Tag 6: Vent – Vernagt/Meran

Da komm ich her…

Auch der letzte Tag begann wieder frueh und ich war bereits um 7.00h unterwegs, weil doch einiges an Aufwaerts- (1100) und Abwaertsmetern (1300) bewaeltigt werden wollte. Zunaechst ging es recht gemuetlich auf breitem Fahrweg zur Martin-Busch-Huette, wo es auch die erste Ration Johannesbeersaftschorle des Tages gab. Weiter gings dann auf einem gut ausgeschilderten Trampelpfad Richtung Niederjoch. Die dazugehörige Similaunhuette sieht man eigentlich die ganze Zeit, aber deshalb ist man auch nicht schneller da.

Da will ich hin…

Nach gut 4,5h Stunden Aufstieg ist es aber soweit. Du stehst auf 3019 Metern kannst  rueber- und runtergucken nach Suedtirol, nach Italien. Ein ueberwaeltigendes Gefuehl nach sechs Tagen die Alpen ueberquert zu haben. Zur Feier dieses denkwuerdigen Augenblicks gabs keinen Sekt, aber die letzte Johannesbeersaftschorle dieser Wanderung.

Geschafft!

Ich war mit alkoholischen Genuessen auch deshalb vorsichtig, weil der Rother Wanderfuehrer den Abstieg als arg ausgesetzt und anspruchsvoll beschreibt, was aber meiner Ansicht nach uebertrieben ist. Trotzdem haette ich da nicht mit nem Stich runtergewollt. Du steigst zunaechst recht steil durch Fels ab, laeufst dann auf nem gut sichtbaren Weg durch Geroell, das dann in Weiden und Wiesen uebergeht. Nach 2,5h war aber auch das vorbei und ich unten am Stausee. Zufaelligerweise kam auch prompt der Bus, der Richtung Meran faehrt. Kurzfristig Hektik kam bei mir noch auf, weil ich meinen treuen Wanderhut im Bus liegen gelassen hatte. Aber nach ner knappen Stunde war der auch wieder am Mann. Ich nehm an das Teil hat so gestunken, dass es niemand wollte. Ueberhaupt war ich sehr froh, als ich unter der Dusche stand und auch erstmal nicht wieder in die Wanderhose und das Hemd steigen muss, die mich sechs Tage lang begleitet haben. Da hilft auch rei in der Tube nichts. Du stinkst einfach wie ein Iltis, aber egal….
Ich bleib nun noch ein paar Tage in Meran und fuehre mein breites Grinsen und den Stolz, es geschafft zu haben, ein wenig spazieren.

Tag 5: Mittelberg – Vent

Der laengste Tag dieser Wanderung ist vorbei und ich konnte die Bergwelt weitgehend alleine fuer mich erfahren. Dafuer bin ich sehr dankbar, auch wenn es anstrengend; aber nicht strapazioes war, seit 7.15h unterwegs zu sein und erst um 18.00h in der Unterkunft einzuchecken.

Da wo heute Kühe grasen, war vor nur 150 Jahren noch Gletscher!

Es ging also in Mittelberg los, einer Ortschaft, die vor 150 Jahren noch so nah am Gletscher gelegen war, dass die ihre verderblichen Sachen dort aufbewahrt haben. Heute gehst du auf dem „Wasserfallweg“  fast 600 Hoehenmeter bis du den Gletscher ueberhaupt siehst. Das hat mich trotz eindrucksvoller Landschaft sehr nachdenklich gemacht.

Ich schreibe ja viel ueber Peak oil, Klimawandel und unsere Zukunft, aber zu Fuss abschreiten zu koennen, wie sehr das schon diese Welt veraendert hat, war eine sehr persoenliche Erfahrung. Darueber hab ich nachgedacht, bis ich auf den Fahrweg gekommen bin, dem ich aber nur kurz folgen musste, bis es wieder links ab auf den Wanderweg ging.

Blick zurück zur Braunschweiger Hütte

Als ich auf der Braunschweiger Huette in der Sonne sass, hab ich dann gerafft, warum es da Fahrwege braucht: Die bauen immer noch Lifts und Beschneiungsanlagen fuer die Verlaengerung des Endspiels, fuer den letzten Tanz auf der Titanic oder die Ignoranz gegenueber den Verhaeltnissen. Dass die nicht alleine fuer den Klimawandel verantwortlich sind, weiss ich auch, aber das Wirtschaftsfoerderer, Regional-  und Tourismusplaner im leibhaftigen Angesicht der Auswirkungen so weitermachen, will mir nicht in den Kopf. Die Braunschweiger Huette ist dagegen sehr nett und die Johannesbeersaftschorle schmeckt wie Tomatensaft im Flugzeug (Unter 2000 Hoehenmetern ist das Zeug ungeniessbar). Aber die koennen ja auch nichts dafuer, dass das da so verbaut wird. Die sind Alpenverein und irgendwie anders an den Bergen interessiert. Und das die karge Welt des Hochgebirges eine hoechst eigenwillige Sache ist, habe ich heute gelernt. Nur Steine, Flechten, Wasser und ein wenig mehr – absolut faszinierend.

Nach zwei Schorlen gehts aber ganz profan weiter Richtung Pitztaler Joechl (2996m). Das faengt zwar entspannt an, aber wer oben ist, muss ja auch wieder runter. Und waehrend du aufwaerts mal noch hier und da die Stoecke in eine Hand nimmst, um mit der anderen am Stein abzustuetzen, ist es abwaerts zwar immer noch keine Kletterei, aber mit Seilen und in den Felsen gehauenen Stufen schon… interessant. Huestel. Das ich zum Abschluss noch unfreiwillig im Gletschersulz baden ging, hatte zwar was von Jungbrunnen, war aber trotzdem doof. Ein Stueck des Abstiegs fuehrt naemlich ganz abenteuerlich ueber ein Dauerschneefeld (ob das noch Gletscher ist, weiss ich nicht)

Dann kommt die Skiarena Rettenbach-Gletscher ins Blickfeld. Mordsparkplatz und Skigedoens inklusive Shops und Imbiss in sommerlicher Verlassenheit. Nachdem also der Aufstieg eher den Klimawandel an sich thematisierte, packte mich beim Anblick dieser Betonwueste der Zorn auf diese Ignoranz, diese Konsumscheisser, die nur weil Winter ist und deshalb Ski gefahren werden muss, eben auch aufm Gletscher rumrutschen muessen. Das sieht da einfach schon so aus als wenn McDoof, CocaCola und RTL die Vermarktung des Mars uebernommen haetten.

Wunderschöner Panoramaweg Vent

Also weiter. Von der einen Seite auf die andere Seite mit dem Bus durch einen Tunnel. Dann quer ueber den Parkplatz, rechts hoch entlang des Schlepplifts und dann links auf dem Panoramaweg Vent. Und zack. Biste alleine. Keine Skiarena. Sondern Stille und Alpen als Natur- und Kulturereignis. Es geht fast dreieinhalb Stunden bergab und ist so eindrucksvoll, so schoen und inspirierend, dass sich jeder Meter lohnt.

Trotzdem war ich froh, endlich in Vent einzulaufen und die Unterkunft schon im Vorfeld gebucht zu haben. Einchecken, frisch machen und Essen gehen. Es traf das Hotel Vent bzw. das angeschlossene Restaurant und einen ganz wunderbaren italienischen Kellner, der sich so freute zwei Weinvorschlaege zu Vorspeise und Hauptspeise machen zu duerfen und nicht nur Bier praesentieren zu koennen, das er zum Hirschruecken was jenseits der Karte rausrueckte. Einen Zweigelt, dem das Holz zwar gezeigt, aber nicht in Vanille ersaeuft wurde. Nett. Zur Sauerkrautsuppe gabs einen Veltliner. Schoen war der Plausch zum Schluss, als sich der italienische Kollege nach der Qualitaet des Essens erkundigte und anscheinend von so einem abgerissenen Typen (Wandertage hinterlassen auch bei mir Spuren) eine recht fundierte Antwort bekam. Fuer den Hinweis, dass man doch in einem oesterreichischen Tal statt TK-Lachs-Nudeln mal probieren koennte, was mit Forelle und heimischen Kraeutern zu kochen, wollte er dann Schnaps anbieten. Ich habe aber dankend abgelehnt und bin heim.
Nun lege ich mich nach einem sehr langen und sehr bewegenden Tag hin.

Tag 4: Zams – Mittelberg

Ein sonniger Morgen verspricht einen wirklich aussichtsreichen und entspannten Tag. Entspannt deshalb, weil heute „geshuttelt“ wird; eine Begrifflichkeit, die mir ein schwaebisches Cleverle beigebracht hat. Hoert sich auch deutlich cooler an als Bus- bzw. Seilbahn zu fahren, um nur die Highlights der Strecke zu Fuss abzugrasen. Beides steht aber aus praktischen Ueberlegungen heute auch bei mir auf dem Plan. (Nicht ganz die reine Lehre, aber manchmal siegt die normative Kraft des Faktischen)

Zunaechst habe ich um 8.00h mit der ersten Seilbahn mal eben 1400 Hoehenmeter ueberwunden, um mit nur 300 zusaetzlichen Hoehenmetern, die per Pedes zu bewaeltigen sind, zwei Gipfel zu nehmen, den Venet (2512m) und den Wannejoechl (2464m). Wunderbare Panoramablicke bis zur Ortler-Gruppe und idyllisch grasende Ziegen am Gipfelkreuz.

Ziegenidylle auf 2512m (Venet)

Danach begann der Abstieg, der heute an zwei bewirtschafteten Almen vorbeifuehrt, wo es auf der Ersten, der Galfunaalm, ne gescheite Apfelsaftschorle und auf der Zweiten, der Larcher Alm, ein Jausenbrett mit allem Pipapo gab. Richtig lecker, richtig gut. Das machte auch den Abstieg nach Wenns auf einem schoen breiten und quasi planierten Fahrweg leicht. Aber es sind an dem Tag dann eben doch rund 1500 Hoehenmeter bergab gewesen, also nicht unterschaetzen, auch wenn die Nettogehzeit von vier Stunden schon zur Entspannung einlaedt.

Abstieg nach Wenns

In Wenns hab ich dann den Bus bestiegen, der mich in einer knappen Stunde nach Mittelberg gebracht hat. Die Alternativen waeren gewesen, entweder an der Strasse entlang zu laufen oder einen viertaegigen Extratrip ueber die Berge ringsum zu unternehmen. Fuer das letztere habe ich keine Zeit und das andere fand ich eher unspannend und haette trotzdem einen Tag mehr ausgemacht. In Mitttelberg bin ich im Gasthof Steinbock unter, wo das Zimmer ok ist und das Essen den kulinarischen Tiefpunkt -bislang- dieser Wanderung darstellt. Das eine Tiroler Hochzeitssuppe aus Nudeln, Gemuesebruehe und Frankfurter Wuerstchen in Scheiben besteht, laesst mich am Reichtum der Gegend zweifeln und einen Salat muss man nicht mit Fertigdressing anrichten. Dafuer schmeckt der Neuburger, ich kann die wunderbaren Bilder des Tages an mir vorueberziehen lassen, der Sonnenuntergang war haerrlisch und morgen gehts ja weiter.

Tag 3: Memminger Huette – Zams

Eigentlich faengt der dritte Tag mit der Nacht an. Auch ein zweiter Schoppen erhoehte die Laessigkeit gegenueber der Tatsache mit wildfremden Menschen Matratze an Matratze zu schlafen nicht wirklich. Und so lagen wir dann da: ein sehr nettes Bergsteigerpaerchen mit zwei Kindern ueber mir, links neben mir n Jungdynamiker, der sich beim Bergsteigerpapa ueberschwenglich fuer den tollen „Input“ bedankte, der ihm echt was gebracht hat. Aus Hannover… Rechts neben mir ein Freiplatz (Gott seis gelobt und getrommelt!) und dann ein sprachloses Duett aus Blond-Sie und Gross-Er. Also gefuehlter Null-Schlaf bis 5.45h, weil da zwar nicht zurueckgeschossen wird, aber auf der Huette der Tag beginnt.

Morgenstimmung in den Bergen

Und dafuer werd ich den Rest meines Lebens dankbar sein. Auf 2200 Metern zu erleben, wie es langsam hell wird und der Morgen die Berge in ein ganz eigentuemliches, weiches Licht taucht, ist schon ganz grosses Kino.Leider bin ich nicht alleine, sondern in einer Subform des Massentourismus gelandet. Auf der Huette ist es naemlich gesellig. Und um 6.30h macht sich der erste Schwung der Corona unter grossem Hallo auf den Weg.
-Es laesst sich uebrigens von der Streckenplanung her nicht wirklich vermeiden, dass man mindestens einmal da uebernachtet, wo auch alle anderen schlafen, die den Rother Bergwanderfuehrer nutzen.-

Blick von der Seescharte ins Zamser Loch

Ich hab mich dann eingefaedelt und hatte zwischendurch auch das Gefuehl dieser Stille, die ein Morgen in den Bergen doch haben sollte. Die quasselnden und optimierungs-besessenen Schwaben genauso wie sportelnde Nachwuchsfuehrungskraefte, die den Trail wohl noch als Fleisskaertchen auf ihrem Lebenslauf brauchen, habe ich an mir vorueberziehen lassen und bin erst um 8.00h an der Seescharte gestanden, der Ueberschreitung ins Inntal. Grosser Moment. Du guckst zurueck auf die Allgaeuer und Lechtaler Alpen und vor dir liegt das Inntal und dahinter siehst du fast schon Italien. Fuer zwei Minuten. Leider hoffte ein schwarzbebrillter Wichtigtuer auf Empfang, weil er dem  „Prakti“ noch was mitgeben wollte…. Aber die mussten ja alle weiter und ich konnte mit nur wenigen Menschen im Nacken meinen Abstieg beginnen.

Der hat dann mal gepflegte fuenf Stunden gedauert und 1800 Hoehenmeter gekostet. Aber es ist kein anspruchsvoller Weg, mit Kletterei oder so, sondern nur saulang. Er fuehrt durch das Zamser Loch auf einem fuer den Viehauftrieb in den Fels gesprengten Weg und bietet echt schoene Ausblicke.
Irgendwann hat sie dich aber wieder: die Zivilisation in Form von Inntalautobahn als Hintergrundrauschen und dem Blick auf Landeck als architektonische Erinnerung an die autogerechte Stadt.
Und der Abstieg ist immer noch nicht vorbei. Erst wenn die Autobahnbruecke ueberquert ist, naehert man sich ebenerdig dem Tagesziel: Zams. Ein kleiner Vorort von Landeck, der sich als E5-Etappenort vermarktet. Soll er.

Ich bin im Gasthof Gemse unter, vielmehr im Gaestehaus nebenan. Nun nerven zwar noch zwei Youngsters auf dem Balkon nebenan, die sich mit Tankstellenbier n Netten machen und kurz davor sind, die Welt zu retten. Ich selber habe in der Gemse gegessen und mich drueber gefreut einen Freund des fuenften Viertels am Herd zu finden, also jemandem der das komplette Vieh verarbeitet. Zunaechst gabs deshalb eine Milzschnittensuppe und als Hauptgang einen gebackenen Kalbskopf mit Kartoffelsalat. Also Innereien und angeblich minderwertiges Fleisch, was sehr lecker zubereitet werden kann, aber leider nur allzuoft einfach im Abfall landen, weil viele nur noch Kurzgebratenes wollen. Schoen das es Gastronomen gibt, die am E5 auch mit Schnitzel, Steak und Filet ihren Umsatz machen koennten und trotzdem einen nachhaltigen Weg gehen. Und geschmeckt hats auch.
Die Jungs haben endlich die Welt gerettet und ich leg mich jetzt auch hin, weil morgen frueh Tag 4 beginnt.
Bella Ciao!

Tag 2: Holzgau – Memminger Huette

Nun hock ich auf 2200 und irgendwas Metern und werde das erste Mal in meinem Leben auf einer Huette uebernachten. Interessante Erfahrung als Ethnologe im eigenen Land auch mal die Gipfelstuermer unter die Lupe zu nehmen. Hoffentlich schnarchen die nicht. Egal. Die Nacht wird es zeigen.

Wenn Sie so wird, wie der heutige Wandertag, kann es so schlecht nicht werden. Der hat zwar mit Regen angefangen, sich aber stetig zum Guten gewandelt.
Los gings bei leichtem Regen in Holzgau; etwas spaeter als geplant, weils vorher richtig schlimm war. Aber das gehoert anscheinend bei einer Streckenwanderung dazu, dass du mindestens einmal bei Regen los musst. Der Fussweg von Holzgau Richtung Bach verlaeuft ueber den geteerten Lechtal-Radweg, was aber nicht schlimm ist, weil dieses breite Tal mit all den gruenen Bergen links und rechts selbst bei Regen optisch beeindruckt.

Wunderschönes Madautal

Der E5 biegt irgendwann rechts ab in den Wald und man geht auf einer geschotterten Piste durchs Madautal, meiner Ansicht nach eines der schoensten Alpentaeler ueberhaupt (Das Kleinwalsertal mal ausgenommen, aber das ist eine andere Geschichte). Das Einzige was echt stoert, sind die Shuttle-Taxis, die die Leute, die zur Memminger Huette wollen, zur Materialbahn bringen, wo sie ihren Rucksack abgeben koennen um dann leichten Fusses in knapp zwei Stunden zur Memminger Huette zu kommen. Kann man machen, muss man aber nicht. Ausser wenn man blind dem Reisefuehrer folgt und von der Kemptner Huette aus in den Tag startet.

Das Tagesziel ist erreicht!

Ich bin auf jeden Fall durch das Tal gegangen und hab auch den Aufstieg verkraftet, weil der recht smart in Serpentinen bergauf fuehrt, gut ausgeschildert ist und ein paar sensationelle Blicke in die Bergwelt eroeffnet. Und dann biegst du nach sechs Stunden Fussweg endlich um die Ecke und siehst diesen faszinierenden Kessel, in dessen gefuehlter Mitte das Ziel des heutigen Tagges liegt: die Memminger Huette.

Auf der Huette trudeln bis zum fruehen Abend weitere Leute ein, trocknen ihre Sachen und duschen mit kaltem Wasser in der Umkleidekabine. Ein bisschen wie Zelten, nur ohne eigenes Zelt. Dafuer kommt jemand an deinen Tisch und fragt, was du essen willst. Fuer mich gabs – im uebrigen sehr lecker fuer die Umstaende –  Kaspressknoedelsuppe und ein Szegediner Gulasch. Und auch heute gibts keinen Kaiserschmarrn zum Nachtisch, weil die Kohlenhydratvergiftung droht. Jetzt ist aber erst sieben Uhr und noch Zeit fuern Wein, weil der ja keine Kohlenhydrate hat…

Tag 1: Oberstdorf – Holzgau

Bei bestem Wetter geht es kurz nach acht Uhr auf Schusters Rappen gen Meran. Die erste Etappe soll in Holzgau im Lechtal enden, was rund 7,5h reine Gehzeit bedeutet. Die Strecke beginnt ganz harmlos beim Parkplatz der Nebelhornbahn und fuehrt, nur langsam an Hoehe gewinnend, zur Spielmannsau an der Trettach entlang.

Ein erster Blick in die Berge…

Ab der Spielmannsau stellt sich so langsam das Gefuehl ein, in den Bergen zu sein. Links und rechts Rinnsale, die wohl im Fruehjahr einiges mehr an Wasser fuehren. Aber nun ist alles gruen und leuchtet in der Sonne, also kein Gedanke an Schnee oder Schneeschmelze. Aber halt. An einer Stelle, die „Knie“ genannt wird, biegt man in den Sperrbachtobel, wo es noch reichlich Altschneefelder  zu bestaunen gibt. Der Tobel wird nach obenhin breiter und gibt nach rund 4,5h Aufstieg den Blick auf die Kemptner Huette frei. (Schoen uebrigens, wenn die angegebenen Gehzeiten im Wanderfuehrer mal mit meiner Realitaet uebereinstimmen.) Huette heisst Einkehr. Es gibt Rahmkartoffelsuppe und n Masskrug von Apfelsaftschorle. Schwamm drueber, ein stolzer Sieg der Vernunft. Es sollte ja nun auch noch ein dreistuendiger Abstieg nach Holzgau folgen, der aber erstmal mit einem halbstuendigen Bergauf zum Maedelejoch begann.

Grenzüberschreitung am Mädelejoch

Das Joch ist auch die deutsch-oesterreichische Grenze, was mich zu einer stillen Gedenkminute an all die emigrees bewegt, die ihre Heimaten weshalb auch immer verlassen muessen. Schoen war auch der Aufkleber der Antifaschistischen Aktion Koeln, der mitten auf dem Gummiadler des Grenzschilds prangte.

Aber dann begann er wirklich, der Abstieg. Nun habe ich fussballbedingt eine gewisse Abneigung gegens Absteigen, aber auch wandertechnisch ist das nicht meine staerkste Disziplin. Gehoert aber dazu, deshalb: kein Jammern und los. Die erste halbe Stunde gehts recht steil abwaerts, was sich dann legt. Nach der Unteren Rossgumpenalp ist es sogar ein Fahrweg, der fast zum Schlendern einladen wuerde, wenn es nicht schon ein paar gefuehlte Meter weiter, wieder bergauf geht. Es wird ein Mordsumweg durch den Wald gemacht, um den neugierigen Wanderer ueber die laengste Haengebruecke der Alpen oder so wanken zu lassen. Hoert sich vielleicht uncool an, aber ich fands toll. N richtig schoener Gimmick. Ich war trotzdem froh, als ich Holzgau dann 20min spaeter erreichte, im Hotel zur neuen Post eingecheckt bin und mich nun langsam auf den Abend einstimme.

Nun ist der Abend fast vorbei und die Wahl von Hotel-Restaurant unter einem Dach hat sich als richtig erwiesen. Das Restaurant ist Teil des Projekts Genussregion Oesterreich und bezieht einen Grossteil der Zutaten aus der Region. Jetzt koennt ich Alarm schlagen, weil Mais im Salat war, mach ich aber nicht. Kann ja sein, dass es da n Maisfeld gibt. Lecker wars trotz alledem, wenn auch Speckknoedelsuppe und Geroestl ein – ich sags mal so – arg kohlenhydratlastiges Menue darstellen. Auf den karamelisierten Kaiserschmarrn habe ich deshalb, trotz dringenden Anratens des Nebentischs, verzichtet. Die Combo bestand aus den fuenf Damen, die die Besatzung des Cafes Uta stellen, das ich am Nachmittag straeflicherweise ignoriert habe. Ein netter Haufen. Servicecrew at its best. Wer macht welche Schicht? Wer ist doof? Was ist angesagt und was nicht und: Wer mit wem? Ein schoener Ausklang des ersten Etappentages und nun guck ich noch n bisschen Fussball.

Die Anreise

Ok. Die geplante Fahrzeit wurde real eine Stunde laenger. Zug fahren rockt trotzdem, weils nicht wirklich schlimm war. Die letzte Stunde ab Kempten war wirklich sowas von Retro, dass ich kurz davor war zu glauben, dass Piroschka am Bahnsteig in Oberstdorf warten wuerde. Schoen langsam mit der Alex-Bahn durchs Allgaeu. Haerrlisch.
Dann schnell eingecheckt im Hotel Adler; ein nettes Zimmer unterm Dach mit einem Balkon auf dem ich jetzt sitze.
Vorher ging’s natuerlich noch mal los, weil sich das hungrig einfach nicht gut schlaeft.
Also abseits des Mainstreams auf die Pirsch gegangen und was willst du im Angesicht eines Schriftzugs „einfach gut essen und trinken“ anderes machen als einkehren? In Judiths Weinstube! Lecker wars und einen Zwiebelrostbraten bei dem die Zwiebeln in einer Rotweinreduktion gezogen sind, hat ich auch noch nicht.
So kann das ruhig weitergehen.
Apropos gehen: Morgen gehts ueber die Kemptener Huette bis Holzgau….

Gleich gehts los….

Nun geht es heute endlich los. Nach Wochen der Vorbereitung, Planung und – ein wenig – Konditionsaufbau mache ich mich heute per Bahn auf den Weg nach Oberstdorf um von da aus Richtung Meran zu gehen. Dabei folge ich dem Fernwanderweg E5.

Natürlich bin ich aufgeregt, weil ich zwar einigermaßen mittelgebirgsfest bin, aber noch keine Streckenwanderung in den Alpen gemacht habe. Ich habe diese Wanderung als Genusswanderung etikettiert, weil ich die Berge, die Landschaft genauso genießen will, wie die alpenländische Küche; weshalb ich auch nur einmal auf einer Hütte übernachte und ansonsten im Tal unter bin, wo die Hoffnung auf kulinarische Genüsse größer ist.

Der E5 scheint mir ein geeigneter Weg, weil er gut erschlossen ist. Ich hoffe nur, dass es nicht allzu überlaufen ist. Die Wanderung soll nämlich auch dazu dienen, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Weshalb es eigentlich auch weniger wichtig ist, wie schnell und ob ich in Meran ankomme, sondern das es mir Spaß macht.

Der Weg ist das Ziel!  

 

 

Kleine Fluchten

Raus. Raus. Nur raus….es gibt Termine, die einen in den Wahnsinn treiben und das nicht mal so sehr wegen dem, was besprochen wird, sondern wegen mangelnder Struktur und Professionalität mit der die scheinbar wichtigen Akteure dort auftreten… Also Raus und zwar schnell. Ab ins Auto. Nach Hause. Raus aus dem Anzug. Rein in die Wanderklamotten. Den vorbereiteten Rucksack auf und ab zum Bahnhof… Natürlich in Eile. Das Ergebnis ist klar: Du stehst völlig verschwitzt, aber 10 Minuten zu früh am Bahnsteig und wartest auf den Zug… Zeitmanagement geht anders, aber das lern ich nicht mehr. Nie.

Nach einer viertelstündigen Zugfahrt bin ich dann in Hassfurt und warte auf das Taxi, dass mich zum Ausgangspunkt der Wanderung bringen soll. Taxis sind ja eher urbane Fahrzeuge, so dass sie in einer knapp 15.000 Leute Kleinstadt ein wenig deplatziert sind und da man weder betrunken noch gehbehindert daherkommt, wird man selber von den Eingeborenen auch kritisch beäugt. Der Taxifahrer ist dann auch ein Outlaw ganz besonderer Art. Ein kurdischer Genosse, den es in die Provinz verschlagen hat und der neben dem Taxidienst, die Bahnhofskneipe und ein Bistro betreibt, zusätzlich noch dieses Regenmacherinstrument spielt und jede Gelegenheit nutzt, um in die Heimat zu fliegen.

Und natürlich hat er die optischen Eindrücke seiner Heimat dabei, mit Musik hinterlegt und kann das während der Fahrt über kurvige Landstraßen auch auf seinem Iphone präsentieren. Und so fährst du – knapp eine Stunde nach dem grausligen Termin – durch das Steigerwald-Vorland und bist schon ganz woanders.

Nach einer herzlichen Verabschiedung geht’s dann endlich los. Rucksack auf und gemessenen Schrittes Richtung Nachtquartier, das nach knapp 2 Stunden auch erreicht ist. Ein kleiner Gasthof am Fuße des Zabelsteins, der von daher Bedeutung hat, weil ich da mit meinen Eltern mal gegessen haben, als sie mich in der neuen Heimat besucht haben. Die Erinnerungen an meine Mama sind dabei so präsent, also ob sie tatsächlich da wäre und ich nicht im Speisebereich Platz nehmen kann, sondern im Thekenbereich einen Platz suche. Das erweist sich nicht als Fehler, ist doch auch in Franken, wo es erstaunlich wenig Stehtheken gibt, das der Bereich, wo du am ehesten ins Gespräch kommst und so vergeht der Abend mit Gebrauchtwagenkaufempfehlungen, Freizeittipps und dummen Zeugs zur Lage der Nation bei Schweinebraten und Kellerbier ohne weiteren Trübsinn. Das Zimmer ist einfach und sauber, wobei das größte Geschenk die absolute Stille ist die gegen 22.00h einkehrt. Geöffnetes Fenster und du hörst nicht einmal mehr die Vögel, weil die sich auch hingelegt haben. Das beruhigt ungemein….

Um 5.45h (blöde Uhrzeit, war aber so) geht’s dann los. Die lange Tagesetappe steht an und beginnt gleich mit einem steilen Anstieg auf den Zabelstein, der aber mit einem fantastischen Blick über das Schweinfurter Becken belohnt wird. Danach senkt sich der Weg über den Rücken des Zabelsteins gemächlich Richtung Michelau, einer kleinen Weinbaugemeinde am Rande des Steigerwalds, die im Schatten ihrer großen Schwestern im Westen steht. Aber auch dort ist die Dualität von lichten Wäldern und Weinbergen, dass was das Herz aufmacht. Ein herrliche Landschaft, die den Hintergrund für allerlei Sortierarbeiten im Kopf und ein flottes Vorankommen liefert. Über Handthal geht’s dann nach Ebrach, einem alten Kloster und natürlich gerate ich – wir haben Christi Himmelfahrt – in eine Wallfahrt. Im Unterschied zu den Prozessionen in heimischen Gefilden scheinen diese Fußwallfahrten um einiges schneller voranzukommen und auch deutlich weltlicher motiviert zu sein. Das freundliche Geplapper und die gut gefüllten Brotzeittaschen sprechen auf jeden Fall dafür. Das wohl unvermeidliche Gesinge beschränkt sich deshalb auch auf die letzten 200 Meter vorm Kloster, was ich schon aus dem klösterlichen Biergarten heraus hören konnte, weil ich einfach überholt habe. Dieser Biergarten bietet mittägliche Entspannung bei Weinschorle und Salat.

Danach geht es auf zu den letzten knapp 20km des Tages Richtung Abtswind. Das schöne an langen Streckenwanderungen ist ja dieser kontemplative Trott der sich irgendwann einstellt  Du gehst in einem Tempo, dass du nicht wirklich steuerst, sondern das sich eingependelt hast und ziehst deinen Kreis, der in diesem Fall geradeaus geht. Landschaftlich wird’s dann langsam weniger waldig und mehr und mehr gewinnen die Weinbergswege optische Dominanz. Leider stört die A3, die an einer Fußgängerbrücke überquert werden will, akustisch doch gewaltig, aber nicht durchgängig. Und irgendwann tun die Füße dann doch weh und dann ist es gut, dass das Ziel nicht mehr weit ist. Abtswind; ebenfalls eine Weinort, allerdings ohne große Namen, weder Weinlagen, noch Winzer, aber als Etappenort durchaus geeignet. Insbesondere auch deshalb, weil sich mit der „Schwane“ ein durchaus ansprechendes Restaurant findet, wo es zu einem Fläschchen Weißburgunder aus Greuth, ein schön buttrig gebratenes (nicht frittiertes) Schnitzel und einen schön schlotziger Kartoffelsalat gab. Leider war dort kein Zimmer mehr zu bekommen, so dass ich in einem Hotel Garni untergekommen bin, das zwar auch sauber, aber wenig einladend war.

Also weiter nach Iphofen. Nach einer durchschlafenen Nacht geht es gegen 8:00h über den Schwanberg nach Iphofen. Der Schwanberg ist einer der heiligen Berge der Franken und bereits seit Urzeiten besiedelt Seine nach Norden, Süden und Westen abfallenden Steilhänge bieten nicht nur reichlich Platz für Weingärten, sondern auch Schutz vor bösen Feinden. Heute findet sich dort ein Friedwald und ein evangelisches Kloster, was die spirituelle Tradition des Ortes fortschreibt. Da es mir aber eher weltlich ist und ich weiß, was mich in Iphofen erwartet, gibt’s keine innere Einkehr, sondern der Abstieg vom Schwanberg beginnt. Eine meiner neueren Entdeckungen beim Wandern, die Knie beim Bergabgehen weniger durch Bremsen zu belasten, sondern Laufen zu lassen, bewährt sich auch hier und ich komme rasch voran. Dann Iphofen. Ziel einer nur knapp zweitägigen Wanderung und trotzdem marschiere ich durch Rödelseer Tor ein, wie der Tour de France Sieger den Champs-Élysées runterfährt.

Und statt Siegertreppchen gibt’s eine Belohnung kulinarischer Natur im Deutschen Hof, den ich an dieser Stelle mal ganz ausdrücklich loben will. Ganz unaufgeregte aber voll geile Küche… Grüner Spargel und Kartoffeln mit Walnusspesto ohne Schnigges.. Dabei echte netter Service.. Herrlich.

Aber alles hat ein Ende… Ich trotte dann zum Bahnhof, wie ein trödelnder Schuljunge, freue mich am rebellischen Geist der Iphöfer Jugend, die an der Bahnhofsunterführung kundtut, dass sie nicht den Kuchen, sondern die ganze Bäckerei will und Gegen Nazis sowieso ist… Die Fahrt mit dem Nahverkehrszug nach Hause ist unspektakulär und nach Entmüdungsbecken, sprich Badewanne, und Erdbeerkuchen ist die kleine Flucht vorbei……