Ich lasse mir mit dem Aufstehen Zeit, weil ich diese letzte Etappe bis Saint Jean genießen will. Es sind nur fünf Stunden in relativ flachem Gelände und es herrscht bestes Wetter. Und mit dem lange liegen bleiben, habe ich auf das richtige Pferd gesetzt. Alle schon weg und ich hab den Weg für mich alleine. Und es lohnt sich. Es ist ein Weg durch grüne Täler mit den höher werdenden Hügeln der Vorpyrenäen. Ich nähere mich Saint Jean Pied de Port, diesem uralten Sammelpunkt der Pilgerströme, bevor es über die Berge nach Spanien geht. Heute ist Saint Jean der Startpunkt für die Hape Kerkelings dieser Welt, die also nicht an der Haustür losgehen, sondern hier.
Das bedeutet für mich, daß ich mich auf viel mehr Menschen einrichten muß, daß ich trotz dieser Menschen meinen Stiefel weitergehen muß, was auch heißt mich abzugrenzen. Es heißt auch, mich nicht von irgendeiner Art Leuten nerven zu lassen, die ich schon vor Jahren aus meinem Sandkasten gejagt habe. Also nochmal eine andere Art Gelassenheit zu lernen, als die, die ich in der Frage von Zeit und Entfernung gewonnen habe. Es wird also spannend.
Deshalb mache ich morgen auch erstmal einen Tag Pause. Ich bin seit Cahors durchgegangen, was immerhin 12 Tage sind. Ich kenne Saint Jean und den gutgelegenen Campingplatz ja von früheren Motorradreisen und einem Urlaub mit meiner Liebsten und kann die Stadt ganz gut haben. Trotzdem ist es ein anderes, und zugegebenermaßen reichlich geiles, Gefühl durch das Jakobstor zu gehen und zu wissen, daß ich vor drei Monaten zu Hause los bin und den ganzen Weg gegangen bin, zugegebenermaßen mit ein wenig Shuttelei, aber trotzdem. Ein tolles Gefühl.
Ich genieße das ein wenig und mache mich dann auf zum Campingplatz, baue mein Zelt auf, dusche und hole dann meine neuen Schuhe ab, die ich ja per Email klargemacht hatte. Die standen auch parat und es entspann sich ein nettes Gespräch mit Pierre über die Haltbarkeit von Outdoor-Schuhen bzw. deren Sohlen und dem Quatsch, daß die Renegade-Sohlen nicht auszutauschen sind. Das hören ein paar Wanderer mit, die ich vom Sehen her kenne und es gibt einen lustigen Plausch. Das Problem mit den Schuhen kennen wohl alle Weitwanderer. Wenig tröstlich, aber hilfreich. Also beim Kauf noch mehr auf die Erneuerbarkeit der Sohlen achten.
Der Laden hatte übrigens am Sonntag auf, weil Saint Jean einfach voll der Touri-Ort ist. Und das merke ich jetzt beim Rumbummeln. Restaurant, Souvenir, Kunsthandwerk wechselt sich in schöner Regelmäßigkeit ab, was mich heute garnicht so sehr stört. Ich will mich feiern und stoße auf ein kleines Gault Millau empfohlenes Resto, das einen schönen Hinterhof hat, wo mir auch ein Platz gegönnt wird. Der Abend wird nett, auch weil der Service wohl noch vor der Zwischenprobe steht. Amuse-Bouche und Entree werden gleichzeitig serviert, dafür aber das Brot vergessen. Alles egal. Viel Pardon und Erklärungsversuche, die ich leider nicht verstehe und ein sympathisches Auftreten der blutjungen Crew machen das wieder wett. Es gibt Charcuterie von einem Bauernhof mit unaussprechlichem Namen und eine Forelle aus den Pyrenäen, die der Baske mit angeschwitzten Zwiebeln, rohem Schinken und Piment de Espelette füllt und als Beilage einen Tomatenreis reicht. Zum Abschluß ein Ziegenfrischkäse mit Berghonig. Dazu je einen Schoppen Rose fürs Entree und Weißwein für den Rest. Ein gelungener Abend. Ich trolle mich Richtung Zelt und schlafe tief und fest.
Morgens mache ich erstmal überhaupt nichts außer dumm gucken, weil die Leute, die heute aufbrechen jede Menge Tamtam veranstalten. Dabei dauert die Tour auch nur knapp 7 Stunden. Egal. Ich bleibe liegen und mache Pläne für den Tag. Die Schuhe müssen ein wenig warmgetragen und eingefettet werden. Ich muß den alten Wanderführer und einige Karten sowie Devotionalien, die ich eingesammelt habe, auf die Post bringen. Ich will die alten Schuhe bestmöglich entsorgen. Ich muß mir einen neuen Ladestecker besorgen, weil der alte Stecker weg ist. Puh, als für jemand der sonst nur gehen muß, ist der Tag voll. Komme mir vor, wie die Arbeitslosen von Marienthal. Also, auf. Körperpflege und stadtfein gemacht. Dann auf die Post und eins dieser Standardpäckchen besorgt, die sich so bewährt haben. Das zum Zelt gebracht und wieder in die Stadt. Der Camping liegt keine fünf Minuten von der Innenstadt. Wieder ins Städtchen Richtung Markt, weil nämlich heute, an einem Montag; man höre und staune, Markttag ist. Und da es zeitlich mittlerweile zwischen spätem Frühstück und frühem Mittagessen ist, beschließe ich mich auf dem Markt zu versorgen und vorm Zelt zu picknicken. Auf der Erde, weil ein Stuhl diesmal nicht aufzutreiben ist. Märkte im Süden. Herrlich. Ich erstehe ein Stück bleu de bebris, einem mit Blauschimmel behandelten Ziegenkäse, was mich einiges an Überwindung gekostet hat, weil der Verkäuferin schon aus zehn Metern anzumerken war, daß die schwierig ist. Aber es gab diesen Käse bei niemand anders, weshalb ich mir einen Ruck gegeben habe. Ich bestellte eine petit tranche und sie hält das Messer an den halben Käse und ich bedeute ihr, daß das Stück deutlich kleiner werden muß, weil es für une person, moi, sein soll. Sie wird zögerlich kleiner, was ich verstehe, weil so ein mit Schimmel behandelter Ziegenkäse und so wie der hier eh aussieht eine bröckelige Angelegenheit sein kann. Ich wiederhole also das Spiel bis sie das erste Mal no sagt und erwerbe eine 200g Scheibe. Geht doch. Bei dem Tomme will sie das Spiel nicht wiederholen und zeigt auf vorverpackte Stücke, die mir aber zu groß sind. Dann reichts mir und ich bezahle. Weiter gehts. Es gibt auch hier einen Bäcker, wo die Leute Schlange stehen in die ich mich einreihe. Dann zum Obst, wo es Erdbeeren und Nektarinen gibt, und zum Rotiseur, der Schweinebauch und Piperade, eine schmackhafte Zwiebel-Paprika-Tomatensauce hat. Mit meinen Schätzen gehts zum Camping und mein Picknick kann beginnen. Danach strecke ich mich nur noch aus und mache Siesta, die bis in den frühen Nachmittag geht. Dann fette ich die Schuhe ein und mach das Päckchen für die Post fertig. Wo es einen Elektrofachmarkt gibt, weiß ich mittlerweile auch und bereits am morgen war mir eine Boutique Social, eine Kleiderkammer der katholischen Kirche aufgefallen. Da will ich meine Schuhe abgeben. Post und Fachmarkt. Erledigt. Bei der Boutique war zu und ich war gerade dabei die alten Schuhe an die Tür zu hängen, als eine ältere Dame aus dem Hinteren des Ladens kam. Ich erklärte, daß ich die Schuhe gerne spenden möchte (Collecte hat sie dann verstanden) und das die Qualite noch gut wäre (Ich zeigte auf das Leder und sagte: „Qualite, bonne!“), nur die Sohlen halt ein Malheur hätten. Sie hat das verstanden und sich gefreut, die Schuhe auf jeden Fall angenommen und sich bei mir bedankt und mir einen guten Weg gewünscht. Ach, war ich froh. Weil die Schuhe für jemanden, der damit nur zur Schule oder durch die Stadt will, noch prima sind. Aber in die Berge will ich damit nicht. So soll es sein und schön, daß es Leute gibt die sich für solche engagieren.
So, während ich hier sitze und schreibe, hat es sich auch zugezogen, was eigentlich klar war. Ich will ja morgen weiter. Mal gucken was das gibt. Jetzt hole ich erstmal die Wäsche rein, die da noch beim Zelt rumhängt. Innenstadtnahe Campingplätze sind super. Es hat dann noch gewittert und geregnet, was mich nicht davon abgehalten hat, angesichts der Widrigkeiten nochmal Essen zu gehen. Diesmal gabs Axoa, eine baskische Spezialität, die mir ja schonmal begegnet war. Im Prinzip ein Gemüsegulasch zu dem Kartoffeln gereicht werden. Nachdem mir die Rechnung einfach hingestellt wird, bin ich auch ganz schnell raus aus dem Laden, nicht ohne die Chefin darauf hinzuweisen, daß das ein sehr unfreundlicher Akt ist, worauf sich die junge Servicekraft entschuldigt und sie hätte mich wohl falsch verstanden. Ich hab aber garnix gesagt, sondern mich nur stumm am ersten Kaffee des Tages gefreut. Schlußendlich egal, aber es gibt Phasen, da nehme ich sowas persönlich. Das ist so eine Nummer aus der ich immer noch nicht raus kann.
So sollte der Abend aber nicht zu Ende gehen. Also steuerte ich eine Weinbar an, die mir gestern schon aufgefallen war, weil dort eher einheimisches Publikum zu verkehren schien. Ich setzte mich auf ein Glas an einen Bartisch auf der Terasse und betrachtete die Szenerie als drei Zottels mit ihren Hunden, die auch auf dem Camping unter waren – also die Hunde und die Zottels – eintrudelten und Platz nahmen. Sie erkannten mich auch, nickten mir zu und ich nahm mein Glas und gesellte mich zu ihnen. Alles drei Franzosen mit Schulenglisch und ich. Es ging natürlich um den Weg, der mit Hunden wegen den Unterkünften nicht ganz so unkompliziert ist. Dann gings um Musik und wir trafen uns bei Ska, obwohl franzöischer Ska nicht durchgängig mein Gefallen findet. Während sie nix von den baskischen Skapunk-Sachen kannten. Ein lustiger Abend inkl. Youtube-Battle, bei dem wir uns eine Flasche Rose vom Weingut Mourguy hier aus der Gegend teilten. Dan trollten wir uns gemeinsam Richtung Camping und nachdem ich mich in dem Schlafsack geschossen hatte, fing es wieder an zu regnen. Alles richtig gemacht. Und falls sich jemand fragt, wie ich mich denn mit meiner sprichwörtlichen Beweglichkeit mit so einer Dackelgarage als Wohnhome fühle, kann ich nur sagen, daß ich das Gefühl habe, n Vierteljahr mit dem Equipement an einem sonnigen Strand und ich wäre beweglich wie vor vierzig Jahren. Ich nehm mir das raus, weil ich merke, daß sich meine Beweglichkeit eben durch das Zelten ergeben muß und dann zippts ein, zwei Mal, aber die Sehne merkt, daß sie gebraucht wird. Das funktioniert wahrscheinlich nicht nur beim Zelten in fernen Ländern und an sonnigen Stränden, weshalb ich das mal nicht weiter vertiefen will… Außerdem werde ich müde und das leichte Trommeln der Tropfen aufs Zeltdach hat was sehr Entspannendes… Gut Nacht.