Zelttage gehen immer später los, weil das Zelt ja auch wieder abgebaut werden und ich mir selber was zum Frühstücken organisieren muß. Trotzdem möchte ich das nicht missen, quasi mit rundum geöffneten Fenstern zu schlafen und die Luft zu genießen. Und jetzt wo sich die Wetterlage ja zu stabilisieren scheint und ich mich darüber hinaus daran gewöhne ein taufeuchtes Zelt einpacken zu müssen, ist das alles gut und ich um halb neun startklar.
Um wieder auf die Strecke zu kommen, muß ich an einer schönen Markthalle vorbei. Die hatte ich gestern schon gesehen und die Stahlkonstruktion außen und innen die gemauerten Tische bewundert. Und heute war das Teil mit Leben gefüllt. An einem Dienstag. Also hinein. Es war die helle Freude. Gemüsedealer aus der Region, Fisch- und Fleischhändler aus der Gegend und Käsehändler, sowie -direktvermarkter und Brothändler bei denen die Leute Schlange standen, als obs im Ort keine Bäcker mehr gäbe. Und ein Buvette, also ein Kaffee-, Bier-, Wein- und Saft-für-die-Kleinen-Ausschank. Einige alte Kämpen; abgearbeitete, graue Gesichter und längst im Rentenalter hatten drei Tische zusammengerückt und es standen Platten herum, die augenscheinlich vom Traitteur in der Halle, den verschiedenen Käsedealern und zwei BioMädels beschickt wurden. Die beiden hatten einen kleinen Stand und boten Schnecken in zwei Saucen an. Naja, den Jungs schmeckte es erstens und zweitens wollten die den jungen Frauen wohl auch helfen. Es war auf jeden Fall ein Mordstamtam, alle hatten einen Spaß, es gab immer wieder großes Hallo und die Alten waren im Kern der Veranstaltung. Ich nehme an, wenn die so weitergemacht haben, liegen die um Elf mit einem schweren Stich, pappsatt, aber kreuzglücklich auf der Couch. Und ich gönne es ihnen und freue mich, daß das geht und sie sich eben nicht von einem selbsternannten Barista vertreiben lassen müssen oder vom Markttreiben nur noch der Kettenbäcker und ein schlechter Kaffee übriggeblieben ist.
Das sind ja Gedanken, die mich schon die ganze Zeit auf dem Weg durch den Süden begleiten. Und ich frage mich halt, wie wir die Legitimität dieses Tuns aus der Klammer des Samstags-auf-dem-Markt-noch-n-Espresso-Dreck von ein paar Leuten, die das für Stil halten, befreien und wieder zu einem massenhaften Feiern des Lebens und der Gemeinschaft machen können. Wer kann sich noch an sonntägliche Frühschoppen erinnern? Wer kennt noch die Bierkneipen rund um die Wochenmärkte, die es nicht mehr gibt? Da sind Begegnungspunkte verloren gegangen, die – my opinion – was heute den gesellschaftlichen Diskurs zwischen politischer Klasse und Menschen noch schwieriger macht als die sozialökonomische Komplexität. Ums zu verkürzen: Ich kenne mehr als einen Betriebsratsvorsitzenden, mehr als einen Landtagsabgeordneten, der an diesen Theken seine Wahlen gewonnen hat.
Ich kauf dann trotz allem Staunen, Freuen und Sinnieren, doch noch was ein. Lecker Ziegenkäse vom Direktvermarkter, trotz Schlangestehen eins von den Broten und ne Tomaten, sowie Pfirsiche aus der Gegen. Zum Frühstück lege ich Pfirsich auf den Käse, Empfehlung vom Käsedealer, die ich uneingeschränkt weitergebe. Getestet und für gut befunden. Für Mittags gibts Tomate zu Käse und Brot. Alles gerichtet. Platz saubergemacht und auf.
Was folgt, ist soooo langweilig. Es ist flach und ich latsche über vier Stunden an Maisfelder entlang, auf Teerstraßen. Das ist sowas von monoton, das ich mir -Stand heute- sechs Tage mit der Transsib durch die Taiga nicht vorstellen kann. Nach Miramont/Sensacq ändert sich das Bild wieder. Abwechslungsreiches Auf und Ab, Weinfelder, Wälder und Weiden. Schön, auch wenn es recht einsam ist, also außer Wasserzapfen auf dem Friedhof keine Einkehr lockt. Ich habe aber mein Sandwich und mach es mir auf einer schattigen Bank gemütlich.
Gegen Abend bin ich im Ziel. Was in Deutschland Hektik auslösen würde, läßt mich mittlerweile andeutungsweise entspannt sein, weil hier das meiste bis Neune zu regeln ist. Also Camping suchen. Die traurige Auskunft ist die, daß der Zeltplatz Teil der Gite, also der Pilgerunterkunft ist. Ich guck mir das an und merke, daß das nichts für mich ist. Vor den Augen der Pauschalpilger im Garten zu selten und meilenweit zu den Sanitaires zu müssen. Also nach Gestern Günstig, heute mal gucken und ab ins zwei Sterne Hotel mit Rundum-Sorglos Halbpension. Ich bin froh, daß ich den Spielraum habe, weil es sonst auch schonmal stressig werden könnte. So dusche ich, kann meine Geräte aufladen und bin für mich. Dann gehts zum Essen und ich merke, daß ich mich Aquitaine nähere. Es gibt eine Muschelsuppe mit Croutons und Käse, aber ohne Rouille, weil die ja aus der Provence kommt. Bämm, hat das Pärchen neben mir, Nationalität egal -es waren keine Isländer-, verbal mal was zu verstehen bekommen. Der Rest ist unspektakulär, bis auf das Gemüse der Saison, weil ich mich über frische Erbsen freuen kann. Erbsen mag ich ja sehr.
Und so langsam werde ich auch müde, obwohl mich ein Thema immer noch beschäftigt. Auch gestern sind die Leute zum Bezahlen an die Theke gegangen und fanden, daß nicht schlimm. Was ist denn das? Kriegen die Serviceleute hier so wenig Geld, daß sich die Nation entschlossen hat, ihnen die Arbeit abzunehmen? Oder nehmen Sie es hin, wie die Schafe? Hinzu kommt eine weitere Beobachtung, daß mich ja auch niemand fragt, ob ich noch was will. Ist das der Respekt vor meinem Geldbeutel? Oder die Arbeitsüberlastung, nach der es nicht aussieht? Auf jeden Fall übernehmen auch den Job jede Menge Leute selber, nehmen ihr Glas und bestellen an der Theke. Der Superservice besteht dann darin, daß das neue Glas gebracht wird. Hast du vergessen, dein Glas an der Theke abzugeben, bleibt das natürlich stehen. Ich kann mir das noch nicht erklären und mich beschäftigt das echt. Weil ich dieses nervige „Darfs noch was sein“ in Deutschland, oft genug als „Trink noch was, sonste kannste gehen.“ empfinde und halt denke, daß auch Leute, die sich nur einen Schoppen leisten können, ein Recht auf Kneipe und Öffentlichkeit haben, aber das andererseits auch prima finde, wenn der Nachschub flutscht. Die Kellner in Barcelona haben während des Bürgerkriegs mal Trinkgelder abgelehnt, weil sie tariflich bezahlt wurden und nicht länger von den Almosen der Gäste abhängig wären. Nun ist das lange vorbei und dieses Verhältnis Kneipenmenschen-Kneipenbesucher in Frankreich hat wahrscheinlich damit nichts zu tun. War auch nur son Gedanke. Ich bleibe in der Frage aber am Ball. Morgen wieder…