93. Etappe: Mansilla de las Mulas – Leon

Dann geht es heute mal ganz gemütlich nach Leon, einer rund 150.000 Leute Stadt, die zwar namensgebend für die Region Castilla y Leon ist, aber mit Altkastilien herzlich wenig zu tun hat, sondern eher einen Draht nach Asturien pflegt. Das merkt man seit Betreten der Provinz Leon etwas schon daran, daß es wieder Sidra gibt und auch das Essen wird anders. Ich bin also auf die Hauptstadt der Provinz sehr gespannt. Aber zuvor geht es auf einen Campingplatz drei Kilometer vor Leon, um mal Wäsche zu waschen und anständig zu chillen.

Die Landschaft wird wieder bunter und hügeliger. In der Ferne sind die Berge des kantabrischen Gebirges zu sehen und die Sonne scheint. Prima. Und nach zwei Stunden werde ich wie von Geisterhand 80 Meter abseits des Weges geführt und zur Einkehr gezwungen. Und, was soll ich sagen? Ich denke, ich habe das beste Morcilla-Bocadillo meines Lebens gegessen. Anders als in Burgos wird in Leon kein Reis in die Wurst getan und auch keine Grieben. Es ist also mehr ein Black pudding, wie der Engländer sagt oder ein boudin noir, wie es der Franzose ruft. Der Herr Wirt hat die Wurst mit ein paar Zwiebeln kurz in der Pfanne geschwenkt und das Bocadillo handwarm serviert. Herrlich. Dazu gehört selbstredend ein Bier, unabhängig von der Tageszeit. Das El Torre in Arcahueja. Wer mal in der Gegend ist, sollte sich das gönnen. Und wer diesen Blog aufmerksam verfolgt, weiß, daß ich mit Namensnennungen vorsichtig bin. Aber der Wirtskoch liebt Lebensmittel und hat sich gefreut, daß ich mich freue und mich seine frische Käsekroketten probieren lassen. Sowas ist so schön, und die Nachfrage einer englischen Wandererin, ob es hier Nutella-Bocadillos gäbe. Unbezahlbar.

Weiter gehts und ich sehe auf Leon, gehe aber direkten Weges zum Camping, weil ich mir die Stadt für morgen aufhebe. Das ich wieder außerhalb von Caballeros und rosa Twinsets unterwegs bin, merke ich daran, daß drei Autos anhalten und mir sagen, daß ich mich verlaufen habe. Mit einem freundlichen „yo a la camping“sind alle zufrieden, obwohl das Verb fehlt. Das find ich echt nett. Der Camping ist dann irgendwann auch erreicht und ist irgendwie anders als ich mir das erhofft hatte. Keine Waschmaschine, das mal zuerst. Die Campingbar, die auch Resto ist, macht auf Schnitzelküche und zum guten Schluß fehlt auch der Blick auf die Stadt. Egal, ich will ja eh lesen. Aber erstmal muß die ungeliebte Handwäsche gemacht werden, was zunehmend blöder wird, weil,ich beim Auswringen knirschende Geräusche im Stoff höre und eigentlich keinen Bock habe, daß mir kurz vor Schluß noch was kaputt geht. Mit Waschmaschine und Trockner höre ich das wenigstens nicht. Diesmal gehts noch gut. Aufgehängt und nun extreme relaxing.

Aber dazu komme ich nicht wirklich, weil ich es nicht sein lassen kann und mich mit München beschäftige. Nach Würzburg nun der zweite Amoklauf im Freistaat. Wie bekloppt ist diese Welt, daß diese Gesellschaft, und um die geht es mir, einzelne ihrer Mitglieder so etwas ausbrüten lässt. Ich drücke das so vorsichtig aus und spreche auch deshalb vorbehaltlos von Amok, weil ich jede und jeden, die oder der das Wort Terror in den Mund nimmt, gerne auf die Schulbank zurückschicken willen. Denn da taucht doch der Begriff des Terrors erstmals mit der Schreckensherrschaft Robbespierres auf. In den Jahrgangsstufen vorher war zwar auch von Tyrannen die Rede, aber niemand, also zumindest mein Geschichtslehrer, sprach von Terror. Deshalb ist Terror zunächst eine Regierungsart, keine -form, die republikanische (!) Werte und Verfahren außer Kraft setzt, insbesondere das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, und in der willkürlich vor sich hin regiert wird. Dahinter steht immer der Moment, daß die Doofen erst alle weg müssen, bevor alles gut wird. Das gilt von Robbespierre bis Erdogan. Seit dem, neulich schonmal von mir ins Feld geführte, Lenin und seinen Bemerkungen zum Linksradikalismus als Kinderkrankheit des Kommunismus, gibt es eine zweite Kategorie des Terrors. Den Attentatismus. Da meinen irgendwelche Vollpfosten die Verhältnisse ändern zu können, wenn sie jemanden erschießen. Das ist doof, verfolgt aber eine politische Absicht. Und im Laufe dieses, eigentlich als chillig geplanten, Nachmittags kommt mir ob der Kommentarspalten, aber eben auch ob der Artikel/Kommentare (Es ist kaum auseinanderzuhalten) die Galle hoch. Wo ist sie hin? Die Bildung, das Wissen? Hockt an den Tastaturen schon diese Generation von Turbogymnasiumern und von Bologna-Bachelor-Master-SchülerInnen? Diesen Zustand in dem diese bedauernswerten jungen Leute ihre besten Jahre mit der Jagd nach credit points und Anwesenheitspflichten vergeuden, als Studium zu bezeichnen, verbietet mir mein Respekt vor Hardenberg, Stein und Humboldt. Wieso sind diese Menschen nicht mehr in der Lage, ihr schlichtes Schulwissen einzusetzen, einen gewissen Respekt vor Sprache zu zeigen und bei keine Ahnung einfach auch mal die Schnauze zu halten? Diese Frage beschäftigt mich bis zur Ermattung und es geht zur Siesta ins Zelt. Das der Pressesprecher der Münchner Polizei ein Streifenbulle ist, der sich über den zweiten Bildungsweg dahin entwickelt hat, ist der letzte Gedanke mit dem ich dann, positiv gestimmt, wegdämmere.

Als ich wach werde, liege ich in einer finnischen Sauna. Zumindest fühl ich mich so. Die Sonne bretzelt nämlich direkt auf das Zelt und es ist brüllwarm. Raus hier. Die Wäsche ist auch auf einem guten Weg. Also gehe ich mal in die Bar, gönne mir den Nachmittagskaffee und lese meinen Krimi weiter. Nun spielt der dummerweise in München, aber ich schaffe es, nicht abzuschweifen, sondern in der Geschichte zu bleiben. Die nicht nur wegen des Spielorts, sondern auch wegen der Tätersuche Anlaß böte. Einer meiner Leute, die mich ob meiner ausgeglichenen und so differenzierenden Art schätzen, hat mich nach einem meiner wütenden Ausbrüche mal mit dem Satz wiederaufgegleist, daß jeder den ich Scheiße finde, jemanden hat der ihn liebt. Und darum geht es in diesem Krimi. Die einen suchen einen brutalen Mörder, die anderen eine verletzte Seele, was immer auch zu Konflikten im Team, letztendlich aber zum Ergebnis führt.

Fall gelöst. Essen fassen. Hm, die Karte gibt wenig her, weshalb es bei Schnitzelchen, Pommes und Salat bleibt. Dazu gibt es aber, echte Überraschung, einen Verdejo aus Rueda. Das ist ungefähr so, als wenn es zur Curywurst einen Moselriesling der besseren Bauart geben würde. Ich freue mich. Und morgen wird in Leon richtig geschlemmt. Jawoll.

Ich baue mein Zelt ab und mache mich auf den rund einstündigen Weg nach Leon, wo ich mir in die Altstadt ein preisgünstiges Zimmer genommen habe. Das macht beim spanischen Tagesrhytmus einfach mehr Sinn, sich zur Siesta auch brav zurückziehen zu können, als auf einer Parkbank rumzuhängen. Mein Zimmer ist noch nicht fertig, aber ich kann mein Zeug schonmal abstellen. Und dann gehts auf. Die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten erkunden, was bis zum Mittag dauert. Altstadt und Kathedrale sind nicht ganz so üppig wie in Burgos, aber die Stadt hat eine tolle Atmosphäre und ich lasse mich vom mittäglichen Corso treiben. Überall wird getrunken und gelacht und irgendwie wirkt es deutlich lockerer als in Kastillien. Ich selber kann mich nicht entscheiden, wo ich einkehren will. Dann sehe ich einen Blinden mit seinem Stock recht zielstrebig in eine Sackgasse einbiegen und frage mich, wo der wohl hin will. Ich also hinterher und kriege noch mit, wie der Typ links in einer unscheinbaren Kneipe verschwindet. Und ich hinterher. Klar. Wenn mich einer fragen würde, was das denn nun bitte schön war und warum es ausgerechnet dem Blinden hinterher ging, hätte ich keine vernünftige Antwort. Nennen wir es kulinarischen Instinkt und gut ist. 

Ich hocke an der Theke vor einer ziemlich großen Weinkarte, auf eine Tafel geschrieben, die netterweise nach Anbaugebieten sortiert ist. Da kann ich schonmal punkten, indem ich dem Wirt (Eine Mischung aus Achim Rohde und nem anderen Schauspieler, dessen Name mir gerade nicht einfällt. Der spielt immer so superspießige Typen) klarmache, daß ich mich seit April ausschließlich an regionalen Weinen vergreife und deshalb nun mal einen Blanco der Tierra de Leon probieren möchte. Der Kerl liebt Weine und wir kommen ins Gespräch. Er findet es cool, wo ich schon überall hergekommen bin und mich durchprobieren konnte und ich finde großartig, was ich da im Glas finde. Es ist ein Albarin, also die Traube heißt so. Die kommt original aus der Gegend. Im Gegensatz dazu kommt ein Albariño aus Galizien. Der spielt heute keine Rolle, da komme ich ja erst noch hin. Ich kriege einen zweiten Albarin hingestellt, bevor ich was bestellen kann. Dazu reicht der Herr Wirt ein Schinkentapa. Zum ersten Wein gab es einen Schlag Kartoffelsalat. Ich probiere, finde auch das gut. Die Rebsorte kommt neben dem Verdejo als zweites auf die Liste: Welche Weine bauen wir in Deutschland an, wenn es Riesling, Silvaner und Co zu warm wird? Nun, der Kollege hat andere Pläne und macht mit Roses weiter. Auch schön, begleitet von weiteren, immer üppiger werdenden Tapas. Die sind weniger Roses, sondern kommen mit ihrer beerigen Wucht eher nach fränkischen Rotlingen, ohne allerdings diesen penetranten Erdbeermarmelade-Geschmack zu verbreiten. Ich will zurück zu den Weißweinen, aber der Zeremonienmeister folgt seiner Logik unbeirrt und serviert einen jungen Roten. Nun bin ich kein Rotweintrinker, aber des Stöffche zaubert ein Lächeln auf meine Lippen. Das ist er, der Sommer. Lauer Abend, lang gearbeitet, Terasse, ein Glas von diesem Manna und alles wird gut. Ich versuche das zu erklären und die ganz Kneipe lacht gutwillig. Denn das Schätzle hat der Wirt zum Schluß aufgehoben. Holt aus einer Ecke eine unetikettierte Flasche, dreiviertelsvoll, leicht angekühlt und erzählt, daß das ein Crianza, ein im Barrique gereifter, alter Wein sei. Barrique, denke ich, soso, nicht meins, aber empfinde es als Ehre den Spezialtropfen kosten zu dürfen. Was ich unter den Augen des fünfköpfigen Thekenkranz auch tue. Und heidenei, ist das gut. Zarter Schmelz, der deine Zunge umspielt. Holzige Noten die sich am Gaumen festkrallen und irgendwas nach Feige, Banane und Pflaume hinterlassen. Ich sage nix, sondern genieße jeden Tropfen. Die Jury ist auf jeden Fall zufrieden mit mir und ich freue mich auch, aber nach einer Weinprobe mit sechs Positionen im 0,1er Spektrum (Also keine fränkische Weinprobe, wo ja immer gleich schoppenweise probiert wird.) wird es Zeit für die Siesta. Die Geschmacksknospen müssen sich ja auch mal wieder beruhigen.

Was bin ich über mein Zimmerchen froh. Kurz abgeduscht und ab auf die Liege. Schön geduckelt und weiter im Krimi gelesen. Einfach mal abhängen. Mit zuhause telefonieren und die Tour de France auf Spanisch gucken. All sowas. Und dann ist es wieder soweit. Halb Acht. Corsotime. Während ich vor zwei Wochen noch um sieben unterwegs war, hat sich das nun schon um eine halbe Stunde nach hinten verschoben. Ob ich das noch hinkriege bis acht die Füße still zu halten? Ich fürchte nicht. Ich lasse mich wieder treiben und erlebe mich selber erst wieder, als ich mit einem Rosado in der Hand am geöffneten Fenster einer Bar stehe und auf den Platz gucke, der mit Einheimischen, PilgerInnen und TouristInnen ein buntes Treiben bietet. Die Situation gefällt mir, gefällt mir sogar außerordentlich und das die nette Fachkraft im Schankgewerbe mit den Tapas reichlich freigebig ist, verstärkt meine Zufriedenheit und besänftigt meinen Hunger. Aber ich weiß, das ich mal was Gescheites essen muß. Also ziehe ich weiter. Komme aber nicht weit und lande in einer Michelin geprüften Bar. Gute regionale Weinkarte und Tapas, die woanders unter Hauptgericht durchgehen würden. Danach bin ich satt und über das Thema Rosados aus Leon und Bierzo weiß ich jetzt genug. Schwierige Sache, weil es da eben auf den Winzer ankommt. Und dafür reicht mein Spanisch nicht aus, um den ein oder anderen Stil, den mir die Schankkraft sicherlich erklären will, zu verstehen. Trotzdem freuen die sich, wenn ich mit Mimik, Händen und Füßen beschreibe, wie ich den Wein empfinde. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich sagen kann, daß wir in Deutschland außer Rioja, Rueda, Navarra eher wenig kennen und ich die Weine hier toll finde. Ich will aber zurück zu den Weißweinen der Region, brauche dafür aber was zwischen die Zähne, weil die ausdrucksstarken Rosados das sonst schwierig machen. Ich erinnere mich an eine Bar, die sich auf Bacalao spezialisiert hat und finde die sogar wieder. Leon? Meine Stadt. Und so bestelle ich ein Tapa mit Kabeljau und trinke dazu ein Wasser, bevor ich nach Albarin frage. Der Typ fragt welcher, zeigt mir drei Flaschen und ich sage Tasting, probare, zeige auf ihn und sage, er wäre der expert für die seria. (Das sind übrigens diese Momente, wo ich meinem Lateinlehrer Herrn Granseier bis ans Lebensende dankbar bin. Und wer behauptet, daß sei eine tote Sprache hat nichts, aber auch gar nichts von Europa begriffen.) Wir verstehen uns auf jeden Fall und zunächst gibts einen trinky Alltagswein. Der zweite zeigt höhere Komplexität und macht beim Nachschmecken mehr Spaß und der Dritte, Überraschung, ist dann echt cool. Grasige Noten und ein wenig Birne. Echt schön. Das heißt aber die Traube bleibt auf der Klimawandel-Liste. Gegessen habe ich in der Zeit ein Schnitzelbrötchen, ein Stück pfannenwarme Tortilla und in Apfelwein gekochte Chorizo. Immer noch satt. Das ist der Hammer. Ich gehe weiter und stehe vor einer Brauerei, die bewirtschaftet wird. Hinein. Regionale Zutaten und ein paar junge Leute, die Craft Beer brauen. Seitdem ich in Franken lebe, lässt mich das müde lächeln, habe aber viel Respekt vor den Leuten, die das in Angriff nehmen. Und ein Bierchen kühlt die Geschmacksknospen ja auch. Das Zeug schmeckt auch, aber ich merke, daß es Zeit für die Koje wird und mache mich auf den Heimweg. Wie der  Teufel es will, dröhnen aus einer Bar die Toy Dolls und da kann ich doch nicht vorbeigehen. Hinein. Ein DJ, der mich mächtig an Jörg-Henning erinnert, den Siegener Musikpapst mit einer legendären Radioshow im damals noch neuen Lokalradio, spielt sich gerade warm und freut sich, daß ich drauf anspringe. Er bringt dann noch n paar Klassiker und die Bar füllt sich. Das Publikum ist schwer einzuschätzen, weil ich ja nicht weiß wie spanische Altpunks heute rumlaufen. Als Paul Young Love is in the air die Tanzfläche füllt, weiß ich das der DJ einen Job hat und ich im falschen Film bin. Und dann gehts wirklich ins Hotel und ich beschließe den Tag mit dem Gedanken, daß Leon ein ganz tolle Stadt, mit sehr netten und aufgeschlossen Menschen ist und das die ab jetzt auf der Stadt Lieblingsstädte ganz oben mitspielt.