97. Etappe: El Acebo – Ponferrada

Es gibt, Punkt acht, ein französisches Frühstück mit frischen getoastetem Brot und selbstgemachten Marmeladen, serviert vom Hausherrn, der so einen freundlichen und zufriedenen Eindruck macht, daß ich nachfragen muß. Ja, ist er. Er hat mit der Vermietung und dem Leben hier in den Bergen sein Ding gefunden. Ich spare mir die Nachfrage, was er denn vorher gemacht hat. Geschliffenes Englisch, aufwendige Renovierungsarbeiten und eine gewisse Weltläufigkeit lassen wenig andere Schlüsse zu, als daß er mal mit irgendwas richtig Schotter in gehobener Position gemacht hat. Es sei ihm gegönnt. 

Ich stelle dann doch noch eine Frage, weil ich im Ohr habe, daß hier auch lange Jahre nach dem Bürgerkrieg Leute gegen Franco gekämpft haben. Es gibt auch eine regionale Berühmtheit, den Manuel Giron, der diesen Kampf mit seinem Leben bezahlt hat. Mir liegt die Frage nah einem Denkmal auf den Lippen, die er wohl geahnt hat und sagt nur: Transition, der Mantel des Schweigens über den Franquismus. Naja, ich geh dann los und auf dem Weg ins Tal werde ich das Gefühl nicht los, daß die Guerilleros doch hier oder da sicherlich unterwegs gewesen sind. Mit dem einschlägigen Liedgut auf den Lippen erreiche ich nach rund vier Stunden das Ziel, nicht ohne vorher eine aufgelöste Gruppe junger Spanier zu passieren. Einen der Wanderer hat es kreislaufmäßig umgehauen. Der Krankenwagen ist aber schon unterwegs, so daß ich meinen Weg fortsetzen kann.

Angekommen, stadtfein gemacht und den späten vormittag also die Zeit von 12:00h bis 14:00h in der Stadt mitgemacht und genossen. Danach Siesta, ein wenig, und die Office-Pflichten erledigt. Nachmittags wieder raus und eine SD-Karte gejagt. Die 16mb sind voll. (Das werden Keine Diaabende, sondern Diatage.) Aber im nächstbesten Photogeschäft werde ich fündig und alles ist gut. Danach besichtige ich die Templerburg, organisiere ein frühes Abendessen, den ersten spanischen Döner (Nicht der Rede wert) und sitze nun mit den Rolling Stones (aus der Konserve) in einer Weinbar und probiere die Weißen. Das kann sich alles blicken lassen und macht Spaß. Ins Kerngebiet der Weinregion komme ich allerdings erst morgen. Vorfreude macht sich bei der zweiten Position breit, sehr fruchtig. Pfirsiche satt. Cool…

96. Etappe: Astorga – El Acebo

Um Viertel nach Sieben stand ich auf den Straßen des langsam erwachenden Städtchens und machte mich auf den Weg. Nachdem ich gestern reichlich üppig und spät zu Abend gegessen hatte, war mir überhaupt nicht nach Frühstück, selbst die Kaffee/Orangensaft-Kombi wäre mir zuviel gewesen. Der Weg führte zügig aus der Stadt hinaus und neben wir war alles auf dem Camino unterwegs, was aus den Hostals und Herbergen gekehrt worden war. Mir war das fast ein wenig zuviel Trubel, und ich war dankbar für die Ruhe der letzten Tage, die sich aus meinen späten Starts ergeben hatte. 

Bei neuneinhalb Stunden reiner Gehzeit, 32km Länge und 500hm im Auf und Ab, die auf dem Zettel standen, habe ich davon Abstand genommen, was sich auch als gut und richtig erweisen sollte. Denn wie im Autosport ist auch beim Wandern die richtige Boxenstrategie entscheidend. Nach rund zwei Stunden stand die erste Ruhepause auf der Tagesordnung und es war nun Zeit für Cafe con Leche und frischgepressten Orangensaft. Ich hatte einen guten Platz vor der Bar erwischt und konnte die ganze Corona an mir vorbei defilieren lassen. Wirklich hängengeblieben, und zwar fürs Poesiealbum, ist der erste Aluhutträger, den ich live und in Farbe gesehen habe. Das es das echt gibt, hätte ich nicht wirklich geglaubt. Aber da diese Typen ja unberechenbar sind, hab ich mich nicht an ihn gewandt, sondern von hinten fotografiert. Im Schlepptau hatte der Typ, als wenn ich es geahnt hätte, ein ätherisches Wesen aus der Töpfern-in-der-Toscana-Ecke mit ärmelloser hellblauer Blümchenbluse und diesem Gesicht, wo mein Freund Ralf schon immer gesagt hat: „Finger weg. Gibt nur Probleme.“Hat auch immer Probleme gegeben, aber…

So hing ich in wenig meiner Vergangenheit hinterher und bin froh, daß ich da mittlerweile hingucken kann, ohne den Retter zu spielen. Wer so doof ist, muß leider ohne mich klüger werden. Nach der zweiten Pause, etwa vier Stunden später, verläuft sich das alles. Einige sind wohl nach vier Stunden schon am Ende und warten auf ihren Gepäckexpress, damit sie an ihr Duschzeug kommen und andere brauchen eine lange Mittagspause, was sich nicht anbietet, weil es halt eben erst gegen vier richtig heiß wird. Das gibt mir die Chance nach Cola und Empanada durchzustarten. Es geht in die Berge, was mich nach all den Tagen im Flachland echt freut. Auffi.

Sensationelle Rückblicke in die Ebene von Leon und vor mir nur Berg. Da muß doch jetzt irgendwann die Überschreitung Richtung Bierzo kommen. Menno. Nachdem ich nochmal genauer nachgeguckt habe, freue ich mich jetzt erstmal auf das Croz de Ferro. Das liegt auf etwa 1500hm und ist dann auch erreicht. Daß es danach nur noch bergab gehen würde, glauben auch nur Leute, die Mittelwerte für aussagefähig halten. Als geht erstmal noch vier Kilometer an der Bergkante auf und ab. Schöne Aussichten, zugegebenermaßen, aber mir wäre langsam mal nach Ziel. Dann geht es die nächsten zwei Kilometer steil bergab und die Füße tun weh, die Knie sind genervt und der Kleine will ein Feierabendbier.

Geschafft. Eingecheckt und ungeduscht erstmal in die Bar um die Ecke und ein eiskaltes Bier gegen den Durst getrunken. Dann selbstreden geduscht und geruht. Eigentlich wäre das auch die Zeit, um die nächsten Unterkünfte zu checken, Fotos zu sichern und all sowas, aber manchmal, eher meistens bleibt es beim Krimi lesen und a weng duckeln. Von daher bin ich über kurze Wandertage ganz froh, dann kann ich das am Stück wegschaffen. Heute geht es dagegen nur zum Essen, wieder um die Ecke in die Bar-Restaurante-Auberge. Zu einer Suppe mit Kartoffeln, Bohnen und Porree sowie dem Hauptgang, einer gut abgehangenen Rouladen-Scheibe, die angebraten mit Pommes serviert wird, gibt es einen Rosado aus der Region. Das Dorf macht auch Werbung damit, daß es das erste Dorf in Bierzo ist. Alles eine Frage des Standpunkts. Mir auch egal. Ich freue mich jedenfalls mal wieder in eine Weingegend jzu geraten, die mir gar nichts sagt.

Am Nebentisch sitzt ein Spanier, dessen Teller so aussieht, als ob er das, was ich in Astorga schön getrennt bekommen habe, alles auf einmal bekommen hat. Es sieht jedenfalls reichlich mächtig aus. Ich frage ihn auch, was das ist und es stellt sich heraus, daß er kein Englisch spricht, aber nachdem der Wirt freundlicherweise kulinarische Nachhilfe leistet (In der Provinz Leon heißt die Chose Cocido Maragado und die Zutaten werden in der Reihenfolge Fleisch, Gemüse, Suppe serviert. In der Provinz Bierzo gibt es diesselben Zutaten alle auf einmal und die Suppe wird zur Sauce. Das Ganze heißt dann Botillo oder so.) entspannt sich ein ganz interessantes Gespräch über den Camino, warum jeder von uns Beiden denn überhaupt geht, über den Unfug außerhalb Valencias eine Paella zu bestellen und das Kastilier arrogante Säcke sind. Hände, Füße und mein Küchenspanisch reichen aus. Schön und interessant. Leider reicht es sprachlich nicht, um mal nachzufragen, wie die Situation in Spanien denn eingeschätzt wird. Ich habe auch, noch stärker als in Frankreich, das Gefühl, das interessiert die Leute auch nicht, wer sie regiert. Vielleicht ist das in den Metropolen anders, aber hier auf dem platten Land spüre und sehe ich nichts.

Es wird über die Tour aber spät, was aber niemanden, vor allem den Hausherr, davon abhält mich noch auf ein Glas und das Dessert einzuladen, als ich bei meiner Unterkunft auf die Terrasse einbiege. Ich bin heute nämlich in einer Casa Rural, der spanischen Variante einer Chambre d‘ Hote unter und die anderen Hausgäste haben sich vom Hausherrn bekochen lassen. Auch das wird ein sehr netter Plausch über die Vorteile eines Sabbaticals, die Länge des Weges und das Oktoberfest. Irgendwann zieht es mich aber in die Heia und ich schlafe bewacht von den drei Hunden des Hauses tief und fest. Der Tag war ja auch lang genug.

95. Etappe: Hospital de Orbigo – Astorga

Ich sitze in einem Speisesaal, der aus einer ganz anderen Zeit stammt. Die Wände mit Stoff bespannt, schwere Stühle, dunkles Holz und ich in dem, was ich für stadtfein halte. Der Grund dafür diese Zeitreise anzutreten, ist eine Spezialität der Region, der Cocido Maragato. Und da der Vermieter bei der Nachfrage bestimmt auf dieses Resto verwiesen hat, bin ich halt hier. Dieser Cocido ist eine Variande des bollito misto oder pot au feu, in dem die Zutaten zwar in einem Topf gegart werden, aber getrennt voneinander serviert werden. Suppe, Gemüse und Fleisch. Das Besondere an dieser Variante ist die quasi umgekehrte Reihenfolge. Zunächst das Fleisch, dann das Gemüse und zum Schluß die Suppe. Das Fleisch war der unspektakulärste Teil. Nase und Schwänzchen vom Schwein, Bauch, Speck, und ein wenig was aus dem Schinken. Eben das ganze Tier. Das Gemüse war der Hammer, Kichererbsen und Weißkohl, zusammen mit Paprika abgeschmeckt. Sehr cool. Die Suppe zum Schluß war wie so ne Schlachtesuppe halt ist. Auch cool.

Tja, und eigentlich war es das von heute auch schon. Ich bin in meinem Fernfahrerhostel lange liegen geblieben und spät los, weil es heute nur vier Stunden Gehzeit waren. Die Strecke war anspruchslos und auch landschaftlich nicht so dolle. Na gut, es ging zum Schluß über eine Hochebene, die schöne Aussichten ermöglichte. Und am Ende dieser Hochebene hat ein Hippiemädchen sein Ding gedreht. Kleines Haus im Hintergrund und direkt an dem Weg ein Stand mit Saft, Obst und so, sowie Sitzgelegenheiten aus Paletten. Alles auf Spendenbasis zu erwerben, also nicht die Möbel, sondern Saft, Obst, Wasser, Müsliriegel, etc. Und alle glücklich, am Zufriedensten die Hippiefrau. Da war es schön zuzugucken und ich hab auch brav Obst gegessen und gespendet, aber so ganz ist das nicht meins. Also weiter und eh ich gucken kann, bin ich auch schon da.

Das war so gegen eins und da geht der Spanier ja schonmal was Essen, dem ich mich dann angeschlossen habe. Eine tolle Fischsuppe und Albodingas. Danach ausführlichst Siesta und abends wieder los. Gaudi-Kathedrale und die anderen Sehenswürdigkeiten anschauen. Schönes, kleines Städtchen. Und nun sitze ich hier. Schwere Gedanken zur Rettung der Welt hatten heute Pause. Überstundenfrei. Aber der neue Krimi fängt gut an… und mit dem geh ich jetzt auch heim. Morgen gehts über 32km und ein paar Höhenmeter. Da will ich doch ausgeschlafen sein.

94. Etappe: Leon – Hospital de Orbigo

Das war ein schwerer Aufstand. So schön dieser Tag in Leon gewesen ist, unvergesslich, aber ich hatte um sechs noch das Gefühl, weiterschlafen zu können, was ich dann auch getan habe. Um neun gings dann aber auf die Piste, nicht ohne mein spanisches Frühstück, Milchkaffee und Orangensaft, frischgepresst, einzunehmen. Tja und dann geht es rund zwei Stunden durch Vorstädte und Industriegebiete im Strukturwandel. Das ist so, als ob jemand den Weg von Essen Richtung Norden als Wanderweg ausschreibt und du durch Stoppenberg und Katernberg musst. Möbel- und Matratzenoutlets, Autoaufpimpereien und n paar Hallen die günstig zu mieten sind. Nicht schön, aber so ist das Leben.

Danach wirds dann wieder ländlicher, aber mein Weg führt an der N120 entlang, einer Straße auf der ich, ich erwähnte es bereits, schonmal mit dem Motorrad Richtung Santiago gefahren bin. Ich denke also an meine Motorradzeit, überlege ob ich hier schonmal gewesen bin und komme wieder auf die Langsamkeit, weil es eben ein Unterschied ist, ob ich mit 4 oder mit 80km/h unterwegs bin. Das eine ist nicht schlechter als das andere, aber ich habe tatsächlich das Gefühl, daß ich mehr mitkriege. Außerdem ist der Fotoapparat schneller zur Hand. Bei einer Einkehr unterhalte ich mit einem Belgier über genau das Thema, weil er gar nix dabei hat, weil er keine Fotos machen will, keine fb-Paniken und -Unfug mitkriegen will und telefonisch nur über seinen alten Nokiaknochen erreichbar ist. Gestern hat er aber mitgekriegt, was im Freistaat los ist. Würzburg-Müchen-Ansbach… Ich berichte und finde es sehr angenehm, daß es nicht um Hautfarbe, Religion und Ballerspiele geht, sondern um diese bekloppte Welt. Dadurch wird die Mittagspause natürlich etwas länger und ich komme später ins Ziel. Diesmal schlafe ich in einem Fernfahrer-Hostal an der Bundessstraße und finde tatsächlich eine Szenerie vor wie dieses Bild von Hoppers Nachtschwärmern, allerdings ein paar Stunden vor Sonnenuntergang. Aufs Zimmer, und zugegenbenermaßen der späten Ankunft geschuldet, komme ich heute um acht los.

Ich schlurfe auf den Crogs ins Dörfchen und gucke wo es denn was Gescheites gibt. Upps, da lockt jemand mit einer regionalen Fischsuppe. Das finde ich erstaunlich, weil ich -selbst wenn ich intensiv nachdenke- keine Fischsuppe mit Süßwasserfischen kenne. Fischsuppen gibt es am Meer. Also hin da. Gepflegter Eindruck. Hingesetzt. Bestellt. Und dann kam die Suppe. Und aus dieser Suppe sprach die Sozialgeschichte der Region. Es war eine Brotsuppe, in der altes Brot mit einer pimentgewürzten Brühe oder nur Wasser eingeweicht und angewärmt wird und eine Forelle oder ihre Teile mit garziehen. Voll sättigend und aus Resten das Beste gemacht. Danach gabs noch ein Kalbskotelett, wo die Hauptleistung der Köchin darin bestand einen guten Metzger aufzutreiben. Vielleicht ist das aber auch der eigentliche Job von Köchen. Sie sollten Lebensmittelexperten sein und ihren Kunden erstklassige Ware präsentieren. Sie sollten die auch angemessen zubereiten können, aber die Qualität wäre der Punkt. Kochen kann ich ja selber. Aber jemand der erzählen kann, daß das Freilandschweine aus dem Steigerwald sind und damit eine Schlachtschüssel organiert, der wäre ein guter Gastwirt. Mit Schweinen aus der Metro geht es nur ums Fressen. Mehr nicht. Mir geht es aber eben um mehr, eben auch um weniger Fleisch, um Fleisch aus bäuerlicher Landwirtschaft mit soviel Freilandhaltung wie vertretbar, mir geht es ums fünfte Viertel,, die Innereien, die Unterschenkel, den (Ochsen-)Schwanz und da sind die Menschen hier, was auch die Blicke in die Metzgereien zeigen, noch anders drauf.

Cool. Ich hocke tatsächlich an einem Ecktisch in dieser Nachtschwärmerkneipe von Hopper, aber es ist halt nichtirgendeine Metropole, sondern eine Fernfahrerkneipe. Ich sag mal so. Die haben auch keinen leichten Job. Ich leg mich jetzt hin und nach den 32km heute, winkt mir morgen ein echt kurzer Wandertag. Tranquilo…

93. Etappe: Mansilla de las Mulas – Leon

Dann geht es heute mal ganz gemütlich nach Leon, einer rund 150.000 Leute Stadt, die zwar namensgebend für die Region Castilla y Leon ist, aber mit Altkastilien herzlich wenig zu tun hat, sondern eher einen Draht nach Asturien pflegt. Das merkt man seit Betreten der Provinz Leon etwas schon daran, daß es wieder Sidra gibt und auch das Essen wird anders. Ich bin also auf die Hauptstadt der Provinz sehr gespannt. Aber zuvor geht es auf einen Campingplatz drei Kilometer vor Leon, um mal Wäsche zu waschen und anständig zu chillen.

Die Landschaft wird wieder bunter und hügeliger. In der Ferne sind die Berge des kantabrischen Gebirges zu sehen und die Sonne scheint. Prima. Und nach zwei Stunden werde ich wie von Geisterhand 80 Meter abseits des Weges geführt und zur Einkehr gezwungen. Und, was soll ich sagen? Ich denke, ich habe das beste Morcilla-Bocadillo meines Lebens gegessen. Anders als in Burgos wird in Leon kein Reis in die Wurst getan und auch keine Grieben. Es ist also mehr ein Black pudding, wie der Engländer sagt oder ein boudin noir, wie es der Franzose ruft. Der Herr Wirt hat die Wurst mit ein paar Zwiebeln kurz in der Pfanne geschwenkt und das Bocadillo handwarm serviert. Herrlich. Dazu gehört selbstredend ein Bier, unabhängig von der Tageszeit. Das El Torre in Arcahueja. Wer mal in der Gegend ist, sollte sich das gönnen. Und wer diesen Blog aufmerksam verfolgt, weiß, daß ich mit Namensnennungen vorsichtig bin. Aber der Wirtskoch liebt Lebensmittel und hat sich gefreut, daß ich mich freue und mich seine frische Käsekroketten probieren lassen. Sowas ist so schön, und die Nachfrage einer englischen Wandererin, ob es hier Nutella-Bocadillos gäbe. Unbezahlbar.

Weiter gehts und ich sehe auf Leon, gehe aber direkten Weges zum Camping, weil ich mir die Stadt für morgen aufhebe. Das ich wieder außerhalb von Caballeros und rosa Twinsets unterwegs bin, merke ich daran, daß drei Autos anhalten und mir sagen, daß ich mich verlaufen habe. Mit einem freundlichen „yo a la camping“sind alle zufrieden, obwohl das Verb fehlt. Das find ich echt nett. Der Camping ist dann irgendwann auch erreicht und ist irgendwie anders als ich mir das erhofft hatte. Keine Waschmaschine, das mal zuerst. Die Campingbar, die auch Resto ist, macht auf Schnitzelküche und zum guten Schluß fehlt auch der Blick auf die Stadt. Egal, ich will ja eh lesen. Aber erstmal muß die ungeliebte Handwäsche gemacht werden, was zunehmend blöder wird, weil,ich beim Auswringen knirschende Geräusche im Stoff höre und eigentlich keinen Bock habe, daß mir kurz vor Schluß noch was kaputt geht. Mit Waschmaschine und Trockner höre ich das wenigstens nicht. Diesmal gehts noch gut. Aufgehängt und nun extreme relaxing.

Aber dazu komme ich nicht wirklich, weil ich es nicht sein lassen kann und mich mit München beschäftige. Nach Würzburg nun der zweite Amoklauf im Freistaat. Wie bekloppt ist diese Welt, daß diese Gesellschaft, und um die geht es mir, einzelne ihrer Mitglieder so etwas ausbrüten lässt. Ich drücke das so vorsichtig aus und spreche auch deshalb vorbehaltlos von Amok, weil ich jede und jeden, die oder der das Wort Terror in den Mund nimmt, gerne auf die Schulbank zurückschicken willen. Denn da taucht doch der Begriff des Terrors erstmals mit der Schreckensherrschaft Robbespierres auf. In den Jahrgangsstufen vorher war zwar auch von Tyrannen die Rede, aber niemand, also zumindest mein Geschichtslehrer, sprach von Terror. Deshalb ist Terror zunächst eine Regierungsart, keine -form, die republikanische (!) Werte und Verfahren außer Kraft setzt, insbesondere das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, und in der willkürlich vor sich hin regiert wird. Dahinter steht immer der Moment, daß die Doofen erst alle weg müssen, bevor alles gut wird. Das gilt von Robbespierre bis Erdogan. Seit dem, neulich schonmal von mir ins Feld geführte, Lenin und seinen Bemerkungen zum Linksradikalismus als Kinderkrankheit des Kommunismus, gibt es eine zweite Kategorie des Terrors. Den Attentatismus. Da meinen irgendwelche Vollpfosten die Verhältnisse ändern zu können, wenn sie jemanden erschießen. Das ist doof, verfolgt aber eine politische Absicht. Und im Laufe dieses, eigentlich als chillig geplanten, Nachmittags kommt mir ob der Kommentarspalten, aber eben auch ob der Artikel/Kommentare (Es ist kaum auseinanderzuhalten) die Galle hoch. Wo ist sie hin? Die Bildung, das Wissen? Hockt an den Tastaturen schon diese Generation von Turbogymnasiumern und von Bologna-Bachelor-Master-SchülerInnen? Diesen Zustand in dem diese bedauernswerten jungen Leute ihre besten Jahre mit der Jagd nach credit points und Anwesenheitspflichten vergeuden, als Studium zu bezeichnen, verbietet mir mein Respekt vor Hardenberg, Stein und Humboldt. Wieso sind diese Menschen nicht mehr in der Lage, ihr schlichtes Schulwissen einzusetzen, einen gewissen Respekt vor Sprache zu zeigen und bei keine Ahnung einfach auch mal die Schnauze zu halten? Diese Frage beschäftigt mich bis zur Ermattung und es geht zur Siesta ins Zelt. Das der Pressesprecher der Münchner Polizei ein Streifenbulle ist, der sich über den zweiten Bildungsweg dahin entwickelt hat, ist der letzte Gedanke mit dem ich dann, positiv gestimmt, wegdämmere.

Als ich wach werde, liege ich in einer finnischen Sauna. Zumindest fühl ich mich so. Die Sonne bretzelt nämlich direkt auf das Zelt und es ist brüllwarm. Raus hier. Die Wäsche ist auch auf einem guten Weg. Also gehe ich mal in die Bar, gönne mir den Nachmittagskaffee und lese meinen Krimi weiter. Nun spielt der dummerweise in München, aber ich schaffe es, nicht abzuschweifen, sondern in der Geschichte zu bleiben. Die nicht nur wegen des Spielorts, sondern auch wegen der Tätersuche Anlaß böte. Einer meiner Leute, die mich ob meiner ausgeglichenen und so differenzierenden Art schätzen, hat mich nach einem meiner wütenden Ausbrüche mal mit dem Satz wiederaufgegleist, daß jeder den ich Scheiße finde, jemanden hat der ihn liebt. Und darum geht es in diesem Krimi. Die einen suchen einen brutalen Mörder, die anderen eine verletzte Seele, was immer auch zu Konflikten im Team, letztendlich aber zum Ergebnis führt.

Fall gelöst. Essen fassen. Hm, die Karte gibt wenig her, weshalb es bei Schnitzelchen, Pommes und Salat bleibt. Dazu gibt es aber, echte Überraschung, einen Verdejo aus Rueda. Das ist ungefähr so, als wenn es zur Curywurst einen Moselriesling der besseren Bauart geben würde. Ich freue mich. Und morgen wird in Leon richtig geschlemmt. Jawoll.

Ich baue mein Zelt ab und mache mich auf den rund einstündigen Weg nach Leon, wo ich mir in die Altstadt ein preisgünstiges Zimmer genommen habe. Das macht beim spanischen Tagesrhytmus einfach mehr Sinn, sich zur Siesta auch brav zurückziehen zu können, als auf einer Parkbank rumzuhängen. Mein Zimmer ist noch nicht fertig, aber ich kann mein Zeug schonmal abstellen. Und dann gehts auf. Die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten erkunden, was bis zum Mittag dauert. Altstadt und Kathedrale sind nicht ganz so üppig wie in Burgos, aber die Stadt hat eine tolle Atmosphäre und ich lasse mich vom mittäglichen Corso treiben. Überall wird getrunken und gelacht und irgendwie wirkt es deutlich lockerer als in Kastillien. Ich selber kann mich nicht entscheiden, wo ich einkehren will. Dann sehe ich einen Blinden mit seinem Stock recht zielstrebig in eine Sackgasse einbiegen und frage mich, wo der wohl hin will. Ich also hinterher und kriege noch mit, wie der Typ links in einer unscheinbaren Kneipe verschwindet. Und ich hinterher. Klar. Wenn mich einer fragen würde, was das denn nun bitte schön war und warum es ausgerechnet dem Blinden hinterher ging, hätte ich keine vernünftige Antwort. Nennen wir es kulinarischen Instinkt und gut ist. 

Ich hocke an der Theke vor einer ziemlich großen Weinkarte, auf eine Tafel geschrieben, die netterweise nach Anbaugebieten sortiert ist. Da kann ich schonmal punkten, indem ich dem Wirt (Eine Mischung aus Achim Rohde und nem anderen Schauspieler, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Der spielt immer so superspießige Typen) klarmache, daß ich mich seit April ausschließlich an regionalen Weinen vergreife und deshalb nun mal einen Blanco der Tierra de Leon probieren möchte. Der Kerl liebt Weine und wir kommen ins Gespräch. Er findet es cool, wo ich schon überall hergekommen bin und mich durchprobieren konnte und ich finde großartig, was ich da im Glas finde. Es ist ein Albarin, also die Traube heißt so. Die kommt original aus der Gegend. Im Gegensatz dazu kommt ein Albariño aus Galizien. Der spielt heute keine Rolle, da komme ich ja erst noch hin. Ich kriege einen zweiten Albarin hingestellt, bevor ich was bestellen kann. Dazu reicht der Herr Wirt ein Schinkentapa. Zum ersten Wein gab es einen Schlag Kartoffelsalat. Ich probiere, finde auch das gut. Die Rebsorte kommt neben dem Verdejo als zweites auf die Liste: Welche Weine bauen wir in Deutschland an, wenn es Riesling, Silvaner und Co zu warm wird? Nun, der Kollege hat andere Pläne und macht mit Roses weiter. Auch schön, begleitet von weiteren, immer üppiger werdenden Tapas. Die sind weniger Roses, sondern kommen mit ihrer beerigen Wucht eher nach fränkischen Rotlingen, ohne allerdings diesen penetranten Erdbeermarmelade-Geschmack zu verbreiten. Ich will zurück zu den Weißweinen, aber der Zeremonienmeister folgt seiner Logik unbeirrt und serviert einen jungen Roten. Nun bin ich kein Rotweintrinker, aber des Stöffche zaubert ein Lächeln auf meine Lippen. Das ist er, der Sommer. Lauer Abend, lang gearbeitet, Terasse, ein Glas von diesem Manna und alles wird gut. Ich versuche das zu erklären und die ganz Kneipe lacht gutwillig. Denn das Schätzle hat der Wirt zum Schluß aufgehoben. Holt aus einer Ecke eine unetikettierte Flasche, dreiviertelsvoll, leicht angekühlt und erzählt, daß das ein Crianza, ein im Barrique gereifter, alter Wein sei. Barrique, denke ich, soso, nicht meins, aber empfinde es als Ehre den Spezialtropfen kosten zu dürfen. Was ich unter den Augen des fünfköpfigen Thekenkranz auch tue. Und heidenei, ist das gut. Zarter Schmelz, der deine Zunge umspielt. Holzige Noten die sich am Gaumen festkrallen und irgendwas nach Feige, Banane und Pflaume hinterlassen. Ich sage nix, sondern genieße jeden Tropfen. Die Jury ist auf jeden Fall zufrieden mit mir und ich freue mich auch, aber nach einer Weinprobe mit sechs Positionen im 0,1er Spektrum (Also keine fränkische Weinprobe, wo ja immer gleich schoppenweise probiert wird.) wird es Zeit für die Siesta. Die Geschmacksknospen müssen sich ja auch mal wieder beruhigen.

Was bin ich über mein Zimmerchen froh. Kurz abgeduscht und ab auf die Liege. Schön geduckelt und weiter im Krimi gelesen. Einfach mal abhängen. Mit zuhause telefonieren und die Tour de France auf Spanisch gucken. All sowas. Und dann ist es wieder soweit. Halb Acht. Corsotime. Während ich vor zwei Wochen noch um sieben unterwegs war, hat sich das nun schon um eine halbe Stunde nach hinten verschoben. Ob ich das noch hinkriege bis acht die Füße still zu halten? Ich fürchte nicht. Ich lasse mich wieder treiben und erlebe mich selber erst wieder, als ich mit einem Rosado in der Hand am geöffneten Fenster einer Bar stehe und auf den Platz gucke, der mit Einheimischen, PilgerInnen und TouristInnen ein buntes Treiben bietet. Die Situation gefällt mir, gefällt mir sogar außerordentlich und das die nette Fachkraft im Schankgewerbe mit den Tapas reichlich freigebig ist, verstärkt meine Zufriedenheit und besänftigt meinen Hunger. Aber ich weiß, das ich mal was Gescheites essen muß. Also ziehe ich weiter. Komme aber nicht weit und lande in einer Michelin geprüften Bar. Gute regionale Weinkarte und Tapas, die woanders unter Hauptgericht durchgehen würden. Danach bin ich satt und über das Thema Rosados aus Leon und Bierzo weiß ich jetzt genug. Schwierige Sache, weil es da eben auf den Winzer ankommt. Und dafür reicht mein Spanisch nicht aus, um den ein oder anderen Stil, den mir die Schankkraft sicherlich erklären will, zu verstehen. Trotzdem freuen die sich, wenn ich mit Mimik, Händen und Füßen beschreibe, wie ich den Wein empfinde. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich sagen kann, daß wir in Deutschland außer Rioja, Rueda, Navarra eher wenig kennen und ich die Weine hier toll finde. Ich will aber zurück zu den Weißweinen der Region, brauche dafür aber was zwischen die Zähne, weil die ausdrucksstarken Rosados das sonst schwierig machen. Ich erinnere mich an eine Bar, die sich auf Bacalao spezialisiert hat und finde die sogar wieder. Leon? Meine Stadt. Und so bestelle ich ein Tapa mit Kabeljau und trinke dazu ein Wasser, bevor ich nach Albarin frage. Der Typ fragt welcher, zeigt mir drei Flaschen und ich sage Tasting, probare, zeige auf ihn und sage, er wäre der expert für die seria. (Das sind übrigens diese Momente, wo ich meinem Lateinlehrer Herrn Granseier bis ans Lebensende dankbar bin. Und wer behauptet, daß sei eine tote Sprache hat nichts, aber auch gar nichts von Europa begriffen.) Wir verstehen uns auf jeden Fall und zunächst gibts einen trinky Alltagswein. Der zweite zeigt höhere Komplexität und macht beim Nachschmecken mehr Spaß und der Dritte, Überraschung, ist dann echt cool. Grasige Noten und ein wenig Birne. Echt schön. Das heißt aber die Traube bleibt auf der Klimawandel-Liste. Gegessen habe ich in der Zeit ein Schnitzelbrötchen, ein Stück pfannenwarme Tortilla und in Apfelwein gekochte Chorizo. Immer noch satt. Das ist der Hammer. Ich gehe weiter und stehe vor einer Brauerei, die bewirtschaftet wird. Hinein. Regionale Zutaten und ein paar junge Leute, die Craft Beer brauen. Seitdem ich in Franken lebe, lässt mich das müde lächeln, habe aber viel Respekt vor den Leuten, die das in Angriff nehmen. Und ein Bierchen kühlt die Geschmacksknospen ja auch. Das Zeug schmeckt auch, aber ich merke, daß es Zeit für die Koje wird und mache mich auf den Heimweg. Wie der  Teufel es will, dröhnen aus einer Bar die Toy Dolls und da kann ich doch nicht vorbeigehen. Hinein. Ein DJ, der mich mächtig an Jörg-Henning erinnert, den Siegener Musikpapst mit einer legendären Radioshow im damals noch neuen Lokalradio, spielt sich gerade warm und freut sich, daß ich drauf anspringe. Er bringt dann noch n paar Klassiker und die Bar füllt sich. Das Publikum ist schwer einzuschätzen, weil ich ja nicht weiß wie spanische Altpunks heute rumlaufen. Als Paul Young Love is in the air die Tanzfläche füllt, weiß ich das der DJ einen Job hat und ich im falschen Film bin. Und dann gehts wirklich ins Hotel und ich beschließe den Tag mit dem Gedanken, daß Leon ein ganz tolle Stadt, mit sehr netten und aufgeschlossen Menschen ist und das die ab jetzt auf der Stadt Lieblingsstädte ganz oben mitspielt.

92. Etappe: Sahagun – Mansilla de las Mulas

Herrgott, wann hab ich das letzte Mal auf dieser Wanderung so wohl gefühlt? Ich sitze jetzt am Ende eines langen Tages im Garten einer Sidreria und komme zum Schreiben. Der Garten ist voll mit Leuten und es herrscht munteres Treiben. Morgen ist hier ein Mittelalterfest an der Stadtmauer, was aber die Leute nicht von ihrer Freitagsrunde abhält und den Wanderern ists ja eh egal. Mir nicht. Ich genieße das, weil der Tag heute dazu einlädt, also von Anfang an.

Ich bin morgens früh durch Sahagun, einem Namen der in jedem Mittelalterroman zum Jakobsweg fällt, weil es mal das bedeutendste Benediktinerkloster Spaniens war. Damit war die Stadt immer auch Schauplatz des Zwistes zwischen Zisterziensern und Benediktinern, der so voluminös war, daß die Streitigkeiten in der Bayern-SPD homöopathisch erscheinen. Nun bin ich aber im 21. Jahrhundert durch dieses Städtchen gegangen und habe nichts anderes gesehen, als eine Stadt im Umbruch, die sich dem nicht stellen will. Es ist nun nicht mehr als eines dieser Mittelzentren, die es wohl überall gibt. Ärzte, Apotheker und Filailleiter der Bank kommen von da weg und gerade so über die Runden. Die Handwerker haben weite Wege in den Landkreis und das Lebensmittelhandwerk krebst rum. A vendre. Die Gastronomie versuchts mit Internationalismus und es gibt die zwangsläufige Guiness-Pinte, was neben Sonnenstudios und Reisebüros in der Regel ein Zeichen für das langsame Sterben einer Kommune ist. So fängt der Tag ja gut an. Ich im Strukturwandelmodus und mit der Unnachsichtigkeit, die manchem auch schonmal aufstößt. Hier ist tote Hose, und wer gestern abend die Omas und Opas mit den Enkeln auf dem Corso gesehen hat (jaaaa, ich war doch noch mal los. Wollte das sehen.), weiß auch, das die Eltern irgendwo anders sind. Wer da ist, sind diese Pilgerwanderer und -innen. Aber was macht man da? Nichts. Die Bedeutung der Stadt erschließt sich nicht interaktiv oder multimedial, sondern auf verblichenen Blechschildern. Eine Bezugnahme auf die neuere Mittelalterkrimi-Literatur habe ich auch nirgends gefunden, während ich in Tölz vor ein paar Jahren auf mehrere „Mit dem Bullen von Tölz durchs Städtchen“-Rundgänge angesprochen wurde. Also latsch ich da morgens durch und dann weg.

Dann geht es lange in Sichtweise der N120 durchs Land und ich frage mich die ganze Zeit, ob ich das, was ich jetzt sehe, schon vor gefühlten 100 Jahren mit dem Motorrad gesehen habe? Ich bin nämlich in den späten 80ern/ Anfang der 90er Jahre schonmal Richtung Santiago mit der XT gefahren und die N120 kommt mir vor wie eine alte Bekannte. Aber ich kann mich an nichts konkret erinnern, weil es eben ein Unterschied ist, ob ich da mit 80/90/100kmh vorbeiziehe oder zu Fuß gehe und, was mir neulich mal ein Fahradfahrer gebeichtet hat, den Fotoapparat immer zur Hand habe, während selbst der Fahradmensch Aufwand treiben muß, weil er den Apparat eben nicht um den Hals tragen kann. Die Grübelei hat alsbald ein Ende und es geht rechts ab in die Pampa zwischen N120 im Süden und dem kantabrischen Gebirge im Norden.

Im Wanderführer steht, die Strecke hätte was von afrikanischer Savanne. Nun gut, hab ich mir gedacht. Dieser Wanderweg muß ja auch als Abenteuer verkauft werden, deshalb üppig-exotische Vergleiche. Hab ich mir gedacht. Und als maximal durch Daktari und Prof. Grzimek an Afrika geschulter Mensch muß ich sagen, daß das schon so aussah wie in den Siebzigern im Fernsehen. Ohne Löwen. Aber gelbes Gras (keine Getreidefelder) und zwischendrin ein paar Bäume. Einzelstehend. So groß, daß die da mindestens schon immer da stehen. Keine Strommasten und kurzsichtigerweise würde ich auch sagen, daß es nirgends eine Windkraftanlage zu sehen gab. Aber in der Ferne waren Berge, hohe Berge zu sehen, was ein gigantisches Bild ergab, vor allem auch weil in Sichtweite weder vor noch hinter mir irgendjemand zu sehen war. Das war so knapp zwei Stunden echt toll. Dann kam der erste Boxenstopp und die Kampfaufgaben. Am Nebentisch versuchte ein asiatischer Teenager mit Fingersocken (das war mir vorher aufgefallen) zusammen mit zwei Belgiern rauszukriegen, wo sie denn sind. Der Jakobsweg hat in der Gegend nämlich zwei Varianten. Variante 1:Landschaftlich reizvoll. Vier Stunden keine Kneipe. Variante 2: N120 für Fußgänger, aber niemals Angst haben müssen zu Verdursten, was ja für Metropolenkinder, die selbst auf dem Schulweg mit Wasserflasche gesichtet werden, ein echtes Thema zu sein scheint. Egal, die asiatische Kollegin, samt Mutter und die Belgier versuchten nun zu klären, was zu tun ist. Ich habe dann mit meinem Kartenmaterial (also das was der Wanderführer da als Karte reingefriggelt hat. Ist aber mehr als viele andere machen. Deshalb an dieser Stelle mal ein großes Lob an den Rother Bergverlag) mal erklärt, wo wir jetzt sind und welche Alternativen es gibt. Für mich war das ja klar. 18km ohne Shoppingoption, ohne Einkehr. Aber geradeaus und gut ist. Die Belgier guckten dann erstmal nervös in ihrem Reiseführer und haben sich dann wegen der 2Euro günstigeren Herberge für die kürzere Etappe und den insgesamt längeren Weg entschieden und die Kollegin und ihre Mama haben sich dann in der Herberge eingebucht, weil sie mehr als 10km am Tag nicht aushalten. Die Mädels haben mein Verständnis. Die Jungs sollen an ihrem Geiz verrecken. Und ich erwähne an dieser Stelle nochmal das Geiz und Neid zu den Todsünden gehören. Dabei ist mir egal, ob da wer in der Hölle landet, aber ich halte das Nachdenken über die sieben Todsünden und die Frage an sich selbst, ob ich das will bzw. bin, für eine gute Übung. Mach ich auch manchmal. Aber eitel wie ich bin und allgelegentlich aufbrausend, gibt das mit dem Himmel nix.

Dann kamen tatsächlich fast 18km Einsamkeit. Kein Mensch zu sehen, nur menschliche Spuren. Eisenbahntrassen und Autobahnen. Erlebt auf Wegen, die mal von Baufahrzeugen benutzt worden sind. Ich hatte zwischendurch das Gefühl, daß die Spanier diese neuen Straße  genau über den historischen Weg gebretzelt haben, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß irgendwer da zu Fuß her will und auch noch Geld dafür bezahlt, daß das naturnah und verkehrsfern geschieht. Trotzdem hab ich an die Berge gucken können (was schon super ist.Berge, hohe Berge insbesondere, haben sowas Erhabenes. Ich guck da gern hin), bin nicht verdurstet und hab meinen strukturpolitischen Aufschlag des Morgens an Überlegungen zum Thema Straßenbau als strukturpolitisches Instrument fortgeführt, was aber darin gipfelte, daß ich überlegte, welcher Abgeordnete so doof wäre, so eine Arbeit in seinem Büro schreiben u lassen und warum genau die, obwohl sie wissen, daß es eigentlich doof ist, nicht müde werden ihre Hinterbänklererfolge zu feiern, die ein Stück Teer in den Bundesverkehrswegeplan gebracht haben. Ich denke, die spanischen Regionen am Jakobsweg können dazu was erzählen. Wen ich dazu auch einladen würde, wären Leute von Tesla, die zum Auto eine Ladeinfrastruktur anbieten, die sorgenfreie Elektromobilität in Deutschland aufgebaut haben, obne das jemand eine Bürgerinitiative gegründet hat. Jaaaa, tut mir leid. 18km Einsamkeit erzeugen bei mir keine Erleuchtung, nix irgendwie Spirituelles, sondern eben nichts anderes als ein tieferes Nachdenken über die Themen, die anstehen und aus denen wir betriebliche, gewerkschaftliche und staatliche Politik machen müssen. Am besten aus einem Guß. Und mit vielen anderen. Ja, auch mit dir. ☺

Mit alle dem komm ich im Etappenziel an und weiß schon aus der Ferne, daß ich da nicht bleiben werde. Es sieht düster aus. Dunke, gedeckte Farben an den Häusern. Scheisstimmung schon von weit weg. Das wird im Ort nicht besser. Viele vergitterte Fenster und keine Gastronomia, sondern Pilgerversorgungsstationen. Ich will weg, weiter, obwohl das heute schon 31km Strecke waren. Egal. Das geht hier gar nicht. Eine Cola, ein kleines Bier und weiter. Raus aus dem Ort und gleich gehts besser. Weitergehen…Der nächste Ort kommt rasch in Sicht, oh das war nur das Industriegebiet. Aber irgendwann ist gut und ich bin im Ort und komm mir vor wie diese uralt-Villabacha-Villariba Werbung. Da oben das dunkle Dorf, hier die Guten. Ich komme in einer kleinen Pension unter. Der Chef informiert, wo ich gut essen kann, das morgen Fiesta ist und überhaupt. Ich ruhe, gehe aus, kaufe neue Fußsalbe, esse hervorragend und interessant und nun hock ich hier. In der Sidreria. Alles gut. Für heute abend jedenfalls und hoffentlich sind meine MünchnerInnen und die anderen auch heile geblieben. Aber es war ja auch nur ein Amoklauf und kein Bombenangriff, wie die -mir selber impulsiv nahegelegene- Wallung in fb vermuten ließ. Damit bin ich aber wieder dabei drüber nachzudenken, wie wir eine Welt erzählen wollen, die mit Klimawandel, Ressourcenknappheit und Bevölkerungsveränderungen hinsichtlich Raum und Alter (so kann man Migration auch umschiffen ☺) und ein paar Bekloppten so locker umgeht, wie die Leute in Tel Aviv.

91. Etappe: Carrios de los Condes – Sahagun

Uppsa. Die zwei Öchtele als Absacker an der Theke, verbracht mit einer Slowakin, die seit 16 Jahren in London lebt und nun nun nach dem Brexit ernsthaft überlegt, wieder in die Slowakei zu gehen, waren zwar klug angelegt, weil es ein interessantes Gespräch war, aber eben zum falschen Zeitpunkt, geht es doch heute um knapp vierzig Kilometer. Aber ein weiterer hilfreicher Impuls, erstens die Einschätzung zu verbreiten, daß die BritInnen nicht gewußt haben, was sie da tun oder eben strunzdoof sind. Zweitens, und das ist evtl. fundierter, die Aufforderung zu veröffentlichen doch bitte schön, diese Europäische Union Lissabon-Strategie und Bologna-Beschlüsse schleifen zu lassen und eine Strategie Guten Lebens, adaptierend die Konzepte des buen vivirs aus Lateinamerika, zum Gegenstand des politischen Diskurs und der administrativen Umsetzung zu machen. Die slowakische Kollegin hat als Managerin eines Textilkonzerns jedenfalls sofort verstanden, worum es geht.

Unabhängig von alle dem bin ich um halb acht auf der Straße und versuche von Anfang an die Gesamtlänge der Strecke aus dem Kopf zu kriegen, sondern an die nächste Landmarke, sei es ein Aussichtspunkt oder eine Ortschaft zu denken. Die sind dankenswerterweise im Wanderführer vermerkt, so daß ich mich daran orientiere. Und so habe ich gleichzeitig immer eine Orientierung, wie ich unterwegs bin, ob ich renne oder schleiche und wieviel Zeit ich mir für die Pausen lassen kann. Die erste längere Pause kommt ganz vorschriftsmäßig nach zwei Stunden und wird fast fränkisch. Mitten in der Pampa, aber eben zum richtigen Zeitpunkt hat jemand, der mitgedacht hat seinen Container aufgestellt, um den herum er sein Freiluftcafe betreibt. Soweit so gut. Was macht der Kerl morgens um halb zehn? Richtig, er hat den Grill schon im Betrieb und ich sehe dünne, helle Würstchen. Ich frage nach. Ja, Schwein. Nein, kein Piment, keine Chorizo. Ja, könnt ich im Weck haben. Und dann sitze ich, westfälischer Arbeitsmigrant nach Unterfranken, da und mümmel mit einer Freude an meinem Bratwurstweck, daß mancher geborene Franke blass werden würde. So ein Spaß. Vor allem auch die befremdlich bis angewidert guckenden Menachen anderer Frühstückskulturen… Manchmal muß man halt Flagge zeigen.

So hangele ich mich durch die wohl flachste Ebene, die ich je zu Fuß betreten habe, von Landmarke zu Landmarke, kehre hier ein und dort, kriege an einer Stelle noch ganz tolle Empanadas, die hausgemacht sind, habe dort auf einem Hügel von Haushöhe einen fantastischen Rundumblick und komme so ins Ziel. Natürlich bin trotz aller Psychohampelei und Selbstbetrug körperlich a weng geschafft. Da trifft es sich ganz gut, daß die avisierte Herberge vorm Stadttor, also dem mittelalterlichen liegt und ich die Besichtigung auf morgen verschieben kann. Ich checke ein, entdecke ein funtionierendes Resto und beschließe diesen Fleck Erde heute nicht mehr zu verlassen. Und das war fast weise. Ein wenig geduckelt, ein wenig gelesen, fast spanisch erst um acht zum Essen geschlendert und mittlerweile wiederhergestellt. Ab morgen wirds allerdings lustig. Die gute Fußcreme, die ich in Straßburg ahfgetan hat, geht zu Ende. Also gilt es in einer der hiesigen Farmacias ein ähnliches Produkt aufzutreiben. Da das sprachlich ja anstrengend werden kann, hab ich Tube nun nah am Mann. Ich schweife ab. Essen war ok. Ne gescheite, halbwarme Gemüsesuppe mit Erbsen, Möhren, Pilzen und Porree (für den Sahagun berühmt ist) vorneweg und dann Bauernhühnchen von hinterm Haus, gegrillt. Das finde ich in Spanien nämlich super. Die schneiden das Hähnchen an der Wirbelsäule auseinander (schon tot natürlich. Nur das hier keine Mißverständnisse auftauchen) und drücken die Hälfte platt und legen die so auf den ganz normalen Grill. Die Hitze verteilt sich halbwegs gleich und kein Mench braucht einen Weber-Spezial-und-Extrateuer-Krams. Lecker wars auch. Nu bin ich satt und auch schon wieder müde. Was soll ich mehr wollen? Oder wie schön kann das sein… 

90. Etappe: Itero de la Vega – Carrion de los Condes

Gut geschlafen und um sechse wach. Das passt, weil es heute auf 34km geht. Folglich trödele ich etwas fokussierter rum und bin tatsächlich um halb acht auf der Straße, aufgefüllt mit Kaffee und Orangensaft. Es ist bewölkt und hat abgekühlt, was ich gerade nicht wirklich schlimm finde. Nerviger ist dabei die steigende Luftfeuchtigkeit, die wiederum für das ganz besondere Licht dieses Morgens verantwortlich ist. So hat alles sein Gutes. Die Landschaft präsentiert sich nämlich weiterhin in ermattender Eintönigkeit, was zwar seinen Reiz hat, der aber langsam ausgespielt ist und nur durch die neuen Lichtverhältnisse wieder gewonnen hat. Dadurch wird auch die weitere Verflachung der Landschaft teilweise kompensiert, die für mich als Mittelgebirgskind ja schlimm ist. Wenn das Auge keinen Haltepunkt am Horizont findet, werde ich entweder nervös oder konzentriere mich auf die nähere Umgebung. Die Schritte vor mir, das nächste Straßenschild und den nächsten Kirchturm. Tatsächlich ist es so, daß die in dieser ländlichen Gegend als Erstes auftauchen. Vielleicht kommt das Kirchturmdenken ja von daher. Schade ist, daß es keine Interpretation dieser Begrifflichkeit gibt, die etwas mit der Neugier auf den übernächsten Kirchturm zu tun hat. Obwohl es ja schon schön wäre, wenn manche bis zum nächsten Kirchturm gucken würden.

So komme ich guckender- und grübelnderweise ins erste Dorf, komme ins zweite Dorf und so weiter, kehre hie und da ein und komme schließlich auch durch Villarmentero de Campos, was sich mir tief ins Gedächtnis gebrannt hat. Ein Kaff. Von weiten schon sind aber Indianerzelte, Zirkuswagen und Zeigsl zu sehen. Als ich näher komme, ist eine Auberge mit Bar angeschrieben. Muß ich mir angucken, will ich sehen. Ich biege also rechts durch die Hofeinfahrt auf eine Wiese ein, auf der einschlägige Stühle Kneipe signalisieren und zwei Esel in der Sonne oder besser im Schatten  dösen. Dazu kommt ein Sack Hühner und rund ein Dutzend Gänse. Zwischendurch gibt es aber auch einen Weg zur Theke und ich kann mir was zum Trinken holen. Weil die Szenerie nicht uninteressant ist, suche ich mir einen guten Platz. Einer der Esel hat nämlich angefangen zu grasen und bewegt sich stoisch auf die Hühner zu. Der Hahn findet das doof und mit ihm die Hühnerherde auch. Der Esel trampelt im Halbschlaf in die Hühnerfalle und was dann folgte, was disneyreif. Der Esel hat sich aufgeregt und IA geschrieen, als wenn es um die Menschen- bzw. Eselsrechte ging und die Hühner gaben erst Kontra und dann zackig Gummi. Ich habe noch nie im real life in das Gesicht eines aufgescheuchten Moorhuhns geguckt. Das waren jetzt auch kein Moorhühner, sondern strunznormale, aber die haben genauso geguckt. Ich schwör. Es war herrlich und ich hab Tränen gelacht.

Das hat mich auch die letzten Kilometer begleitet, die nach schier endlosem Anlauf in Carrion de los Condes endeten. Ich hab den blöden Kirchturm nämlich schon ewig gesehen, nur voran ging nicht wirklich was. Trotz aller Tricks. Aber irgendwann war ich da und habe mich gegen das Zelten und für ein Hostal entschieden. Ich war nämlich brotfertig und wollte nur noch raus aus den Schuhen und horizontal. Hat auch geklappt. Abends bin ich dann wieder raus, was so gegen sieben war, hab noch n Friseur gefunden, der das mal wieder in Ordnung gebracht hat und bin dann Essen gegangen. Schwierig im ländlichen Umfeld. Entweder die Schnitzelfraktion, die man auch aus Deutschland kennt. Große Portionen für kleines Geld. Und eben die Camino-Leute, die wenig anders unterwegs sind. Nach längerem Suchen hab ich dann was gefunden. Die Speisekarte war irgendwie origineller und es waren ein Menu especial und ein Menu pelegrino ausgeschrieben. Das ist ja schonmal was. Für mich gabs dann eine Gemüsepfanne, die sogar schön angerichtet daherkam und aus Zuccini, Auberginen, Tonaten und mit einer Käse-Mangold-Farce zusammengehalten wurde. Das Highlight schon im ersten Gang zu verbraten ist bekanntlich doof, weshalb die Kombi Fleisch, Salat, Pommes fast langweilig daher kam. Allerdings hatte da jemand selber Hand angelegt und mit Gewürzen gearbeitet, weshalb sowohl der Salat, als auch die Pommes und das Fleisch schon in der Oberliga gespielt haben. Ich kriege ja mittlerweile schon Wasser ins Auge wenn eine französische oder spanische Crew Salat wenigstens so ernst nimmt, daß sie es selber würzen und nicht einfach Salz, Pfeffer, Öl und Essig au0f den Tisch stellen. Ich finde, das geht nicht. Da sollen die sich was einfallen lassen, das ist ihr Job. Dafür kriegen die eine Ausbildung. Ich bin diese Pommes-Fleisch-Sachen so leid, weil ich die ja auch noch selber würzen muß, und wenn ich nach Paprika frage, gucken die doof… Wenn ich ruhig, ommmmm, drüber nachdenke kann das ja auch so sein, daß der Salat keinen hohen Stellenwert besitzt und deshalb eigentlich keinen Platz in der Küchencrew hat. Oder der Koch hat das Fleisch eben auf den Punkt zuzubereiten und Würzen ist Geschmackssache. Das kann in Ländern deren Spitzenköche der Welt neue Geschmackswelten erschlossen haben, eben indem sie neue Gewürze und Richtungen quasi diktiert haben, eigentlich nicht sein. Ich bin auf jeden Fall nicht gänzlich glücklich, hocke jetzt aber nach einer sprachlich anstrengenden Diskussion mit der elsässischen Servicekraft in diesem spanischen Lokal vor einem Rosado, der großartig ist. Das war deshalb ein wenig schwierig, weil ich mich zunächst etwas global ausgedrückt habe: „Wo es Rotweine gibt, gibt es auch Roses. Basta.“ Und dann in eine eventuell etwas ausführliche Beschreibung der Herstellung eines Rose-Weins eingestiegen bin. Wir haben uns aber schlußendlich verstanden und ich nehme folgendes mit. Es gibt Weinanbaugebiete, also die ganz Großen. Rioja, Rueda, Ribera di Duero. Ok. Kenn ich. Und unterhalb gibt es eben die kleineren, spezielleren Gegenden, wie eben Cigales, wo immer schon Roses gemacht wurden. Das ist wohl wie mit den Rotweininseln in Franken. Muß man aber erst hinterkommen. Von daher ein lehrreicher Abend. Und jetzt gehts heim. Morgen werden zwei Etappen zusammengelegt, was fast 4ükm gibt, aber ich will an einem Samstag mittag und nicht an einem Sonntag in Leon ankommen. Und da bietet sich das morgen einfach an. Der Nebeneffekt ist, daß ich nochmal in eine andere Wanderkohorte komme. Ich hab heute abend kaum ein bekanntes Gesicht gesehen und hab das Gefühl wieder in einem flow amerikanischer und französischer Pauschaltouristen gelandet zu sein, die dieses Jahr in zwei Wochen von Burgos nach Leon laufen. Sollen se machen, aber ohne mich. Ich freue mich gerade auf Santiago, wo ich derzeit plane ein paar Tage zu bleiben und die die noch da rumhängen oder gerade ankommen, einfach mal wiederzusehen…

 

89. Etappe: Hontanas – Itero de la Vega

Boah. Die Menschheit kann mir gestohlen bleiben. Was eine Nacht. Der italienische Kollege im Nachbarzimmer, der mich nachmittags schon durch ein lautstarkes Telefonat mit seiner Mamma geweckt hatte, hat in einer Lautstärke geschnarcht, die waffenscheinpflichtig ist. Ich hatte wegen warm, die Fenster aufgemacht, damit ein wenig kühle Luft ins Zimmer kann und nachdem sich der Rest der Pilgercombo auch hingelegt hatte, fand ich das wenig riskant. Zwei junge Männer mit ziemlich schwerer Zunge meinten jedoch sich nächtens noch ihre witzigsten Filmchen vorspielen zu müssen. Und ich. Wach. Genervt. Auf 180. Ich hatte Puls, was das Einschlafen ziemlich schwierig, wenn nicht unmöglich macht. Und dann, hat irgendjemand diesen Leuten gedrückt, daß sie um halb sechs losstöckeln sollen. Kann man ja machen, kann man auch leise machen. Aber nein. Das muß ja die halbe Welt mitkriegen, was die Kerle für Helden und wie müde die Mädchen sind. Ich wachliegenderweise beim Zwangszuhören. Meine eigentlich recht menschenfreundliche Grundhaltung war dahin. Alle weg. Meine Fresse war ich sauer.

An Einschlafen war überhaupt nicht mehr zu denken, weshalb ich um halb Acht auf der Straße stand und loszog. Das war heute eine kurze Tour, die auch zum Relaxen herhalten soll, weil die kommenden Tage immer über Distanzen um die 30km gehen. Also fand ich den Weg durch die Felder ohne Steigungen an einem leichten Hang entlang, genau richtig. So erreichte ich nach knapp zwei Stunden Castrojeriz, einem der längsten Dörfer, die ich je durchschritten habe. Am Fuße einer Burgruine, schlängelt sich das Dorf entlang der Hauptstraße um den Burghügel. Das Dorf hat dabei am Anfang, in der Mitte und am Ende eine Kirche, am Anfang, in der Mitte und am Ende eine Bar, aber nur gegen Ende eine Art Marktplatz. In der dortigen Bar kehre ich ein. Zeit fürs zweite Frühstück. Cafe con Leche und Empanada mit Thunfisch. Lecker. Und eine singende Wirtin, die die Radiohits lautstark begleitet bilden den kulturellen Rahmen. 

Dann gehts weiter und es kommt nochmal zu einem Aufstieg. Ein richtiger Tafelberg erhebt sich aus der Ebene und fordert ein wenig Anstrengung. Aber oben wartet Don Jon und bietet Kaltgetränke an. Genau richtig. Jetzt noch anderthalb Stunden und der Wandertag ist gelaufen. Ich merke nach kurzer Zeit, daß ich zu wenig Pause gemacht habe und setze mich nochmal hin, lockere die Schnürung der Schuhe und gucke dumm übers Land. In seiner Eintönigkeit hat das was. Und als ich mir den Zielort nachmittags genauer angucke, kriege ich das Gefühl an den aufgepimpten Landarbeiterhäuschen des frühen 20. Jahrhunderts vorbeizuschlendern. Das ist hier eben kein Bauernland, sondern Großgrundbesitzer- und Landarbeitergegend. Mal gucken, was das kulinarisch heißt.

Nix. Nix heißt das. Spargelsalat mit Mayonaise (ohne schinken. Und nicht eingerollt, was die 70er Jahre nur leicht anklingen lässt.) Danach Fleisch. Pommes und ein Fitzelchen eingelegte Paprika. Dazu einen Blanco aus Rueda, Verdejo!, der aller Ehren wert war. Dazu eine Familie aus Dinslaken, die mir schon seit ein paar Tagen immer wieder mal begegnet ist und mich heute nach einem kurzen von Tisch-zu-Tisch-Gespräch an ihren Tisch gebeten haben. Die Einladung habe ich angenommen und es wurde eine lustige Runde. Zwei Lehrer an einer katholischen Schule, die zwei lebhaften aber eher unaufdringlichen Kindern auf dem Jakobsweg ein Ding ermöglichen, was die erst Jahre später zu schätzen wissen. Die beiden Elternteile kamen auch von meiner Seite der Scheibe und es entspann sich ein gutes Gespräch zum Zustand der Welt. Zu deren Rettung hat es dann nicht ganz gelangt, weil der kalte Weißwein aus war. Das war auch gut so, weil wir alle morgen eh früh los wollen.  Mir hat dieses NRW-Gespräch gut gefallen, weil ich halt von da wech komme und bei uns eben nicht alles auf der Goldwaage liegt und auch schon mal drauflos erzählt wird. N schöner Abend. Ich glaube, ich höre mir jetzt noch Wolfgang Petrys „Wir sind das Ruhrgebiet“an und duckel damit ein… Hasta manaña! 

88. Etappe: Burgos – Hontanas

Nach einem anständigen Frühstück gut gerüstet ging es früh auf die Strecke, weil es gegen vier die 30Grad reißen sollte und da möchte ich schon gerne im Ziel sein. Zunächst ging es durch das Universitätsviertel raus aus der Stadt, vorbei an einem überdimensionalen Logo, das sehr deutlich macht, daß die Stadtväter die Geschichte nicht leugnen können, aber der Stadt ein modernes Image geben wollen, das urbanes Lebensgefühl vermittelt. Darauf weist im Übrigen auch die sehr gut ausgebaute Fahrradinfrastruktur hin. 

Schlußendlich ist aber Burgos auch zu Ende und die Meseta beginnt. Endlose Getreidefelder in sanft geschwungenem Hügelland, das dem Auge wenig bietet und nur der nächste Schritt zählt. Das ist auch so eine Herausforderung, die der Weg mit sich bringt. Der nächste Schritt ist immer der Gefährlichste und es sind schon Leute auf Teer umgeknickt. Also heißt es, die Konzentration immer auf die nächsten drei, vier Schritte zu richten und nicht permanent auf die Landschaft zu starren. Das macht es bei eher eintöniger Landschaft natürlich einfacher. Den Leuten, die nur auf die Landschaft gucken, wirds oft langweilig. Dabei geht das mit der Eintönigkeit jetzt erst los. Es sind immerhin noch ein, nein zwei Aussichtspunkte ausgeschrieben, die von Hügeln herab ein schönes Panorama bis zurück nach Burgos bieten. Ansonsten sind es Kleinigkeiten am Wegesrand, die mich mehr als sonst fesseln. Ein blühender Busch, der sich zwar nicht als blühend, sondern als von Schmetterlingen bevölkert entpuppt, die auffliegen als ich vorbeigehe oder der Klatschmohn, der ein sattes Rot in die Kornfelder zaubert. Einzelne Bäume, die tatsächlich wie einsame Helden auf weiter Flur wirken und vieles mehr. Dazu die vielen Windkraftanlagen, die den Eindruck erwecken, als sei Spanien Vorreiter bei der Energiewende. Deutsche Landschaftsschützer würden angesichts der großen Zahl wieder das unselige Bild der Verspargelung bemühen, aber ich freue mich diese Boten einer Wende, die mit einer eigentlich recht alten Technik einen Einstieg ins Postfossile wagen, zu sehen. Alles eine Frage der Sichtweise. Die einen geben den Don Quixote und mit mir zieht die neue Zeit. ☺

Die Orte am Weg sind Bauerndörfer, die sich schon immer ein Zubrot mit den Pilgern verdient haben und das auch heute tun. Die gastronomische Infrastruktur ist deshalb getränketechnisch ok. Essensmäßig dagegen wird auf den Durchschnittsgeschmack von Menschen abgezielt, die sich sonst von TK-Pizza ernähren. Nicht so schön. Das stellt sich derzeit auch noch im Zielort so dar, den ich vor der großen Hitze erreicht habe und mich stante pede aufs Zimmer verzogen habe. Hoffentlich kann ich mir das zuhause auch bewahren. Sonnenschein ist kein Grund das Bett zu verlassen. Ommmmm. Irgendwann ist es aber soweit. Ich will raus. Corsotime, was sich in einem verschlafenen Bauernnest aber als ziemlich dämliche Idee herausstellt. So gehe ich die Dorfstraße einmal rauf und runter und gut ist. Nun sitz ich hier vor der Unterkunft und genieße die warme Luft, die Sonne und versuche damit einen nicht so gelungenen Rosado  zu vergessen. Das war nix. Zu alkohollastig, keine schönen Noten. Setzen. Auf Nachfrage rückt die Wirtin damit raus, daß das ein Tafelwein aus spanischen Trauben war, als so ein Zeug, das bei uns als spanische Mädchentraube für 1,99 über den Tisch geht. Ich mache ihr klar, daß das für mich nichts ist und sie holt einen Rosado raus, der aus der Gegend kommt und den sie für heute abend kaltstellt. 

So ist eigentlich recht, jedoch wirft das ein düstres Bild auf die PilgerInnenszene. Mir hat nämlich schonmal in Frankreich ein Wirt anvertraut, daß er mich für eine löbliche Ausnahme hält, weil die anderen PilgerInnen wohl eher mit Geiz glänzen. Ich denke mal, das ist in Spanien nicht viel anders. Dabei ist das Preisniveau hier, insbesondere für deutsche Verhältnisse, als voll in Ordnung zu bezeichnen. Warum sich dann trotzdem viele, die für 1500Euro Equipement dabei und am Leib haben, Tütenwurst und -käse aus dem Supermarkt reintun und sich um das günstigste Pilgermenü balgen, bleibt mit schleierhaft. Durch die spannendsten kulinarischen Regionen zu gehen und nicht das Verlangen zu haben, die auch kulinarisch zu erleben, erschließt sich mir nicht. Naja, ich bin halt auch nicht auf Ablaß aus, weils für uns Katholiken seit Martin Luther ja auch leichter geworden ist. Bei uns langt mittlerweile ein ehrlicher Blick zum Himmel mehr als ein falsch Gebet.

Ich war dann mal was essen. Von Linsen kann ich nicht lassen und war gespannt. Mit einem Schmortopf kriege ich wenigstens etwas Gemüse. Ich sag mal so, das war für neun Euro in Ordnung und mehr habe ich auch nicht erwartet, aber die schlechte Stimmung, die zwischen mir und dem Kellner aufkam, weil ich Weißwein wollte und nicht die seit Stunden vor sich hin oxydierende Rotweinplörre, war schon nicht von schlechten Eltern. Der war nämlich richtig sauer. Kann ich aber auch nicht für. Der Weiße war dann ok. Als ich dann, fürs Frieden stiften, noch einen Kaffee, der nicht zum Menü gehörte, bestellte, war die Welt auch wieder in Ordnung. Hab damit nämlich klarmachen können, hoffentlich, daß ich nicht neunmalklug und pfennigfuchserisch bin, sondern weiß, was ich essen und trinken will. Noch ein Tipp: Mit Trinkgeld kann in Spanien garnix geregelt werden. Ist einfach so.

Wo ich ja heute schonmal von den Windkraftanlagen berichtet habe, beschäftigt mich an solchen Tagen immer auch die Frage, wie wir die Zukunft, die sich mit Ressourcenknappheit und Klimawandel eher nach Mad Max anhört, genußvoll, lebenswert und gemeinsam gestalten können? Wie können kommende Knappheiten als Gewinn erzählt werden. Und das in einem Land, wo Lebensmittelqualität keine Rolle spielt und auch die Schweine für die Schlachtplatte aus der Metro kommen können? Da hat mir das Qualitätsbewußtsein in Frankreich und Spanien schon mehr zugesagt. Da wiederum ist fehlendes gesellschaftliches Umweltbewußtsein (Stichwort Plastikfrühstück) und ein reichlich autofixiertes Mobilitätsverständnis ein Thema. Gleichzeitig lassen sich anscheinend Windkraft (Spanien) und Wasserkraft (Frankreich, Loire) in zentralistisch geführten Staaten leichter durchsetzen, die aber eben auch zu gigantischen Großprojekten neigen. Es bleibt also schwierig und ich werde weiter über das Gute Leben nachdenken, habe aber in den letzten Wochen immer mehr den Eindruck gewonnen, daß wir die Diskussion darum europäischer als bislang führen müssen, was mehr heißt, als sich allgelegentlich mit österreichischen und schweizer Grünen an einen Tisch zu setzen. 

Es würde um ein Narrativ europäischer Kulturgeschichte gehen, die Anekdoten von Arbeitern und Baumeistern aus Köln und Paris, die die Kathedrale in Burgos mitgebaut haben, erzählt, genauso wie sie die Tradition des fünften Viertels, nämlich die Küche der Leber, der Milz, des Magens und aller anderen Innereien erzählt, die von Spanien und Portugal bis nach Skandinavien reicht, also nichts mit sommerlichen Temperaturen zu tun hat, sondern mit einer genußvollen Verwertung der Knappheit und dem Respekt vorm ganzen Tier. Und das alles wäre zu übersetzen ins 21. Jahrhundert, insbesondere eben auch mit den Megatrends von Digitalisierung und Urbanisierung. 

Aber was würde zu diesen Megatrends besser passen, als ein Bauernmarkt mit einer gut gemachten Homepage, auf dem die Direktvermarkter der Region ihre Produkte in die Stadt bringen und Restaurants, die auf ihre Speisekarte schreiben, wo sie einkaufen. Gut, ich lande wieder bei dem Thema Essen. Komisch, oder? ☺

Ich lade aber alle ein an dieser europäischen Kulturgeschichte, die bis weit ins 21. Jahrhundert reichen sollte, mitzuarbeiten. So gäbe es die Geschichte von Nah und Fern zu erzählen. Warum beispielsweise tun sich Hochdeutsche in Oberbayern so schwer? Warum kommen Italiener und Spanier so schwer nahe, wo für mich, der keine der beiden Sprachen richtig kann, die Ähnlichkeiten auf der Hand liegen. Kaum aber ist die europäische Rasselbande 10 Tage auf einem gemeinsamen Weg, gibt es eine gemeinsame Sprache. Das war zu Zeiten der Hanse etwa oder der Kreuzzüge bereits ähnlich und die hatten kein Englisch in der Schule. Heute wird Sprachkompetenz als Integrationsvoraussetzung diskutiert. Ein völlig unhistorisches Argument, also diskutabel…

Ich lass jetzt gut sein. Das ist alles zu vertiefen, aber eben auch der Situation geschuldet. Ich sitze inmitten von etwa 15 Tischen, alle angefüllt mit WandererInnen und PilgerInnen, die Italienisch, Französisch, Spanisch, Englisch, irgendwas was sich schwer nach Texas anhört und Deutsch, sowie irgendwas Grunzlautiges aus einem österreichischem Bergdorf (Die verstehen mich. Ich die überhaupt nicht.) durcheinander- und miteinanderquatschen und das nicht nur über wohin, woher, sondern über Sinn, Werte und berufliche Träume. Das macht doch Hoffnung. Und mit der im Herzen leg ich mich jetzt hin.