalten. Dabei dauert die Tour auch nur knapp 7 Stunden. Egal. Ich bleibe liegen und mache Pläne für den Tag. Die Schuhe müssen ein wenig warmgetragen und eingefettet werden. Ich muß den alten Wanderführer und einige Karten sowie Devotionalien, die ich eingesammelt habe, auf die Post bringen. Ich will die alten Schuhe bestmöglich entsorgen. Ich muß mir einen neuen Ladestecker besorgen, weil der alte Stecker weg ist. Puh, als für jemand der sonst nur gehen muß, ist der Tag voll. Komme mir vor, wie die Arbeitslosen von Marienthal. Also, auf. Körperpflege und stadtfein gemacht. Dann auf die Post und eins dieser Standardpäckchen besorgt, die sich so bewährt haben. Das zum Zelt gebracht und wieder in die Stadt. Der Camping liegt keine fünf Minuten von der Innenstadt. Wieder ins Städtchen Richtung Markt, weil nämlich heute, an einem Montag; man höre und staune, Markttag ist. Und da es zeitlich mittlerweile zwischen spätem Frühstück und frühem Mittagessen ist, beschließe ich mich auf dem Markt zu versorgen und vorm Zelt zu picknicken. Auf der Erde, weil ein Stuhl diesmal nicht aufzutreiben ist. Märkte im Süden. Herrlich. Ich erstehe ein Stück bleu de bebris, einem mit Blauschimmel behandelten Ziegenkäse, was mich einiges an Überwindung gekostet hat, weil der Verkäuferin schon aus zehn Metern anzumerken war, daß die schwierig ist. Aber es gab diesen Käse bei niemand anders, weshalb ich mir einen Ruck gegeben habe. Ich bestellte eine petit tranche und sie hält das Messer an den halben Käse und ich bedeute ihr, daß das Stück deutlich kleiner werden muß, weil es für une person, moi, sein soll. Sie wird zögerlich kleiner, was ich verstehe, weil so ein mit Schimmel behandelter Ziegenkäse und so wie der hier eh aussieht eine  bröckelige Angelegenheit sein kann. Ich wiederhole also das Spiel bis sie das erste Mal no sagt und erwerbe eine 200g Scheibe. Geht doch. Bei dem Tomme will sie das Spiel nicht wiederholen und zeigt auf vorverpackte Stücke, die mir aber zu groß sind. Dann reichts mir und ich bezahle. Weiter gehts. Es gibt auch hier einen Bäcker, wo die Leute Schlange stehen in die ich mich einreihe. Dann zum Obst, wo es Erdbeeren und Nektarinen gibt, und zum Rotiseur, der Schweinebauch und Piperade, eine schmackhafte Zwiebel-Paprika-Tomatensauce hat. Mit meinen Schätzen gehts zum Camping und mein Picknick kann beginnen. Danach strecke ich mich nur noch aus und mache Siesta, die bis in den frühen Nachmittag geht. Dann fette ich die Schuhe ein und mach das Päckchen für die Post fertig. Wo es einen Elektrofachmarkt gibt, weiß ich mittlerweile auch und bereits am morgen war mir eine Boutique Social, eine Kleiderkammer der katholischen Kirche aufgefallen. Da will ich meine Schuhe abgeben. Post und Fachmarkt. Erledigt. Bei der Boutique war zu und ich war gerade dabei die alten Schuhe an die Tür zu hängen, als eine ältere Dame aus dem Hinteren des Ladens kam. Ich erklärte, daß ich die Schuhe gerne spenden möchte (Collecte hat sie dann verstanden) und das die Qualite noch gut wäre (Ich zeigte auf das Leder und sagte: „Qualite, bonne!“), nur die Sohlen halt ein Malheur hätten. Sie hat das verstanden und sich gefreut, die Schuhe auf jeden Fall angenommen und sich bei mir bedankt und mir einen guten Weg gewünscht. Ach, war ich froh. Weil die Schuhe für jemanden, der damit nur zur Schule oder durch die Stadt will, noch prima sind. Aber in die Berge will ich damit nicht. So soll es sein und schön, daß es Leute gibt die sich für solche engagieren.

So, während ich hier sitze und schreibe, hat es sich auch zugezogen, was eigentlich klar war. Ich will ja morgen weiter. Mal gucken was das gibt. Jetzt hole ich erstmal die Wäsche rein, die da noch beim Zelt rumhängt. Innenstadtnahe Campingplätze sind super. Es hat dann noch gewittert und geregnet, was mich nicht davon abgehalten hat, angesichts der Widrigkeiten nochmal Essen zu gehen. Diesmal gabs Axoa, eine baskische Spezialität, die mir ja schonmal begegnet war. Im Prinzip ein Gemüsegulasch zu dem Kartoffeln gereicht werden. Nachdem mir die Rechnung einfach hingestellt wird, bin ich auch ganz schnell raus aus dem Laden, nicht ohne die Chefin darauf hinzuweisen, daß das ein sehr unfreundlicher Akt ist, worauf sich die junge Servicekraft entschuldigt und sie hätte mich wohl falsch verstanden. Ich hab aber garnix gesagt, sondern mich nur stumm am ersten Kaffee des Tages gefreut. Schlußendlich egal, aber es gibt Phasen, da nehme ich sowas persönlich. Das ist so eine Nummer aus der ich immer noch nicht raus kann.

So sollte der Abend aber nicht zu Ende gehen. Also steuerte ich eine Weinbar an, die mir gestern schon aufgefallen war, weil dort eher einheimisches Publikum zu verkehren schien. Ich setzte mich auf ein Glas an einen Bartisch auf der Terasse und betrachtete die Szenerie als drei Zottels mit ihren Hunden, die auch auf dem Camping unter waren – also die Hunde und die Zottels – eintrudelten und Platz nahmen. Sie erkannten mich auch, nickten mir zu und ich nahm mein Glas und gesellte mich zu ihnen. Alles drei Franzosen mit Schulenglisch und ich. Es ging natürlich um den Weg, der mit Hunden wegen den Unterkünften nicht ganz so unkompliziert ist. Dann gings um Musik und wir trafen uns bei Ska, obwohl franzöischer Ska nicht durchgängig mein Gefallen findet. Während sie nix von den baskischen Skapunk-Sachen kannten. Ein lustiger Abend inkl. Youtube-Battle, bei dem wir uns eine Flasche Rose vom Weingut Mourguy hier aus der Gegend teilten. Dan trollten wir uns gemeinsam Richtung Camping und nachdem ich mich in dem Schlafsack geschossen hatte, fing es wieder an zu regnen. Alles richtig gemacht. Und falls sich jemand fragt, wie ich mich denn mit meiner sprichwörtlichen Beweglichkeit mit so einer Dackelgarage als Wohnhome fühle, kann ich nur sagen, daß ich das Gefühl habe, n Vierteljahr mit dem Equipement an einem sonnigen Strand und ich wäre beweglich wie vor vierzig Jahren. Ich nehm mir das raus, weil ich merke, daß sich meine Beweglichkeit eben durch das Zelten ergeben muß und dann zippts ein, zwei Mal, aber die Sehne merkt, daß sie gebraucht wird. Das funktioniert wahrscheinlich nicht nur beim Zelten in fernen Ländern und an sonnigen Stränden, weshalb ich das mal nicht weiter vertiefen will… Außerdem werde ich müde und das leichte Trommeln der Tropfen aufs Zeltdach hat was sehr Entspannendes… Gut Nacht.

75. Etappe: Aoure – Ostabat

Ich hab so schlecht geschlafen, wie lange nicht mehr. Zwei Stechmücken benutzten meinen Körper als Tränke und ich lag auf einer dieser Inkontinenzmatratzen . Das Problem bei diesen Dinger entsteht, wenn das Betttuch so dünn ist, daß du das Gefühl hast, im eigenen Saft zu liegen. Wer die roten Kunstlederbänke der deutschen Bundesbahn noch kennt, weiß wie sich das anfühlt, wenn es mal mehr wie 20Grad hat. Es war eine grausame Wältzerei und Juckerei. Am morgen fühlte ich mich wie ausgespieen und kam deshalb heute später los als geplant.Auch weil ich mir das Frühstück bei der Frau Köchin nicht engehen lassen wollte. Und richtig. Mit selbstgemachten Marmeladen und einem Jogurt aus eigener Herstellung, der wirklich nach Milch schmeckte und die Konsistenz von Panna Cotta hatte, war die Nacht schnell vergessen.

Fast vergessen hatte ich auch schon, daß es regnen kann. Aber dieser Wetterzustand brachte sich heute in eindrucksvoller Weise in Erinnerung. Es regnete in allen Varianten von leichtem Nieseln bis minutenlangem Starkregen. Zwischendurch hörte es auch wieder auf, heller wurde es auch schon wieder, aber die Hoffnungen trogen. Und als ich dann an dem Punkt stand, für den der Wanderführer einen exzellenten Blick auf die Pyrenäen versprach und der es sogar zu einer Panoramatafel gebracht hatte, die die Gipfel benamten und nur in eine weiße Wand gucken konnte, hätte ich echt heulen können. Da latschst du fast 2000km und dann wird dir so ein Panorama versagt. Die Laune war also nicht nur im Keller, sondern in der Kanalisation.

Das wurde auch nicht besser als ich den Zielort betrat und das Gefühl hatte, daß hier aber auch garnix los ist, geschweige denn eine touristische Infrastruktur vorhanden ist. Bei dem Wetter brauch ich die aber und hatte mir schon das ein oder andere ausgemalt. Pustekuchen. Nun liege ich in einem ZweiBettZimmer und bleibe hoffentlich alleine, werde den ganzen Nachmittag aber schon von vier saublöden Fliegen genervt, die sich entweder an meinem neuen Duschzeug oder eben was ich sonst so mittlerweile mit mit rumschleppe gar nicht oft genug ne Nase holen kommen können. Um sieben gibts Abendessen, aber ich geh – denk ich – vorher mal aufn Apero.

Das war ein lecker regionales Bier mit einem unaussprechlichen Namen, der eher nach Saurier als Kaltgetränk klang. Geschmacklich ging es in Richtung der dunklen Biere aus der fränkischen Schweiz. Ach, wie ich mich darauf auch wieder freue. Nach dem Bier in der einen Bar des Ortes mußte ich wieder in die andere Bar des Ortes, weil dort das Abendessen serviert wurde. Die kleine Karawane durch den Ort zeigte, daß es dir anderen Gäste des Ortes ebenso gehalten haben. Am Abendessen hatte ich meine helle Freude gab es doch zunächst eine frische Gemüsesuppe, die ich schon seit dem Burgund nicht mehr hatte. Dann gabs ein Schweinekotelett mit grünen Bohnen und Pasta äh Pate und zum Schluß einen Käse aus dem Ort, schnittfester Schafskäse. Bonne. Die Tischgesellschaft bestand aus einem französischen Pärchen und einem Einzelwanderer, ebenfalls Franzose und Unsympath. Der war mir schon tagsüber aufgefallen, weil er jede Zurückhaltung, über das Maß hinaus an das ich mich mittlerweile gewöhnt habe, vermissen ließ. Also saß mir gegenüber ein alter Mann der schmatzend und grunzend sein Essen verschlang und darauf bedacht war, von Brot und Wein soviel wie möglich einzuheimsen. Das er dazu ein Armeeunterhemd trug und das Pärchen immer wieder mit Beiträgen malträtierte in denen die Wörter Nation und France auftauchten, machte das Bild für mich rund. Ich hab ja keine Vorurteile, aber ne leichte Kindheit hatte der auch nicht. Um das mal so zu sagen.

Damit war der Abend aber noch nicht vorbei. Ich fragte den Wirt nach wifi und als ich im Gespräch rausarbeiten konnte, daß ich Fußball gucken wollte, meinte er nur, ich solle mal mitkommen. Er schloß einen Raum auf, der mir bislang verschlossen geblieben war, genau gegenüber meines Zimmers lag und sowas wie den Partykeller der Butze beherbergte, inklusive eines mordsgroßen Fernsehers. Getränketechnisch versorgte ich mich mit einer Flasche baskischen Cidre, wovon ich auch noch nie gehört hatte, und los gings mit dem bekannten Ergebnis, einem langen Abend. Aber dann ging es nur eine Tür weiter und in Orpheus Arme.

74. Etappe: Navarrenx – Aoure

Heute stand ein viereinhalbstündiger Spaziergang über 18km auf der Tagesordnung und da sich die Unterkunft auch schon ergeben hatte, war ich reichlich entspannt. Frühstück um Acht, gemeinsam mit dem Vermieter, der auch Englisch sprach, so daß ein launiges Tischgespräch über Lebensmittel und Landwirtschaft in Frankreich, sowie die arg fleischlastige Gastro-Kultur entstand. Im Zuge dessen legte er mir doch für heute eine Unterkunft nahe, in der die Vermieterin gelernte Köchin und eine exzellente Vertreterin der baskischen Küche ist. Gesagt getan. Mail raus. Schnelle Antwort. Chambre mit Halbpension. Alles klar.

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73. Etappe: Arthez-le-Bearn – Navarrenx

Ich liebe das Internet. So etwas fantastisches. Unglaublich. Aber von Anfang an. Das mir meine Schuhe, die ich ja seit sechs Wochen trage, sohlentechnisch nun auch den Dienst versagen, ist ja bekannt. Das Problem hat sich auf den knapp 60km der letzten Tage soweit zugespitzt, daß ich häufiger Pause machen muß, weil jeder Tritt ungedämpft an meine Haxen weitergegeben wird. Also muß Abhilfe her. So habe ich dann im Netz einen Outdoorladen in Saint Jean aufgetrieben und nach demselben Modell in meiner Größe gefragt, daß ich derzeit an den Füßen habe. Die Antwort kam relativ prompt per Mail. Alles klar. Ab Montag gibts frisches Schuhwerk. Bis dahin muß es halt irgendwie gehen.
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72. Etappe: Arzacq/Arraziguet – Arthez-de-Bearn

Nun hock ich hier auf dem Campingplatz, der Stuhl ist organisiert und die Brotzeit gemacht. Der Stromkasten spricht sogar mit meinem Ladegerät und die Dusche ist zwar eine von diesen Drückeduschen, aber es kommt schnell warmes Wasser. Ich bin ganz froh, daß der Platz unterhalb des Städtchens, oder besser Kaffs, liegt, weil in dem Ort lache ich nicht mehr. Die gastronomische Infrastruktur erschöpft sich in einem Cafe de Sports mit Getränken und einem TakeAway-Italiener und der ist schuld, daß ich und dieses Arthez keine Freunde mehr werden. Angesprochen von der interessanten Karte und den verwegenen Kreationen bin ich nämlich da rein und wollte bestellen. Vom deutschen Pizzakutscher kennt man das ja so. Die armen Verhungernden, die es bis vor die Theke schaffen, werden dazwischen geschoben und warten maximal ne Viertelstunde. Die Besteller hocken ja eh daheim auf der Couch. Ein gutes und bewährtes Prinzip, finde ich. Also sage ich welche Pizza ich will und bekomme als Antwort, wann ich die denn wolle. Ich grinse und sage: As soon as possible und denke mir nix dabei. Dann zeigt der Vogel mir seine Liste und das ich so inner Stunde dran wäre. Dann habe ich ihm zu seiner konsequenten und damit sicherlich auch total gerechten Bestellabwicklung gratuliert und bin gegangen. So blöd muß man ja auch erstmal sein. Und weil ich so sauer war, bin ich auf Selbstversorgung umgestiegen, hab den PetitCasino Supermarkt geentert und mir leckere Fischkonserven und frische Tomaten und ne Zwiebel gekauft. Dazu n Baguette vom Bäcker und n Roten aus der Region. Lecker wars…
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71. Etappe: Aire-sur-l’Adour – Arzacq/Arraziguet

Zelttage gehen immer später los, weil das Zelt ja auch wieder abgebaut werden und ich mir selber was zum Frühstücken organisieren muß. Trotzdem möchte ich das nicht missen, quasi mit rundum geöffneten Fenstern zu schlafen und die Luft zu genießen. Und jetzt wo sich die Wetterlage ja zu stabilisieren scheint und ich mich darüber hinaus daran gewöhne ein taufeuchtes Zelt einpacken zu müssen, ist das alles gut und ich um halb neun startklar.
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70. Etappe: Nogaro – Aire-sur-l’Adour

Aus anhaltendem Protest gegen die Unsitten der französischen Gastronomie verweigere ich das mit 12 Euronen deutlich zu teure petit dejeuner und versorge mich im kleinen Sparmarkt, den ich gestern schon gesehen hatte. Beim Bäcker bleibt mir das Herz stehen, weil der zu hat. Ahhh, wir haben Montag und montags ruht das Geschäftsleben in Frankreichs Süden. Es haben nicht alle zu, aber viele und ein System ist nicht zu erkennen. Aber eine offene Bäckerei finde ich noch und kann gemütlich am Kirchplatz frühstücken und zwar mit gekochtem Schinken und Tomaten aufm Baguette und Obst. Lecker und für mittags blieb auch noch was über.
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69. Etappe: Eauze – Nogaro

Heute wird nur halbtags gewandert, weil der Körper mal wieder a weng Ruhe braucht. Ich habe aber gemerkt, daß ganze Ruhetage einen auch ganz rausbringen, weshalb ich das jetzt mal so probieren will. Der Weg führt weiter durch die Weinberge der Cote de Gascogne, aber auch entlang von Mais und Weizenfeldern. Die Sonne lacht und ich bin guter Dinge, obwohl mir der Abend ein wenig in den Knochen hängt. Das war dann doch ein wenig ausführlicher, das EM-Gucken mit den Portugiesen. Aber schön wars. So schlendere ich sinnierenderweise meine 20km runter und glaube bereits Elemente eines Baustils zu entdecken, den ich für baskisch halte. Das ist so ein Fachwerk mit relativ schmalen, dafür aber eng stehenden Balken und wenig Querbalken. Naja, ich komme Euskadi halt näher und freue mich drauf.
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