Boah. Die Menschheit kann mir gestohlen bleiben. Was eine Nacht. Der italienische Kollege im Nachbarzimmer, der mich nachmittags schon durch ein lautstarkes Telefonat mit seiner Mamma geweckt hatte, hat in einer Lautstärke geschnarcht, die waffenscheinpflichtig ist. Ich hatte wegen warm, die Fenster aufgemacht, damit ein wenig kühle Luft ins Zimmer kann und nachdem sich der Rest der Pilgercombo auch hingelegt hatte, fand ich das wenig riskant. Zwei junge Männer mit ziemlich schwerer Zunge meinten jedoch sich nächtens noch ihre witzigsten Filmchen vorspielen zu müssen. Und ich. Wach. Genervt. Auf 180. Ich hatte Puls, was das Einschlafen ziemlich schwierig, wenn nicht unmöglich macht. Und dann, hat irgendjemand diesen Leuten gedrückt, daß sie um halb sechs losstöckeln sollen. Kann man ja machen, kann man auch leise machen. Aber nein. Das muß ja die halbe Welt mitkriegen, was die Kerle für Helden und wie müde die Mädchen sind. Ich wachliegenderweise beim Zwangszuhören. Meine eigentlich recht menschenfreundliche Grundhaltung war dahin. Alle weg. Meine Fresse war ich sauer.
An Einschlafen war überhaupt nicht mehr zu denken, weshalb ich um halb Acht auf der Straße stand und loszog. Das war heute eine kurze Tour, die auch zum Relaxen herhalten soll, weil die kommenden Tage immer über Distanzen um die 30km gehen. Also fand ich den Weg durch die Felder ohne Steigungen an einem leichten Hang entlang, genau richtig. So erreichte ich nach knapp zwei Stunden Castrojeriz, einem der längsten Dörfer, die ich je durchschritten habe. Am Fuße einer Burgruine, schlängelt sich das Dorf entlang der Hauptstraße um den Burghügel. Das Dorf hat dabei am Anfang, in der Mitte und am Ende eine Kirche, am Anfang, in der Mitte und am Ende eine Bar, aber nur gegen Ende eine Art Marktplatz. In der dortigen Bar kehre ich ein. Zeit fürs zweite Frühstück. Cafe con Leche und Empanada mit Thunfisch. Lecker. Und eine singende Wirtin, die die Radiohits lautstark begleitet bilden den kulturellen Rahmen.
Dann gehts weiter und es kommt nochmal zu einem Aufstieg. Ein richtiger Tafelberg erhebt sich aus der Ebene und fordert ein wenig Anstrengung. Aber oben wartet Don Jon und bietet Kaltgetränke an. Genau richtig. Jetzt noch anderthalb Stunden und der Wandertag ist gelaufen. Ich merke nach kurzer Zeit, daß ich zu wenig Pause gemacht habe und setze mich nochmal hin, lockere die Schnürung der Schuhe und gucke dumm übers Land. In seiner Eintönigkeit hat das was. Und als ich mir den Zielort nachmittags genauer angucke, kriege ich das Gefühl an den aufgepimpten Landarbeiterhäuschen des frühen 20. Jahrhunderts vorbeizuschlendern. Das ist hier eben kein Bauernland, sondern Großgrundbesitzer- und Landarbeitergegend. Mal gucken, was das kulinarisch heißt.
Nix. Nix heißt das. Spargelsalat mit Mayonaise (ohne schinken. Und nicht eingerollt, was die 70er Jahre nur leicht anklingen lässt.) Danach Fleisch. Pommes und ein Fitzelchen eingelegte Paprika. Dazu einen Blanco aus Rueda, Verdejo!, der aller Ehren wert war. Dazu eine Familie aus Dinslaken, die mir schon seit ein paar Tagen immer wieder mal begegnet ist und mich heute nach einem kurzen von Tisch-zu-Tisch-Gespräch an ihren Tisch gebeten haben. Die Einladung habe ich angenommen und es wurde eine lustige Runde. Zwei Lehrer an einer katholischen Schule, die zwei lebhaften aber eher unaufdringlichen Kindern auf dem Jakobsweg ein Ding ermöglichen, was die erst Jahre später zu schätzen wissen. Die beiden Elternteile kamen auch von meiner Seite der Scheibe und es entspann sich ein gutes Gespräch zum Zustand der Welt. Zu deren Rettung hat es dann nicht ganz gelangt, weil der kalte Weißwein aus war. Das war auch gut so, weil wir alle morgen eh früh los wollen. Mir hat dieses NRW-Gespräch gut gefallen, weil ich halt von da wech komme und bei uns eben nicht alles auf der Goldwaage liegt und auch schon mal drauflos erzählt wird. N schöner Abend. Ich glaube, ich höre mir jetzt noch Wolfgang Petrys „Wir sind das Ruhrgebiet“an und duckel damit ein… Hasta manaña!