Die Zukunft der Arbeit und die Konsequenzen für die berufliche Bildung

Die Pandemie hat wie im Brennglas gezeigt, dass das Einzige was an der Zukunft von Arbeit sicher ist, ist die schlichte Tatsache, dass sie getan werden soll! Aber über welche Arbeit reden wir überhaupt? Sind es die Kurierfahrer*innen oder die Influencer*innen? Sind es die Kolleg*innen im Homeoffice oder die an den Fließbändern und in den Werkstätten? Sind es die Krankenpfleger*innen oder die Qualitätsmanager*innen in der Altenpflege? In der Pandemie wurde alles erledigt und ist doch anders geworden. Die einen wurden beklatscht, die anderen haben Arbeit und Leben integrieren gelernt und die anderen haben weiter Autos produziert, wenn sie nicht in Kurzarbeit waren.

Im Folgenden soll der Frage nach der Zukunft von Arbeit nachgespürt werden, indem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Tätigkeiten genauso betrachtet werden, wie die allgemeinen Trends die das Bild von Arbeit in den nächsten Jahren prägen werden. Schlussendlich soll das in Überlegungen zu den Konsequenzen für Struktur und Inhalt beruflicher Bildung münden.

Die Perspektiven zukünftigen Arbeitens werden zentral durch alle Facetten der digitalen Transformation geprägt. Das bedeutet auf der einen Seite, dass alle Arbeiten nun eine technische Dimension haben, die die professionelle Nutzung von Hard- und Software meint, was neben der eigentlichen Nutzung oftmals auch Wartung und Reparatur umfasst. Auf der anderen Seite werden kommunikative Fragen und die Herausforderungen digitaler Identität und Sozialbeziehungen immer wichtiger. Schlussendlich kommt, gerade auch in industriellen Großorganisationen ein steigendes Maß an standardisierter Berichterstattung, also schlichte Verwaltungsarbeit, hinzu.

So entsteht eine Landkarte digitaler Kompetenzen, die drei unterschiedlichen Logiken folgt; nämlich einer technischen, einer administrativen und einer sozialen Logik, die allesamt die digitale Gesamtkompetenz abbilden, wobei

die technische Logik die handwerkliche Beherrschung von Hard- und Software bedeutet;

administrative Logik die professionelle Verwaltung von Daten und Dateien meint und

soziale Logik die Fragen der digitalisierten Interaktion umfasst.

Ergänzt werden diese Themen noch durch die individuellen Herausforderungen, die die neuen Formen raum- und zeitunabhängigen Arbeitens mit sich bringen.

Wie sieht also ein ganz normaler Arbeitstag, für wen auch immer, aus? Ein typischer Vormittag könnte so aussehen:

Nachdem die Mails gecheckt sind, die über Nacht reingekommen sind, soll eigentlich der regelmäßige Früh-Call als erste Regelkommunikationsschleife des Tages stattfinden, der aber leider recht rüde durch ein nicht zu stoppendes Update der VR-Brille unterbrochen wird. Danach funktioniert der VPS-Client nicht mehr. So ist der Umstieg aufs Smartphone zwingend und der Früh-Call ist zwar fast vorbei, aber die lieben Kolleg*innen zeigen Verständnis. Die IT schickt eine Mail mit kryptischen Anweisungen, aber mit dem guten alten Tool, mal alles vom Strom zu nehmen, wird alles wieder gut. Allerdings fragt die IT, wegen ihres Qualitätsmanagements, nun automatisiert nach, ob den alles zur Zufriedenheit läuft. Das Formular will ausgefüllt sein, bevor der nächste Videocall ansteht oder ob eines Präsenztermins in die Firma gewechselt werden muss….

An diesem durchaus typischen, wenn auch verdichteten, Vormittag eines Büromenschen, zeigt sich, wie sich die drei Logiken operativ auf den Alltag auswirken. So wollen Tätigkeiten aus allen drei Bereichen erledigt werden, und das teilweise automatisiert, so dass sich die Frage nach Priorisierung und Autonomie nicht stellt. Die kommunikative Seite dient zur Kompensation technischer und administrativer Defizite und wird so für Karriere und kollegiale Zusammenarbeit noch wichtiger, als sie in vordigitalen Zeiten eh schon war.

Zusammenfassend werden sich also Berufsbilder der Zukunft zunehmend aus Elementen der drei genannten Logiken zusammensetzen, die dabei im Gegensatz zu heute fast gleichwertig Nebeneinander stehen. Damit sind also die beruflichen Perspektiven für Beschäftigte, deren Begabung stark auf eine Logik fokussiert ist, in Zukunft limitiert. Auch die Entscheidung für einen technischen, kaufmännischen oder erzieherischen Beruf wird wohl nicht mehr so eindeutig zu treffen sein.

Das klingt auf der einen Seite sicherlich bedrohlich, aber es bietet neue Bilder beruflicher Tätigkeit, die vor dem Hintergrund der digitalen Transformation bereits im Entstehen sind. So finden sich in hochautomatisierten Fertigungen, mehr und mehr Runden zusammen, wo die Notwendigkeit vorausschauender Instandhaltung, die logistischen Bedarfe und die Produktionsplanung immer wieder aufs Neue austariert werden müssen, damit jede Fachabteilung im Sinne eines unternehmerischen Gesamtoptimums zu ihrem Recht kommt. Und dazu brauchen die Mechatroniker*innen, Logistiker*innen und Arbeitsvorbereiter*innen eben nicht nur ihre technischen Kompetenzen, sondern in einem hohen Maß kommunikative und planerische Kompetenzen und eben auch die administrative Kompetenz diese Planungen auch systemseitig abzulegen und einzupflegen. Derlei interdisziplinäre Abstimmungen und Projekte finden sich im modernen Industriebetrieb reichlich und nur allzu oft scheitern diese Projekte eben an der Dominanz einer Logik, sei es die technische Seite oder eben die logistische Perspektive.

Was heißt all das für die Zukunft der beruflichen Bildung?

Berufe folgen in der Regel der weiter oben vorgestellten Logik und sind deshalb in der Regel entweder technisch-handwerklicher, kaufmännischer oder pflegerisch-erzieherischer Natur. Von daher ist auch die Ausbildung stark auf die Vermittlung von Kenntnissen fokussiert, die diesen Logiken folgen. Die vorstehende Darstellung hat aber aufgezeigt, dass sich diese Fokussierung abschwächen muss und eine eher ganzheitliche Ausbildung erfolgen muss, wenn sie den arbeitsadäquat sein soll.

Das heißt für die technischen Berufe, dass neben den berufsinhaltlichen Kompetenzen wie die Metall- oder Elektrotechnik, zunächst auch die digitalen Kompetenzen für die Beherrschung von Laptop und Smartphone im Hier und Jetzt und das Bewegen in Augmented und Virtual Realities im Jetzt und Dann vermittelt werden müssen, bevor es auch, stärker als bisher, um die Fragen administrativer und kaufmännischer (beispielsweise bei der Handwerkerin im Verkaufsgespräch und der Kundenberatung) Kompetenz und um die kommunikativ-kreativen Kompetenzen etwa bei der Koordination von Baustellen gehen muss.

Das bedeutet für die administrativen Berufe einen höheren Ausbildungsanteil in Sachen digitaler Technologien und Beherrschung von Hard- und Software, inkl. Wartung und Reparatur einerseits und andererseits verstärkt Elemente von Projektmanagement und interdisziplinär abgestimmter Arbeit. Ähnliches gilt für
die erzieherischen Berufe.      

Ein weiterer Aspekt, der bislang noch nicht zur Sprache gekommen ist, ist die in der Digitalisierung steigende Bedeutung der Schriftsprache. Von Email und SMS bis whatsapp und den Chatfunktionen bei Teams, Zoom etc. wird mehr geschrieben, auch wenn es sich oftmals um geschriebene Sprechsprache handelt. Das allerdings führt nicht allzu selten zu Missverständnissen, die im betrieblichen Umfeld sogar Schaden anrichten (Stichwort: Satzzeichen retten Leben!). Ob das durch die Zunahme von Videokonferenzen und Videochats beheben lässt, ist solange offen, wie in vielen Fällen die Kamera ja ausbleibt!

Abschließend soll noch ein Thema angesprochen werden, dass die Unterscheidung von allgemeiner und beruflicher Bildung trifft. Es ergibt sich aus der steigenden Bedeutung von Kommunikation, Kreativität und Teamspirit. Um hier effizient zu arbeiten und gute Ergebnisse zu erzielen, kann es nicht nur um streng fachliche Inhalte gehen, sondern eben auch um Konversation und Small Talk. Und selbst der hat seine Voraussetzungen in einer gewissen Allgemeinbildung bzw. kultureller Bildung. Dabei geht es nicht um die Fokussierung auf Aspekte der Hochkultur, sondern um einen breiten Wissensbestand, der situations- und adressatengerecht abgerufen werden kann.          

Die berufliche Bildung der Zukunft wird also vier Säulen haben müssen. Da wäre

  1. die Technik
    Hier geht es einerseits für Alle um die technischen Kompetenzen die benötigt werden, um Hard- und Software professionell zu nutzen, sowie zu warten und ggfls. zu reparieren. Andererseits bedarf es in den technischen Berufen selbstredend einer fachlich fundierten Ausbildung an den Maschinen und Werkzeugen, sie den dahinterliegenden physikalisch-technischen Grundlagen.
  2. Die Administration / Das Kaufmännische
    Hier geht es einerseits um die Grundlagen des Projektmanagements und etwa bei handwerklichen Berufen um kaufmännische Grundlagen von Vertrieb und Buchhaltung. Andererseits sind natürlich auch hier bei den kaufmännischen Berufen die fachlichen Grundlagen zu legen.
  3. Das Soziale
    Hier geht es einerseits um die notwendigen Kompetenzen für professionelle aber empathische Kommunikation in Schrift und Wort, sowie den Grundlagen von Zusammenarbeit und Kollegialität. Die erzieherischen und pflegenden Berufe benötigen selbstredend darüber hinaus auch die entsprechenden fachlichen Grundlagen.
  4. Allgemeinbildung
    Hier geht es für alle um den kompetenten Umgang mit social media einerseits und das Lernen und Kennenlernen von Inhalt und Form guter Konversation in der analogen wie digitalen Welt. Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang auch Demokratie und demokratische Tugenden ein Lernfeld.

Zusammenfassend wird sich die Berufswelt wohl stärker diversifizieren und von allem ein wenig gebraucht werden, auch wenn die Fokussierungen in bestimmten Berufen recht ähnlich bleiben. Hier gilt es vorsichtig zu sein, einfach weitere Kompetenzanforderungen oben auf zu packen, sondern den richtigen Mix zu gestalten. Und das wäre die fordernde Aufgabe für die berufliche Bildungsplanung der kommenden Jahre!


Klaus Mertens
Oktober 2021

Literatur:

Gottschall, K.; Voß, G. (2003), Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag, Mering

Oesch, D. (2013), Occupational Change in Europe. How Technology and Education transform the Job Structure, Oxford

Raphael, L. (2021), Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin

Reckwitz, A. (2017), Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin

Vester, M.; Weber-Menges, S. (2014), Zunehmende Kompetenz – wachsende Unsicherheit. Bericht zu dem von der Hans Böckler Stiftung geförderten Kurzprojekt Explorative Entwicklung und Erprobung eines Untersuchungsinstruments für integrierte und differenzierte Langfrist-Analysen der beruflichen Arbeitsteilung und der Prekarisierung der Erwerbsstruktur in der BRD 1991-2009 mit den Daten des Mikrozensus, Hannover

https://www.arbeit-corona.uni-osnabrueck.de/ (zuletzt besucht am 03.11.2021)

https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/Klassen_und_Sozialstruktur/Vester_Michael_Berufsgliederung_BRD_S_GB_2000.pdf (zuletzt besucht am 03.11.2021)

Republik, Klimaschutz und gute Arbeit als Projekte der Aufklärung

Ich hatte am 12.02 Gelegenheit beim Klimastreik in Schweinfurt zu sprechen und bin das Thema etwas grundlegender angegangen, weil das ja manchmal hilft, den Überblick nicht zu verlieren:

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde der Vernunft,

ich habe zwar nur fünf Minuten Zeit, will aber trotzdem darüber sprechen, wie unsere Kämpfe um soziale Gerechtigkeit, ökologischen Klimaschutz und eine demokratisch verfasste Republik zusammenhängen. Der Faktor der diese Kämpfe zusammenhält, ist die Vernunft, die Rationalität.

Erinnern wir uns kurz an den Geschichtsunterricht wo wir das 17. Jahrhundert als das beginnende Zeitalter der Aufklärung kennengelernt haben. Mit dieser Aufklärung ist sowohl die Entwicklung der universellen Menschenrechte, also der verwegene, aber zutiefst rationale Gedanken, dass alle Menschen gleich geboren sind und ein Recht auf Glück haben, als auch der Aufstieg der Naturwissenschaften als ein Welterkennen und -durchdringen, jenseits von Esoterik und Religion verbunden.

Die Aufklärung hat zu einer Entfesselung dieser Kräfte geführt, die schlussendlich auch den Klimawandel und die Ressourcenknappheit erzeugt haben, gegen die wir heute anarbeiten, indem wir uns für einen aktiven Klimaschutz und einen sorgsamen Umgang mit Rohstoffen einsetzen. Und auch das tun wir mit wissenschaftlicher Argumentation, eben weil Wissenschaft sich stetig weiterentwickelt und neue Erkenntnisse bringt.

Genau diese entfesselten Kräfte der Aufklärung, die aus den universellen Menschenrechten ein hohes Maß an individueller Freiheit abgeleitet haben, haben auch zu sozialer Ungleichheit geführt, die aber vernünftigerweise immer schon als soziale Ungerechtigkeit angeprangert wurde. Die Arbeiter*innenbewegung hat gegen diese Ungerechtigkeit schon immer mit Wissenschaft und guten Argumenten angekämpft und so sind wir heute soweit, dass wir erkennen, dass es gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit nur in einer klimagerechten Welt gibt.  

Aber wo stehen wir heute?

Wir haben es mit einer breiten Front interessierter Kreise zu tun, die den Klimawandel leugnet oder kleinredet, sich also naturwissenschaftlicher Erkenntnis entzieht und auf Lüge, Hass und Hetze setzt.

Wir haben es mit einer breiten Front interessierter Kreise zu tun, denen es nicht um eine gerechte Verteilung von und einen schonenden Umgang mit den Ressourcen dieser Erde geht, sondern sie leugnen, dass es endliche Ressourcen sind, um sie sich entschlossen mit Krieg und Ausbeutung unter den Nagel zu reißen.

Wir haben es mit einer breiten Front interessierter Kreise zu tun, die die Spaltung der Gesellschaft in Oben und Unten radikal vorantreiben, weil sie denken, dass sie sich mit Reichtum einen Ausweg aus der Klimakrise schon leisten können, was ich für Esoterik halte.
Und Sie spalten nicht nur materiell in Oben und Unten, sondern sie betreiben einen Kulturkampf, der ausgrenzt, Schuld zuschreibt und Hass sät.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Freunde der Vernunft,

Lasst uns diesen Kulturkampf annehmen und unsere der Aufklärung und der naturwissenschaftlichen Rationalität, den Menschenrechten und der Republik verpflichtete Sicht auf die Welt gegen Hass, Hetze, Ignoranz und Lüge ins Feld führen!

Lasst uns zusammen streiten für eine bessere Welt, die möglich ist.

Und lasst uns endlich erkennen, dass die gewerkschaftlichen Kämpfe um gute Arbeit, die Kämpfe der Umweltbewegung gegen den Klimawandel und die Ressourcenvernichtung und
die weltweiten Kämpfe für demokratische Strukturen zusammengehören.

Und deshalb gilt, gestern wie heute:

Von Schweinfurt bis nach Rojava,
Klimaschutz ist Antifa!  

Die soziale Frage in der Transformation

Vorbemerkung

Auf den ersten Blick erscheint der Titel ein wenig anachronistisch. Während die soziale Frage für die Meisten eher mit dem Geschichtsunterricht zur Industrialisierung verbunden wird, ist der Begriff der Transformation erst in den letzten Jahren wirklich in Mode gekommen und wird derzeit reichlich strapaziert. Dabei ist die Kategorie so neu nicht. Bereits 1944 hat Karl Polany mit seinem Werk „The great Transformation“ die vielschichtigen Prozesse beschrieben, die eine Transformation ausmachen und die eben nicht gradlinig und zielstrebig verläuft, sondern sich aus vielen Einzelschritten (hinter denen einzelne Interessen stecken) und auch Irrwegen ergibt. Und dabei hat er auch die Prozesse analysiert, die die Industrialisierung und die Bildung der Nationalstaaten in Europa befördert haben. 

Es ist also nur folgerichtig sich auch 2025 mit der sozialen Frage in der Transformation zu beschäftigen, zeigen sich doch bei Arbeit, Boden und Kapital gravierende Veränderungen ab:

  • Arbeit verändert sich durch Digitalisierung und Automatisierung so
    grundlegend wie während des Wandels von der Feld- zur Industriearbeit.
  • Boden, als Synonym für Rohstoffe und die natürliche Umwelt, wird so knapp und prekär wie noch nie. Klimawandel und Rohstoffknappheit werden zentrale ökonomische Faktoren.
  • Kapital ist bereits digitalisiert und trägt etwa als Kryptowährung zum Bedeutungs-verlust der Nationalstaaten bei, weil ein Kennzeichen der Staatlichkeit nun einmal
    das Münzrecht ist und wo das privatisiert wird, verliert Staat eine seiner Grundfesten.

Dieser Beitrag will dabei versuchen, diese Entwicklungen vor dem Hintergrund aktueller Sozialstrukturen zu skizzieren. Diese Strukturen überlagern sich z.T., weil sie dieselbe Gesellschaft unter verschiedenen sozioökonomischen Gesichtswinkeln darstellen. Aber um die politischen Dimensionen der aktuellen Transformationsprozesse zu erfassen, müssen sie zusammen gedacht werden. Auch das ergibt sich aus der Beobachtung, dass die soziale Neuformierung der Gesellschaft im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung auch die politische Landschaft grundlegend verändert hat, etwa durch das Entstehen der Arbeiterbewegung einerseits und der Emanzipation des Bürgertums andererseits.
Dieser Beitrag stellt auch dar, wie die Neuformierung des politischen Raums aktuell beschrieben werden kann.   

Sozialstruktur und Transformation

Sozialstrukturanalysen sind zumeist monokausal auf Einkommen und Vermögen, sowie Bildung/Beruf und damit verbundenem Status ausgerichtet. So entstehen mehr oder weniger pyramidal ausgerichtete Modelle, die eine kleine Spitze, so genannte Eliten, und einen breiten Boden, die so genannte Unterschicht, und dazwischen, in allen möglichen Ausprägungen, so genannte Mittelschichten aller Art, darstellen.

Hinsichtlich der Wirkmächtigkeit auf die und Betroffenheit von der Transformation unterscheiden sich die unterschiedlichen „Etagen“ der Sozialstrukturmodelle, hier beispielhaft das geißlersche Modell, doch ganz erheblich. So ist der CO2-Verbrauch der einkommensstarken Eliten und oberen Mittelschichten um ein Vielfaches höher als der
CO2-Footprint von Unterschicht und unteren Mittelschichten, während die Risiken von Arbeitslosigkeit und Armut, die durch die ökonomischen Verwerfungen in der Transformation zunehmen, wohl eher die Unterschicht und unteren/mittleren Mittelschichten treffen.

Daneben unterscheidet sich das gesellschaftliche Oben und Unten auch hinsichtlich des Einflusses auf Politik und Gesellschaft, und das durchaus wenig altruistisch, sondern im Interesse von Schicht und Klasse! Das verhindert auch bislang, dass die unterschiedlich hohen Verantwortlichkeiten für Umweltverschmutzung und nachhaltiges Wirtschaften sich
in entsprechenden Steuern und Abgaben oder ordnungs-, verkehrs- und sozialpolitischen Maßnahmen niederschlagen.

Als Volkswirtschaft gilt das übrigens auch international. Da hat Deutschland als eines der reichsten Länder dieser Erde schlicht eine deutlich höhere Verantwortung als die Länder des globalen Südens, die aber am ehesten etwa unter dem Klimawandel zu leiden haben. Das sollte nicht nur Anlass sein, dort in der Transformation zu helfen, sondern gerade auch in Deutschland die Transformation hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu beschleunigen.

Transformationen in Deutschland aktuell

Wie zeigt sich nun die Transformation derzeit in Deutschland?

Nachdem über lange Jahre eine starke Exportorientierung mit billiger Energie und günstigen Rohstoffpreisen für stetes Wachstum und ein gewisses Verteilungsvolumen gesorgt hat, zeigten sich erstmals in der Krise 2008/2009 und dann etwa ab 2018/19 Risse im Geschäftsmodell, die durch Corona und den russischen Angriff auf die Ukraine nur kaschiert wurden. Diese Risse sind in den letzten Monaten aber immer deutlicher geworden, denn das Wachstum ist ausgeblieben und der Lack bröckelt.

Die Produktion sinkt, weil sich die starke Exportorientierung nun rächt. Der Aufbau resilienter Lieferketten führt nun zu einer local-for-local-Produktion in den Zielmärkten, was den Unternehmen weniger schadet als Arbeit und Beschäftigung in Deutschland. Arbeit und Beschäftigung stehen des Weiteren durch eine fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung unter Druck, die zunehmend auch komplexe, aber standardisierbare Tätigkeiten erfasst. Hinzu kommt in vielen Branchen, insbesondere der Automobilindustrie der Wandel von mechanischen zu elektrischen bzw. elektronischen Konstruktionselementen,
womit in der Regel auch die Anzahl benötigter Komponenten, ergo menschlicher Arbeit, sinkt.

Die Kompensation des Verlusts industrieller Arbeitsplätze durch eine Stärkung des Dienstleistungssektors, insbesondere der CARE-Berufe, will nicht so recht gelingen, was vielerlei Gründe hat. Im Vordergrund steht die immer noch deutlich schlechtere Bezahlung in diesen Bereichen, woran auch die Systemrelevanz dieser Berufe, die in der Pandemie ja allerorten bemüht wurde, nichts geändert hat. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch der männlich konnotierte Blick auf Arbeit, der dem Einzelnen den Schritt vom Fließband an das Krankenbett schwer macht. Schlussendlich geht es aber auch darum, dass nur wenige Arbeitgeber wie Konsumenten bereit sind, Dienstleistung angemessen und sozialversicherungspflichtig zu entlohnen, wie etwa die Lage bei den haushaltsnahen Dienstleistungen deutlich macht.

Im Gegensatz zur Situation im Dienstleistungssektor steht dem Bedeutungsverlust industrieller Arbeit im Bereich des Handwerks durchaus Kompensationspotential entgegen, da die Herausforderungen einer nachhaltigen Zukunft, wie etwa in der Energie- und Mobilitätswende einen hohen Bedarf an handwerklich ausgebildeten Arbeitskräften von der Installateurin bis hin zum Fahrradmechaniker ausweist. Hier bleibt allerdings zu beobachten, wie sich Attraktivität dieser Berufsfelder weiterentwickelt, da sich die Mehrzahl der Schulabgänger*innen ja für Bildungs- und Ausbildungswege entscheidet, die eher Richtung Hochschule führen.

Zusammenfassend verliert also industrielle Arbeit an Bedeutung, die derzeit weder in den Dienstleistungsbereichen noch im Handwerk aus genannten Gründen kompensiert werden kann. Diese Situation wird sich im Übrigen nicht über Repression gegen einzelne Arbeitnehmer*innen ändern lassen, sondern nur mit einer gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengung in Bildungs-, Sozial- und Tarifpolitik!

Transformation in Zahlen

Die aufgeführten Transformationsaspekte und der damit verbunden Verlust industrieller Arbeitsplätze soll an dieser Stelle konkretisiert werden, wobei es konkret um die Automobilbranche geht. Es wird wo von folgenden Annahmen ausgegangen

  • Produktivitätssteigerung durch Digitalisierung/Automatisierung von jährlich 5% ausgegangen wird.
  • Exportanteil von 70% der Gesamtproduktion, der sich jährlich um 4% verringert
  • Inlandsproduktion, die etwa durch Aspekte der Verkehrswende oder eine verfehlte Infrastrukturpolitik um jährlich 2% zurückgeht.

Diese Annahmen, die durchaus plausibel sind, führen im Ergebnis dazu, dass davon auszugehen ist, dass die Automobilindustrie in Deutschland von 2030 nur noch 2/3 der Arbeitsplätze von 2018, also vor Beginn der Krisen, ausweisen kann! Im Jahr 2018 hatte die deutsche Automobilindustrie 834.000 Beschäftigte, was dann bis 2030 den Verlust von 311.000 Arbeitsplätzen bedeuten würde, wobei das nur die direkt in der Branche Beschäftigten sind. Da an jedem industriellen Arbeitsplatz etwa 3,5 andere Arbeitsplätze von Bäckerin bis Altenpfleger hängen, ist das Ausmaß allein dieser Transformation in seiner Auswirkung auf die Volkswirtschaft kaum zu überschätzen.

Allerdings findet die gesellschaftliche Debatte, außer in einigen marginalisierten, aber hochkompetenten Kreisen, hinsichtlich einer geplanten Konversion von Arbeit und Arbeitsplätzen in Dienstleistung, Handwerk und Gewerbe oder in neue Industrien schlicht nicht statt! Aber nur auf Grundlage einer solchen breit geführten Debatte, kann eine Transformation by design, not by desaster gelingen!

Die soziale Frage aktuell

Nachdem vorstehend die sozialstrukturellen Veränderungen in der Transformation dargestellt wurden, soll die soziale Frage nun eher in ihrer politischen Dimension, also als Ausgangspunkt für das Entstehen neuer politischer Formationen oder der Erneuerung bestehender Zusammenhänge beschrieben werden. Für diesen Perspektivwechsel sollen zunächst einige Aspekte mit politischer Wirkmächtigkeit vorgestellt werden.

  • Die Menschen machen sich zunehmend Sorge um Arbeitsplatzverlust und Armut. Diese Ängste treffen zunehmend auch Arbeitnehmer*innen mit Hochschulabschluss, die bislang als eher gut geschützt vor Arbeitsplatzverlust, wenn auch nicht vor prekärer Beschäftigung und Armut, gegolten haben.
  • Prekäre Beschäftigung ist aber auch nach der Pandemie Strukturmerkmal der CARE-Berufe insbesondere und der Dienstleistungsbranche im Allgemeinen. Das meint hier niedrige Löhne und unsichere Arbeitsplätze.
  • Die Schere zwischen Einkommen aus Vermögen und Arbeit driftet immer weiter auseinander und das Aufstiegsversprechen durch Lohnarbeit wird immer seltener eingelöst.
  • Die Optionen auf einen höheren Bildungsabschluss sind nach wie vor hochgradig ungerecht verteilt, so dass von 100 Arbeiter*innenkindern nur Eines den Doktortitel erlangt, aber aus Akademiker*innenhaushalten zehn Kinder promovieren. Aus 100 Arbeitnehmer*innenhaushalten erlangen acht Kinder einen Mastertitel und aus 100 Akademikerfamilien kommen sage und schreibe 45 Masteranten!
  • Insgesamt ist ein roll back sozialen Ausgleichs wahrzunehmen und die Zahl realer, wie gefühlter Exklusion, Diskriminierung und Benachteiligung nimmt zu. Das hängt einerseits mit der Zunahme rechter Einstellungsmuster und andererseits mit dem Abbau und Diskreditierung sozialstaatlicher Leistungen zusammen.

Die Wirkmächtigkeit dieser Faktoren hängen mit ihrer individuellen Wahrnehmung einerseits und der individuellen Betroffenheit andererseits zusammen, die beide nichts mit der objektiven Positionierung in der Sozialstruktur zu tun haben müssen: Vielmehr handelt es sich um höchst subjektive Selbsteinschätzungen, die wiederum natürlich wiederum reziprok mit gesellschaftlichen Rollenbildern verbunden sind. Spannend ist nun die Frage, wie sich diese individuellen und subjektiven Positionierungen politisch organisieren oder zumindest so clustern lassen, dass Ansätze für Politik, als Arbeit an gesellschaftlicher Entwicklung sichtbar werden. Dieser Frage geht der nächste Abschnitt nach.

Die soziale Frage als politische Frage und Klassenverhältnissen

Die soziale Frage stellt sich also aktuell sowohl hinsichtlich objektiver Veränderungen und Herausforderungen als auch in Bezug auf deren individuellen Wahrnehmung und subjektiven Betroffenheit, was durchaus stark voneinander abgekoppelt sein kann, so dar, dass sich die milieuspezifischen Einstellungen durch alle sozialen Schichten ziehen.

Vor diesem Hintergrund steht die klassische Darstellung der allseits bekannten Sinus-Milieus, die die Milieus ja in einer Schichtstruktur verortet, irgendwie zur Disposition. Es stellt sich vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen vereinfacht dann so dar:

Und so erklärt sich auch, warum Klimapolitik nicht als gesamtgesellschaftliche Frage, sondern als Privatvergnügen moderner Mittelschichten, also der Schichten auf der rechten Seite des Modells, etikettiert wird und von Facharbeitern bis hin zu kleinstädtischen Honoratioren allesamt und gemeinsam um ihren Status fürchten, wenn KI und Roboter das Leben einfacher machen.

Die soziale Frage in der Transformation, wird überlagert von einem Kulturkampf zwischen traditionellen Milieus einerseits und Modernisierer*innen andererseits. Dem ist politisch Rechnung zu tragen, wenn die Transformation sozial gerecht gestaltet werden soll. Hier sind auch neue Bündnisse zu schmieden, die quer zu Klassen und Schichten liegen können. Das zeigt sich gut an vereinzelten Beispielen, wie etwa bei Bosch in München-Laim, wo Fridays for Future Betriebsräte im Kampf gegen Verlagerungspläne unterstützt hat, indem gemeinsam an Konversionsideen gearbeitet wurde.

Insgesamt erscheint es ratsam die sachlich-fachlichen Themen der Transformation kulturell zu überformen und in ein positives Narrativ zu integrieren, das möglichst viele Milieus anspricht, aber eben auch die soziale Frage als sozialstrukturelle Frage stellt. Das ist zurzeit leider so gut wie nirgends in Sicht. Während die Einen identitätspolitisch das Individuum völlig in den Vordergrund stellen, sind die Anderen so paternalistisch wie in den 70ern unterwegs.

Das hilft aber beides nicht. Deshalb scheinen die Rechtspopulisten und -extremen mit ihrem Narrativ vom „Früher war alles besser“ auch einfach durchzumarschieren. Das ist allerdings  fatal, weil in der Transformation, die mit Klimawandel und Ressourcenknappheit umgehen will, die Leugnung dieser zentralen physikalischen Faktoren, die Veränderungen erzwingen, Stillstand bedeutet!

So wird den fortschrittlichen Kräften im Land nichts anderes übrigbleiben, als sich an vielen Stellen neu zu erfinden und das wahrscheinlich jenseits eines Parteiengeflechts aus dem letzten Jahrtausend und Zuschreibungen von Oben und Unten, die mit der Gefühlslage der Menschen nicht mehr viel zu tun hat. Das wird mühselig und sicherlich schmerzhaft!

Fazit

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die soziale Frage hinsichtlich ihrer zwei Dimensionen, der sozialstrukturellen, wie der politischen, nichts von ihrer Aktualität
verloren hat, sondern die Thematik eher an Brisanz gewinnt, weil die sozialen Verwerfungen, die Klimawandel und Ressourcenknappheit mit sich bringen, mit großer Wucht auf uns zukommen. Hier gilt es also Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik stark zu machen.

Dazu brauchen wir eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um das Tätigsein. Die Care-bereiche, den Schwund industrieller Arbeit, die Vergleichbarkeit menschlicher Arbeit mit Maschinen wie Robotern oder KI und vieles mehr müssen Anlass sein, die männlich konnotierte Sicht auf Arbeit weiterzuentwickeln.

Leider besteht berechtigter Zweifel das angesichts der derzeitigen politischen Lage und den dahinter liegenden Klassenverhältnissen eine konsequente sozial-ökologische Transformation mit sozialer Gerechtigkeit, individueller Emanzipation und nachhaltigem Wirtschaften realisierbar ist. Das bedeutet allerdings nicht die Flinte ins Korn zu werfen, sondern stetig weiter daran zu arbeiten und neue Bündnisse zu suchen.
Bildet Banden!

Literatur

Bertram Barth, Berthold Bodo Flaig, Norbert Schäuble, Manfred Tautscher „Praxis der Sinus-Milieus. Gegenwart und Zukunft eines modernen Gesellschafts- und Zielgruppenmodells“ Wiesbaden 2023

Lia Becker, Mario Candeias, Janek Niggemann &  Anne Steckner
„Gramsci lesen – Einstiege in die Gefängnishefte, Hamburg 2024

Richard Detje, Dieter Sauer, Ursula Stöger und Hilde Wagner
„Die AfD – eine »Arbeiterpartei« ohne betriebliche Basis? in Luxemburg 2/2024

A. Katharina Keil „Labour strategies in the German automotive industry:
limits and potentials of conversion from a Gramscian perspective” 2024

Kai Lindemann „Die Politik der Rackets. Zur Praxis der herrschenden Klassen“ Münster 2021

Karl Polany „Die große Transformation“, (Orig. 1944), Berlin 2001

Lutz Raphael „Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom“, Berlin 2019

Andreas Reckwitz „Die Gesellschaft der Singularitäten“ Berlin 2019

Simon Schaupp „Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten“ Berlin 2024

Knut Tullius, Harald Wolf und Berthold Vogel „Abschied von gestern. Mentalitäten und Transformationserfahrungen von Arbeitnehmer*innen in der Automobilindustrie in der Region Stuttgart“ Düsseldorf 2023

ein Siegerländer Blick auf die Transformation der Automobilindustrie

Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit mit mir alleine verbracht und mir Gedanken zu den Parallelen zwischen meinen beruflichen Anfängen und der Situation, in der ich als Beschäftigter in der Automobilindustrie aktuell stehe, gemacht. Aus diesen Selbstgesprächen ist ein Interview mit mir selber geworden:

Klaus, du kommst aus dem Siegerland. Kannst du uns ein wenig über die Region erzählen?

Klar, das mach ich gerne. Das Siegerland liegt im Dreiländereck zwischen NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz und war bis 1964 eines der größten Erzbergbaureviere in Westeuropa. Diese Geschichte endete, als 1964 die letzte Grube schloss. Danach hat sich dann der Schwerpunkt Richtung Verhüttung und Stahlverarbeitung verlagert, die vorher auch schon im Siegtal angesiedelt waren. So sind heute noch, wenn du durchs Siegtal fährt, die großen Stahlwerke zu sehen, wo aber längst nicht mehr so viele Menschen arbeiten, wie noch in den 80er Jahren.

Wieso arbeiten denn da weniger Menschen als früher? Stahl ist doch immer noch wichtig.

In den 90er Jahren geriet die Stahlindustrie von verschiedenen Seiten aus unter Druck: Da waren zunächst neue Technologien, die auch kleinere Stahlwerke mit weniger Tonnage rentabel machten. Diese kleineren Werke zeichneten sich dann auch noch durch höhere Flexibilität aus. Hinzu kam das auch die Minen in Finnland und Schweden nicht mehr so ergiebig waren und die Förderung des Erzes immer teurer wurde. Schlussendlich kamen dann auch neue Wettbewerber auf den Markt und die ersten asiatischen Anbieter aus Indien und China lieferten nach Europa.

Das klingt ziemlich nach den Herausforderungen, vor denen auch die deutsche Automobilindustrie steht. Wie ist es denn im Siegerland dann weitergegangen?

In den 90er Jahren war der Arbeitsplatzabbau in der Stahlindustrie unvermeidbar, weil der technologische Fortschritt das nun mal so mit sich bringt, auch wenn die Region, die Gewerkschaften bis hin zu Schüler*innen und Studierenden dagegen gekämpft haben. Dieser Kampf war aber nur die eine Seite der Auseinandersetzung. In den Stahlwerken haben Betriebsräte und Management an Zukunftslösungen gefeilt, die etwa in Spezialstählen und anderen neuen Produkten gesehen wurde. Daneben wurde auf regionaler Ebene an einem neuen industriellen Schwerpunkt gearbeitet und so wurde aus einem konzerngeprägten Stahlstandort ein starker Standort klein- und mittelständischen Maschinenbaus, der sich zum großen Teil aus den Zulieferern der Stahlwerke herausentwickelte. Schlussendlich haben Industrie und Region dann auch daran gearbeitet mit einer gut ausgebauten Bildungslandschaft von der beruflichen Weiterbildung bis hin zur Universität die Qualifizierung der Beschäftigten sicherzustellen.

Das klingt gut. Du arbeitest jetzt seit mehr als 20 Jahren in der Automobilindustrie. Wie siehst du die Situation denn vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die du in deiner Heimat gemacht hast?

Die Ausgangslage ist sicherlich ähnlich:

  1. Mit der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und der Digitalisierung im Produkt wie in den Arbeitsprozessen haben wir einen technologischen Fortschritt erreicht, der uns zwingt Arbeit anders zu organisieren. Hinzu kommt das wir mit sinkenden Stückzahlen umgehen lernen müssen, weil viel mehr als früher, vor Ort in den Zielmärkten produziert werden muss.
  2. Mit dem Ende der billigen Energie aus Russland und dem Ende der billigen Rohstoffe im Allgemeinen stehen unsere Produkte und Herstellprozesse unter ungeheurem Kostendruck, den wir irgendwie abbilden müssen.
  3. Der Wettbewerb in der Automobilindustrie wird größer und neue Anbieter drängen auf den Markt.

Von daher macht es schon Sinn sich genau anzuschauen, wie dieser Strukturwandel in anderen Branchen und Regionen erfolgreich bewältigt wurde. Die Automobilindustrie hat keine Ewigkeitsgarantie.

Klaus, zum Schluß die Frage aller Fragen: Was tun?

Das ist zunächst eine Frage wo wir überall ansetzen müssen: Wir müssen das in den Fabriken und Büros, genau wie in den Konzernstrukturen tun. Und schlussendlich sind wir auch in den Regionen gefordert, weil wir vieles, aber nicht alles als Unternehmen gestalten können.

Als Standorte müssen wir die Prozesse angucken und gnadenlos entschlacken: Hier ist vielerorts in den letzten Jahren ein Abstimmungsaufwand entstanden, der genauso wenig bringt, wie die Menge unterschiedlichster Reportings, die Mitarbeitende genauso binden wie Führungskräfte und sie von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten. Wir müssen die Entscheidung dahin geben, wo die Kompetenz ist!
Gleichzeitig müssen wir die Produktportfolios nochmal ganz genau anschauen. Ich werde nie vergessen, wie es z.B. 2016 bei ZF in Schweinfurt hieß: Der Dämpfer muss weg. Heute haben die dort gelernt, wie wichtig die Kolbenstange und die Ventile als Teil der Dämpfer für die Wertschöpfung sind und die Kompetenz dafür in Schweinfurt liegt. Das war ein längerer Prozess, aber er hat sich gelohnt, weil es heute noch jede Menge Menschen gibt, die in dem Produktsegment Arbeit haben!

In den Konzernen müssen wir darum kämpfen, die Spielräume der Standorte möglichst groß zu halten und dafür zu sorgen, dass die Overheadstrukturen kein Eigenleben entfalten und nur um sich selber kreisen. Das gilt insbesondere auch für die Arbeitsteilung zwischen den Hierarchieebenen. Hier drängt sich manchmal der Eindruck auf, dass da nicht alles so klar ist, wie es sein sollte.

In der Region muss es darum gehen, die klein- und mittelständische Lieferantenstruktur mitzuentwickeln, was die oft nicht aus eigener Kraft leisten können. Gleichzeitig muss die regionale Infrastruktur, insbesondere was Digitalisierung angeht, vorangebracht werden. Funklöcher sind standortschädlich!
Daneben muss auch die regionale Vermarktung als Industrie- und Innovationsregion weiterentwickelt werden. Und schlussendlich muss die regionale Bildungs- und Weiterbildungslandschaft an die großen Veränderungen angepasst werden, die wir vor der Brust haben, bzw. die wir derzeit konkret erleben.

Und was kann die IG Metall da tun?

Eine alte Chefin von mir hat mal gesagt: Die Strukturpolitik der Region beginnt in den Wirtschaftsausschüssen der Unternehmen. Die IG Metall ist die einzige Organisation, die diese Arbeit mit ihren Mitgliedern in den Wirtschaftsausschüssen und als regionaler Akteur in Sachen Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik, etwa auch in den Verwaltungsausschüssen der Agentur für Arbeit, koordiniert entwickeln kann und daraus sowohl betrieblich als auch regional eine Politik für gute Arbeit und sichere Arbeitsplätze ableiten kann! Ich weiß, dass das ein Sack voll Arbeit ist, aber: Wer, wenn nicht wir!

Klaus, danke für dieses Interview.

Die Zukunft der Arbeit und die Konsequenzen für die berufliche Bildung

Der Artikel ist zunächst hier erschienen:
https://www.zeitschrift-berufsbildung.de/archiv/bildungspersonal-in-der-coronakrise-update

Die Pandemie hat wie im Brennglas gezeigt, dass das Einzige was an der Zukunft von Arbeit sicher ist, die schlichte Tatsache ist, dass sie getan werden soll! Aber über welche Arbeit reden wir überhaupt? Sind es die Kurierfahrer*innen oder die Influencer*innen? Sind es die Kolleg*innen im Homeoffice oder die an den Fließbändern und in den Werkstätten? Sind es die Krankenpfleger*innen oder die Qualitätsmanager*innen in der Altenpflege? In der Pandemie wurde alles erledigt und ist doch anders geworden. Die einen wurden beklatscht, die anderen haben Arbeit und Leben integrieren gelernt und die anderen haben weiter Autos produziert, wenn sie nicht in Kurzarbeit waren.

Im Folgenden soll der Frage nach der Zukunft von Arbeit nachgespürt werden, indem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Tätigkeiten genauso betrachtet werden, wie die allgemeinen Trends die das Bild von Arbeit in den nächsten Jahren prägen werden. Schlussendlich soll das in Überlegungen zu den Konsequenzen für Struktur und Inhalt beruflicher Bildung münden.

Die Perspektiven zukünftigen Arbeitens werden zentral durch alle Facetten der digitalen Transformation geprägt. Das bedeutet auf der einen Seite, dass alle Arbeiten nun eine technische Dimension haben, die die professionelle Nutzung von Hard- und Software meint, was neben der eigentlichen Nutzung oftmals auch Wartung und Reparatur umfasst. Auf der anderen Seite werden kommunikative Fragen und die Herausforderungen digitaler Identität und Sozialbeziehungen immer wichtiger. Schlussendlich kommt, gerade auch in industriellen Großorganisationen ein steigendes Maß an standardisierter Berichterstattung, also schlichte Verwaltungsarbeit, hinzu.

So entsteht eine Landkarte digitaler Kompetenzen, die drei unterschiedlichen Logiken folgt; nämlich einer technischen, einer administrativen und einer sozialen Logik, die allesamt die digitale Gesamtkompetenz abbilden, wobei

  • die technische Logik die handwerkliche Beherrschung von Hard- und Software bedeutet;
  • administrative Logik die professionelle Verwaltung von Daten und Dateien meint und
  • soziale Logik die Fragen der digitalisierten Interaktion umfasst.

Ergänzt werden diese Themen noch durch die individuellen Herausforderungen, die die neuen Formen raum- und zeitunabhängigen Arbeitens mit sich bringen.

Wie sieht also ein ganz normaler Arbeitstag, für wen auch immer, aus? Ein typischer Vormittag könnte so aussehen:

Nachdem die Mails gecheckt sind, die über Nacht reingekommen sind, soll eigentlich der regelmäßige Früh-Call als erste Regelkommunikationsschleife des Tages stattfinden, der aber leider recht rüde durch ein nicht zu stoppendes Update der VR-Brille unterbrochen wird. Danach funktioniert der VPS-Client nicht mehr. So ist der Umstieg aufs Smartphone zwingend und der Früh-Call ist zwar fast vorbei, aber die lieben Kolleg*innen zeigen Verständnis. Die IT schickt eine Mail mit kryptischen Anweisungen, aber mit dem guten alten Tool, mal alles vom Strom zu nehmen, wird alles wieder gut. Allerdings fragt die IT, wegen ihres Qualitätsmanagements, nun automatisiert nach, ob den alles zur Zufriedenheit läuft. Das Formular will ausgefüllt sein, bevor der nächste Videocall ansteht oder ob eines Präsenztermins in die Firma gewechselt werden muss….

An diesem durchaus typischen, wenn auch verdichteten, Vormittag eines Büromenschen, zeigt sich, wie sich die drei Logiken operativ auf den Alltag auswirken. So wollen Tätigkeiten aus allen drei Bereichen erledigt werden, und das teilweise automatisiert, so dass sich die Frage nach Priorisierung und Autonomie nicht stellt. Die kommunikative Seite dient zur Kompensation technischer und administrativer Defizite und wird so für Karriere und kollegiale Zusammenarbeit noch wichtiger, als sie in vordigitalen Zeiten eh schon war.

Zusammenfassend werden sich also Berufsbilder der Zukunft zunehmend aus Elementen der drei genannten Logiken zusammensetzen, die dabei im Gegensatz zu heute fast gleichwertig Nebeneinander stehen. Damit sind also die beruflichen Perspektiven für Beschäftigte, deren Begabung stark auf eine Logik fokussiert ist, in Zukunft limitiert. Auch die Entscheidung für einen technischen, kaufmännischen oder erzieherischen Beruf wird wohl nicht mehr so eindeutig zu treffen sein.

Das klingt auf der einen Seite sicherlich bedrohlich, aber es bietet neue Bilder beruflicher Tätigkeit, die vor dem Hintergrund der digitalen Transformation bereits im Entstehen sind. So finden sich in hochautomatisierten Fertigungen, mehr und mehr Runden zusammen, wo die Notwendigkeit vorausschauender Instandhaltung, die logistischen Bedarfe und die Produktionsplanung immer wieder aufs Neue austariert werden müssen, damit jede Fachabteilung im Sinne eines unternehmerischen Gesamtoptimums zu ihrem Recht kommt. Und dazu brauchen die Mechatroniker*innen, Logistiker*innen und Arbeitsvorbereiter*innen eben nicht nur ihre technischen Kompetenzen, sondern in einem hohen Maß kommunikative und planerische Kompetenzen und eben auch die administrative Kompetenz diese Planungen auch systemseitig abzulegen und einzupflegen. Derlei interdisziplinäre Abstimmungen und Projekte finden sich im modernen Industriebetrieb reichlich und nur allzu oft scheitern diese Projekte eben an der Dominanz einer Logik, sei es die technische Seite oder eben die logistische Perspektive.

Was heißt all das für die Zukunft der beruflichen Bildung?

Berufe folgen in der Regel der weiter oben vorgestellten Logik und sind deshalb in der Regel entweder technisch-handwerklicher, kaufmännischer oder pflegerisch-erzieherischer Natur. Von daher ist auch die Ausbildung stark auf die Vermittlung von Kenntnissen fokussiert, die diesen Logiken folgen. Die vorstehende Darstellung hat aber aufgezeigt, dass sich diese Fokussierung abschwächen muss und eine eher ganzheitliche Ausbildung erfolgen muss, wenn sie den arbeitsadäquat sein soll.

Das heißt für die technischen Berufe, dass neben den berufsinhaltlichen Kompetenzen wie die Metall- oder Elektrotechnik, zunächst auch die digitalen Kompetenzen für die Beherrschung von Laptop und Smartphone im Hier und Jetzt und das Bewegen in Augmented und Virtual Realities im Jetzt und Dann vermittelt werden müssen, bevor es auch, stärker als bisher, um die Fragen administrativer und kaufmännischer (beispielsweise bei der Handwerkerin im Verkaufsgespräch und der Kundenberatung) Kompetenz und um die kommunikativ-kreativen Kompetenzen etwa bei der Koordination von Baustellen gehen muss.

Das bedeutet für die administrativen Berufe einen höheren Ausbildungsanteil in Sachen digitaler Technologien und Beherrschung von Hard- und Software, inkl. Wartung und Reparatur einerseits und andererseits verstärkt Elemente von Projektmanagement und interdisziplinär abgestimmter Arbeit. Ähnliches gilt für
die erzieherischen Berufe.      

Ein weiterer Aspekt, der bislang noch nicht zur Sprache gekommen ist, ist die in der Digitalisierung steigende Bedeutung der Schriftsprache. Von Email und SMS bis whatsapp und den Chatfunktionen bei Teams, Zoom etc. wird mehr geschrieben, auch wenn es sich oftmals um geschriebene Sprechsprache handelt. Das allerdings führt nicht allzu selten zu Missverständnissen, die im betrieblichen Umfeld sogar Schaden anrichten (Stichwort: Satzzeichen retten Leben!). Ob das durch die Zunahme von Videokonferenzen und Videochats beheben lässt, ist solange offen, wie in vielen Fällen die Kamera ja ausbleibt!

Abschließend soll noch ein Thema angesprochen werden, dass die Unterscheidung von allgemeiner und beruflicher Bildung trifft. Es ergibt sich aus der steigenden Bedeutung von Kommunikation, Kreativität und Teamspirit. Um hier effizient zu arbeiten und gute Ergebnisse zu erzielen, kann es nicht nur um streng fachliche Inhalte gehen, sondern eben auch um Konversation und Small Talk. Und selbst der hat seine Voraussetzungen in einer gewissen Allgemeinbildung bzw. kultureller Bildung. Dabei geht es nicht um die Fokussierung auf Aspekte der Hochkultur, sondern um einen breiten Wissensbestand, der situations- und adressatengerecht abgerufen werden kann.          

Die berufliche Bildung der Zukunft wird also vier Säulen haben müssen. Da wäre

  1. die Technik
    Hier geht es einerseits für Alle um die technischen Kompetenzen die benötigt werden, um Hard- und Software professionell zu nutzen, sowie zu warten und ggfls. zu reparieren. Andererseits bedarf es in den technischen Berufen selbstredend einer fachlich fundierten Ausbildung an den Maschinen und Werkzeugen, sie den dahinterliegenden physikalisch-technischen Grundlagen.
  2. Die Administration / Das Kaufmännische
    Hier geht es einerseits um die Grundlagen des Projektmanagements und etwa bei handwerklichen Berufen um kaufmännische Grundlagen von Vertrieb und Buchhaltung. Andererseits sind natürlich auch hier bei den kaufmännischen Berufen die fachlichen Grundlagen zu legen.
  3. Das Soziale
    Hier geht es einerseits um die notwendigen Kompetenzen für professionelle aber empathische Kommunikation in Schrift und Wort, sowie den Grundlagen von Zusammenarbeit und Kollegialität. Die erzieherischen und pflegenden Berufe benötigen selbstredend darüber hinaus auch die entsprechenden fachlichen Grundlagen.
  4. Allgemeinbildung
    Hier geht es für alle um den kompetenten Umgang mit social media einerseits und das Lernen und Kennenlernen von Inhalt und Form guter Konversation in der analogen wie digitalen Welt. Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang auch Demokratie und demokratische Tugenden ein Lernfeld.

Zusammenfassend wird sich die Berufswelt wohl stärker diversifizieren und von allem ein wenig gebraucht werden, auch wenn die Fokussierungen in bestimmten Berufen recht ähnlich bleiben. Hier gilt es vorsichtig zu sein, einfach weitere Kompetenzanforderungen oben auf zu packen, sondern den richtigen Mix zu gestalten. Und das wäre die fordernde Aufgabe für die berufliche Bildungsplanung der kommenden Jahre!


Klaus Mertens
Oktober 2021

Literatur:

Gottschall, K.; Voß, G. (2003), Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag, Mering

Oesch, D. (2013), Occupational Change in Europe. How Technology and Education transform the Job Structure, Oxford

Raphael, L. (2021), Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin

Reckwitz, A. (2017), Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin

Vester, M.; Weber-Menges, S. (2014), Zunehmende Kompetenz – wachsende Unsicherheit. Bericht zu dem von der Hans Böckler Stiftung geförderten Kurzprojekt Explorative Entwicklung und Erprobung eines Untersuchungsinstruments für integrierte und differenzierte Langfrist-Analysen der beruflichen Arbeitsteilung und der Prekarisierung der Erwerbsstruktur in der BRD 1991-2009 mit den Daten des Mikrozensus, Hannover

https://www.arbeit-corona.uni-osnabrueck.de/ (zuletzt besucht am 03.11.2021)

https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/Klassen_und_Sozialstruktur/Vester_Michael_Berufsgliederung_BRD_S_GB_2000.pdf (zuletzt besucht am 03.11.2021)

Bildet Banden!

Dieser Text, den ich letztes Jahr geschrieben habe, ist mir beim Aufräumen in die Hände gefallen. Und weil er leider nichts von seiner Aktualität verloren hat, gibts den halt heute:

Ich hatte neulich die Gelegenheit einer Lesung von Sven Gringmuth zu folgen, der seine Dissertation vorgestellt hat. Bei der Arbeit geht es um den Übergang vom Summer of Love 1968 in die scheinbar widersprüchliche Zeit der K-Gruppen. Gringmuth denkt laut und anschaulich darüber nach, ob und welche, manchmal auch nur scheinbaren, Brüche es in dieser Chronologie der Bewegung, aber eben auch in den Biografien einzelner Akteure gegeben hat. Im Kern liest er das aber auch als die quasi zwangsläufige Hinwendung sozialer Bewegungen zur Frage von Kapital und Arbeit, als dem zentralen systemprägenden Faktor, und die Solidarität mit denen, die auf der Seite der Arbeit in diesen Kämpfen stehen. Im Nachgang dazu ist mir die aktuelle Lage vor dem Hintergrund dieser historischen Blaupause nochmal durch den Kopf gegangen.
Wir stehen aktuell in der Metall- und Elektroindustrie vor einer der schwersten Tarifaus-einandersetzungen der letzten Jahre und die Beteiligung der Kolleg*innen ist nicht nur deshalb hoch, weil Sie mehr Geld wollen, sondern auch weil es ein Ringen um Anerkennung ihrer Leistung ist. In der öffentlichen Diskussion dominiert die Diskussion ums Homeoffice, new work und Agilität, die die Kolleg*innen an den Fließbändern und in den Werkstätten außen vor lässt. Die Industriearbeiter*in kommt im öffentlichen Diskurs nicht mehr vor und viele Szenarien, die im Zuge des Klimawandels und seiner Eingrenzung entwickelt werden, sehen Industrie und die mit ihr verbundenen Arbeit als abzuschaffendes Übel.
Der Protest gegen das politische Nichtstun in Sachen Klimawandel hat mit Fridays for Future massenhaft Menschen auf die Straße getrieben und das Thema endlich auf die politische Agenda gesetzt. Diese Bewegung stellt nun zunehmend nicht mehr nur die Frage nach der Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch nach den systemischen Rahmenbedingungen und hat sich theoretisch über Postwachstumsdebatten und Degrowth der Kategorie der Kapitalismuskritik eher vorsichtig genähert Unter dem Slogan „system change not climate change“ ist sie nun, zumindest in Teilen dort angekommen.
In der IG Metall wird die Frage sozial-ökologischer Transformation und einer ganzheitlichen klimafreundlichen Politik durchaus gesehen und auch bearbeitet, wie die große Demonstration in Berlin, die unter dem Motto „fairwandeln“ stand, schon 2019 gezeigt hat. Aber sie hat ihre natürlichen Grenzen an den Komfortzonen der Kolleg*innen vor Ort und findet mit großer Ernsthaftigkeit eher auf den überregionalen Ebenen statt.
Die Herausforderung einer politischen Linken würde nun darin bestehen für die Begegnung von Klimabewegung und Gewerkschaft zu sorgen, und zwar vor Ort, ganz operativ und maßnahmenorientiert, nicht in überregionalen Arbeitskreisen und Bündnistreffen, die auch ihre Berechtigung haben, aber – ich denke – dass es an der Zeit ist, diesen Punkt stark zu machen: Es gilt einerseits, soziale und die ökologische Frage zusammen zu denken, und die soziale Frage dabei als Frage von Arbeit und Beschäftigung zu sehen. Andererseits gilt es, operative Formen der Kooperation in den Regionen zu entwickeln, die beim Transformieren anpacken wollen. Das ist bislang leider nur selten zu sehen. Ursächlich dafür ist die kulturelle und soziale Unterschiedlichkeit von Klima- und Gewerkschaftsbewegung, was sicherlich längst nicht mehr so holzschnittartig wie in den 68ern funktioniert, aber trotzdem hat jede Blase ihr Dispositiv und ihre Narrative.
Wer ist nun gefragt? Es sind die „organischen Intellektuelle“, wie Gramsci das nennt, die in Gewerkschaft, wie Klimabewegung eingebettet sind und ob ihrer Intellektualität in der Lage sein sollten Dispositive und Narrative zu lesen und zu diskutieren, dadurch auch aufzuweichen und so als Synthesen etwas Neues entstehen zu lassen. Dafür müssen wir weder Parteien gründen, noch den Habitus eines Arbeiters aus den 20Jahren imitieren oder mit Schmerbauch auf irgendwelche Bäume krabbeln. Authentisch und auf Augenhöhe ins Miteinander zu kommen und da ist eine Voraussetzung tatsächlich das gegenseitige Verstehen. Das wäre der Riesenunterschied zu der historischen Formation der End60er/Anfang70er Jahre: es wäre ein emanzipatorisches Projekt und nicht die autoritären Befreiungsphantasie für eine imaginierte Arbeiter*innenklasse.

2020 – stade Zeit – 2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
geschätzte Mitstreiterinnen und Mitstreiter
und Freundinnen und Freunde,

2020… Brauchts da wirklich neben dem Lockdown auch noch eine stade Zeit?

Hat nicht der Virus das ganze Land gelähmt, zur Ruhe verdammt oder auch
zur Entschleunigung gezwungen? Ist das nicht genug?

Nein, ein ganz entschiedenes Nein!

Viele haben in diesem Jahr viel und hart gearbeitet. In den Kliniken und Ambulanzen,
im Einzelhandel und als Paketfahrer*in oder in Fertigungen und Montagen oder
im Homeoffice, im Homeschooling und bei der ganz alltäglichen CARE-Arbeit.

Und da braucht es nun eine stade Zeit um Kraft zu schöpfen und Ruhe zu finden.

Dieses Jahr der Pandemie kann auch als Katalysator anstehender Transformationen
gelesen werden. Die neue Selbstverständlichkeit von Homeoffice und Videokonferenzen ist dafür genauso Hinweis wie das Konjunkturprogramm oder die PopUp-Radwege in den Städten. Die Weichen stehen endlich auf Veränderung. Der Zug ist angerollt, wenn auch für den ein oder die andere zu langsam.

Das Jahr so zu nutzen hat viele Akteure in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft vor
große Herausforderungen gestellt. Etablierte Kommunikationen wie Tagung, Workshop
oder Konferenz waren unmöglich gemacht und liebgewonnene Rituale von Protest und
Widerstand obsolet. So ist nicht nur inhaltlich viel gearbeitet worden, sondern auch viel
Kreativität in neue Formen politischer und zivilgesellschaftlicher Arbeit geflossen.

Auch da braucht es nun eine stade Zeit um Kraft zu schöpfen und Ruhe zu finden.

Das Jahr hat mich gelehrt hoffnungsvoll und fröhlich zu bleiben. Die Pandemie hat
einen Schub an Veränderung gebracht und die Menschen haben gezeigt, dass sie
nicht pauschal gegen Veränderung sind. Sie wollen sie nur verstehen und im besten
Fall beteiligt sein. Dabei geht es nicht immer nur um Inhalte, sondern auch um Emotion.
Deshalb wird es auch weiterhin darum gehen, das Narrativ vom klimagerechten guten
Leben zu entwickeln und zu erzählen, was sicherlich nicht leichter werden wird.

Nun bricht auch für mich die stade Zeit an, um Kraft zu schöpfen und Ruhe zu finden.

Ich wünsche deshalb allen, die kommenden Tage nutzen zu können, um ein
wenig Kraft zu tanken für die Herausforderungen des kommenden Jahres.
Denn eins ist gewiss: Es geht weiter!

Viele Grüße

Klaus Mertens

Mehr als Netflix und Homeoffice? – Beobachtungen zur digitalen Transformation in der Pandemie –

Vorbemerkungen

Die digitale Transformation hat in der Pandemie einen Riesenschub erhalten, heißt es allerorten. Bei näherem Hinsehen kann das aber darauf eingedampft werden, dass es auf der einen Seite ein Mehr an Homeoffice bzw. mobilem Arbeiten gibt. Auf der anderen Seite weitet sich die Nutzung von Online Shopping bis zu Streaming-Diensten zur digitalen Zerstreuung weiter aus.

Dieser Beitrag will die Veränderungen der Arbeitswelt, die sich durch die Ausweitung der mobilen Arbeit ergeben haben, näher beleuchten, denn es ist davon auszugehen und wird ja schon allerorten konstatiert: Dieses Rad wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen, eher noch weiter an Raum gewinnen.

Dafür sprechen viele gute Argumente, die alle auch eine Tönung in Richtung sozial-ökologischer Transformation haben.

  • So geht es um die Ressourceneffizienz eingesparter Wege zum Arbeitsplatz, die den CO2-Ausstoß genauso reduzieren, wie den Verbrauch fossiler Energieträger. Dass die Städte durch weniger Berufsverkehr attraktiver werden, liegt auf der Hand.
  • Die angenehmere Arbeitsumgebung daheim, in der sich viele Aufgaben fokussierter erledigen lassen, ist ein weiteres Argument für das mobile Arbeiten, das ja vielfach auch mit gelockerter Etikette einhergeht. Allerdings taucht hier eine Dimension sozialer Ungleichheit auf, die bei der Bewertung des Option zum Homeoffice berücksichtigt werden muss. Es macht nun mal einen Riesenunterschied, ob jemand als alleinerziehende Mutter in einer EinRaumWohnung lebe und arbeite oder als Eigenheimbesitzerin in einem eigens eingerichteten Arbeitszimmer tätig werden kann. Interessant wird dabei sein, zu untersuchen, ob trotz widriger Bedingungen das Home Office / Mobile Arbeiten hochgeschätzt bleibt oder nur eine zweckvolle Option ist. Da gibt es wohl noch keine empirischen Befunde.
  • Die individuellere Gestaltung der Arbeitszeit und die bessere Integration von privatem Tun, inkl. CARE-Arbeit wird von vielen Mobil-Arbeitenden als weiterer positiver Moment empfunden. Dem gegenüber steht seit vielen Jahren eine Debatte um die Entgrenzungen von Privat- und Arbeitsleben, die das eher kritisch sieht. Aber vielleicht wird sich der Diskurs auch dahin verschieben, dass es mehr um die Reintegration der Lebensbereiche und die Spielregeln dafür geht, als wie bisher um die scharfe Grenzziehung zwischen entfremdeter Lohnarbeit und dem Privaten.

Neben diesen eher operativen Aspekten der pandemiebeschleunigten Veränderungen der Arbeitswelt, gibt es auch Beobachtungen auf einer Metaebene, die darüber hinausweisen, aber eben auch auf Arbeit wirken.

  • Während landläufig die analoge Identität als überaus authentisch galt, ist die digitale Identität, die sich etwa auf Facebook oder Instagram zeigt, immer dem Vorwurf der Inszenierung ausgesetzt. Aber in den letzten Monaten haben sich die Menschen beruflich zusammen gezoomt oder geskypt. Viele haben dabei ihre Kolleg*innen im heimischen Umfeld, womöglich in Jogginghose und im T-Shirt einer angeranzten Heavy Metal-Band statt im grauen Zweireiher oder im blauen Twinset wahrgenommen. Damit ist, bislang wenig reflektiert, die Integration von analoger und digitaler Identität vorangekommen, weil die Fragen von Authentizität und Inszenierung keine Frage von analog/digital mehr sein kann, sondern eine Frage sozialer Normen.
    Inwieweit der, gelegentlich sogar tiefe, Einblick in die privaten Settings der Kolleg*innen zu mehr Teamspirit und persönlicher Nähe führt, die wiederum motivierend und effizienzsteigernd wirken können, bleibt dabei noch offen.
  • Zeit- und raumunabhängige Kooperation mittels digitaler Medien verändern die Notwendigkeit von räumlicher Mobilität, kurz: Es ist nicht länger nötig auch nur einen Kilometer zu fahren, um einen Termin wahrzunehmen. Damit verliert räumliche Mobilität eine ihrer zentralen Funktionen: die Option auf Teilhabe. Wer auf dem Land groß geworden ist, weiß bestimmt um das Freiheitsversprechen dieser Option. Diese Teilhabe lässt sich nun, wenn auch mit evtl. Verlusten in der ein oder anderen Dimension, virtuell herstellen. Und so sind auch Freiheiten nicht länger an räumliche Veränderung gebunden, wie sie etwa in dem stehenden Wort von der Stadtluft, die frei macht, deutlich wird.
    Hinzu kommt die Möglichkeit an Veranstaltungen teilzunehmen, ohne Zeiten für Wege und Übernachtung in Kauf nehmen zu müssen. Die Möglichkeiten politischer Teilhabe und zivilem Engagement oder schlicht einer Weiterbildung sind deutlich größer geworden und so leben wir in einer Zeit großer geistiger Mobilität bei gleichzeitig räumlicher Immobilität. Es wird spannend sein, dies weiter im Blick zu behalten.
  • Die Videokonferenz mit gleichzeitig genutzter Chatfunktion ist die Königsdisziplin digitaler Kommunikation, die im Videokanal das fokussierte Gespräch führt und den öffentlichen Chatkanal als Sidekick für Ergänzungen, Fragen und Nebenbemerkungen nutzt, die dann oftmals
    von eine*r Moderator*in sortiert wieder in den Videokanal eingepflegt werden. Lästereien und sonstiges werden in privaten Chats unter vier Augen gepflegt.
    Diese Dualität von schriftlichen und gesprochenen Nachrichten ist anspruchsvoll und dadurch durchaus erschöpfend. Die Schriftsprache scheint dabei insgesamt über Chats, Tweeds oder die gute, alte E-Mail noch an Bedeutung zu gewinnen (wenn auch unter zunehmend fahrlässigem Umgang mit Rechtschreibung und Grammatik), aber der ebenfalls steigende Anteil von gesprochenen Nachrichten wie z.B. voice-Mails weist auf eine andere Entwicklung hin. Hier wird interessant, ob es sich um funktionsdifferenzierte Kommunikation handelt oder eine Frage sozialer Distinktion ist.

Betriebliche Handlungsfelder

Für die Arbeit betrieblicher Interessensvertretungen, genauso wie für HRler*innen, die sich als strategische Partner verstehen, entsteht Diskussions- und Handlungsbedarf in den zentralen Feldern von Arbeitszeit, Entgelt, Arbeitsgestaltung und Health Care, die nun nachstehend dargestellt werden sollen.

  • Arbeitszeiten
    Im Home-Office gibt es keine Stechuhren, weshalb sich entweder die Frage einer Arbeitszeiterfassung neu stellt oder die Zeiterfassung schlicht in Frage gestellt werden muss. Das Paradox bei Anwesenheit im Betrieb stechen zu müssen und im Home Office das Vertrauen des Unternehmens zu genießen, ist nicht unendlich lange durchzuhalten und sollte aufgelöst werden, wobei selbstredend auch das Urteil des EuGH zur Zeiterfassung Berücksichtigung finden muss.Nun ist es an der Zeit, sich vor Augen zu führen, dass nur etwa ein Viertel aller Beschäftigten im Homeoffice oder mobil arbeiten kann. Trotzdem ist das Thema als das Highlight digitalen Arbeitens in aller Munde und wird als Ursprung neuen Zeitwohlstands und der Vereinbarkeit von Privatheit und Beruf gefeiert. Davon sind aber dreiviertel aller Beschäftigten ausgeschlossen, was eine neue Dimension sozialer Ungleichheit eröffnet, die auch vor dem Hintergrund von Wertewandel und Individualisierung durchaus Sprengstoff hat, weil das Homeoffice als Gelegenheit wahrgenommen wird individuelle Bedürfnisse und Lohnarbeitsanforderungen zu integrieren, während sie für viele Beschäftigtengruppen strikt getrennt bleiben werden. Das ist selbstredend nicht für Jeden oder Jede schlimm, denn nicht alle wollen im Homeoffice arbeiten. Es gibt durchaus einen Anteil von Beschäftigten, die gerne wegen der sozialen Kontakte zur Arbeit gehen wollen, so wie die Meisten ja nicht unbedingt wegen des Lernens in die Schule gegangen sind.Scheinbar harmloser kommt in dem Zusammenhang die Frage daher, wie denn in Zukunft Personal für Berufe gewonnen werden sollen, die offensichtlich keine Perspektive bieten jemals im Homeoffice zu arbeiten. Die Frage hat aber durchaus existentielle Bedeutung, wenn an die vielen Schilder im Einzelhandel gedacht wird, die die Schließung aus Personalmangel verkünden. Das liegt ja vielleicht nicht nur an der bescheidenen Lohnhöhe, sondern auch am mangelnden Zeitwohlstand der Beschäftigten und vor allem wohl am Arbeitsklima.
  • Entlohnung
    Wenn sich Arbeitszeiten verändern, wenn Sie sich ausdifferenzieren oder irgendwo integriert werden, geraten ganz sicherlich auch zeitbasierte Entlohnungssysteme, insbesondere aber der Stundenlohn, unter Druck.
    Die eh angebrachte Kritik, dass sich kommunikative, kreative oder konzeptionelle Tätigkeiten schlecht in einem engen Zeitkorsett, aber eben auch schlecht in einem zeitbasierten Entlohnungssystem abbilden lassen, verstärkt diesen Druck zusätzlich.
    Wo wird sich also die Thematik hin entwickeln? Werden sich die Belegschaften von Lohnabhängigen zu Gehaltsempfängern entwickeln und wie werden diese Gehälter definiert?Das ist eine große Herausforderung für die Tarifpolitik, die sich fragen muss, an welche Kriterien oder Kompetenzen die Entlohnungshöhe gekoppelt überhaupt gekoppelt werden kann und wie das objektiv gemessen werden soll? In der Folge stellt sich dann auch die Frage wie denn Teilzeitgehälter berechnet werden oder was dann aus dem Mindestlohn wird?
    Das wird spannend!
  • Arbeitsgestaltung
    Seit einigen Jahren werden neue Bürowelten gestaltet, die statt eines festen Arbeitsplatzes funktionsadäquate Arbeitsgelegenheiten bieten, die vom Besprechungsraum über die Telefonzelle bis zur Klause alles bieten, was gebraucht wird. Nun erweitert sich diese funktionsadäquate Differenzierung über das Betriebsgelände hinaus auch auf den mobilen Arbeitsplatz oder das Homeoffice, die sehr unterschiedlich ausgestattet sind, was mit individuellen Dispositionen des und der jeweiligen Beschäftigten zusammenhängt. Daraus ergeben sich recht differenzierte Anforderungen an die Ergonomie des mobilen Büros. Hier muss nämlich der Einzelarbeitsplatz im Vordergrund stehen und standardisierte Lösungen werden nicht helfen. Es wird auch nicht qua Verfahrensanweisung und Vorschrift funktionieren, sondern mit der Qualifizierung der Beschäftigten, die lernen müssen, die Ergonomie ihrer Arbeitsplätze einschätzen zu können. Das ist der erste Schritt, denn nicht alle werden bei Defiziten auch Abhilfe schaffen.
    Insgesamt wird es also darum gehen, diese neue Entwicklung als städte- und wohnungsbaupolitisches Thema auf die Agenda zu setzen, genau wie es steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten geben muss, die die Ergonomie des mobilen Büros unterstützen, wobei hier aber auch die Arbeitgeber nicht aus der Pflicht gelassen werden dürfen. Es muss ja nicht immer das billigste Laptop sein…Im Zusammenhang mit der Ausweitung der funktionsdifferenzierten Arbeitsgelegenheiten bis ins eigene Zuhause, stellt sich auch die Frage nach der Funktion des innerbetrieblichen Schreibtisch als Verrichtungsstätte von Arbeit, der nun im direkten Wettbewerb mit dem heimischen Desktop steht. Der Funktionsverlust, selbst wenn dieser nicht umfassend ist, eröffnet den Raum über Bürolandschaften nachzudenken, die deutlich mehr als Orte der Begegnung, der Kommunikation und der Kreativität dienen können, als das bisher der Fall ist.Was aber dabei generell von Nöten ist, sind Leitplanken und Spielregeln für das zukünftige Miteinander, über das was und wie der Zusammenarbeit, insbesondere auch ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann Präsenz nötig und wann Online-Meetings hilfreich sind. Da betreten wir noch Neuland.
  • Health Care
    Die Entwicklungen, die bis hierhin dargestellt wurden, bieten auch neue Herausforderungen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, insbesondere für den Bereich der psychischen Belastung.
    So berichteten Kolleg*innen von Phasen betrieblicher Vereinsamung, in denen Sie alleine im Großraumbüro gearbeitet haben und nur vereinzelt andere Mitarbeiter*innen oder Führungskräfte zu Gesicht bekommen haben. Und je nach individueller Disposition und privater Situation bedeutet so etwas, dass der einzige Sozialraum persönlicher Begegnung, den der Arbeitsplatz für viele Menschen eben auch darstellt, wegfällt.
    Und vielleicht schrumpft dieser Sozialraum ja nach der Pandemie dauerhaft und es entsteht die Aufgabe, Alternativen zu schaffen und achtsam zu bleiben, was das mit den Menschen macht.Das wäre dann auch die vornehmste Aufgabe für Führungskräfte, das Team zeit- und raumunabhängig als Team zusammenzuhalten, die Einzelnen im Blick zu behalten, aber das Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei wird das quasi naturgemäß weniger über Kontrolle, als über Vertrauen geschehen können. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an das Projektmanagement, weil Aufgaben und Lieferzeitpunkte als Deadline zur Aufgabenerbringung ja nun stärker in den Fokus geraten, eben weil ja zeit- und raumunabhängig gearbeitet wird.
    Das stellt auch Führungskräfte vor neue Herausforderungen, die durchaus belastend sein können.

Fazit

Zusammenfassend soll festgehalten werden, dass derzeit zwar nur 25% aller Beschäftigten im Home Office oder mobil arbeiten. Aber diese neue Form des Arbeitens hat das Potential auf das gesamte Arbeitsleben zu wirken, wie vorstehend aufgezeigt wurde. Von daher sind die Akteure von Gewerkschaften über die Arbeits- und Sozialwissenschaften bis hin zu den Arbeitgeberverbänden gefordert, sich diesen Fragen zu stellen, zu forschen und zu gestalten. Die Pandemie hat allerdings wie ein Katalysator auf einige Aspekte der digitalen Transformation gewirkt, weshalb der Druck auf die Beantwortung der Gestaltungsfragen in den kommenden Monaten betrieblich schnell steigen wird, auch weil ein beginnendes Roll Back hin zu konsequent betrieblich abzusitzender Anwesenheitszeit vereinzelt bereits zu beobachten ist. Der Beitrag konnte aber hoffentlich dazu inspirieren und motivieren, an einer zukunftsorientierten Gestaltung der digitalen Transformation zu arbeiten. Vorwärts immer, rückwärts nimmer!

Wir müssen mehr ändern als den Antriebsstrang!

Zusammen mit Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, und Anderen habe ich eine Stellungnahme zu der geforderten „Abwrackprämie 2.0“ entwickelt und auf Alternativen dazu hingewiesen.

Mit dabei sind

  • der Konzernbetriebsratsvorsitzenden der Schaeffler AG, Norbert Lenhardt,
  • und der Betriebsratsvorsitzende der ZF Friedrichshafen AG, Schweinfurt und
    Vorsitzende des europäischen Betriebsrats, Oliver Moll
  • sowie der Betriebsratsvorsitzenden von Kennametall am Standort Ebermannstadt, Thomas Bauernschmitt.

Die drei Kollegen repräsentieren allein im fränkischen Raum rund 30.000 Beschäftigte!

Die Transformation der Automobilindustrie hat längst begonnen und die Pandemie kann nicht der Anlass sein, das Rad zurückzudrehen, sondern eher im Gegenteil Beschäftigung und Standorte durch Innovation und Investition in Produkte für eine nachhaltige Zukunft zu sichern!

Ich bitte um weitere Verteilung, Feedback und Kommentare.

 

Wir müssen mehr ändern als den Antriebsstrang –

Beschäftigung sichern durch Strukturwandel statt Konsumstrohfeuer

Die aktuelle Diskussion um eine Autoprämie darf keine Wiederholung der Abwrackprämie bringen. Das trifft nicht den Kern der Sache. Die Automobilindustrie wird weder allein durch eine Prämie für Elektroautos noch für Hybride, und in keinem Fall durch eine Prämie für fossile Autos gerettet. Wir müssen deutlich mehr ändern als die Technologie am Antriebsstrang!

Jahrzehntelang führten Autos aus Bayern und Kfz-Teile aus Franken die Weltspitze der Automobilbranche an. Damit das so bleibt, muss sich was ändern – denn die Welt dreht sich weiter und Franken mit. Große Veränderungen tun sich auf: Die globalen Weltmärkte und internationalen Lieferketten werden durch Handelsblockaden und Brexit-Umsetzung konfrontiert, neben der Antriebstechnik wandelt sich die Nachfrage nach Mobilität und neue digitale Anwendungen halten Einzug in Produktionsprozesse und alltägliche Mobilitätskonzepte. Verschärft wird die Krise durch die Corona-Pandemie. Nach Meinung von ExpertInnen kann das Wirtschaftswachstum im Jahr 2020 um –7% einbrechen.

Aber: Die Autokrise war bereits da, als der Auto-Absatz in Deutschland noch stabil war. 75 Prozent der Produkte der deutschen Automobilindustrie gehen ins Ausland.

Die Autobranche braucht Ideen, die ihre Vielfalt und die verschiedenen Standbeine der Mobilität widerspiegeln

Die Autobranche ist vielfältig. Die Hersteller wie VW, Daimler, Audi und BMW sind in einer gänzlich anderen Situation als kleine Zulieferbetriebe.  Das reicht von der Eigenkapitaldecke bis hin zur Tarifbindung. Wer die Transformation einleiten will, darf deshalb nicht nur über ein Instrument reden, sondern muss das Ziel der Transformation der gesamten Branche im Auge haben. Die Zulieferer leiden seit Jahren unter dem großen Kostendruck der Hersteller. Manche haben sich aufgrund der großen Dominanz der Automobilindustrie aus dem Zulieferergeschäft zurückgezogen.

Zulieferer entwickeln laufend innovative Produkte

Trotzdem haben viele auch unter schwierigen Bedingungen Produkte für veränderte Gegebenheiten entwickelt. Große Zulieferer wie Schaeffler mit dem elektromechanischen Nockenwellenversteller, der sowohl im Verbrenner als auch im Hybridauto einsetzbar ist oder ZF Friedrichshafen mit dem Drehmomentwandler für Verbrenner und Hybridantriebe, sowie Produkten für batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge. Andere Zulieferer haben seit jeher mehrere Standbeine. Beispielhaft hierfür steht der Standort von Kennametal im Landkreis Forchheim mit 500 MitarbeiterInnen, die neben der Autoindustrie auch Werkzeuge an die Frackingindustrie, aber auch an die Kakaoindustrie, Luft- und Raumfahrttechnik und die Busindustrie liefert und ebenso Schneidkörper für Wälzlager für Windkraftwerke produziert.

Ein Investitions- und Konjunkturprogramm für die Automobilindustrie muss diese Diversität beachten und die Transformation der Branche, sowie den Umbau in neue, nachhaltige Produktwelten voranbringen. Dabei muss die Sicherung von Beschäftigung und Standorten im Vordergrund stehen.

Die Krise der Autoindustrie ist keine Corona-Krise. Der Fehler liegt im System. Alte Instrumente wie die Autoprämie verlängern das Leiden, die Sicherung von Standorten und Beschäftigung wird jedoch nur mit einem Maßnahmenpaket gelingen, das Innovation und Transformation fördert!

Denken wir die Autoindustrie endlich mutig als Mobilitätsindustrie. Viele Zulieferer tun dies bereits. Die Industriesparte der Schaeffler AG beispielsweise liefert in den Bereichen Energiegewinnung, über Fahrrädern und Bahn bis zu Automatisierungstechnik zu.

Dabei geht es neben der Weiterentwicklung des Automobils an sich auch um neue Produkte und Dienstleistungen vom Lastenfahrrad bis zum Carsharing und von der Ladesäulenproduktion bis hin zur Softwareentwicklung. Die intelligente Vernetzung von Mobilitäts- und Energiewende ist dabei Bedingung fürs Gelingen! So wird beispielsweise nur durch die flächendeckende Bereitstellung von sauberem Strom eine CO2-neutrale Produktion von Stahl realisiert auf die Autohersteller, ebenso wie Windkraftanlagenbetreiber angewiesen sind, wenn sie klimaneutrale Herstellprozesse nachweisen müssen.  Unterstützen wir also die Zulieferer, indem wird die Energiewende stärken und neue Synergien schaffen.

Es sind in erster Linie die Menschen, die die Branche stark machen

Die Zukunftsfähigkeit der Branche hängt an ihrer Innovationskraft. Das größte Kapital sind die Menschen und ihre Know-How!  Diese Kompetenzen reichen von den Montagen und Fertigungen bis in die Büros. Zusammen mit den Beschäftigten muss nun überlegt werden, welche zukunftsfähigen Produkte mit den vorhandenen Kompetenzen, auch jenseits des Automobils entwickelt und produziert werden können. Das ist eine sehr grundsätzliche Arbeit, weil es schwer fällt nach vielen Jahren Neues zu denken, aber die Produktionsumstellungen der letzten Wochen (Herstellung von Schutzmasken) sind ein gutes Beispiel dafür, dass es geht.

Der weitere Kompetenzaufbau durch Qualifizierung und Qualifizierungszeiten ist dabei gerade auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die in den letzten Wochen einen ungeheuren Schub erlebt hat, für alle Beschäftigtengruppen vom Un- und Angelernten bis hin zum Hochschulabsolventen dringend nötig!

Die Corona-Krise darf nicht als Ausrede genutzt werden, Sparpakete und Entlassungen zu rechtfertigen.

Die Beschäftigten wissen seit Monaten um die Krise in der Autoindustrie. Es liegen viele umsatzstarke Jahre und bewusst herbeigeführte Überkapazitäten in der Pkw-Produktion hinter dem Sektor, die bereits vor der Corona-Krise aufgelaufen sind. So wurden fast flächendeckend Beschäftigungssicherungen ausgesprochen, die im Gegenzug mit Kostenreduzierungen und Sparpaketen erkauft wurden. Nun sind diese Vereinbarungen durch Corona in Gefahr. Falls es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen sollte, werden wir uns klar dagegen wenden.

Eine Hilfe für die Automobilindustrie muss das verhindern. Die Beschäftigten sind in der Krise in Vorleistung gegangen sind und müssen jetzt als Träger der Transformation und des Wandels mitgenommen werden. Es darf nicht sein, dass die Beschäftigten jetzt zu den Verlierern der Situation gemacht werden. Das heißt auch und gerade jetzt, dass die betriebliche Mitbestimmung essentiell ist. Ein regionaler Industriedialog mit BetriebsrätInnen und der Bevölkerung ist jetzt wichtiger als je zuvor.

 Lisa Badum MdB
„Als Klimapolitikerin und Abgeordnete für Oberfranken – einer Region im Umbruch, in der ein Fünftel der Beschäftigten in der Automobilzuliefererbranche arbeiten – weiß ich, wie wichtig es ist, dass eine Region Zukunftsakteure stärkt und eine Zukunftsvision hat.“

Norbert Lenhard
„Als Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Schaeffler AG vertrete ich allein in Franken ca. 22.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir müssen uns bereits jetzt auf die nächsten Schritte nach Bewältigung der Folgen der Pandemie vorbereiten. Für die Zeit nach der Rezession werden die Weichen jetzt gestellt. Wir brauchen Zukunftsvereinbarungen, die Standorte und Beschäftigung sichern und den Wandel unterstützen.“

Oliver Moll
„Ich bin Vorsitzender des Betriebsrats am Standort Schweinfurt und des europäischen Betriebsrats der ZF Friedrichshafen AG. Als überzeugter Europäer sehe ich den New Green Deal als
Kompassnadel für Investitions- und Konjunkturprogramme. Wir müssen die Zukunft sozial und ökologisch angehen, weil nur das auch ökonomisch eine Perspektive im Weltmaßstab hat.“

Klaus Mertens
„Als Referent für den Betriebsrat der ZF Friedrichshafen erlebe ich die Corona-Krise nicht als Auslöser, sondern als Katalysator großer Veränderungen in der Branche. Bereits im zweiten Halbjahr 2019 sind vielerorts Sparpakete und zumeist sozialverträglicher Personalabbau vereinbart worden. Das wird sich in dieser Situation verschärfen und wir brauchen nun erstens Sicherheit für Standorte und Beschäftigung und zweitens, Innovationsoffensiven, die den Wandel der Branche und die Konversion in neue nachhaltige Produktwelten eröffnen.“

Thomas Bauernschmitt
„Als Betriebsratsvorsitzender von Kennametal am Standort Ebermannstadt weiß ich, wie dringend die Arbeitnehmer Antworten auf die unzähligen Fragen erwarten. Gerade jetzt in diesen unruhigen Zeiten gilt es Bündnisse zu bilden und Ideen zu entwickeln, wie Beschäftigung gesichert werden kann und sich die Unternehmen zugleich für die Zukunft aufstellen können. Dafür muss es ein gemeinsames Interesse von Politik, Arbeitgebervertretern sowie Gewerkschaftern und Arbeitnehmervertretern geben, um den Menschen die Angst auf Arbeitsplatzverlust und finanzielle Schwierigkeiten so gut es geht zu nehmen.“

 

Aufbruch – in eine lebenswerte Zukunft investieren!

Der Gesprächskreis „Die Transformateure“, dessen Mitglied ich bin, hat sich in seiner bekannt vielfältigen Mischung, die der Mitglieder_innenliste zu entnehmen ist, in den vergangenen Tagen Gedanken zu den Anforderungen an ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gemacht. Dabei geht es uns darum, dieses Programm als Vehikel zu nutzen, um die notwendige sozial-ökologische Transformation nach Vorne zu bringen. Leider mehren sich die Anzeichen, dass das kein Automatismus ist.
Dieses Papier versteht sich deshalb als Beitrag dazu, die Debatte in die Richtung sozialen und ökologischen Fortschritts zu entwickeln.
Ich freue mich über Rückmeldungen, Anmerkungen und Weiterverbreitung.

Aufbruch – in eine lebenswerte Zukunft investieren
Sozial-ökologische Transformation als Leitlinie für Investitionsprogramme
Die Covid-19 Pandemie hat nachdrücklich in Erinnerung gerufen, wie wichtig ein funktionierender Staat zur Sicherung der Grundversorgung und des Daseinsschutzes ist. Neben den aktuellen Herausforderungen wird in diesen Wochen über die anschließenden Maßnahmen und Investitionsprogramme zur Wiederankurbelung der Wirtschaft debattiert und entschieden.

Es gilt also bereits heute wichtige Lehren aus der Pandemie zu ziehen und zukunftsgerichtet zu entscheiden. Gesundheitsvorsorge und Klimaschutz sind auf das engste verknüpft. Ein Beispiel sind die Wetterextreme, die etwa bei großer Sommerhitze zu zahlreichen Toten führen. Der immer stärkere Druck auf die Tierwelt und Ökosysteme verstärkt die Anfälligkeit für Epidemien. Die Feinstaubbelastung als Teil der Luftverschmutzung erhöht diese Anfälligkeiten ebenfalls.

Die sozial-ökologische Transformation zu einer nachhaltigeren Entwicklung sollte die Leitlinie für die anstehenden Maßnahmen und das Konjunkturprogramm sein. Es ist die Aufgabe, damit zukunftsfeste Arbeitsplätze zu sichern, den Klimaschutz in der gebotenen Dringlichkeit voranzubringen, die Artenvielfalt und ökologische Vielfalt zu erhalten sowie lebenswerte Städte und Gemeinden zu fördern: erneuerbar, klimaverträglich, gerecht und sozialverträglich. Anders formuliert: Lebensqualität stärken und Systeme wetterfest machen.

Neben Sofortmaßnahmen ist die Resilienz des Gesundheitssystems dauerhaft zu verbessern. Ebenso sind der Alten- und Pflegebereich sowie die Kitas und die Bildung von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Die Berufe in diesen Bereichen sind aufzuwerten und ihrem Wert entsprechend zu entlohnen. Kulturschaffende, Gastronomie und lebenswerte Städte und Gemeinden sind kein Luxus, sondern sie prägen die Vielfalt des Landes.

Die Krise hat nachdrücklich erlebbar gemacht, welchen Wert Lebensmittel haben, wie leicht Lieferketten reißen können, welche inhumanen Arbeitsbedingungen etwa in der landwirtschaftlichen Gemüseproduktion ganz in unserer Nähe toleriert werden. Die Pandemie kann zur treibenden Kraft für Reformen in der Ernährung und in der Agrarpolitik werden. Es ist ein Wandel, der längst überfällig ist, hin zu einem umsichtigen, sorgsamen und vorausschauenden Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen.

Gerade in Zeiten, in denen vorübergehend Abgrenzungen erforderlich sind, ist es wichtig, dass internationale Verantwortlichkeit übernommen wird. Deshalb ist komplementär zu Investitionsprogrammen ein ressourcenorientiertes Lieferkettengesetz zu verabschieden.

Die Krise der Automobilindustrie hat bereits vor dem Ausbruch der Pandemie mit niedrigeren bzw. stagnierenden Stückzahlen, neuen Technologien im Produkt und Automatisierung/Digitalisierung in allen Unternehmensprozessen begonnen. Die Pandemie ist also keinesfalls Ursache der Probleme, sondern kann durchaus als Katalysator auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität wirken. Denn viele Menschen machen gerade die Erfahrung sauberer und lebenswerter Städte, guter Luft und einer neuen Wertschätzung von Nähe. Wer also auch immer die Krise nutzen will, um auf dem Pfad hin zu nachhaltiger Mobilität umzukehren, ist auf dem Holzweg!

Die sich abzeichnenden Konjunktur- und Investitionsprogramme müssen fokussiert in Richtung resiliente Wirtschaft und nachhaltige Mobilitätswende zugeschnitten werden. Das bedeutet für die Mobilitätsindustrie neben der weiteren Transformation der Automobilindustrie insbesondere:

  • die Stärkung des ÖPNV und die Förderung von Elektro/Wasserstoff-Antrieben sowie
  • die Stärkung der kommunalen Infrastrukturen für eine aktive Mobilität.

Die Energiewende muss Vorrang bekommen und die in den vergangenen Jahren aufgebauten Hemmnisse sind zügig abzubauen. Ein Programm zum Ausbau einer Metall-Recycling-Infrastruktur ist aufzulegen, das dem Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft den nötigen Schub gibt.

Der Klimaschutz ist ein Kernstück der sozial-ökologischen Transformation. Einen besonders wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten in unseren Breitengraden Moore (hohe CO2-Bindung). Es ist ein groß angelegtes Programm zur Erhaltung und zur Wiederherstellung von Mooren auf den Weg zu bringen. Dieses Programm dient zugleich dem Hochwasser- und Grundwasserschutz sowie dem Erhalt der Biodiversität. Ebenso wichtig ist die CO2-Bindung durch Humusaufbau einer ökologischen Landwirtschaft.

Die aktuelle Trockenheit in vielen Regionen Deutschlands ist ein ernstes Warnsignal des Klimawandels. Über den Brandschutz hinaus ist nachhaltig in Brandprävention zu investieren. Dementsprechend ist die Bewirtschaftung der Wälder in eine naturnahe Waldwirtschaft massiv weiter zu entwickeln und ein Umbauprogramm reiner Nadelwälder in Mischwälder aufzusetzen.

Die Covid-19 Pandemie ist ebenso eine globale Herausforderung wie die Klimakrise. Damit wird die globale Koordination der Staaten umso wichtiger. Zugleich sind entschlossen nationale Antworten zu geben. Beispielsweise ist einerseits eine Re-Adjustierung der Lieferketten erforderlich, etwa die Produktion von Arzneimitteln für die Grundversorgung in Deutschland bzw. Europa. Andererseits sind Grenzziehungen nur als vorübergehende Krisenmaßnahmen angebracht. Vielmehr ist Weltoffenheit und Austausch zu fördern. Nationale Abschließungen und neue Grenzzäune, tatsächlich und mental, sind zu vermeiden.

Viel zu viele Jahre wurde das Mantra vorgetragen: Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Mobilitätswende, zum Artenschutz – geht gerade leider nicht, kostet zu viel, gefährdet Arbeitsplätze. In der jetzigen Pandemie-Krise wurde über Nacht sichtbar: Plötzlich geht doch ganz viel. Plötzlich wird Wissenschaft ernst genommen. Je früher die anstehenden Aufgaben für eine sozialökologische Transformation angegangen werden, desto besser. Je länger nicht vorgesorgt wird, desto höher werden die späteren Kosten für unterlassene Vorsorge ausfallen: too little too late.

Es ist ein Konjunkturprogramm aufzulegen, das einen Aufbruch in eine lebenswerte Zukunft verkörpert. Dieses Programm muss auf Verstetigung angelegt sein. In der Vergangenheit gab es viel zu oft gute Einzelprojekte, aber kein konsequentes Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit. Es gilt, Chancen zu nutzen und in eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Zukunft zu investieren: die sozial-ökologische Transformation auf den Weg bringen – weltoffen und solidarisch!

Die Transformateure sind eine Gruppe von Personen, die für die sozial-ökologische Transformation in Richtung einer nachhaltigeren Entwicklung aktiv sind.
Mitglieder:
Dr. Eberhard Faust, Forschungsleiter Naturgefahren und Klimarisiken, Munich Re, München
Dr. Andrea Fehrmann, Leiterin Abteilung Industrie-, Beschäftigungs- und Strukturpolitik, IG Metall Bayern, München
Adrian Ganz, Coaching, Mediation und Teamentwicklung, PolitikLabor, München
Martin Geilhufe, Landesbeauftragter, BUND Naturschutz in Bayern, München/Nürnberg
Josef Göppel, Energiebeauftragter BMZ für Afrika, Vorsitzender Deutscher Verband für Landschaftspflege, Bundestagsabgeordneter 2002 – 2017, Herrieden
Dr. Martin Held, freier Mitarbeiter Evangelische Akademie Tutzing, Koordinator Die Transformateure, Tutzing
Johann Horn, Bezirksleiter IG Metall Bayern, München
Dieter Janecek MdB, Mitglied Ausschuss Wirtschaft und Energie, Ausschuss Digitale Agenda und Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz, Deutscher Bundestag, Berlin
Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter Erzbistum München und Freising, Sprecher der AGU – Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der deutschen (Erz-)Diözesen, München
Silvia Liebrich, Redakteurin Ressort Wirtschaft, Süddeutsche Zeitung, München
Richard Mergner, Landesvorsitzender, BUND Naturschutz in Bayern, Nürnberg
Klaus Mertens, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Betriebsrat ZF Friedrichshafen AG, Standort Schweinfurt
Manfred Neun, langjährig Präsident ECF – European Cyclists’ Federation, Memmingen
Jörg Schindler, Vorstandsmitglied ASPO Deutschland – Association for the Study of Peak Oil and Gas, langjährig Geschäftsführer Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, Neubiberg
Prof. Dr. Irmi Seidl, Leiterin Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Zürich
Prof. Dr. Hubert Weiger, Mitglied Rat für nachhaltige Entwicklung, Ehrenvorsitzender BUND Naturschutz in Bayern, Ehrenvorsitzender BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Fürth