Dieser Text, den ich letztes Jahr geschrieben habe, ist mir beim Aufräumen in die Hände gefallen. Und weil er leider nichts von seiner Aktualität verloren hat, gibts den halt heute:
Ich hatte neulich die Gelegenheit einer Lesung von Sven Gringmuth zu folgen, der seine Dissertation vorgestellt hat. Bei der Arbeit geht es um den Übergang vom Summer of Love 1968 in die scheinbar widersprüchliche Zeit der K-Gruppen. Gringmuth denkt laut und anschaulich darüber nach, ob und welche, manchmal auch nur scheinbaren, Brüche es in dieser Chronologie der Bewegung, aber eben auch in den Biografien einzelner Akteure gegeben hat. Im Kern liest er das aber auch als die quasi zwangsläufige Hinwendung sozialer Bewegungen zur Frage von Kapital und Arbeit, als dem zentralen systemprägenden Faktor, und die Solidarität mit denen, die auf der Seite der Arbeit in diesen Kämpfen stehen. Im Nachgang dazu ist mir die aktuelle Lage vor dem Hintergrund dieser historischen Blaupause nochmal durch den Kopf gegangen.
Wir stehen aktuell in der Metall- und Elektroindustrie vor einer der schwersten Tarifaus-einandersetzungen der letzten Jahre und die Beteiligung der Kolleg*innen ist nicht nur deshalb hoch, weil Sie mehr Geld wollen, sondern auch weil es ein Ringen um Anerkennung ihrer Leistung ist. In der öffentlichen Diskussion dominiert die Diskussion ums Homeoffice, new work und Agilität, die die Kolleg*innen an den Fließbändern und in den Werkstätten außen vor lässt. Die Industriearbeiter*in kommt im öffentlichen Diskurs nicht mehr vor und viele Szenarien, die im Zuge des Klimawandels und seiner Eingrenzung entwickelt werden, sehen Industrie und die mit ihr verbundenen Arbeit als abzuschaffendes Übel.
Der Protest gegen das politische Nichtstun in Sachen Klimawandel hat mit Fridays for Future massenhaft Menschen auf die Straße getrieben und das Thema endlich auf die politische Agenda gesetzt. Diese Bewegung stellt nun zunehmend nicht mehr nur die Frage nach der Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch nach den systemischen Rahmenbedingungen und hat sich theoretisch über Postwachstumsdebatten und Degrowth der Kategorie der Kapitalismuskritik eher vorsichtig genähert Unter dem Slogan „system change not climate change“ ist sie nun, zumindest in Teilen dort angekommen.
In der IG Metall wird die Frage sozial-ökologischer Transformation und einer ganzheitlichen klimafreundlichen Politik durchaus gesehen und auch bearbeitet, wie die große Demonstration in Berlin, die unter dem Motto „fairwandeln“ stand, schon 2019 gezeigt hat. Aber sie hat ihre natürlichen Grenzen an den Komfortzonen der Kolleg*innen vor Ort und findet mit großer Ernsthaftigkeit eher auf den überregionalen Ebenen statt.
Die Herausforderung einer politischen Linken würde nun darin bestehen für die Begegnung von Klimabewegung und Gewerkschaft zu sorgen, und zwar vor Ort, ganz operativ und maßnahmenorientiert, nicht in überregionalen Arbeitskreisen und Bündnistreffen, die auch ihre Berechtigung haben, aber – ich denke – dass es an der Zeit ist, diesen Punkt stark zu machen: Es gilt einerseits, soziale und die ökologische Frage zusammen zu denken, und die soziale Frage dabei als Frage von Arbeit und Beschäftigung zu sehen. Andererseits gilt es, operative Formen der Kooperation in den Regionen zu entwickeln, die beim Transformieren anpacken wollen. Das ist bislang leider nur selten zu sehen. Ursächlich dafür ist die kulturelle und soziale Unterschiedlichkeit von Klima- und Gewerkschaftsbewegung, was sicherlich längst nicht mehr so holzschnittartig wie in den 68ern funktioniert, aber trotzdem hat jede Blase ihr Dispositiv und ihre Narrative.
Wer ist nun gefragt? Es sind die „organischen Intellektuelle“, wie Gramsci das nennt, die in Gewerkschaft, wie Klimabewegung eingebettet sind und ob ihrer Intellektualität in der Lage sein sollten Dispositive und Narrative zu lesen und zu diskutieren, dadurch auch aufzuweichen und so als Synthesen etwas Neues entstehen zu lassen. Dafür müssen wir weder Parteien gründen, noch den Habitus eines Arbeiters aus den 20Jahren imitieren oder mit Schmerbauch auf irgendwelche Bäume krabbeln. Authentisch und auf Augenhöhe ins Miteinander zu kommen und da ist eine Voraussetzung tatsächlich das gegenseitige Verstehen. Das wäre der Riesenunterschied zu der historischen Formation der End60er/Anfang70er Jahre: es wäre ein emanzipatorisches Projekt und nicht die autoritären Befreiungsphantasie für eine imaginierte Arbeiter*innenklasse.