Um Viertel nach Sieben stand ich auf den Straßen des langsam erwachenden Städtchens und machte mich auf den Weg. Nachdem ich gestern reichlich üppig und spät zu Abend gegessen hatte, war mir überhaupt nicht nach Frühstück, selbst die Kaffee/Orangensaft-Kombi wäre mir zuviel gewesen. Der Weg führte zügig aus der Stadt hinaus und neben wir war alles auf dem Camino unterwegs, was aus den Hostals und Herbergen gekehrt worden war. Mir war das fast ein wenig zuviel Trubel, und ich war dankbar für die Ruhe der letzten Tage, die sich aus meinen späten Starts ergeben hatte.
Bei neuneinhalb Stunden reiner Gehzeit, 32km Länge und 500hm im Auf und Ab, die auf dem Zettel standen, habe ich davon Abstand genommen, was sich auch als gut und richtig erweisen sollte. Denn wie im Autosport ist auch beim Wandern die richtige Boxenstrategie entscheidend. Nach rund zwei Stunden stand die erste Ruhepause auf der Tagesordnung und es war nun Zeit für Cafe con Leche und frischgepressten Orangensaft. Ich hatte einen guten Platz vor der Bar erwischt und konnte die ganze Corona an mir vorbei defilieren lassen. Wirklich hängengeblieben, und zwar fürs Poesiealbum, ist der erste Aluhutträger, den ich live und in Farbe gesehen habe. Das es das echt gibt, hätte ich nicht wirklich geglaubt. Aber da diese Typen ja unberechenbar sind, hab ich mich nicht an ihn gewandt, sondern von hinten fotografiert. Im Schlepptau hatte der Typ, als wenn ich es geahnt hätte, ein ätherisches Wesen aus der Töpfern-in-der-Toscana-Ecke mit ärmelloser hellblauer Blümchenbluse und diesem Gesicht, wo mein Freund Ralf schon immer gesagt hat: „Finger weg. Gibt nur Probleme.“Hat auch immer Probleme gegeben, aber…
So hing ich in wenig meiner Vergangenheit hinterher und bin froh, daß ich da mittlerweile hingucken kann, ohne den Retter zu spielen. Wer so doof ist, muß leider ohne mich klüger werden. Nach der zweiten Pause, etwa vier Stunden später, verläuft sich das alles. Einige sind wohl nach vier Stunden schon am Ende und warten auf ihren Gepäckexpress, damit sie an ihr Duschzeug kommen und andere brauchen eine lange Mittagspause, was sich nicht anbietet, weil es halt eben erst gegen vier richtig heiß wird. Das gibt mir die Chance nach Cola und Empanada durchzustarten. Es geht in die Berge, was mich nach all den Tagen im Flachland echt freut. Auffi.
Sensationelle Rückblicke in die Ebene von Leon und vor mir nur Berg. Da muß doch jetzt irgendwann die Überschreitung Richtung Bierzo kommen. Menno. Nachdem ich nochmal genauer nachgeguckt habe, freue ich mich jetzt erstmal auf das Croz de Ferro. Das liegt auf etwa 1500hm und ist dann auch erreicht. Daß es danach nur noch bergab gehen würde, glauben auch nur Leute, die Mittelwerte für aussagefähig halten. Als geht erstmal noch vier Kilometer an der Bergkante auf und ab. Schöne Aussichten, zugegebenermaßen, aber mir wäre langsam mal nach Ziel. Dann geht es die nächsten zwei Kilometer steil bergab und die Füße tun weh, die Knie sind genervt und der Kleine will ein Feierabendbier.
Geschafft. Eingecheckt und ungeduscht erstmal in die Bar um die Ecke und ein eiskaltes Bier gegen den Durst getrunken. Dann selbstreden geduscht und geruht. Eigentlich wäre das auch die Zeit, um die nächsten Unterkünfte zu checken, Fotos zu sichern und all sowas, aber manchmal, eher meistens bleibt es beim Krimi lesen und a weng duckeln. Von daher bin ich über kurze Wandertage ganz froh, dann kann ich das am Stück wegschaffen. Heute geht es dagegen nur zum Essen, wieder um die Ecke in die Bar-Restaurante-Auberge. Zu einer Suppe mit Kartoffeln, Bohnen und Porree sowie dem Hauptgang, einer gut abgehangenen Rouladen-Scheibe, die angebraten mit Pommes serviert wird, gibt es einen Rosado aus der Region. Das Dorf macht auch Werbung damit, daß es das erste Dorf in Bierzo ist. Alles eine Frage des Standpunkts. Mir auch egal. Ich freue mich jedenfalls mal wieder in eine Weingegend jzu geraten, die mir gar nichts sagt.
Am Nebentisch sitzt ein Spanier, dessen Teller so aussieht, als ob er das, was ich in Astorga schön getrennt bekommen habe, alles auf einmal bekommen hat. Es sieht jedenfalls reichlich mächtig aus. Ich frage ihn auch, was das ist und es stellt sich heraus, daß er kein Englisch spricht, aber nachdem der Wirt freundlicherweise kulinarische Nachhilfe leistet (In der Provinz Leon heißt die Chose Cocido Maragado und die Zutaten werden in der Reihenfolge Fleisch, Gemüse, Suppe serviert. In der Provinz Bierzo gibt es diesselben Zutaten alle auf einmal und die Suppe wird zur Sauce. Das Ganze heißt dann Botillo oder so.) entspannt sich ein ganz interessantes Gespräch über den Camino, warum jeder von uns Beiden denn überhaupt geht, über den Unfug außerhalb Valencias eine Paella zu bestellen und das Kastilier arrogante Säcke sind. Hände, Füße und mein Küchenspanisch reichen aus. Schön und interessant. Leider reicht es sprachlich nicht, um mal nachzufragen, wie die Situation in Spanien denn eingeschätzt wird. Ich habe auch, noch stärker als in Frankreich, das Gefühl, das interessiert die Leute auch nicht, wer sie regiert. Vielleicht ist das in den Metropolen anders, aber hier auf dem platten Land spüre und sehe ich nichts.
Es wird über die Tour aber spät, was aber niemanden, vor allem den Hausherr, davon abhält mich noch auf ein Glas und das Dessert einzuladen, als ich bei meiner Unterkunft auf die Terrasse einbiege. Ich bin heute nämlich in einer Casa Rural, der spanischen Variante einer Chambre d‘ Hote unter und die anderen Hausgäste haben sich vom Hausherrn bekochen lassen. Auch das wird ein sehr netter Plausch über die Vorteile eines Sabbaticals, die Länge des Weges und das Oktoberfest. Irgendwann zieht es mich aber in die Heia und ich schlafe bewacht von den drei Hunden des Hauses tief und fest. Der Tag war ja auch lang genug.