75. Etappe: Aoure – Ostabat

Ich hab so schlecht geschlafen, wie lange nicht mehr. Zwei Stechmücken benutzten meinen Körper als Tränke und ich lag auf einer dieser Inkontinenzmatratzen . Das Problem bei diesen Dinger entsteht, wenn das Betttuch so dünn ist, daß du das Gefühl hast, im eigenen Saft zu liegen. Wer die roten Kunstlederbänke der deutschen Bundesbahn noch kennt, weiß wie sich das anfühlt, wenn es mal mehr wie 20Grad hat. Es war eine grausame Wältzerei und Juckerei. Am morgen fühlte ich mich wie ausgespieen und kam deshalb heute später los als geplant.Auch weil ich mir das Frühstück bei der Frau Köchin nicht engehen lassen wollte. Und richtig. Mit selbstgemachten Marmeladen und einem Jogurt aus eigener Herstellung, der wirklich nach Milch schmeckte und die Konsistenz von Panna Cotta hatte, war die Nacht schnell vergessen.

Fast vergessen hatte ich auch schon, daß es regnen kann. Aber dieser Wetterzustand brachte sich heute in eindrucksvoller Weise in Erinnerung. Es regnete in allen Varianten von leichtem Nieseln bis minutenlangem Starkregen. Zwischendurch hörte es auch wieder auf, heller wurde es auch schon wieder, aber die Hoffnungen trogen. Und als ich dann an dem Punkt stand, für den der Wanderführer einen exzellenten Blick auf die Pyrenäen versprach und der es sogar zu einer Panoramatafel gebracht hatte, die die Gipfel benamten und nur in eine weiße Wand gucken konnte, hätte ich echt heulen können. Da latschst du fast 2000km und dann wird dir so ein Panorama versagt. Die Laune war also nicht nur im Keller, sondern in der Kanalisation.

Das wurde auch nicht besser als ich den Zielort betrat und das Gefühl hatte, daß hier aber auch garnix los ist, geschweige denn eine touristische Infrastruktur vorhanden ist. Bei dem Wetter brauch ich die aber und hatte mir schon das ein oder andere ausgemalt. Pustekuchen. Nun liege ich in einem ZweiBettZimmer und bleibe hoffentlich alleine, werde den ganzen Nachmittag aber schon von vier saublöden Fliegen genervt, die sich entweder an meinem neuen Duschzeug oder eben was ich sonst so mittlerweile mit mit rumschleppe gar nicht oft genug ne Nase holen kommen können. Um sieben gibts Abendessen, aber ich geh – denk ich – vorher mal aufn Apero.

Das war ein lecker regionales Bier mit einem unaussprechlichen Namen, der eher nach Saurier als Kaltgetränk klang. Geschmacklich ging es in Richtung der dunklen Biere aus der fränkischen Schweiz. Ach, wie ich mich darauf auch wieder freue. Nach dem Bier in der einen Bar des Ortes mußte ich wieder in die andere Bar des Ortes, weil dort das Abendessen serviert wurde. Die kleine Karawane durch den Ort zeigte, daß es dir anderen Gäste des Ortes ebenso gehalten haben. Am Abendessen hatte ich meine helle Freude gab es doch zunächst eine frische Gemüsesuppe, die ich schon seit dem Burgund nicht mehr hatte. Dann gabs ein Schweinekotelett mit grünen Bohnen und Pasta äh Pate und zum Schluß einen Käse aus dem Ort, schnittfester Schafskäse. Bonne. Die Tischgesellschaft bestand aus einem französischen Pärchen und einem Einzelwanderer, ebenfalls Franzose und Unsympath. Der war mir schon tagsüber aufgefallen, weil er jede Zurückhaltung, über das Maß hinaus an das ich mich mittlerweile gewöhnt habe, vermissen ließ. Also saß mir gegenüber ein alter Mann der schmatzend und grunzend sein Essen verschlang und darauf bedacht war, von Brot und Wein soviel wie möglich einzuheimsen. Das er dazu ein Armeeunterhemd trug und das Pärchen immer wieder mit Beiträgen malträtierte in denen die Wörter Nation und France auftauchten, machte das Bild für mich rund. Ich hab ja keine Vorurteile, aber ne leichte Kindheit hatte der auch nicht. Um das mal so zu sagen.

Damit war der Abend aber noch nicht vorbei. Ich fragte den Wirt nach wifi und als ich im Gespräch rausarbeiten konnte, daß ich Fußball gucken wollte, meinte er nur, ich solle mal mitkommen. Er schloß einen Raum auf, der mir bislang verschlossen geblieben war, genau gegenüber meines Zimmers lag und sowas wie den Partykeller der Butze beherbergte, inklusive eines mordsgroßen Fernsehers. Getränketechnisch versorgte ich mich mit einer Flasche baskischen Cidre, wovon ich auch noch nie gehört hatte, und los gings mit dem bekannten Ergebnis, einem langen Abend. Aber dann ging es nur eine Tür weiter und in Orpheus Arme.