74. Etappe: Navarrenx – Aoure

Heute stand ein viereinhalbstündiger Spaziergang über 18km auf der Tagesordnung und da sich die Unterkunft auch schon ergeben hatte, war ich reichlich entspannt. Frühstück um Acht, gemeinsam mit dem Vermieter, der auch Englisch sprach, so daß ein launiges Tischgespräch über Lebensmittel und Landwirtschaft in Frankreich, sowie die arg fleischlastige Gastro-Kultur entstand. Im Zuge dessen legte er mir doch für heute eine Unterkunft nahe, in der die Vermieterin gelernte Köchin und eine exzellente Vertreterin der baskischen Küche ist. Gesagt getan. Mail raus. Schnelle Antwort. Chambre mit Halbpension. Alles klar.

Und da ich nach dem Frühstück immer noch Zeit hatte, bin ich durch den wirklich lauschigen Ort geschlendert, hab die Gedenktafel für Henry Levebre bewundert, weil sie sich doch tatsächlich freut, daß einer der letzten großen marxistischen Philosophen in dem Haus an dem die Tafel hängt, großgeworden ist. Bewundert habe ich sie deshalb, weil ich es mir in Deutschland so schlecht vorstellen kann. Aber vielleicht irre ich mich ja auch. Nach dem Stadtrundgang habe ich in einem Cafe meine Schreibwerkstatt aufgeschlagen, Texte nochmal Korrektur gelesen und die gröbsten Schnitzer ausgemerzt (An meiner das/daß-Schwäche arbeite ich echt.) und online gestellt. Das ist schon immer ein wenig aufregend, weil ich natürlich immer auch auf Reaktionen gespannt bin.

Danach gehts los und ich komme mir vor wie im Scheinriesenland, weil ich den Bergen ja nun nochmal näher komme, aber die Teile entweder ganz verschwinden oder niedriger als gestern erscheinen. Trotzdem ist es eigentlich ein schöner Spaziergang durch begrüntes Hügelland durchzogen von kleinen Wäldchen, die die Monotonie der Futtermaisfelder für die Fleischwirtschaft angenehm unterbrechen. Aber es ist schon krass, minutenlang an diesen Feldern vorbeizugehen. Immer wieder. Schöne Überraschung ist eine Eselfamilie. Familie deshalb, weil da ein Fohlen -so nenne ich das jetztmal. Die Pferde sollen bitte verzeihen- bei war, was ich noch nie gesehen habe. Erstaunlicherweise waren die Ohren des Fohlens bereits genauso groß, wie die der Elternesel. Das wirft natürlich Fragen nach der Ohren eines neugeborenen Esels auf. Ob da wohl viel mehr als Ohren ist, wenn so ein Esel geboren wird?

Mit solch kriegsentscheidenden Gedanken komme ich im Ziel an und werde herzlich begrüßt. Die Dame des Hauses, die Köchin, also wichtig, zeigt mir alles. Einzelzimmer, aber Gemeinschaftssanitaires. Das passt. Ist doch das wichtigste das Abendessen. Ich wasche mich und meine Klamotten, ruhe ein wenig und sitze dann lesenderweise vor der Unterkunft. So Halbtagswanderungen haben was. Um 10.00h beginnen und um 15.00h schon wieder in der Sonne sitzen, das wären doch auch Arbeitszeiten, die genehm sind. Als ich dann die Wäsche von der Leine holen will, denke ich mir „Olalala, die Französinnen. Sparen aber auch jedes Gramm Gewicht.“ Hängt doch zwischen beigen, oliven und schwarzgrauen Funktionsklamotten rote Spitze. Und gegen diesen Hauch von Nichts wirkt selbst eine Funktionsunterhose schwer wie eine Bleiweste. Das Bild ist aber auch deshalb so schön, weil es etwas Anachronistisches und Disfunktionales hat, auf dieser Wäscheleine voller Funktionsspezialsuperklamotten sowas Spielerisch-Erotisches zu platzieren, noch dazu im Umfeld eines Bauernhofs mit Gästezimmern. Das Bild hat auf jeden Fall was, aber die Kamera hol ich dann doch nicht. Hab von meiner Mama gelernt, daß man immer auch überlegen muß, was die anderen Leute denken könnten. ☺

Das Abendessen ist dann wie erwartet toll. EinVorspeisenpotpourri mit Gazpatcho, Salat und ein wenig Charcuterie, danach Schweinebraten, Möhrensoufflet und wieder Salat und als Dessert eine Bananentorte mit Kakao. Vom Tischgespräch war ich leider ein wenig ausgeschlossen, weil die Gesellschaft aus zwei Pariser Familien bestand, die jedes Jahr eine Woche auf dem Jakobsweg unterwegs sind und einer Irin, die aber am anderen Ende des Tisches saß. So wurde ich ein wenig zur Testperson für die Töchter der Familien, die ihre Englisch-Kenntnisse ausprobierten und von ihren Berlin- und Kanadaaufenthalten erzählten. Daraus entspann sich auf niedrigem Niveau eine Diskussion darüber, welches System denn besser funktionierte, weil die Mädels meinten in Kanada und Deutschland wäre alles so gut organisiert und die Menschen weniger egoistisch als in Frankreich. Da mußte ich natürlich schon höflicherweise wiedersprechen, konnte aber die Klappe nicht halten und formulierte meine These von der Sicht auf den Staat als Repressionsapparat im Französischen und im angelsächsisch-deutschen als Aushandlungsplattform vermutlich nicht ganz erstsemestertauglich. Nach einigem Hin und Her erzählten die beiden eben auch von der starken Trenung des Politischen von der Gesellschaft. Naja, Empirie war das jetzt noch nicht, aber hilfreich wars schon. Nach dem Essen zerstreute sich die Runde und ich verzupfte mich auf mein Zimmer, weil mein neuer Krimi ausgesprochen spannend ist.

Ein Gedanke zu „74. Etappe: Navarrenx – Aoure

  1. Weise, sehr weise, deine Mama, dass sie das an dich weitergegeben hat.

    Und ich danke dir: mal wieder herrlich zu lesen.
    LG

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