72. Etappe: Arzacq/Arraziguet – Arthez-de-Bearn

Nun hock ich hier auf dem Campingplatz, der Stuhl ist organisiert und die Brotzeit gemacht. Der Stromkasten spricht sogar mit meinem Ladegerät und die Dusche ist zwar eine von diesen Drückeduschen, aber es kommt schnell warmes Wasser. Ich bin ganz froh, daß der Platz unterhalb des Städtchens, oder besser Kaffs, liegt, weil in dem Ort lache ich nicht mehr. Die gastronomische Infrastruktur erschöpft sich in einem Cafe de Sports mit Getränken und einem TakeAway-Italiener und der ist schuld, daß ich und dieses Arthez keine Freunde mehr werden. Angesprochen von der interessanten Karte und den verwegenen Kreationen bin ich nämlich da rein und wollte bestellen. Vom deutschen Pizzakutscher kennt man das ja so. Die armen Verhungernden, die es bis vor die Theke schaffen, werden dazwischen geschoben und warten maximal ne Viertelstunde. Die Besteller hocken ja eh daheim auf der Couch. Ein gutes und bewährtes Prinzip, finde ich. Also sage ich welche Pizza ich will und bekomme als Antwort, wann ich die denn wolle. Ich grinse und sage: As soon as possible und denke mir nix dabei. Dann zeigt der Vogel mir seine Liste und das ich so inner Stunde dran wäre. Dann habe ich ihm zu seiner konsequenten und damit sicherlich auch total gerechten Bestellabwicklung gratuliert und bin gegangen. So blöd muß man ja auch erstmal sein. Und weil ich so sauer war, bin ich auf Selbstversorgung umgestiegen, hab den PetitCasino Supermarkt geentert und mir leckere Fischkonserven und frische Tomaten und ne Zwiebel gekauft. Dazu n Baguette vom Bäcker und n Roten aus der Region. Lecker wars…

Der Tag insgesamt war auch so schlecht nicht. Es war zwar grau und zusätzlich zur hohen Luftfeuchtigkeit, muß ich auf meinen ersten Pyrenäenblick noch warten. Aber ich kam flott voran und bis auf ein mittägliches Dejavu mit nicht enden wollenden Maisfeldern, war das landschaftlich schon abwechslungsreich und gegen Ende der Tour merkte ich dann auch das es wieder in die Berge geht. Ein paar knackige Anstiege brachten das Thema Höhenmeter wieder in Erinnerung. Einkehrmöglichkeiten waren kaum gegeben und kamen zumeist zu falschen Zeitpunkt. Aber einmal mußte ich doch 50m vom Weg abweichen, weil ein Epicerie sich sehr sympathisch anbot. Und ich traute meinen Augen nicht. Da hatte doch tatsächlich jemand in der alten Scheune einen kleinen Markt mit regionalen Produkten und ein wenig Gastro eingerichtet. Direktvermarktung at its best. Ein Stück selbstgemachte Quiche und ein bier artisanal aus der Region, Schuhe aus und Pause machen. Dieses Schuhe aus, Socken aus und die Füße trocknen lassen, ist übrigens ne prima Sache, auch um sich vor Blasen zu schützen. Sieht doof aus, riecht auch schonmal, hilft aber.

Serviert und abkassiert wurde ich übrigens von den beiden kleinen Töchtern der Inhaberin, die gerade woanders unterwegs war. Die Beiden nutzten die Chance den Laden zu schmeißen, was sie auch mit Bravour geschafft haben. Sehr sympathisch die Location. Sogar der Hund. Aber ich hatte noch drei Stunden zu gehen, weshalb ich mich dann auch trollte. Längeren Aufenthalt hatte ich dann noch in Castillon, wo einem Roger Vandenberghe gedacht wird, der im Range eines Adjudant-Chef in Indochina gestorben ist und zwar mit einer richtig großen Bronzeplatte direkt neben dem allgemeinen Kriegerdenkmal. Das war heute das erste Mal, daß ich so eine große Gedenktafel für jemanden gesehen habe, der in den Befreiungskriegen auf Seiten der alten Kolonialmächte gestorben ist. Das die Franzosen eine wenig kritische Sicht auf das Thema haben, fällt mir eh deutlicher auf, seit ich im Midi angekommen bin. Ich habe Kriegerdenkmäler gesehen, wo den Toten des ersten und zweiten Weltkriegs, der Resistance und den Toten, die in Algerien, Tunesien, Marokko und eben Indochine gestorben sind, gleichberechtigt gedacht wird. Die Extrawürdigung der ResistancekämpferInnen hat auf den Denkmal übrigens schonmal was von später auch noch draufgeschrieben, was für die Kolonialkrieger ja eh aus dem zeitlichen Kontext heraus so sein muß. Aber auch derer wird gedacht, auch die sind fürs Vaterland, für Frankreich gestorben. Für mich ist das zumindest befremdlich, weil doch damit implizit auch das Recht formuliert wird, andere Völker zum eigenen Wohl zu unterjochen und wenn die sich wehren, führt Frankreich einen gerechten Krieg. So kommt das auf jeden Fall bei mir an und da die Kriegerdenkmäler nunmal in kommunaler Verantwortung liegen, lässt das auch einen Blick in die politische Kultur des Nachbarn zu. Oder es ist anders und viel banaler, die Familie vom Indochinatoten beschwert sich, weil der doch auch in Uniform umgekommen ist, der Mairie will keinen Ärger und zack, hängt die Tafel und der Mertens macht sich n Kopf. Naja, unabhängig von den Kolonialtoten sind diese Kriegerdenkmäler schon interessant, allein weil sie auch das zahlenmäßige Verhältnis von Toten des ersten zu den Toten des zweiten Weltkriegs deutlich macht. Da gibt es Dörfer, bei denen es ganze Jahrgänge, männlicherseits, im ersten Weltkrieg dahingerafft hat. Da versteht man schnell, warum für die Franzosen der grande guerre, der erste und nicht der zweite Weltkrieg ist. Warum sie allerdings hie und da ihre Denkmäler ganz komisch anmalen, verstehe ich noch nicht. Das wird sich auch heute abend nicht mehr klären lassen.

Die Pizza ist übrigens längst nicht so gut, wie die Speisekarte vermuten ließ. Die drei Bauarbeiter, die von ihrem Chef hier aufm Platz im Mobilhome untergebracht worden sind, hatten bestellt und das sah nicht so dolle aus. Für die drei tuts mir das leid, aber ich denke mir mal wieder, daß es gut ist, wie es kommt. Que sera, sera!