Nach einem anständigen Frühstück gut gerüstet ging es früh auf die Strecke, weil es gegen vier die 30Grad reißen sollte und da möchte ich schon gerne im Ziel sein. Zunächst ging es durch das Universitätsviertel raus aus der Stadt, vorbei an einem überdimensionalen Logo, das sehr deutlich macht, daß die Stadtväter die Geschichte nicht leugnen können, aber der Stadt ein modernes Image geben wollen, das urbanes Lebensgefühl vermittelt. Darauf weist im Übrigen auch die sehr gut ausgebaute Fahrradinfrastruktur hin.
Schlußendlich ist aber Burgos auch zu Ende und die Meseta beginnt. Endlose Getreidefelder in sanft geschwungenem Hügelland, das dem Auge wenig bietet und nur der nächste Schritt zählt. Das ist auch so eine Herausforderung, die der Weg mit sich bringt. Der nächste Schritt ist immer der Gefährlichste und es sind schon Leute auf Teer umgeknickt. Also heißt es, die Konzentration immer auf die nächsten drei, vier Schritte zu richten und nicht permanent auf die Landschaft zu starren. Das macht es bei eher eintöniger Landschaft natürlich einfacher. Den Leuten, die nur auf die Landschaft gucken, wirds oft langweilig. Dabei geht das mit der Eintönigkeit jetzt erst los. Es sind immerhin noch ein, nein zwei Aussichtspunkte ausgeschrieben, die von Hügeln herab ein schönes Panorama bis zurück nach Burgos bieten. Ansonsten sind es Kleinigkeiten am Wegesrand, die mich mehr als sonst fesseln. Ein blühender Busch, der sich zwar nicht als blühend, sondern als von Schmetterlingen bevölkert entpuppt, die auffliegen als ich vorbeigehe oder der Klatschmohn, der ein sattes Rot in die Kornfelder zaubert. Einzelne Bäume, die tatsächlich wie einsame Helden auf weiter Flur wirken und vieles mehr. Dazu die vielen Windkraftanlagen, die den Eindruck erwecken, als sei Spanien Vorreiter bei der Energiewende. Deutsche Landschaftsschützer würden angesichts der großen Zahl wieder das unselige Bild der Verspargelung bemühen, aber ich freue mich diese Boten einer Wende, die mit einer eigentlich recht alten Technik einen Einstieg ins Postfossile wagen, zu sehen. Alles eine Frage der Sichtweise. Die einen geben den Don Quixote und mit mir zieht die neue Zeit. ☺
Die Orte am Weg sind Bauerndörfer, die sich schon immer ein Zubrot mit den Pilgern verdient haben und das auch heute tun. Die gastronomische Infrastruktur ist deshalb getränketechnisch ok. Essensmäßig dagegen wird auf den Durchschnittsgeschmack von Menschen abgezielt, die sich sonst von TK-Pizza ernähren. Nicht so schön. Das stellt sich derzeit auch noch im Zielort so dar, den ich vor der großen Hitze erreicht habe und mich stante pede aufs Zimmer verzogen habe. Hoffentlich kann ich mir das zuhause auch bewahren. Sonnenschein ist kein Grund das Bett zu verlassen. Ommmmm. Irgendwann ist es aber soweit. Ich will raus. Corsotime, was sich in einem verschlafenen Bauernnest aber als ziemlich dämliche Idee herausstellt. So gehe ich die Dorfstraße einmal rauf und runter und gut ist. Nun sitz ich hier vor der Unterkunft und genieße die warme Luft, die Sonne und versuche damit einen nicht so gelungenen Rosado zu vergessen. Das war nix. Zu alkohollastig, keine schönen Noten. Setzen. Auf Nachfrage rückt die Wirtin damit raus, daß das ein Tafelwein aus spanischen Trauben war, als so ein Zeug, das bei uns als spanische Mädchentraube für 1,99 über den Tisch geht. Ich mache ihr klar, daß das für mich nichts ist und sie holt einen Rosado raus, der aus der Gegend kommt und den sie für heute abend kaltstellt.
So ist eigentlich recht, jedoch wirft das ein düstres Bild auf die PilgerInnenszene. Mir hat nämlich schonmal in Frankreich ein Wirt anvertraut, daß er mich für eine löbliche Ausnahme hält, weil die anderen PilgerInnen wohl eher mit Geiz glänzen. Ich denke mal, das ist in Spanien nicht viel anders. Dabei ist das Preisniveau hier, insbesondere für deutsche Verhältnisse, als voll in Ordnung zu bezeichnen. Warum sich dann trotzdem viele, die für 1500Euro Equipement dabei und am Leib haben, Tütenwurst und -käse aus dem Supermarkt reintun und sich um das günstigste Pilgermenü balgen, bleibt mit schleierhaft. Durch die spannendsten kulinarischen Regionen zu gehen und nicht das Verlangen zu haben, die auch kulinarisch zu erleben, erschließt sich mir nicht. Naja, ich bin halt auch nicht auf Ablaß aus, weils für uns Katholiken seit Martin Luther ja auch leichter geworden ist. Bei uns langt mittlerweile ein ehrlicher Blick zum Himmel mehr als ein falsch Gebet.
Ich war dann mal was essen. Von Linsen kann ich nicht lassen und war gespannt. Mit einem Schmortopf kriege ich wenigstens etwas Gemüse. Ich sag mal so, das war für neun Euro in Ordnung und mehr habe ich auch nicht erwartet, aber die schlechte Stimmung, die zwischen mir und dem Kellner aufkam, weil ich Weißwein wollte und nicht die seit Stunden vor sich hin oxydierende Rotweinplörre, war schon nicht von schlechten Eltern. Der war nämlich richtig sauer. Kann ich aber auch nicht für. Der Weiße war dann ok. Als ich dann, fürs Frieden stiften, noch einen Kaffee, der nicht zum Menü gehörte, bestellte, war die Welt auch wieder in Ordnung. Hab damit nämlich klarmachen können, hoffentlich, daß ich nicht neunmalklug und pfennigfuchserisch bin, sondern weiß, was ich essen und trinken will. Noch ein Tipp: Mit Trinkgeld kann in Spanien garnix geregelt werden. Ist einfach so.
Wo ich ja heute schonmal von den Windkraftanlagen berichtet habe, beschäftigt mich an solchen Tagen immer auch die Frage, wie wir die Zukunft, die sich mit Ressourcenknappheit und Klimawandel eher nach Mad Max anhört, genußvoll, lebenswert und gemeinsam gestalten können? Wie können kommende Knappheiten als Gewinn erzählt werden. Und das in einem Land, wo Lebensmittelqualität keine Rolle spielt und auch die Schweine für die Schlachtplatte aus der Metro kommen können? Da hat mir das Qualitätsbewußtsein in Frankreich und Spanien schon mehr zugesagt. Da wiederum ist fehlendes gesellschaftliches Umweltbewußtsein (Stichwort Plastikfrühstück) und ein reichlich autofixiertes Mobilitätsverständnis ein Thema. Gleichzeitig lassen sich anscheinend Windkraft (Spanien) und Wasserkraft (Frankreich, Loire) in zentralistisch geführten Staaten leichter durchsetzen, die aber eben auch zu gigantischen Großprojekten neigen. Es bleibt also schwierig und ich werde weiter über das Gute Leben nachdenken, habe aber in den letzten Wochen immer mehr den Eindruck gewonnen, daß wir die Diskussion darum europäischer als bislang führen müssen, was mehr heißt, als sich allgelegentlich mit österreichischen und schweizer Grünen an einen Tisch zu setzen.
Es würde um ein Narrativ europäischer Kulturgeschichte gehen, die Anekdoten von Arbeitern und Baumeistern aus Köln und Paris, die die Kathedrale in Burgos mitgebaut haben, erzählt, genauso wie sie die Tradition des fünften Viertels, nämlich die Küche der Leber, der Milz, des Magens und aller anderen Innereien erzählt, die von Spanien und Portugal bis nach Skandinavien reicht, also nichts mit sommerlichen Temperaturen zu tun hat, sondern mit einer genußvollen Verwertung der Knappheit und dem Respekt vorm ganzen Tier. Und das alles wäre zu übersetzen ins 21. Jahrhundert, insbesondere eben auch mit den Megatrends von Digitalisierung und Urbanisierung.
Aber was würde zu diesen Megatrends besser passen, als ein Bauernmarkt mit einer gut gemachten Homepage, auf dem die Direktvermarkter der Region ihre Produkte in die Stadt bringen und Restaurants, die auf ihre Speisekarte schreiben, wo sie einkaufen. Gut, ich lande wieder bei dem Thema Essen. Komisch, oder? ☺
Ich lade aber alle ein an dieser europäischen Kulturgeschichte, die bis weit ins 21. Jahrhundert reichen sollte, mitzuarbeiten. So gäbe es die Geschichte von Nah und Fern zu erzählen. Warum beispielsweise tun sich Hochdeutsche in Oberbayern so schwer? Warum kommen Italiener und Spanier so schwer nahe, wo für mich, der keine der beiden Sprachen richtig kann, die Ähnlichkeiten auf der Hand liegen. Kaum aber ist die europäische Rasselbande 10 Tage auf einem gemeinsamen Weg, gibt es eine gemeinsame Sprache. Das war zu Zeiten der Hanse etwa oder der Kreuzzüge bereits ähnlich und die hatten kein Englisch in der Schule. Heute wird Sprachkompetenz als Integrationsvoraussetzung diskutiert. Ein völlig unhistorisches Argument, also diskutabel…
Ich lass jetzt gut sein. Das ist alles zu vertiefen, aber eben auch der Situation geschuldet. Ich sitze inmitten von etwa 15 Tischen, alle angefüllt mit WandererInnen und PilgerInnen, die Italienisch, Französisch, Spanisch, Englisch, irgendwas was sich schwer nach Texas anhört und Deutsch, sowie irgendwas Grunzlautiges aus einem österreichischem Bergdorf (Die verstehen mich. Ich die überhaupt nicht.) durcheinander- und miteinanderquatschen und das nicht nur über wohin, woher, sondern über Sinn, Werte und berufliche Träume. Das macht doch Hoffnung. Und mit der im Herzen leg ich mich jetzt hin.
Besser geht’s nicht. Wären doch nur alle Menschen so wie du….
Hach für was krank sein nicht so alles gut ist……endlich wieder aufgeholt und bis zum Schluß gelesen…..und da sage ich nur…Venceremos
Hierzu: „Wo ich ja heute schonmal von den Windkraftanlagen berichtet habe, beschäftigt mich an solchen Tagen immer auch die Frage, wie wir die Zukunft, die sich mit Ressourcenknappheit und Klimawandel eher nach Mad Max anhört, genußvoll, lebenswert und gemeinsam gestalten können?“
Ich denke, die große Fokussierung auf alternative Stromgewinnung ist in gewisser Hinsicht der falsche Weg und mensch sollte lieber auf eine radikale Abnabelung von Konsumgütern zielen. Denn ob der Strom für die zig Elektrokinkerlitzchen und Unnützlichkeiten, mit denen mensch sein Leben verstopft, nun von Windrädern oder der Sonne kommt – solange es eben weiterhin nur draum geht, zu kaufen, kaufen, kaufen, fressen wir unseren Planeten ja weiterhin auf. Und ein genussvolles, lebenswertes und gemeinschaftliches Leben lässt sich mE am ehesten mit einem simpleren Lebensstil erreichen, weil sich das Leben dadurch automatisch entschleunigt und auf die wirklich wichtigen Dinge reduziert. Je weniger man kauft, desto weniger Geld braucht man, desto weniger Zeit muss man mit Lohnarbeit verschwenden 🙂
Da hast du unbestritten recht. Was mich aber auf diesem Weg und auch sonst beschäftigt, ist die Frage, wie wir die Menschenmehrheit von einem simpleren Lebensstil überzeugt kriegen? Ich denke, daß es eine Riesenherausforderung ist, eine coole Geschichte des guten Lebens jenseits von Konsum zu erzählen. Und dafür dann Gefolgschaft zu finden und keinen Gehorsam!
Danke für deine Anregungen.