Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 4

Lampenfieber. Wie immer. Heute Nachmittag muss ich in die Bütt. Ich werde das in diesem Leben wohl nicht mehr los. Aber egal, Ist ja erst heute Nachmittag. Zum Aufwärmen geht es in ein Panel, das sich mit kollektiven Arbeitszeitverkürzungen beschäftigen will. Nach dem riesigen Erfolg der letzten IG Metall-Tarifrunde und den vielen Menschen, die lieber die Chance auf mehr Freizeit genutzt haben, als noch mehr Geld zu verdienen, steht es geradezu auf der Tagesordnung über weiteren Schritt zur kollektiven Verkürzung der Wochenarbeitszeit nachzudenken. Aber die IG Metall ist erst ganz zum Schluss dran.

Vorher trägt Ursula Stöger (Augsburg) ihre Forschungen zum Thema vor, die sich im Kern auf eine 30h-Woche und einen erweiterten Arbeitsbegriff unter Einbeziehung der CARE-Arbeit beziehen. Hinzu kommt dann eine durchaus denkenswerte Verlängerung der Lebensarbeit, die der weiteren Inklusion Älterer dienen soll. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Arbeit die Menschen nicht fix und fertig macht, was ein anderes Produktions- und Sozialmodell von Nöten machen würde.
Interessant ist der Gedanke die normative Verringerung der Wochenarbeitszeit als Ausgangspunkt für ebendiese systemischen Veränderungen herzunehmen. Die Augsburger Soziolog_innen begründen das auch historisch mit dem Hinweis auf die Arbeitszeitgesetzgebung als erste Intervention in die kapitalistischen Arbeitsbeziehungen. Ob allerdings eine verkürzte Wochenarbeitszeit tatsächlich auch eine Wachstumsbremse wäre, bleibt für mich eine offene Frage. Historisch gesehen kann ja die 35h-Woche auch als ungeheurer Produktivitätsmotor  und Leistungsverdichterin gesehen werden. Hört keiner gern, ist aber so.
Und unabhängig von der wohl stärker zu beleuchtenden wachstumshemmenden Funktion, aber mit Keynes gedacht, steht eine grundsätzliche Arbeitszeitverkürzung und eine andere Verteilung der Wohlstandsgewinne doch längst auf der Tagesordnung. Eigentlich.

Im Nachgang stellt der Altmeister der deutschen Zeitforschung, Ulrich Mückenberger, das Optionszeitenmodell vor, dass er und sein Team entwickelt haben und das den „atmenden Lebensläufen“ gerecht wird. Atmende Lebensläufe ist die Klammer für die Beobachtung, dass sich Lebensphasen immer kleinteiliger gestalten und während früher mit Kindheit – Schule/Ausbildung – Arbeit – Rente alles gesagt war, gibt es heute Weiterbildungsphasen, Eltern- und Pflegezeiten, sowie Sabbaticals oder ehrenamtliche Einsätze im Ausland etc.. Dem soll mit einem zentral geführten Zeitkonto gerechnet werden, von dem Arbeitnehmer_innen im Umfang von etwa 9 Jahren bei Bedarf Zeiten entnehmen können. Zentraler Punkt der Überlegungen ist bei dem Modell, die Care-Arbeit stärker in die Erwerbsarbeit zu integrieren und somit auch die Teilung dieser Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern zu verbessern. Das machen die Schweden auch ganz klug. Die Elternzeit verfällt schlicht, wenn sich die Elternteile die Zeit nich 50:50 teilen. Wahrscheinlich geht’s nur so. Das Optionszeitenmodell macht einen seriösen Eindruck hinsichtlich Konzeption und Zielsetzungen: An den Finanzierungsfragen wird noch gearbeitet.

Dann stellt Dr. Heidi Schroth die Überlegungen der IG Metall vor, die ja eigentlich bekannt sein dürften. Es geht aktuell darum, wie das Thema Arbeitszeiten tarifpolitisch weiterverfolgt wird und wie sich die zweite Runde von verkürzter Vollzeit und T-ZUG darstellt. Es geht auch darum, abzulesen wie hoch das Interesse an weiterer Arbeitszeitverkürzung denn überhaupt ist, weil sich nur daraus die sicherlich notwendige Arbeitskampffähigkeit ableiten lässt. Alles klar. Alles sehr operativ. Die Diskussion um kollektive Arbeitszeitverkürzung als Postwachstumshebel wird leider in der IG Metall eher nicht geführt, scheint mir.

Dann ist auch dieses Panel vorbei. Es war eine gute Einstimmung in die Nachmittagsveranstaltung, bei der ich nun auch nen Part habe. Aber vorher ist Mittagspause, mache mir den Rest Nudeln von gestern warm und versuche mein Lampenfieber in den Griff zu kriegen. Geht aber nicht und so bummele ich noch ein wenig durch dieses wirklich lauschige, aber durchaus quirlige Stadt. Dann stehe ich nur ein wenig zu früh vor den Rosensälen, wo die Sause steigen soll.

Das Panel steht unter der Überschrift „Zeitwohlstand in der Arbeitswelt von Morgen“ und soll aus verschiedenen Perspektiven den Frame Zeitwohlstand genauer fassen. Und das sowohl hinsichtlich seiner Ausgestaltung, als auch der Restriktionen.
Den Einstieg machen Christoph Bader und Hugo Hanbury aus Bern, die in einem spannenden Projekt versuchen die ökologischen Effekte individuell reduzierter Arbeitszeit fassbar zu machen, indem Sie mit Menschen, die reduzieren wollen oder schon reduziert haben Interviews zu ihren Konsumgewohnheiten führen. Dieser Konsum wird dann hinsichtlich seines ökologischen Fußabdrucks bewertbar gemacht und in einer dritten Phase werden die Ergebnisse mit den Teilnehmer_innen der Studie reflektiert. Das ist von daher spannend, weil ja nicht jede Arbeitszeitverkürzung auch einen ökologisch positiven Effekt hat. Es soll nämlich Leute geben, die in jeder freien Minute mit Ryanair oder wem auch immer durch die Gegend fliegen. Und wie ein gesellschaftliches Klima für eine ökologisch vertretbare Zeitgestaltung aussehen soll, ist doch die Gretchenfrage. Vielleicht gibt das Projekt ja weiterführende Auskünfte.

Im Anschluss sprach der Berliner Jochen Dallmer zum subjektiven Wohlbefinden und der Verwendung von Zeit. Und auch er arbeitete heraus, dass die Wertschätzung eines Mehr an Zeit viel mit subjektiven Dispositionen und Konsumvorstellungen zusammenhängt und nicht zwangsläufig nachhaltig sein muss. Aber das es empirische Belege darfür gibt, dass die Zufriedenheit derer größer ist, die mehr machen und tun als kaufen und konsumieren. Klingt komisch, ist aber so!

Im Nachgang dazu stellte Shih-cheng Lien vom DJI das Optionszeitenmodell, das morgens ja schon Ulrich Mückenberger (siehe oben) vorgestellt hatte. So klein ist die Welt der soziologischen Zeitforschung.

Und dann standen Gerrit von Jorck von der TU Berlin, Elena Tzara vom Premium-Kollektiv und ich in der Bütt und stellten entlang der Projektskizze „Zeit-Rebound, Zeitwohlstand und Nachhaltiger Konsum“ das methodische Vorgehen, die inhaltlichen Thesen und die konkreten Interessen der Projektpartner_innen (zu denen ich und dieser Automobilzulieferer für den ich arbeite gehören) vor. Worum geht es?
Ausgangspunkt ist die These, dass die Belohnung für lange Arbeitszeiten und/oder fordernde Aufgaben oft genug in sinnfreiem Konsum aufgelöst werden kann, der vom 70. Paar Schuhe (Ok. die Sinnlosigkeit eines 70. Paar Schuhe wird von dem einen oder der anderen bezweifelt. Ich glaube aber fest daran.) über den immer aller neuesten Weber-Grill bin hin zu Online-Käufen, die nie ausgepackt werden, reichen kann. Wer sich dem Zeitregime oder den Leistungsanforderungen entziehen kann, hat zumindest die Option aus dem Teufelskreis von Arbeiten – Belohnen – Konsumieren auszubrechen. Diese Option ist beim Premium-Kollektiv quasi Gründungsgedanke. Selbst gewählte Arbeitszeiten, Einheitslohn und seit 17 Jahren erfolgreich am Getränkemarkt. Geht doch. Und Elena erzählt das mit so großer Selbstverständlichkeit, das die Möglichkeit einer anderen Welt greifbar im Raum steht.
Dagegen sieht die industrielle Welt in der ich unterwegs bin, anders aus. Dreischichtbetrieb: eine Woche Früh – eine Woche Spät – eine Woche Nacht; bei Wochenendarbeit bis zu zwölf Arbeitstagen am Stück; in getakteten Fertigungen mit nur wenigen Handgriffen. Monotonie. Das reiße ich an und spreche auch den Mythos männlicher Vollerwerbstätigkeit und Arbeit an. Denn der steht einer anderen Arbeitsgesellschaft oft mehr im Weg als zu vermuten wäre. Aber alle die mal versucht haben, ergonomische Schichtsysteme einzuführen, wissen, wie massiv das ist. Deshalb versucht meine kleine Firma auch diesmal nicht über Ergonomie und andere Rationalitäten zu kommen, sondern über das Narrativ des Zeitwohlstands und dem gewünschten Streben danach!
Nach den Impulsvorträgen geht das Panel, vielmehr die Teilnehmerinnen, in drei Arbeitsgruppen, die sich mit Zeitwohlstand aus individueller, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene entlang der Frage wie Zeitwohlstand im Jahr 2045 aussieht und wie wir ab heute dahinkommen beschäftigen.
Abschließend schauen wir uns die Ergebnisse des kurzen Workshops an und kommen überall eigentlich zu ähnlichen Ergebnissen: Es braucht ordnungspolitische Rahmensetzungen, die von einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um einen nachhaltigen Umgang mit der Zeit flankiert wird, der den protestantischen Leistungsbegriff genauso angeht, wie die Geringschätzung des Flaneurs.
Da bin ich dabei, da mach ich mit.
Das Panel war gut und ich bin zufrieden mit den Ergebnissen, die sicherlich im Nachgang nochmal genauer angeschaut werden müssen.

Der Tagungstag soll mit einer Podiumsdiskussion zu den Konsequenzen niedrigen Wachstums und der Zukunft Europas zu Ende gehen, aus der dann leider nichts wurde, weil sich außer Karl Aiginger sämtliche Diskutant_innen entschuldigen ließen. Nun war ich schonmal da und so habe ich mir den Mann auch angehört. Das war recht interessant, wenn das inhaltliche Zuhören nicht gerade von seinen rhetorischen Entgleisungen gestört wurde. Dazu später mehr. Er skizzierte zunächst die sieben Transformationen, die er für den europäischen Kontext zentral hält.
Es geht dabei um den Übergang von einer Wachstums-  zu einer Gesellschaft  niedrigen oder Null-Wachstum oder gar Schrumpfung. Dem niedrigen Wachstum oder der ökonomischen Schrumpfung in Europa setzt er den Aufstieg Afrikas gegenüber. Daneben spielen der demografische Wandel hin zu einer alternden Gesellschaft genauso eine Rolle wie die Entleerung ganzer Räume. Des weiteren sieht er den Bedeutungsgewinn des Themas Klimawandel und die Krise des Narrativs der notwendigen preislichen Wettbewerbsfähigkeit, sowie eine „verantwortlich“ betriebene Globalisierung am Horizont aufscheinen. Bis auf das Thema des Aufstiegs Afrikas war das jetzt nichts wirklich Neues. Das arbeitet er auch deutlich und mit einer Vielzahl Argumente heraus. Ich merke aber das ich fertig bin und nicht mehr richtig folgen kann und will, warte aber das Ende des Vortrags ab und nehme die gut vorgetragene Kritik an seinen Sprachbildern erfreut zur Kenntnis. Dann mache ich mich vom Acker.

Nun ist das ja der letzte Abend in Jena und den will ich würdig begehen und kehre in einem netten Lokal ein, dass mir schon die Tage vorher aufgefallen war. Nach der ersten Kürbissuppe der Saison, hier ein wenig aufgeschäumt und damit leichter gemacht, gabs Hühnchen auf dreierlei Möhren und einem Bratkartoffelsoufflee. Zum Schluß Creme Brulee mit rote Grütze – Sorbet. Dazu gibt’s einen unaufgeregten, aber aufmerksamen Service und n lecker Weißburgunder. Ein rundum gelungener Abend. Die Weintanne ist echt zu empfehlen. Word!

 

Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 3

Gutes Leben, Geiles Leben. Darum soll es im ersten Panel gehen und zu richtigen Einstimmung starte ich langsam und mit dem Morgenmagazin in den Tag. Das Panel selbst startet dann ein bisschen aufgeregt, weil die Wissenschaftlerinnen sich ob der vermeintlichen sprachlichen Vulgarität des Veranstaltungstitels besonders strukturiert geben. Das hatte ein wenig was Groteskes, aber auch das kann ja auch unterhaltsam sein.
Inhaltlich ging es um die schlichte Erkenntnis, das mit dem Appell an die permanente Askese, um das Klima zu schützen und die Welt zu retten, wohl weite Teile der Menschheit außen vor wären und keinen Bock auf irgendeine Form von Transformation entwickeln würden. Folglich ging es darum, was ein gutes Leben und was ein geiles Leben ist und wie die Beziehungen zwischen diesen Leben sich entwickelt haben. Dabei wurde als gutes Leben eine nachhaltige Lebensführung mit Ressourcenschonung, Mülltrennung und Repair-Cafe etc. bezeichnet. Was auf den ersten Blick nach Prenzlauer Berg oder Glockenbachviertel klingt, war bis in die 50er Jahre weit verbreitet und endet in NAWEO (NordAmerika, WestEuropa, Ozeanien) mit der Massenmotorisierung und dem Wohlstandsgewinn für breite Bevölkerungsschichten. Im Zuge dieser ökonomischen Entwicklung verändert sich im politischen Raum auch die sozialstaatliche Zielsetzung. Es geht nun um die Verallgemeinerung und Zugänglichmachung von Konsummöglichkeiten für alle, was vielfach mit Teilhabe verwechselt wird. Umweltpolitik ist in diesem Zusammenhang nichts anders als Legitimierung der Konsumoptionen und Kosmetik an Phänomenen (Kalken gegen Waldsterben etc.).
Schlussendlich fallen gutes Leben und geiles Leben auseinander, weil das geile Leben kulturell leider durchgängig konsumistisch überformt ist. Das treibt in Zeiten wie diesen, wo die Meisten die Notwendigkeit einer guten nachhaltigen Lebensführung durchaus erkennen, aber eben auch ein geiles Leben haben wollen, merkwürdige Stilblüten. Trotz Flugscham und Zugstolz wird so viel geflogen, wie noch nie. Alle reden von einer Reduzierung des Fleischkonsums, aber jeder Dorfmetzger hat nun eine Reifeschrank für Dry Aged Steaks vom Rind!
Das Dilemma liegt auf der Hand und die Frage, die sich stellt, ist halt die, wie gutes und geiles Leben massentauglich synchronisiert werden können. Das ist eine offene Frage, sowohl politisch, als auch wissenschaftlich. Es wurde allerdings erste Befunde und Ideen genannt.
So wäre beispielsweise die Wiederentdeckung des öffentlichen und sozialisierten Konsums ein Weg, d.h. mehr Feste zusammen feiern, als das alle zu Zweit vor ihrem Weber-Grill hocken. Das geht soweit, dass sich die unterstellte entspannende Wirkung des Autoinnenraums als letztem Rückzugsraum des NAWEO-Menschen mit lauter Musik und Mitsingen, ungestraftem Brüllen und Fluchen etc. durchaus auch bei der Nutzung anderer Verkehrsmittel zeigt. Alles eine Frage des Wollens und Machens. Einfach machen. Oder mal nichts machen. Diese Frage löse ich Richtung nichts machen auf und gehe nach dem Thüringer Imbiss schlechthin, der Bratwurst, in die Horizontale.

Nach dieser meditativen Mittagspause breche ich unwillig, aber interessiert zum nächsten Panel auf, das die Sektion der Arbeits- und Industriesoziolog_innen unter dem etwas sperrigen Thema namens „(Wessen) Utopien oder Dystopien der Arbeit? Akteure, Interessen und Effekte von Zukunftsdiskussionen auf die Gestaltung von Arbeit heute“ veranstaltet. Der Titel spricht für sich, was den Zustand der Arbeits- und Industriesoziologie angeht. Finde ich. Es geht interessanterweise nämlich eher um die Betrachtung diskursiver Aspekte als den Versuch eines tiefen Verstehens von dem, was sich da tut, wo es weh tut: am Arbeitsplatz. Konkret!

Da wird es nämlich interessant und Hajo Holst macht da einen klugen Aufschlag, weil er dazu geforscht hat, wie die Transformationsthemen von Digitalisierung bis Klimawandel denn als Konsequenz für die Arbeit in der Automobilindustrie von den Arbeitnehmer_innen aufgenommen werden. Und das Bild stellt sich differenziert dar, was ja nicht überrascht. Die einen sehen Chancen, die anderen haben Angst. Geschenkt. Was interessant und diskutabel ist, dass die Belegschaften es als befremdlich empfinden, dass das Management die Offenheit des Transformationsprozesses thematisiert und dabei das was gerade in Sachen Digitalisierung kommt, als konsequente Fortschreibung bekannter Automatisierungsprozesse mit den bekannten Folgen für die Beschäftigten interpretieren.
Ich stelle mir die Frage, warum es denn problematisch ist, wenn jemand sagt, dass er was nicht weiß? Warum? Suchen die Deitschen immer noch nach dem Allwissenden? Oder ist dieses Zukunftsthema viel zu hoch aufgehängt? All die Plakate mit Future und Digital Transformation und Agility erreichen wohl niemanden, der davon betroffen ist. Also herrscht Schweigen und Misstrauen…
Die schlechte Prognostizierbarkeit transformativer Prozesse, die ja eigentlich auf der Hand liegt, scheint die Arbeitsbeziehungen also zu belasten. Das ist flankiert von der konjunkturellen Eintrübung, die die strukturellen Veränderungen nun teilweise verdeckt. Kein Befund, der Freude macht. Denn was in vielen Branchen und Unternehmen dringend nötig wäre, ist nichts weniger als eine Konversionsdebatte, was denn wie und in welchen Mengen mit welchen Ressourcen produziert werden soll. Eine solcher Prozess wird aber ohne Vertrauen, Beteiligung und Risikofreude nicht auf den Weg zu bringen sein.

Weitere Hinweise darauf, wie sich dieser Prozess gestalten lassen könnte, gab der Beitrag von Martin Kuhlmann und Stefan Rub vom SOFI in Göttingen, die sich genauer mit der betrieblichen Digitalisierungsstrategie und den dahinterstehenden Diskursen befassten. Sie unterscheiden dabei
– den Automatisierungsdiskurs,
– den Überwachungsdiskurs,
– den Wettbewerbsdiskurs und
– den Demokratisierungsdiskurs.
Diese Diskurse überlappen sich teilweise und erschweren so eine rationale Bewertung des betrieblichen Geschehens, so denn niemand der betrieblichen Akteure versucht, die Themen sauber zu differenzieren oder einzelne Aspekte schlicht ignoriert. Damit wäre zumindest ein Baustein für die oben dargestellte betriebliche Misstrauenskultur identifiziert.
Die These belasteter Arbeitsbeziehungen auf der betrieblichen Ebene, mit einem Mangel an Miteinander und einem Zuviel an Misstrauen, einem gefühlten Zeitdruck und dem Fehlen von Spielräumen, sowie eben einer flachen und altbacken auf Technik und Datenschutz fokussierten Diskussion, bestätigt sich in einigen Gesprächen, die abseits von Panels geführt wurden, leider. Da gibt es also was zu tun.

Den Abschluss des Tages bildet ein Vortrag von Andreas Reckwitz, der unter der Überschrift „Klasse als Schicksal?“ zur Drei-Klassen-Gesellschaft der Spätmoderne und dem Aufstieg der neuen Mittelklassen sprach. Die ebenfalls angekündigte Rahel Jaeggi ist leider erkrankt und der Vortrag fällt aus.
Reckwitz entwickelt ein Bild spätmoderner Gesellschaften, dass vier von ihm als Klasse bezeichnete Blöcke kennt: eine wirklich kleine, abgeschottete Oberschicht, darunter eine neue Mittelschicht und eine alte Mittelschicht, sowie ganz unten die Prekarisierten als klassische Unterschicht. Diesen Klassenformationen ordnet er einzelne Milieus aus den Sinusstudien eindeutig zu. Das ist für Reckwitz recht einfach zu machen, weil er seine Formationen aus dem Zusammenspiel von ökonomischen, sozialen und kulturellem Kapital, sowie Wertmustern und Einstellungen und, was ich dann originell fand, aus dem Mix von räumlicher Mobilität und Wohnortwahl konstituiert. Als zentrale Klassenauseinandersetzung sieht er dabei die Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Mittelschichten, die ja mit allen Mitteln geführt wird. Auf der politischen Ebene ist es der Aufstieg der Grünen als der Partei neuer Mittelschichten und dem Stellungskrieg der Partei des alten Mittelstands, der CDU, einerseits und des sozialdemokratischen Kleinbürgertums andererseits. Der Kulturkampf, der derzeit um Klimagerechtigkeit vs. Wachstumszwang tobt, ist ein weiterer Beleg für die Auseinandersetzung um die Hegemonie eines der beiden Lager, wobei die Faktizität des Klimawandels die Ausgangslage der alten Mittelschichten entscheidend schwächt. Dabei geht es bei dieser Schwächung nicht so sehr um sozialen Abstieg, sondern um die soziale Abwertung des eigenen Status. Der Metzgermeister mit drei Filialen ist nicht länger ein angesehener Unternehmer, sondern ein Tiermörder und Klimawandelbeschleuniger. Das kann schon weh tun.
Die Klasse der prekarisierten Unterschicht bezeichnet er als das sichtbare Zeichen dafür, dass der klassische Deal der Industriegesellschaft aufgekündigt ist und sich harte körperliche Arbeit nicht länger in Lohn und sozialer Anerkennung widerspiegelt. Der tränenreiche Abschied des Ruhrgebiets vom Kohlebergbau war auch der Abschied vom Bergmann, der für die Arbeit unter Tage gut bezahlt wurde und geachtet wurde. Einen tränenreichen Abstieg von der letzten Paketfahrerin oder dem letzten Fahrradkurier wird es wohl nicht geben und anständig bezahlt werden diese Beschäftigtengruppen schon gar nicht.
Was kann also passieren? Reckwitz denkt über drei Szenarien nach, wobei in allen die Oberklasse klein und abgeschottet, aber oben bleibt, was ja eigentlich schade ist.
Szenario 1: Die alte Mittelschicht wird kleiner und diffundiert in die neue Mittelschicht. Das Prekariat bleibt gleich groß. Damit ist kulturelle Hegemonie hergestellt, aber die Frage ökonomischer Ungleichheit bleibt unbeantwortet.
Szenario 2: Die alte Mittelschicht wird kleiner, weil sie auch in das Prekariat absteigt und nur ein Teil in die neuen Mittelschichten wechseln kann. Aus der neuen Mittelschicht geraten ebenfalls zunehmend Teile in eine zugespitzte ökonomische Situation und sind Teil des Prekariats. Das Prekariat wird deutlich größer.
Szenario 3: Die alte Mittelschicht verschwindet, das Prekariat wird durch Bildung, Tarifverträge und einträgliche Löhne kleiner und verstärkt die neue Mittelschicht.
Die Reihenfolge der Szenarien ist so zu lesen: Probable, Plausible and Possible! Leider. Und der ganz große Wurf ist ja auch nicht dabei, weil die Frage nach Auflösung der Oberschicht nicht einmal gestellt wurde.

So gehe ich nachdenklich in die FeWo und koche Nudeln mit Paprika-Zwiebel-Tomatensauce und Makkaroni, die ich schon ewig nicht mehr gegessen habe. Dazu einen Sauvignon aus der Region. Der ist jetzt auch Geschichte und ich geschafft von
einem nunmehr dritten Tag voller Inspiration, kluger Gedanken und Diskussionen.

Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 2

Dieses Gefühl, ein Stück von einem frischen Baguette abzubrechen und es sofort in den Mund zu schieben, nachdem man die Bäckerei verlassen hat, ist eigentlich unbezahlbar. Und wenn das Baguette dann noch wirklich gut ist, wird es richtig schön. Der zweite Tag der Tagung und ich bin immer noch in Jena und nicht in Paris. Aber hier gibt es eine zauberhafte Bäckerei in der Grietgasse 10, die alles von einer französischen Boulangerie hat. Herrlisch…

So geht es dann gutgelaunt und frisch gestärkt zur ersten Veranstaltung des Tages. Die wird vom Ökonomen James K. Galbraith bestritten, der im breitesten Texanisch zum Thema „Inequality and the end of normal“ spricht und dabei in die Vollen geht.
Zunächst macht er mal klar, dass es auf Spitz und Knopf steht, wie und ob es überhaupt mit Welt und Gesellschaft weiter geht und lässt die Möglichkeiten regionaler Atomkriege und die Wahrscheinlichkeiten des beschleunigten Klimawandels antönen. Nach dem Einstieg wendet er sich seinem Kernthema zu und wirft den politischen Akteuren vor, sich der Phantasie hinzugeben, die zukünftigen und langfristigen Folgen des Klimawandels heute mit marktwirtschaftlichen Mitteln steuern zu wollen. Diese Idee wirkt in seinen Augen noch phantastischer, weil das dieselben Leute propagieren, die die Finanzkrise als unvorhersehbares Ereignis etikettieren und damit in die Nähe einer Naturkatastrophe rücken, was sie ja beileibe nicht ist. Er folgert, das wir politisch gerade nicht in guten Händen sind.
Aber, so Galbraith, selber schuld. Die Freunde von John Maynard Keynes konnten weder politisch noch wissenschaftlich Gewinn aus diesem offensichtlichen Versagen neoliberaler Finanzökonomie schlagen.
Und das obwohl, so führt er weiter aus, lebensweltlich die Fragen von Leistung, Einkommen und Leben sich ja seit 2008 weiter entkoppelt haben. Hieraus ergeben sich dann auch Fragen an die politische Linke, die der Ökonom nicht beantworten kann, obwohl er Teil davon ist, sondern wir im Diskurs lösen müssen.

Also geht’s weiter zum ersten Panel, das sich mit „(Gegen)Hegemonie – Emotion – Transformation“ beschäftigt. Ich hatte mich für die Veranstaltung entschieden, weil es endlich auch mal um die subjektive Seite der Transformation gehen sollte. Und darum ging es auch aus unterschiedlichen Perspektiven, die von Nudging, einer Sozialtechnologie, bis hin zur teilnehmenden Beobachtung des Lebens in der Lausitz reichte. Die Erkenntnisse waren für jemanden, der schon lange Politik macht, nicht wirklich überraschend, aber das sie ihren Weg in die soziologische Diskussion finden, ist ein Schritt nach vorne. Wir müssen doch verstehen, warum sich Menschen im Angesicht von Klimawandel und Ressourcenknappheit für den Diesel stark machen; warum es einfach „Weiter so“ gehen soll und die Angst um den Arbeitsplatz in der Automobilindustrie zu Realitätsverweigerung und nicht zu Veränderungsbereitschaft führt. Und wenn wir das verstehen wollen, müssen wir auch darüber reden, dass es Klassen, Schichten und Milieus gibt, die wir mit unseren Emotionen, Werten und Ideen eines guten Lebens schon sprachlich nicht erreichen, aber müssen, wenn das mit der SÖT (sozial-ökologische Transformation. Ich liebe die Österreicher für so ne Abkürzung) was werden soll. Dann sind die 2,5 Stunden rum und die Teilnehmer_innen sind sich irgendwie einig, dass das Thema weiter beackert werden muss.

Ich gehe auch deshalb frohgemut ins Städtchen und finde den Metzger meines Vertrauens auf Anhieb, lasse mich freundlich in die Welt Thüringer Wurstwaren einführen, gehe dann in meine FeWo, called City Appartement, und kann die Vorteile einer Unterkunft mit Einrichtung voll auskosten: Es gibt Teller und Tassen, Messer und Gabel und die Brotzeit kann anders als im Hotel anständig am Tisch eingenommen werden. Das es lecker war, ist dieser netten Begegnung französisch inspirierter Backwaren und eine gute Auswahl Thüringer Würste geschuldet. Danach noch kurz horizontal und auf geht’s zum nächsten Panel.

In diesem Panel waren die Städte als Ort von (Post)Wachstum und Transformation, Gegenstand der Betrachtung. Den Auftakt machte Oliver Schwedes von der TU Berlin, der launig und plausibel argumentierte, dass sich seit vielen Jahren schlicht nichts an der Veränderung des modal split getan hat. Es fahren zwar absolut mehr Leute Fahrrad, aber weil genauso viel mehr Leute mit dem Auto fahren, ändert sich am modal split nix. Klingt komisch, ist aber so.
In der Konsequenz heißt das aber, dass politisch nichts anderes übrig bleibt als in dem Maß, wie in ÖPV und aktive Mobilität investiert wird, die Automobilität zu beschneiden, wenn ein anderer modal split her soll. Das war die erste Lektion.
Die zweite war kurz, aber folgenreich: Wirtschaftswachstum erzeugt immer auch mehr Verkehr. Wehr weniger Verkehr will, muss über Wachstum nachdenken. Basta.
Die dritte Lektion hat Feindbilder ins Wanken gebracht, weil 40% aller Verkehre Freizeitverkehre sind. Das sind also wir. Urlaub, Freunde und Familie besuchen, mal wieder in einer Großstadt shoppen oder nach Bregenz auf die Seebühne… Alles ganz normal, aber Verkehr und damit klimaschädlich…
Danach wurde therapeutisch wertvoll sanfter fortgefahren und in der Zusammenfassung des Panels wurde dann doch deutlich, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und deshalb Infrastruktur für ÖPV und aktive Mobilität (zu Fuß und Fahrrad) gestärkt und die Autofahr- und Autoparkstrukturen aktiv geschwächt werden müssen.

Damit ist es allerdings nicht getan, weil sich Politik und soziale Akteure auch daran machen sollten, diesen Umbau transparent und plausibel zu kommunizieren. Sie müssen die Idee zu Fuß zu gehen, cool machen. Ein tolles Beispiel war der Bau von Bürgersteigen in Seattle, USA. Bürgersteige sind in den USA städtebaulich nicht selbstverständlich, aber alle, die in Europa waren kennen die, weshalb der Bau von Bürgersteigen kulturell überformt als Absicherung und Wertschätzung des Fußverkehrs wahrgenommen wird. Ein weiteres, und für mich coolstes Beispiel für ein transparentes, plausibles und cooles Instrument einer fordernden Mobilitätswende ist die Grätzloase (https://www.graetzloase.at/), wo auf Antrag Parkraum und Leerstand sozial umgewidmet werden kann. Ganz großes Kino.
Es braucht also einerseits entschlossenes Handeln politischer Entscheidungsträger und der ihnen zugeordneten Verwaltung (Hallo Klima-Kabinett) und andererseits Partizipation und Einbindung der Zivilgesellschaft.
Für dieses Andererseits war Saskia Hebert zuständig, die als Architektin an vielen Beispielen und an ihrer Biografie deutliche machte, dass sich Sozialräume nicht nur mit Beton, sondern durch Umnutzung verändern lassen. Das dazu Kreativität, ein offener Kopf und eine subkulturelle Vergangenheit gehört ist klar, oder?

Den Abschluss des Tagungstages bildete dann eine Podiumsdiskussion zum Thema „Nach dem raschen Wachstum“, die für mich deshalb interessant war, weil endlich auf großer Bühne die Subsistenzversuchung des Menschen und seine fortgesetzte Repression als zentraler Motor der Industrialisierung diskutiert wurde. Wer die aktuelle Diskussion ums „Ausschlafen als Revolution“ verfolgt, weiß, dass die fortgesetzte Repression der Kitt ist, der alles zusammenhält. Ach so, Subsistenzversuchung ist der von Prof. Streeck eingeführte Begriff, der sagt, dass Menschen über lange Zeit nicht höher gesprungen – also gearbeitet haben – sind, als sie mussten, um zu überleben und n paar Bier zu zwitschern. Fühlt sich gut an…

Ich sitze jetzt hier und reflektiere den Tag. Wenn die Subsistenzversuchung tief in uns schlummert, könnte doch genau die, der Ausgangspunkt für eine SÖT (sozial-ökologische Transformation :-)) sein, weil es aus einem Weniger an Arbeit ein Mehr an Lebensqualität geben könnte, das nix mit Konsum zu tun hat, deshalb also auch Wachstum erledigt. Das erinnert mich an einen alten Wahlkampfslogan aus Studi-Zeiten, der unser Listenkürzel DLL mit Dekadent Laues Leben! übersetzte… 🙂 Morgen geht’s weiter und hier jetzt ins Bett.

Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 1

Den ersten Arbeitstag nach dem Sommerurlaub mit einem Tagungsbesuch, der bis Freitag dauert, zu beginnen, war nicht beabsichtigt, hat aber ganz unbestreitbar was von Klassenfahrt und Exkursion. Und weil ich nunmal Gymnasiumer bin, trage ich es mit Fassung und Würde. Es geht nach Jena zur Abschlusskonferenz des DFG-Sonderforschungskollegs zur Postwachstumsgesellschaft, die unter dem Motto „Great Transformation – Die Zukunft moderner Gesellschaften“ steht. In dem Thema bin ich ja halbwegs zu Hause und so geht es gut gelaunt mit der Bahn nach Jena, wie der Sport-LK in den Ski-Kurs. Die Bahn ist pünktlich. So kann ich in Ruhe die Unterkunft beziehen und die Nachbarschaft erkunden. Das ist auch nötig, weil ich nicht im Hotel unter bin, sondern mir für die vier Nächte ein City-Appartement geschossen habe und so freie Bahn für die Erkundung der  regionalen Lebensmittelszene habe. Nun ist Jena nicht so groß, im Umfeld von 800 Metern werde ich fündig (mehr als das, da ist hie und da in den kommenden Tagen nochmal ein Blick zu riskieren) und nachdem das verstaut ist, geht’s zur Anmeldung.

Das klappt gut und ich frage mich warum auf den Buchungsbeleg, am besten Digital (wegen den Bäumen und der Umwelt), soviel Wert gelegt wird, wenn’s doch klappt. Auf Nachfrage kriege ich die universitäre Antwort: Zu Viele Anmeldungen nach Anmeldungsfrist… Lovely.

Da das Volkshaus, wo die Auftaktveranstaltung stattfindet, und der Anmeldeort a bisserl auseinanderliegen, was denen die lesen können bekannt ist, denen die irgendwie anders akademische Würden erreicht haben nicht – oder verpeilt sind -, habe ich ne Menge Spaß mit Rucksäcken, die rein und wieder rausgetragen werden, weil die Security keine Gnade kennt. Dass ich pünktlich im Saal sitze, aber alle anderen das Ding mit der Viertelstunde noch im Blick haben, ärgert mich dann wiederum etwas. Dann geht’s los. Die Veranstaltung wird mit zwei Klarinetten (ich glaub das waren Klarinetten) eröffnet, die improvisierten, wobei wohl wichtig war, damit musikalisch das Thema des Unübersichtlichen deutlich wurde. Ich sag das jetzt mal so. Von sowas habe ich keine Ahnung.

Und dann moderiert Frau von Thadden von der Zeit, also dem Hamburger Wochenblatt, den inhaltlichen Teil klug und journalistisch kurz an und Minister Tiefensee spricht sein Grußwort genau wie der OB der Stadt. Alle beiden sind hocherfreut, dass es Sozialwissenschaften gibt, die sich des Themas Transformation, das sie selber offensichtlich ratlos lässt, annehmen. Ein weiteres Grußwort kommt dann von Prof. Silke van Dyk, die herzerfrischend offen darüber spricht, wie sehr die Faktizität der Naturwissenschaften und die Krise des Kapitalismus schon 2008 die Soziologie belebt hat und wie das DFG-Kolleg die Soziologie in Jena befruchtet. Das höre ich sehr gern, weil ich mich da manchmal schon recht alleine fühle, wenn ich Ingenieure, Kaufleute und Naturwissenschaftler mit dem zutiefst Menschlichen bzw. Gesellschaftlichen ihrer Themen vertraut machen darf. Eine weitere schöne Geste, ist der gemeinsame Auftritt von alter und neuer Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, weil die eine die Gründung und die andere nun den Abschluss dieses Forschungskollegs verantwortet hat. Die eine fängt an, formuliert ihren Standpunkt, übergibt freundlich und die andere formuliert ihre Position. Ohne Schärfe. Ohne Häme. Frauen halt. Tolle Geste.

Dann dürfen Klaus Dörre und Hartmut Rosa als Direktoren des Kollegs mit ihren Grußworten ran und – ganz im Sinne des Forschungsprogramms – steht eine Vertreterin des Klimaratschlags der students for future mit auf der Bühne. Dörre beginnt und erzählt die Geschichte des Kollegs. Das macht er gut und flicht ganz nett ohne explizit zu zitieren, die Gleichzeitig des Ungleichzeitigen ein. Im Anschluss dann die Studierende, die begleitet von einem Wahnsinnsapplaus der anderen Studierenden des Klimaratschlags, die Bühne betritt und zunächst mit Leichtigkeit über sich und ihren Weg zu den schweren Themen und dann über den Ratschlag und seine Beschlüsse berichtet. Und dann habe ich Pipi im Auge. Erstens hat es wohl auch in Siegen, my hometown, eine studentische Vollversammlung zum Klimawandel gegeben und dieser Klimaratschlag aus bundesweit mehreren Hochschulen hat tatsächlich beschlossen, eine alternative Vorlesungswoche zu organisieren, in der die normalen Vorlesungen ausfallen sollen und stattdessen gemeinsam und interdisziplinär dem Thema Klimawandel gewidmet werden soll. Ich fühl mich mindestens 25 Jahre jünger in einem StuPa-Raum sitzend…
Und bleibe etwa in dem Alter als Hartmut Rosa mit Verve und Leidenschaft das Forschungsprogramm und die Themen einer Soziologie des 21. Jahrhunderts unters Publikum jubelt. Es ist ihm genau wie Klaus Dörre anzumerken, dass sie in den vergangenen Jahren im Jenaer Kolleg tatsächlich methodisch, wissenschaftsorganisatorisch/-methodisch und politisch viel geschafft haben. Er faltet rhetorisch das Programm der kommenden Tage auf, wo es neben Vorträgen und Workshops, auch Konzerte, Wanderungen, Müllkippenbesichtigungen und Yoga gibt, die eigentlich für nichts anderes stehen als eine neugierige Soziologie, die Gesellschaft verstehen und nicht analysieren will, weil es das tiefe Verstehen braucht, gerade in Zeiten der Transformation.

Deshalb hält wohl auch ein Wirtschaftswissenschaftler den eigentlichen Festvortrag. Prof. Dr. Branco Milanovic stellt seine spannenden Überlegungen zur sozialen Ungleichheit vor und gibt der soziologischen Ungleichheitsforschung zunächst mal richtig was vor den Latz. Denn: Wer nur im nationalen Maßstab soziale Ungleichheit anschaut, verkennt das Karl Marx die „Proletarier aller Länder“ nur deshalb vereinigen wollte, weil der – als guter Ökonom – wusste, dass zu seiner Zeit die Proletarier_innen in England genauso arm waren, wie die in Indien. Das hat sich dann aber geändert, weshalb es heute gilt über globale Ungleichheit nachzudenken, ohne die volkswirtschaftliche, also nationale Dimension außer Acht zu lassen, weil die nämlich bewusstseinsbildend ist. Ich habe heute den Unterschied zwischen global und international gelernt. (Es lohnt sich drüber nachzudenken). Zum Abschluss stellte er noch zwei grundsätzlichere Überlegungen vor.
Zunächst geht es um den schlichten Appell die Verringerung sozialer Ungleichheit im globalen Maßstab nicht als Gewinn in der Transformation zu sehen, weil er dem rising east und dem zunehmenden Wohlstandgewinn in Asien, der leider nicht in Yoga, sondern in Konsum aufgelöst wird, geschuldet ist.
Und zweitens macht sich der Ökonom den Spaß und indexiert das steigende Wohlstandsniveau Asiens auf 100 und rechnet die anderen Weltregionen in Relation. Ich sag mal so. Das sieht nicht gut aus, ist aber fundiert und hat mehr mit dem Wachstum Asien als mit Deppigkeit Europa zu tun. Ich mach mir also Gedanken, wie wir eine Postwachstumsgesellschaft in Westeuropa stark machen und die so cool machen, dass auch die Inder_innen kein Hühnchen mehr wollen (Der Fleischkonsum in Indien steigt gerade wie doof, wegen mittelschichtigem Status „Wir gönnen uns ja sonst nix“ – Kram). oder die Inder kommen wieder vintage und traditional drauf und die Europäer_innen entdecken deshalb auch ihren Kloß mit Sauce ohne Schweinebraten wieder…
Dann ist seine Zeit um, er hat ein paar Hausaufgaben verteilt und ich bin auch mit guten Anregungen reichlich bedient.

Also heim. Thüringische Brotzeit und n Schoppen von der Unstrut.
Regional rules! Und morgen geht’s ja weiter…
Freundschaft!

Der harte Kern der Digitalisierung

Im öffentlichen Diskurs wird weitgehend ausgeblendet, dass auch die digitale Transformation mit all ihrer Elektrifizierung, Automatisierung und Virtualisierung schlussendlich einen materiellen Kern hat. Dabei ist die Verfügbarkeit, Produktion und Verteilung dieses materiellen Kerns, der im Wesentlichen aus Metallen besteht, die zentrale Frage für ein nachhaltiges Gelingen der digitalen Transformation.

Diesem Themenkomplex breiteren Raum in der Debatte zu organisieren und ganz allgemein das gesellschaftliche „Metallbewusstsein“ zu steigern, war Gegenstand eines Workshops, der im Juli in Goslar unter Beteiligung von Branchen- und Berufsverbänden, Unternehmensvertreter*innen und Wissenschaftler*innen sowie Gewerkschaftern stattgefunden hat.

Den Einstieg in eine ausgesprochen konstruktive Veranstaltung leisteteein Vortrag, der auf die zunehmende Verunsichtbarung von Stoff, Wert und Arbeit abhob und dieses Verschwinden von Wahrnehmung am Beispiel des Smartphones durchdeklinierte.

  • Die wenigsten Menschen beschäftigen sich damit, welche Stoffe/Metalle in ihrem Smartphone stecken und zu welchen Funktionalitäten sie beitragen.
  • Da die meisten das Phone als Dreingabe zu ihrem Vertrag bekommen, kennen auch die wenigsten den Wert des Geräts, der auch nur selten ein Marktpreis, sondern ein Element der Kundenbindung ist.
  • Das alles trägt auch dazu bei, dass die Produktionsarbeit für ein Smartphone unsichtbar bleibt.

In der anschließenden Diskussion wurden diese Aspekte noch stärker herausgearbeitet und am Beispiel Rolls Royce deutlich gemacht. Rolls Roye stellt Flugzeugturbinen her und hat vor einigen Jahren das Geschäftsmodell dahingehend geändert, dass nicht mehr die Turbine an sich, sondern die geleisteten Flugstunden das angebotene Produkt darstellen. Das hat auf der einen Seite den Produzentenstolz der RR-Arbeiter*innen getroffen und ihre Stellung in der Wertschöpfungskette verändert, während andererseits durch die hinzukommenden Wartungs- und Instandhaltungstätigkeiten neue Jobs entstanden sind, die dazu beitragen die Lebensdauer der Turbinen zu verlängern, was unter Nachhaltigkeitsaspekten (wenn es nicht um Flugzeugturbinen gehen würde J) durchaus positiv zu bewerten ist.

Hier deutet sich bereits ein Pfad der Diskussion an, der im Laufe der Tagung weiter ausgebaut wurde. Es geht dabei um den sorgsamen Umgang mit den bereits im Gebrauch befindlichen Rohstoffen, sprich Metallen. Dieser Aspekt wird allgemein bejaht, fokussiert sich aber allzuoft nur auf „the end of pipe“, nämlich das Recycling. Dass es aber bereits in den Design- und Entwicklungsprozessen um eine recyclingfreundliche Produktgestaltung gehen muss, wurde insbesondere auch von den Vertretern der Recyclingindustrie deutlich gemacht, die die zunehmende Zahl von Kompositwerkstoffen sowie die Miniaturisierung des Metallanteils als große Probleme für ein marktfähiges Recycling sehen.

Nun werden sich die Metallbedarfe der digitalen Transformation nicht gänzlich aus Recyclingprozessen stillen lassen, so dass auch die Frage der Ressource, also ihre Verfügbarkeit und ihre Förderung analysiert wurde. Die Situation stellt sich so dar, dass die Metallnachfrage im Zuge der digitalen Transformation sowie der sich abzeichnenden Mobilitäts- und Energiewende steigt, was bei einer endlichen Ressource zu einem rascheren Eintritt des Fördermaximums führt. Ein erster Hinweis könnten hier sinkende Erzgehalte pro geförderter Tonne Gestein sein, die die Wirtschaftlichkeit von Förderung und Produktion nur bei steigenden Preisen sicherstellen können.

Ein weiterer Aspekt, der den Erzbergbau und die damit verbundenen Unternehmen, sowie deren Kunden zunehmend zum Handeln zwingt, sind die sozialen und ökologischen Bedingungen des Bergbaus in den Ländern des globalen Südens. Eine Teilnehmerin berichtete aus eigener Anschauung über die Situation des Bergbaus in diversen afrikanischen Ländern, die schlicht katastrophal ist. Politisch wird es hier wohl ab 2020/21 eine Regelung geben, die die Beachtung sozialer und ökologischer Mindeststandards vorschreibt.

Die abschließende Diskussion der Tagung, die die Tiefe des Themas vom Bergbau über Produktion und Konsumption bis hin zum Recycling hinsichtlich der sozialen, ökologischen aber auch ökonomischen Herausforderungen sehr deutlich herausgearbeitet hat, fokussierte sich dann auf die Frage, wie vor diesem Hintergrund das „Metallbewusstsein“ denn zu steigern ist. Die Notwendigkeit dafür, wurde von allen Akteuren bejaht und die ursprüngliche Idee eine Kampagne „Metall des Jahres“ analog „Vogel des Jahres“ oder „Schmetterling des Jahres“ auszurufen, wurde im Kern weiterhin für gut befunden. Als zentraler Schritt vorab wurde aber der weitere Ausbau der konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Akteuren identifiziert, was breiter Konsens unter den Teilnehmer*innen war. Ein Kernteam kümmert sich nun um Inhalt und Organisation, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Angesichts des breiten Spektrums der Teilnehmer*innen kann dies ohne Zweifel als großer Erfolg bezeichnet werden!

Von Ötzis Kupferbeil zum AllMetalsSmartphone – Was bedeutet das für Arbeit und Beschäftigung?

Klaus Mertens
Von Ötzis Kupferbeil zum All-Metals-Smartphone – was bedeutet das für Arbeit und Beschäftigung?

Einleitung
Die digitale Transformation ist in aller Munde und das Reden von einer vierten industriellen Revolution ist allgegenwärtig. Technologisch verbirgt sich hinter diesem Diskurs einerseits die Elektronifizierung und Digitalisierung der Produkte und ihrer Leistungsmerkmale sowie andererseits die Automatisierung der Herstellprozesse. Daraus entstehen allerdings auch neue soziale Wirklichkeiten, die bestenfalls in das bestehende Dispositiv der Arbeit eingepasst und schlechtestenfalls exkludiert werden oder, falls es gut läuft, für neue Wahrnehmungen und Narrative sorgen. Es braucht dazu aber bestimmte soziale Konstellationen und Zeitfenster, um mit neuen Narrativen ein Dispositiv zu verändern.
Es gibt keinen Automatismus.
Der vorliegende Beitrag will deshalb das Dispositiv der Arbeit zunächst historisch einordnen, bevor er über die soziale Figur des Metallarbeiters referiert, die sich durch die Prozesse von Automatisierung und Digitalisierung wandelt beziehungsweise wandeln wird. Im Anschluss daran geht es dann um den Versuch, das neue Gesicht der Arbeit als eine Verunsichtbarung von Stoff, Wert und Arbeit zu beschreiben und zur Diskussion zu stellen. Der Begriff Verunsichtbaren beschreibt den Prozess, mit dem Wertschätzung und sogar Wahrnehmung der Rohstoffe, des Produktwerts und der darin liegenden Arbeit in der Öffentlichkeit, wie in der Lebenswelt des und der Einzelnen schwindet. Abschließend soll eine Perspektive für die Arbeit im All-Metals-Age skizziert werden, dem Zeitalter in dem die Menschheit das gesamte Periodensystem ökonomisch bespielt. Das All-Metals-Smartphone steht dabei stellvertretend für die Produktwelt der digitalen Transformation. Ein durchschnittliches Smartphone enthält rund 30 Metalle, zu denen auch die Elemente aus der Gruppe der Seltenen Erden gehören!

eine kurze Geschichte der Arbeit
Beginnen soll diese Geschichte bei dem Mann aus dem Eis, dem sogenannten Ötzi und seinem Kupferbeil. Das Kupfer für die Klinge ist in der südlichen Toskana gewonnen worden, wurde zur Klinge geschmiedet und von dem Mann aus dem Eis getragen, der es – so ist zu vermuten – nicht selber verhüttet beziehungsweise geschmiedet hat, auch wenn er einigen Thesen zu Folge durchaus Kontakt mit der Metallverhüttung gehabt haben soll. Es lassen sich unabhängig davon, also bereits vor mehr als 5 000 Jahren, die sozialen Rollen ausmachen, die das Wirtschaftsleben bis heute kennzeichnen: Händler und Kunde, Produzent und Logistiker. Wie aber haben sich diese Rollen und ihr Zusammenspiel weiterentwickelt? Was unterscheidet die Rollen und ihr Zusammenspiel heute von der Struktur vor mehr als 5 000 Jahren?
Es sind Prozesse funktionaler Differenzierung, die schlussendlich zu hohen Speziali-sierungsgraden und hoher Komplexität in sozialen wie technisch-ökonomischen Prozessen führen, die die Entwicklung von Wirtschaft und Arbeit treiben. Während also
die stein- beziehungsweise kupferzeitliche Sippe gejagt, gefischt, genäht, gewoben, geschliffen und geschnitzt hat, gibt es dafür nun spezialisierte Gewerke, die den Wert ihres Tuns über Preise in Geld vergleichbar und damit handelbar gemacht haben.
Ein weiterer Aspekt, der bislang wohl eher weniger betrachtet wurde, sind die stofflichen und technologischen Konsequenzen funktionaler Differenzierung, die zu einer technologischen Verfeinerung einerseits und einer steigenden stofflichen Komplexität andererseits führen. Technologische Verfeinerung ist etwa die Entwicklung vom kupferzeitlichen Webstuhl, wie er im Südtiroler Archäologiemuseum zu sehen ist, mit groben Seilen und Gewichten aus Stein hin zu den vollautomatisierten Webstühlen moderner Prägung. Mit der Verfeinerung der Maschinen ist oftmals auch eine enorme Steigerung der Produktivität verbunden, die wiederum für eine räumliche Ausweitung der Märkte verantwortlich ist. Stoffliche Komplexität meint die vielfältiger werdende Zusam-mensetzung der Produkte. Das Kupferbeil des Mannes aus dem Eis bestand zu 99% aus Kupfer, während ein moderner hochlegierter Stahl je nach Legierung nur zu knapp über 90% aus Eisen bestehen kann. Deutlicher noch wird es bei Textilien, wo sich die Welt der natürlichen Wollen und Fasern ja im Laufe der Zeit zu einer bunten Mischwelt aus Kunststoff-Wollverbindungen gemausert hat.
Aber auch die Betrachtung des Smartphones, bezeichnenderweise als All-Metals-Smartphone etikettiert, zeigt die Feinheitsgrade moderner Produkte. Ein durchschnittliches Smartphone besteht zu
• 56 % aus Kunststoff
• 16 % aus Glas und Keramik
• 15 % aus Kupfer
• 3 % aus Eisen
• 3 % aus Aluminium
• 2 % aus Nickel
• 1% aus Zinn und
• 1 % aus anderen Metallen wie Gold, Silber, Platin, Palladium, Kobalt, Gallium, Indium,
Niob, Tantal, Wolfram und seltenen Erden zum Beispiel Neodym (Infostelle Mobilfunk 2015).
Das zeigt eigentlich zweierlei: Auf der einen Seite die Vielfalt der eingesetzten Stoffe und auf der anderen Seite die geringe Menge pro Produkt, die sich aber über die schiere Zahl der verkauften Produkte relativiert: In 2017 gibt es weltweit einen Bestand von 4,5 Milliarden Smartphones (de.statista.com 2017)!
Die vorstehend beschriebene Verfeinerung von Maschinen und die gesteigerte stoffliche Komplexität bedeuten für die Entwicklung von Arbeit sowohl das Entstehen von Experten für Entwicklung und Bedienung als auch das Entstehen einfacher, repetitiver Tätigkeiten, die Ergebnis höherer Automatisierungsgrade im Herstellprozess sind. Der Zusammenhang von Verfeinerung und Automatisierung besteht im Übrigen darin, dass mittels technischer Verfeinerung auch eine Prozessstandardisierung erreicht wird, die Grundlage der Automatisierung ist.
Im Zusammenhang mit der vorstehend geschilderten funktionalen Differenzierung und ihren technologischen Bedingungen entstehen immer entsprechende Dispositive (Foucault 1978), die Ausdruck des gesellschaftlichen Umgangs mit Arbeit sind. So stehen zunächst die agrarischen Tätigkeiten vom Ackerbau bis zur Tierhaltung einerseits und die Jagd andererseits im Fokus des Dispositivs, während die urbanen und handwerklichen Tätigkeiten eher eine randständige Rolle spielten. In der politischen Losung »Stadtluft macht frei« wird diese Randständigkeit politisch umgekehrt und damit in eine Richtung aufgelöst, in der die Anfänge bürgerlichen Selbstbe-wusstseins zu erkennen sind. Im Zuge der industriellen Revolution rückt dann zunächst das Bild des hart arbeitenden Menschen, in dem Fall tatsächlich das eines Mannes, der sich Erde und Maschine untertan macht, in den Vordergrund. Der Bergmann im Stollen und der Stahlarbeiter am Hochofen, die noch gefährlich nah an den Rohstoffen sind, sind bis heute Referenzpunkte für das Bild der Arbeit. Spätestens aber seit der filmischen Ikonisierung der Fließbandarbeit durch Charlie Chaplin in Modern Times rückt das Bild entfremdeter Montagetätigkeit in den Vordergrund. Im Dispositiv der Arbeit werden diese Tätigkeiten allerdings nicht positiv konnotiert, sondern als stumpf und wenig anspruchsvoll eingeordnet. Gleichzeitig entsteht mit den White-Collar-Tätigkeiten auch eine neue Form der Arbeit, die nunmehr weniger körperlich hart als geistig fordernd wird. In dem Maße, wie diese Tätigkeiten im Arbeitsmarkt dominieren, gerät auch das Dispositiv der Arbeit unter diskursiven Druck, wobei die technologische Ver-feinerung und die Automatisierung der Office-Tätigkeiten aktuell zumindest die Wahrnehmung von Arbeit verändert haben. Darauf wird später noch eingegangen. Zuvor jedoch soll, entsprechend dem Thema des Bandes, das Bildnis des Metallarbeiters genauer betrachtet werden.

das Bildnis des Metallarbeiters
Wie vorstehend schon angedeutet wurde, ist das Bild des Arbeiters am Hochofen, der in der Hitze des Feuers, das Eisen aus dem Erz holt, der es zu Strängen gießt und zu Stählen ver- edelt, nach wie vor prägend für das Dispositiv der Arbeit, insbesondere in der Metallindustrie. Richtige Arbeit ist hart, schmutzig und quasi archaisch, dabei gleichzeitig hochtechnisiert. Daneben erscheint monotone Montagetätigkeit weniger heldenhaft und moderne Facharbeit im Maschinen- und Anlagenbau zu wenig schmutzig beziehungs-weise gefährlich, als dass sie als Referenzpunkt für eine Weiterentwicklung des Dispositivs dienen könnte.
Trotzdem arbeiten deutlich mehr Beschäftigte in den Fertigungen und Montagen als an einem Hochofen. Und das Verhältnis von Blue- und White-Collar-Beschäftigten hat sich auch in der Metallindustrie längst zugunsten der White-Collar-Tätigkeiten verschoben. Die Beschäftigten hinsichtlich der Farbe ihrer Hemdkragen zu differenzieren, ist im Übrigen angelsächsischen Ursprungs und bezieht sich auf den – auch im deutschen Sprachraum ja bekannten – Blaumann für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Der weiße Kragen steht für die Tätigkeiten bei denen weder Schmutz noch Dreck zu befürchten sind, also die klassischen Angestelltentätigkeiten. Es arbeiten also die deutliche Mehrzahl der Beschäftigten fern von Hochöfen und Gusswerken und so sehen sich die meisten Beschäftigten der Branche spiegelverkehrt zum Dispositiv der (Metall-)Arbeit und werden so entweder abgewertet oder ausgegrenzt, sodass die Beschäftigten am Fließband als unqualifiziert und die White-Collar-Beschäftigten nicht als Metallarbeiter im eigentlichen Sinne etikettiert werden.
Nun steht das Bildnis des Metallarbeiters im Weg. Es stört dabei, die aktuellen technologischen Entwicklungen und ihre sozialen Verwerfungen zu begreifen. Die digitale Transformation ist eben für die Beschäftigten am Fließband nur eine weitere Rationalisierungsschleife, die im schlechtesten Fall zum Arbeitsplatzverlust führt. Und für die Beschäftigten im Büro scheint sie ein Thema ohne Bedeutung zu sein, obwohl die Digitalisierung ja zunächst in den Bürobereichen Konsequenzen gezeigt hat. Ein gutes Beispiel ist das Verschwinden der Schreibbüros und der Wandel von den klassischen Sekretariaten zu Projektassistenzen. Nun soll es aber hier nicht darum gehen, wie unterschiedliche Beschäftigtengruppen solidarisch auf diese Ver-änderungen reagieren. Es geht darum aufzuzeigen, warum sie nicht angemessen darauf reagieren. Deshalb wird an dieser Stelle noch auf einen weiteren störenden Aspekt des Dispositivs der (Metall-)Arbeit eingegangen. Es geht um die gängige, in der Metallindustrie weit verbreitete Gleichsetzung von Metall und Stahl/Eisen, die verhindert, dass qualitative Veränderungen, die sich aus der steigenden Komplexität der Stofflichkeit und der Verfeinerung im Produkt ergeben, gesehen werden können.
Aus dem herrschenden Dispositiv und seinem zeitgeschichtlichen Kontext ergibt sich auch ein Produktbild in dem Stahlcoils und -stangen, Schiffe, Eisenbahnen, Autos und riesige Maschinen vorkommen, aber keine Smartphones, Tablets und Saugroboter. Das ist im nationalen Rahmen kein Problem, weil all diese Kleinteile ja aus Asien kommen, aber für das Verstehen von Veränderung, wäre ein Gedanke an Verfeinerung und Miniaturisierung sicherlich hilfreich.
Zusammenfassend verstellt das Dispositiv der Metallarbeit, als ewig junger Schein von Hochofen und Gusswerk, den Blick auf die Veränderungen der Branche und der Welt, die sich quasi nur im Spiegel des Dorian Gray (Romanfigur von Oscar Wilde 1890/91) sehen lassen. Nachfolgend soll aber ein Blick auf die Veränderung der Metallbranche geworfen werden.

das Verunsichtbaren von Stoff, Wert und Arbeit
Ein oft zitiertes Beispiel, an dem sich die Veränderungen der Branche zeigen lassen, ist der britische Triebwerkshersteller Rolls Royce (Appel 2015). Er hat bereits in den 1980er Jahren begonnen, nicht mehr das Triebwerk, also das verarbeitete Metall, sondern die Schubstunde, die durch das Triebwerk erbrachte Leistung, zu verkaufen. Bei diesem Geschäftsmodell, das auch als Servitization (Verdienstleistung) bezeichnet wird, gerät die Hardware als Kerngeschäft fast aus dem Blick. Dieses Geschäftsmodell findet sich bei Telekommunikationsgesellschaften und Netzbetreibern wieder und wird so weit getrieben, dass das Smartphone als kostenlose Dreingabe zum Vertrag fast selbstverständlich erscheint. Ein technologisches Hochleistungsprodukt mit filigraner Verarbeitung und kostbaren Rohstoffen, wenn auch in kleinsten Mengen, wird quasi verschenkt, was angesichts der Bedeutung, die das Smartphone als Dreh- und Angelpunkt modernen Lebens hat, schon fast paradox ist. Oder ist eben nicht das Smartphone Dreh-und Angelpunkt modernen Lebens, sondern sind es die digitalen Optionen des Internets? Wenn dem so wäre, wäre eine Erklärung für die Vehemenz gefunden, mit der etwa die Automobilindustrie die Digitalisierung des Fahrens und des Fahrzeugs vorantreibt. Hier zeigt sich die Tendenz weg von Produkten hin zu Geschäftsmodellen, die Digitalität und Dienstleistung in den Vordergrund stellt, während bei der Elektrifizierung des Antriebsstrangs, also einer eher analogen Angelegenheit, doch deutliche Zurückhaltung gezeigt wird.
Unabhängig davon ist festzuhalten, dass die allgemeine Verdienstleistung auch der Metallindustrie den stofflichen Wert des Produkts und den darin enthaltenen Wert der Arbeit verschwinden lässt. Das oben beschriebene Dispositiv der (Metall-)Arbeit verhindert durch Exklusion und Abwertung geradezu sich diesen Prozessen kritisch zu nähern. Dabei stehen einige Aspekte ganz aktuell auf der Tagesordnung, egal ob es um eine nachhaltige Roh-stoffstrategie oder die Zukunft der Produktionsarbeit geht. Im Folgenden sollen diese Punkte zumindest andiskutiert werden.
Eine nachhaltige Rohstoffstrategie würde bedeuten, sich zunächst einmal für die Metalle jenseits von Eisen und Stahl zu öffnen und auch die Stoffe als kritisch zur Kenntnis zu nehmen, die zu ihrer Verarbeitung benötigt werden. Da wäre als einer dieser Stoffe beispielsweise das Helium zu nennen, das für bestimmte Schweißprozesse als Schutzgas Verwendung findet und dessen Produktion eng mit der Erdöl- und Erdgasförderung zusammenhängt. Dieser Zusammenhang führt immer wieder zu Versorgungsengpässen. Und als zentrales Metall der Elektrifizierung, die ja nicht nur den Antriebsstrang des Automobils meint, sondern eben auch allerlei kleine Helfer in Haus und Hof, die mit Elektromotoren betrieben werden, sollte die Verfügbarkeit, die Förderung, die Verteilung, die Verarbeitung und das Recycling von Kupfer intensiv diskutiert werden (Zittel 2016). Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle, dass insbesondere die Bedingungen unter denen diese Metalle gefördert werden, hinsichtlich ihrer sozialen und ökologischen Konsequenzen zu betrachten wären. Mit einem solchen Ansatz wären die zumeist nationalen Perspektiven auf Arbeit und Beschäftigung geweitet, was angesichts der planetarischen Grenzen und den weltumspannenden Wertschöpfungsketten dringend angeraten ist. Das ist allerdings trotz vielfältiger Bemühungen keine Selbstverständlichkeit. Die weltumspannenden Wertschöpfungsketten leisten nämlich einen zentralen Beitrag zur Verunsichtbarung, weil sie zumindest für die entwickelten Länder des Westens die harten, gefährlichen, unfairen und umweltschädlichen Arbeiten in die Länder des globalen Südens ausgelagert haben.
Zentrales Instrument einer nachhaltigen Rohstoffstrategie ist die Preisbildung, die marktwirtschaftlich eben soziale und ökologisch-nachhaltige Aspekte nicht einbeziehen kann, sodass hier eine politische Einflussnahme unerlässlich bleibt. Jenseits dieser Intervention wären staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung sicherlich angeraten, um Impulse in Richtung nachhaltiger Rohstoffstrategien zu setzen. Forschung und Entwicklung wären auch dazu geeignet, die notwendige Schaffung eines stofflichen Bewusstseins für den Wert – nicht zu verwechseln mit dem Preis oder den Kosten – eines Produkts zu unterstützen. Denn ein solches breit verankertes Bewusstsein wäre auch politisch die Voraussetzung für die Durchsetzung entsprechender Preise. Mit welchen Instrumenten die Schaffung eines solchen Stoff- oder auch Metallbewusstseins vorangetrieben werden könnte, ist zu diskutieren und auszuprobieren. Notwendig ist es allemal.
Ebenfalls dringend notwendig ist es, das Dispositiv der Arbeit zu dekonstruieren und seine Elemente und Entwicklungen auf zeitgemäße Weise neu zu verknüpfen – quasi ein neues Narrativ der (Produktions-)Arbeit aufzulegen. Das geschieht im Diskurs um die digitale Transformation bereits dergestalt, dass die eh schon geringer geschätzten Arbeiten, die zumeist hochrepetitiv sind, per se als durch Roboter zu erledigen betrachtet werden. Damit wird deren Abwertung, die bereits im Dispositiv der (Metall-)Arbeit angelegt ist, weiter fortgeschrieben und kaum jemand stört sich daran. Dabei ist dieser weitere Automatisierungsschub unter sozialen wie ökologischen Gesichtspunkten zu hinterfragen.
Zunächst stellt sich sicherlich die Frage nach dem Warum: Warum wird viel Geld in eine weitere Produktivitätssteigerung investiert, wenn doch seit Jahren die Wachstumsraten der Weltwirtschaft eher bescheiden sind? Wenn es darauf eine hinreichende Antwort geben sollte, geht es darum, ob die digitale Transformation im Produktionsbereich rohstoffseitig und preislich ausreichend und nachhaltig hinterlegt ist: Was wird aus den Menschen, die durch diese Prozesse ihre Arbeit verlieren? Und: Wie verändert sich die Arbeit für diejenigen, die in der Produktion beschäftigt bleiben?
Diese Fragen sind vor dem Hintergrund einer zunehmenden Raumunabhängigkeit der Arbeit, ausgelöst durch die technischen Potenziale von Laptop und Smartphone, die sich in mobiler Arbeit und Home-Office-Lösungen zeigt, auch unter dem Aspekt von Zeitwohlstand und Lebensqualität für den Diskurs zur Zukunft der Arbeit wichtig. Wichtig sind sie aber auch für die Frage nach dem Verunsichtbaren von Arbeit und deren Wert. Verschwindet die menschliche Arbeit aus der Fabrik und dem Büro und wo geht sie hin? Wo ist sie dann noch sichtbar und abgrenzbar von anderen Zeiten? Und welchen Status hat die Arbeit derjenigen Beschäftigten, die eben nicht raumunabhängig arbeiten können? Entstehen hier neue Ungerechtigkeiten?
All das muss zwingend gesellschaftlich verhandelt werden, weil sich bereits Bereiche zeigen, wo die Bereitschaft für genutzte Produkte auch zu bezahlen, zumindest in Deutschland außer-ordentlich gering ist. Die Rede ist vom Online-Journalismus, der mit seinen kundenbasierten Zahlungsmodellen immer noch defizitär ist und sich über Werbung finanzieren muss. Ein anderes Beispiel ist die Software-Entwicklung, wo sich die App-Entwickler zum Teil nicht über Verkaufszahlen, sondern über Kundendaten refinanzieren. Hier wird der eigentlichen Arbeit, dem Schreiben oder dem Entwickeln, vom potenziellen Kunden keinerlei Wert mehr beigemessen. Genauso wie bereits geschildert, ja auch das Smartphone als kostenlose Dreingabe zum Mobilfunkvertrag gesehen wird.
Zusammenfassend ist vorstehend aufgezeigt worden, wo aktuell Momente der Verunsicht-barung von Stoff, Wert und Arbeit erkennbar sind und wie sie, flankiert von dem aktuellen Dispositiv der Arbeit, das Gestalten einer rohstoffsensiblen, sozial und ökologisch nachhaltigen Zukunft für Arbeit und Beschäftigung erschweren. Das hat die fatale Nebenwirkung, dass die konkret stattfindenden Veränderungen im Dunklen und Vernebelten stattfinden. Licht in dieses Dunkle zu bringen würde aber demzufolge mehr bedeuten als mit Zahlen, Daten, Fakten Transparenz in die Themen zu bringen und diese in der öffentlichen Meinungsbildung sichtbar zu machen, sondern eben auch an dem Bezugsrahmen zu arbeiten, in den diese Informationen eingeordnet werden. Der folgende Abschnitt will versuchen, einige Perspektiven aufzuzeigen, die sich aus einem solchen Prozess entwickeln könnten.

Perspektiven der Arbeit im All-Metals-Age
Die ökonomische Verwertung der Elemente des gesamten Periodensystems, insbesondere der Metalle und Metallsalze ist in weiten Teilen sowohl der digitalen Transformation als auch der Automatisierung beziehungsweise Elektrifizierung vieler manueller Tätigkeiten geschuldet. Daraus ist eine hochvernetzte Welt entstanden, in der Wissen und Information schnell und umfassend zur Verfügung steht. Ob daraus eine Welt entsteht, in der alles was zu automatisieren ist, auch automatisiert wird, ist offen.
Ein verhalten optimistisches Szenario sähe dann in etwa so aus: Der Anteil von Blue-Collar-Beschäftigten in der Industrie wird sich weiter zugunsten von White-Collar-Beschäftigten absenken, was sich zumindest in der Metallindustrie bereits deutlich abzeichnet. Im Logistikgewerbe sind zwar ähnliche Trends zu beobachten, aber die Zahl der Beschäftigten wird in diesem Sektor wohl dennoch eher steigen. In den personenbezogenen Dienstleistungen wird die Zahl der Beschäftigten steigen. Leider werden die Arbeiten sowohl in der Logistik als auch in den personenbezogenen Dienstleistungen schlechter entlohnt als in der Produktion oder den produktionsnahen Bereichen. Die Perspektiven für Handwerk und Landwirtschaft sind recht differenziert zu betrachten. Die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten in Vollzeit wird insgesamt sinken.
Ein Szenario, das die wesentliche Ansage dieses Beitrags aufgreift, nämlich eine gesell- schaftliche Perspektive der Arbeit vor dem Hintergrund einer sozial und ökologisch nachhaltigen Rohstoffstrategie zu entwickeln, sähe dann anders aus. Sie würde wohl etwa so aussehen:
In der Industrie haben auch die Blue-Collar-Beschäftigten einen hohen Zeitwohlstand, der sich durch intelligente Arbeitszeitsysteme und das Recht auf Teilzeit ergibt. Die Arbeit ist anspruchsvoll. Repetitive Arbeiten sind automatisiert worden. Die ergonomischen Ansprüche sind hoch. Planerische und kreative Tätigkeiten gewinnen an Bedeutung. Die Portfolios der Betriebe entsprechen den gängigen Nachhaltigkeitskriterien. White-Collar-Beschäftigte sind weiter hochqualifiziert und haben gelernt, mit sozialer Komplexität und Ressourcenknappheit umzugehen. In der Logistikbranche sind insbesondere an der letzten Meile viele Arbeitsplätze entstanden, die die Innenstädte und Endkunden mit Pedelecs (Elektrofahrräder) und Lastenrädern beliefern. Genau wie bei den personenbezogenen Dienstleistungen genießen die Beschäftigten hohe Wertschätzung und verdienen entsprechend. Die Beschäftigtenzahlen in Handwerk und Landwirtschaft sind gestiegen, weil es insbesondere junge Menschen in die Bereiche zieht, wo sie regional orientiert mit den Händen etwas schaffen können. Sie nutzen ihre digitale Kompetenz um sich zu organisieren und mit Kunden und Lieferanten zu vernetzen. Die Bereiche profitieren insgesamt vom Trend zu handwerklichen Produkten und dem Ende der agrarindustriellen Ausbeutung von Boden und Tieren.
Bei dem letztbeschriebenen Szenario könnte der Eindruck entstehen, dass es sich um ein bloß analoges Bild handelt. Das wird es aber keineswegs sein, weil auch eine sozial und ökologisch nachhaltig angelegte Welt auf die Möglichkeiten der digitalen Transformation nicht verzichten kann und will. Allerdings wird es nicht digital um jeden Preis sein müssen. Den Preis dafür auszuhandeln, ist Aufgabe der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um das Dispositiv der Arbeit und die digitale Transformation!

Literatur
Appel, Helmut; Ardilio, Antonio; Fischer, Thomas (2015): Professionelles Patentmanagement für klein- und mittelständische Unternehmen in Baden-Württemberg. Stuttgart: Fraunhofer IAO.
Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
de.statista.com (2017): https://de.statista.com/statistik/daten/studie/312258/umfrage/weltweiter-bestand-an- smartphones/ – Zugegriffen: 18.08.2017.
Foucault, Michel (1978): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve. Foucault, Michel (2008): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 9. Auflage. Frankfurt am Main:
Suhrkamp.
Haipeter, Thomas; Somka, Christine (2014): Industriebeschäftigung im Wandel – Arbeiter, Angestellte und ihre
Arbeitsbedingungen. Duisburg: IAQ-Report.
Infostelle Mobilfunk (2015): Rohstoffe und Lebenszyklus eines Mobiltelefons. http://informationszentrum-
mobilfunk.de/sites/default/files/IZMF_Factsheet_Lebenszyklus_2015.pdf – Zugegriffen 18.08.2017. Jones, Owen (2012): Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse. Mainz: Thiele.
Powershift e. V. (Hg.) (2017): Ressourcenfluch 4.0. Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor. Berlin: Powershift.
Zittel, Werner (2016): Die geologische Verfügbarkeit von Metallen am Beispiel Kupfer. In: Exner, Andreas; Held, Martin; Kümmerer, Klaus (Hg.): Metalle in der Großen Transformation. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum: 87–108.

Chanson d’automne

Der November ist immer randvoll mit Veranstaltungen, Tagungen, Festen und Tischrunden, die Gelegenheit geben, die Impulse, die das Jahr so geboten hat, schonmal vorsorglich Revue passieren zu lassen und zu sortieren. Naja, und dieser November hat keine Ausnahme gemacht: Begonnen haben diese bedenkenswerten Tage mit einer IG Metall -Tagung zum derzeit ja außerordentlich beliebten Thema „Industrie 4.0“, das irgendwo zwischen neuem forschungspolitischen Ansatz zur Förderkohleakquise und bereits real existierender industrieller Praxis verortet wird. Es ging weiter mit einem schönen Wanderwochenende mit AltgenossInnen in Schwäbisch Hall, einer Sitzung der Transformateure in München und einem Brotbackkurs auf dem Eichenhof bei Kreuztal, zwei langen Nächten mit meinem Bruder, der aus Reiner Tramperts neuem Buch vorgelesen hat, sowie den Sachs-Betriebsversammlungen in Schweinfurt und der Tutzinger Transformationstagung plus dem daran anschließenden Tutzinger Transformationslabor. Allen Terminen war eigen, dass sie sich mit der Zukunft und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung beschäftigt oder auseinandergesetzt haben und auch wenn sie Zusammensetzung und Schwerpunkte unterschieden, ergab sich doch für mich ein roter Faden. Ich möchte allerdings nicht mit diesem roten Faden, sondern mit einer Betrachtung der Weiterentwicklung industrieller Produktionsweise beginnen, da sie mir doch immer noch als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Entwicklungspfade gilt.

Industrie 4.0 oder die Entwicklung der Produktivkräfte

Industrie 4.0 bezeichnet die zunehmende Digitalisierung der Produktwelt, die zunehmende Vernetzung der Produkte untereinander und die Verschmelzung von digitaler und analoger Welt. Digitalisierung der Produktwelt meint beispielsweise die Ausstattung des Laufschuhs mit einem Chip, der Körpergewicht, Abrollverhalten und Schweißausstoß misst. Das wiederum kann vernetzt werden mit der Körperwaage, die Gewicht und Körperfettwerte beisteuert. Das alles ist ganz simpel mit der Armbanduhr vernetzt, die bei einer errechneten Kennzahl außerhalb bestimmter Normalitäten laut piepst und zu mehr Ernährungsdisziplin und Abstinenz auffordert.
Die Verschmelzung von digitaler und analoger Welt, besser dem Entstehen von cyberphysischen System würde in dem Fall bedeuten, dass der Schuh das Abrollverhalten des Fußes steuert, um die Fettverbrennung zu erhöhen…

Wo bleibt die Arbeit?

Dass was im Consumer-Bereich teilweise ja schon durchaus üblich ist, hält nun auch Einzug in die industriellen Produktionsbereiche. Da ist das mit einem RFID-Chip ausgestattete Produkt, das alle Produktionsdaten speichert, aber auch so mit der Logistik vernetzt ist, dass seine Entnahme aus dem Lager einen Bestellprozess auslöst, der keinen Disponenten, sondern nur noch einen Programmierer braucht. Gleichzeitig sind die Maschinen im Herstellprozess hinsichtlich ihrer Aggregatzustände so mit Sensorik ausgestattet, dass der Instandhalter/die Instandhalterin im Leitstand keine Erfahrung mehr benötigt, bzw. keine Aufschreibungen mehr weitervererben kann, sondern nur noch auf das Signal des Rechners warten muss, das einen instandhaltungswürdigen Zustand meldet. Da wo der Mensch im Montageprozess noch gebraucht wird, wird er von cyber-physischen Systemen unterstützt, etwa Handschuhen, die seine Bewegungen unterstützen bzw. steuern. Es kann auch ein Leichtbauroboter sein, der ihm die richtigen Teile an der richtigen Stelle anreicht. Dieser Roboter ist auch nicht mehr in einem Käfig, sondern er ist Teil des Montagearbeitsplatzes.

Es besteht also durchaus die Gefahr, dass die menschliche Arbeit im industriellen Montageprozess weiter entwertet wird und die Gehaltsentwicklung in den Unternehmen stärker als bisher auseinanderläuft. Dagegen gewinnt die logistische Steuerung der Prozesse durchaus an Bedeutung, da sie in Zukunft nicht länger an den Werkstoren endet, sondern die gesamte Wertschöpfungskette in all ihrer Komplexität im Griff haben muss.

Das alles ist nichts neues, sondern in vielen Unternehmen gibt es bereits das ein oder andere Tool, das an das vorher Beschriebene erinnert: e-Kanbans, pick to light-Vormontagen oder auch FTS (führerlose Transportsysteme) und TPM-Tools, die sich aus den Maschinensteuerungen mit Daten versorgen. Worin also besteht die neue Qualität, die sich hinter dem Etikett Industrie 4.0 verbirgt?

Die neue Qualität von Industrie 4.0

Der Vergleich, der auf der schon angesprochenen Tagung gezeigten Präsentationen aus Industrie und Wissenschaft, deutet darauf hin, dass es die Ganzheitlichkeit des Ansatzes, bzw. seine Durchgängigkeit sein soll. Das müsste einen alten Produktionssystemer wie mich nicht sonderlich schrecken, wissen wir doch, dass die ganzheitliche Implementierung eines Systems in deutschen Unternehmen schon an den Grabenkämpfen der Fakultäten (Produktion vs. Qualität vs. Logistik etc.) scheitert, wenn es nicht schon vorher vom mittleren Management zum Privatvergnügen eines Vorstands erklärt wurde.

Und doch gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied. Wurden die Einführung ganzheitlicher Produktionssysteme zu Beginn der 90er (1. Welle) und 2000er Jahre (2. Welle) noch mit Kosteneffizienz begründet, die die konsequente Vermeidung von Verschwendung (Muda) nun einmal mit sich bringt, geht es mit Industrie 4.0 nichtmal so sehr um Kosteneffizienz, sondern darum, mit einem höheren Individualisierungsgrad der Produkte Marktanteile im Massenmarkt zu halten. Die Rede ist davon Losgröße 1 zum Preis industrieller Massenfertigung anbieten zu können. Von Kosteneffizienz ist nur in dem Zusammenhang die Rede, wenn es um die Vermeidung von Lagerbeständen geht, da die Produktion erst mit dem Abschluss der Bestellung startet. (Auch das ist übrigens ein alter Traum der Produktionssysteme a la Toyota)

Exkurs.

An der Stelle sei eine kleine Randbemerkung zum Raumwiderstand erlaubt. Der Endkunde ist durch amazon, zalando etc. an kurze Lieferzeiten gewohnt und auch im industriellen Umfeld verkürzen sich die Lieferzeiten zusehends, was wohl heißt, dass auch mit Industrie 4.0 die Produktion näher an den Kunden oder besser Zielmarkt rücken muss, um eine angemessen kurze Lieferfrist zu wahren. Da hören sich drei Wochen Containertransfer Bremerhaven – Shanghai fast vorsintflutlich an. Von daher steht zu befürchten, dass bei einem schwächelnden europäischen Markt, ein Teil der Produktion peu a peu Richtung Asia-Pacific abwandern wird. Aber egal wo die Fabriken auch stehen, sie werden nach Industrie 4.0-Gesichtspunkten funktionieren und versuchen die individuellen Wünsche der Kunden so schnell wie möglich und mit Massenproduktionspreisen zu erfüllen.

Auf der Tagung selber wurde Kosteneffizienz auch aus anderem Blickwinkel immer wieder verargumentiert. Unter dem Stichwort Ressouceneffizienz wird Industrie 4.0 zur grünen Technologie. Dadurch dass nur dann produziert wird, wenn bestellt wurde und die Bestellung individuell auf den Kunden, die Kundin zugeschnitten ist, ist Industrie 4.0 quasi abfallfrei und ressoucenschonend.

Grüne Fertigungsperspektive oder Kampf um jeden Kunden?

Bis zu diesem Punkt hört sich das Thema Industrie 4.0 ja tatsächlich an, wie ein Märchen. Die deutsche Industrie nimmt Geld in die Hand um kundenorientierter zu fertigen und dabei Umwelt und Rohstoffe stärker als bisher zu schonen. Außerdem werden körperlich anstrengende Arbeiten automatisiert und der Qualifizierungsgrad der Belegschaften insgesamt steigt. Toll, oder?

Naja. Man muss keine K-Gruppen Sozialisation genossen haben, um skeptisch zu werden, weil immerhin noch Kapitalismus ist und das Saulus zu Paulus wurde, ist ja nun auch schon länger her.

Also lohnt sich das Nachdenken darüber, was denn die Produktivkräfte in Richtung Industrie 4.0 treibt. Betrachten wir die Produktionsverhältnisse im Rahmen der industriellen Massenproduktion, kommen Wachstum und Profitrate aus den Skaleneffekten, die die Produktion des Immer Mehr vom Immer Gleichen mit sich bringt.
Nun wird Wachstum im Gegensatz dazu unter Industrie 4.0 als das Immer mehr von Individualisierbaren definiert, was aber zumindest den Schluss zulässt, das Wachstum nur noch zu den höheren Kosten einer individualisierten Produktwelt möglich zu sein scheint. Diese höheren Kosten ergeben sich quasi zwangsläufig aus den Investitionen für die individualisierte Produktion, den logistischen Aufwand den die Individualisierung fordert und dem entsprechenden Materialaufwand.

Was steckt also hinter diesem Aufwand?

Aus der Perspektive eines Wachstumsskeptikers liegt die Vermutung nahe, dass die Wachstumsgesellschaft nur noch wachsen kann, wenn sie die individualisierten Warenwünsche der Konsumenten, also Marktanteile in ihrer kleinsten Einheit, zusammenkratzt und von daher die industrielle Produktion auf eben diese kleinste Einheit zugerichtet werden muss.

Ein Liberaler würde sich vielleicht an der Kundenmacht erfreuen, die die Industrie mit ihren standardisierten Produkten in die Knie gezwungen hat und dich nun Turnschuhe in Gänseblümchenoptik konsumieren lässt und nicht die Allstars in schwarz mit weißen Streifen, die jedeR trägt.

Als halbwegs Intellektueller dreht sich einem dabei natürlich der Magen rum, wenn das Individuum auf die Rolle als Konsument reduziert wird, wie auch immer individualisiert er/sie konsumiert und doch nichts anderes macht, als – in völliger Verkennung seiner/ihrer ureigenen Bedürfnislage – reflexhaft den Verlockungen der Warenwelt zu genügen.

Das alles lässt einen bei dem Thema Industrie 4.0 zunächst mal skeptisch bleiben. Hinzu kommt die ungelöste Frage, wo denn bitte schön all die seltenen Erden und andere Rohstoffe kommen sollen, die ich für eine umfassende Digitalisierung der Waren- und Produktionswelt brauche? Interessant ist das diese Frage in den Diskussionen zu Industrie 4.0 bislang keine Rolle gespielt haben, weil die Protagonisten nicht im Rahmen planetarischer Grenzen agieren, sondern ganz „business as usual“ von der grenzenlosen Ressourcenverfügbarkeit ausgehen, selbst wenn sie mit dem eigentlichen Produktionsmaterial ja ressourcenschonend, d.h. Lagerbestände und Abfallvermeidend, umgehen wollen.

Gesellschaftliche Perspektiven

Soweit, so unschön. Aber nun hält den wissenschaftlich-technischen Fortschritt in seinem Lauf weder Ochs noch Esel auf. Es geht halt nur drum, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten lassen in denen dieser Fortschritt wirkt. Und so lohnt sich das Nachdenken darüber, was aus dem Thema Industrie 4.0 denn im Sinne eines sozial-ökologischen Umbaus werden könnte, sehr wohl.

Aus gewerkschaftlicher Perspektive stehen hier sicherlich die Fragen der Rationalisierungspotentiale und der Qualität, bzw. Struktur der Arbeitsplätze im Vordergrund. Die Rationalisierungspotentiale sind durch einen höheren Automatisierungsgrad der Produktionsprozesse gegeben, genauso wie Digitalisierung der Produkte und Prozesse steuernde und überwachende Tätigkeiten in Logistik und Qualität entwerten kann. Hier wird es darum gehen, die Auseinandersetzung darum, wer denn Ross und wer Reiter ist, nämlich Software oder Mensch, engagiert zu führen. Wird der Mensch zum Anhängsel der Maschine oder behält er die Steuerung wird lediglich assistiert? Eine spannende Frage, die nicht immer leicht zu klären ist und vor allem nicht neu ist. Die Steuerungsoptionen der KollegInnen, die an den Fließbändern stehen, können sich über Industrie 4.0-Technologien gar nicht weiter verschlechtern. Die Frage muss hier vielmehr lauten, ob denn Industrie 4.0-Technologien monotone Menschenarbeit überflüssig machen kann und wenn ja, was aus den Menschen wird, die bislang mit ebenjener monotonen Arbeit ihren Lebensunterhalt verdient haben? Dieselbe Frage stellt sich im Übrigen auch für die Facharbeit etwa von InstandhalterInnen und LogistikerInnen. Deren Arbeit ist in den letzten Jahren durch einen ungeheuren Komplexitätszuwachs einerseits und durch einen Zuwachs standardisierter Aufgaben, die früher von Hilfskräften abgewickelt wurde, andererseits geprägt. Hier wäre die Übernahme standardisierter Arbeiten durch den Kollegen Roboter sicherlich wünschenswert. Leider zielt Industrie 4.0 aber eben auch auf die Steuerung von Komplexität, so dass sie auch die industrielle Facharbeit verändern wird.

An dieser Stelle kommen Gedanken an andere Debatten der letzten Jahre hoch, die den Marsch in die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft oder auch das Ende der Arbeitsgesellschaft beschworen. Verändert sich die Arbeitswelt und das Arbeitsplätzeangebot durch die technische Innovation aus Industrie 4.0 in die Richtung der weiteren Akademisierung industrieller Arbeit und einer Zunahme von produktionsnahen Dienstleistungen sowie einer zunehmenden Automatisierung industrieller Produktion und dem dadurch erzwungenen Abwandern der Beschäftigten in andere Branchen etwa der personenzentrierten Dienstleistungen in der Alten- und Krankenpflege? Oder bleiben da schlicht eine Menge ArbeitnehmerInnen übrig und werden Hartzer, die sich evtl. ehrenamtlich noch hie und da engagieren und ihr karges Brot mit Urban Gardening und an der Tafel aufwerten?

Politische Hausaufgaben

Das alles sind Fragen, denen wir uns zu stellen haben, wenn wir über die zukünftige Entwicklung von Arbeit und Gesellschaft nachdenken wollen. Wenn wir das auch noch vor dem Hintergrund von Klimawandel und Peak Everything tun wollen, wird das eine sehr grundsätzliche Debatte darum, wie sich der Übergang in postfossile Zeiten denn halbwegs anständig gestalten lässt. Unter halbwegs anständig würde ich gegenwärtig rechtsstaatliche Grundsätze, sozialstaatliche Strukturen und demokratische Prozesse fassen wollen, wobei ich sehr wohl weiß, dass wir auf dem besten Wege sind, alle drei Aspekte zu demontieren. Ob diese Demontage bereits die Anzeichen einer Transformation sind, die in die falsche Richtung läuft oder ob es sich dabei um die Verlängerung des fossilen Endspiels handelt, ist dabei offen. Blöd wäre im Hier und Jetzt beides. Für eine Zukunftsdebatte ist es aber zentral, ob sich einflussreiche Kapitalfraktionen sehr wohl der Herausforderungen der Transformation bewusst sind und in eine für sie handhabbare Richtung steuern oder ob sie diese tatsächlich ignorieren und so weiter machen wie bisher, aber halt zunehmend unter Druck geraten.

In beiden Fällen wäre es hohe Zeit für eine Debatte der fortschrittlichen Kräfte über eine Strategie zur Transformation in Richtung postfossile Gesellschaft. Sie müsste in der Lage sein Graswurzelansätze wie Urban Gardening und Transition Towns mit politischen Projekten wie der Energiewende zu verknüpfen und die Frage ökofairer Produkte und Produktion nicht nur als ein Trikont-Thema behandeln, sondern sie mitten im Herzen industrieller Produktion führen. Damit wären dann soziale Frage und ökologische Fragen anschlussfähig gemacht. Die Ergebnisse des Diskurses auch noch massentauglich und mehrheitsfähig zu gestalten, wäre dann schon ganz großes Kino, geht es doch darum solche Werte wie Glück, Wohlbefinden oder Lebensqualität zu beschreiben und mit einem Verzicht auf Wohlstand, Konsumgüter und bloße Zerstreuung zu begründen. Gleichzeitig wäre wirtschaftspolitisch die Umschichtung der Erwerbsarbeit und das Ende ungeplanten Wachstums durchzusetzen, was Elemente einer zentralen Steuerung haben wird.

Das wird dann eine ganz schwierige Debatte, weil zu klären sein wird, entlang welcher Leitplanken die zentrale Steuerung erfolgt und wo dann die Freiheitsgrade der Graswurzelinitiativen enden. Um das deutlich zu machen, sei mal mein bereits mehrfach strapaziertes Lieblingsbeispiel von der Energieeffizienz der Brotversorgung einer 200.000 Einwohner-Stadt präsentiert:

Der Energieaufwand, diese Vielzahl – in unserer Phantasie wohl wünschenswerten – schnuckeliger Stadtteilbäckereien zu betreiben, ist leider deutlich höher als die entsprechende Brotfabrik, meinetwegen auch von der Hofpfisterei, damit es nicht ganz so unromantisch wird. Und damit sind die kleinen Bäckereien unter Energiegesichtspunkten leider raus…

Hier stehen sich dann Romantizismen und gewollte Dezentralität einerseits und die Logik und Vorteile industrieller Fertigung andererseits gegenüber und müssen vor dem angesprochenen Hintergrund von Klimawandel und Peak Everything entschieden werden. Mit diesem Diskurs ist zwar bereits begonnen worden, doch immer noch laufen die Lager und Szenen eher nebeneinander her, als miteinander ins Gespräch zu kommen. Und dabei gäbe es so viel zu besprechen. Und so viel zu tun. Denn was unabhängig von den Aktivisten von Nöten wäre, ist ja die gesellschaftliche Mobilisierung von Hegemonie, was explizit nicht mit Mehrheit verwechselt werden sollte. Und Hegemonie geht nur mit ausstrahlungsfähigen gesellschaftlichen Bündnissen, wobei gerade das echt schwierig ist: die fortschrittlichen Parteien, so es sie denn noch gibt, sind allesamt mit sich oder ihrer Regierungsfähigkeit beschäftigt, was sie für ein Reformbündnis leider untauglich macht, da so der parlamentarische Arm auf das Engagement einzelner Abgeordneter beschränkt ist. Die Gewerkschaften sind so wie sie sind und hängen am Wachstumstropf. Also wird es auch hier um das Gewinnen einzelner AktivistInnen gehen. Die Kirchen sind aus der Nummer Fortschritt ja schon ein wenig länger raus, auch wenn es hier zu Teilthemen (Frieden, Refugees und Armut, nicht aber zu allen Bereichen der Sexualität) streckenweise ganz anständige Positionen gibt. Also gilt auch hier: Es geht um den Einzelnen!

Daneben sind die Graswurzelinitiativen von Anti-Atom bis Transition Town und Urban Gardening sicherlich richtige PartnerInnen, geradezu geborener Teil, eines solchen Bündnis, auch wenn ihr ausdrücklicher Bezug auf das Hier und Jetzt, der lokale Bezug und ein generelles Misstrauen gegen Politik in tradierten Formen die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen manchmal schwierig macht. Dann haben wir noch die BildungsbürgerInnen von den Umweltschutzverbänden über slow food bis hin zu den Landlust-LeserInnen. Die gehen (die Landlust-LeserInnen wahrscheinlich seltener) auch schonmal auf eine Demonstration, haben dagegen oftmals ihre Schwierigkeiten mit einem klassisch linken Lager. Diese Schichten sind aber als prägende Kraft einer wachstumskritischen, postfossilen Hegemonie wichtig, weil deren Lebensstilmodelle oftmals stilprägend sind und aus der Wechselwirkung von Stil, Kultur und Politik oft auch gesellschaftlicher Wandel entstanden ist.

Was bleibt also zu tun? Den FunktionärInnen unter der geneigten Leserschaft sei empfohlen drüber nachzudenken, wie sie ihre Organisation jenseits von Wachstumspfaden, fossilen Rohstoffen und Klimawandel zukunftsfest und enkelsicher gestalten können, den WirtschaftslenkerInnen und Führungskräften, die sich hierhin verirrt haben, sei selbiges für ihre Unternehmen empfohlen. Den GraswurzlerInnen sei ins Stammbuch geschrieben, dass es sich manchmal auch lohnt den großen Wurf zu denken und zu wagen, während ich den Organisationen der alten sozialen Bewegungen raten würde sich hinsichtlich ihrer Kommunikations- und Aktionsformen schleunigst zu modernisieren, was mehr heißt als eine halbseidene Internetpräsenz, die auch von einem Lifestyle-Artikel aus dem Hause Nestle stammen könnte. Manche halten sich diesem neumodischen Teufelszeug auch immer noch gänzlich fern. Das ist aber auch nicht wirklich klug.

Was ich noch mit auf den Weg geben will, ist die Wertschätzung für eben jene anderen Wege der Kommunikation, des Auftritts und der Argumentation. Das hilft nämlich. Wir werden kein Reformbündnis alter Prägung mehr auf die Beine stellen können, weil sich solche Bewegungen heute digital formieren, über Lebensstil in den analogen Alltag transformieren und so Einfluss gewinnen. Dazu gehört evtl. mal ein Sternmarsch, eine Demo oder eine Manifestation. Das ist aber – my opinion – nicht länger das konstituierende Moment, wie es etwa die „Nie wieder Deutschland“-Demo in Frankfurt 1990 war. Es muss also anders gehen, wenn es besser werden soll. Wie es genau gehen soll, weiß ich auch nicht. Aber wir müssen es ausprobieren, müssen spielen und auch Fehler machen.

Dabei dürfen wir nicht aufhören bzw. müssen damit beginnen solidarisch zu sein. Das heißt allerdings nicht, dass wir uns nicht streiten dürfen. Ich hoffe, dieses Papier lädt dazu ein.

Bildet Banden!

Der Winterurlaub in den Zeiten des Klimawandels

Nun hocke ich wieder an meinem Schreibtisch und komme endlich dazu, die vergangene Woche zu reflektieren. Ich war in Tirol am Pillersee, um ein wenig auszuspannen und zu wandern bzw. langzulaufen. Der alpinen Abfahrt kann ich weder beim Zuschauen, noch beim Selbertun etwas abgewinnen.P1020802

Jahreszeitlich bedingt, bin ich von reichlich Schnee ausgegangen. Kein Wunder, bei den Höhenmetern. Die Landschaft stellte sich jedoch schon fast frühlingshaft dar und bis auf einige schattige Seitentäler war der Langlauf nicht unmöglich, sondern eine ästhetische Zumutung! Die ästhetische Zumutung besteht darin, in einer frühlingshaften Umgebung mit grünen Wiesen und ersten blühenden Blumen auf einem weißen Band durch die Gegend zu rutschen. Es hatte eine zutiefst künstliche Anmutung wie die Menschen einen Wintersport ohne Winter ausüben. Die Ignoranz gegenüber den natürlichen Gegebenheiten, die daraus gelesen werden kann, eröffnet einige weitere Fragen.

  1. Was wird aus den Wintersportregionen und den dort arbeitenden Menschen, wenn der Winter mit Schnee und Skilauf ausfällt und damit auch die Touristen fernbleiben?
  2. Was machen die Menschen, die mit dem touristischen Angebot des Winterurlaubs entfremdete Arbeit kompensieren und sich erholen, wenn der Winter ohne Schnee ihre Bedürfnisse nicht länger deckt?

Insbesondere die zweite Frage scheint eine Frage kulturellen Wandels zu sein. Irgendwo kommen die Bilder im Kopf ja her, dass es im Winter kalt ist, der Niederschlag in Form von Schnee fällt und Ski gefahren werden muss. Wie ich im Gespräch mit lieben Freunden neulich lernen musste, ist es sogar ein Akt kultureller Überwindung im Winter auf die entsprechende Kleidung zu verzichten, weil es schlicht zu warm für die dicke Jacke ist.

Was fehlt ist wohl die Kompetenz zur Demut gegenüber Temperatur, Niederschlag und allgemeiner Wetterlage und die Flexibilität das Gegebene hinzunehmen. Das sind nun allerdings zwei Kompetenzen, die in der Moderne wenig angesehen sind, was fatal sein kann. Denn dadurch sieht es so aus, als dass die Verlängerung des Endspiels mit noch mehr Schneekanonen, mit Schneetransporten und der Erschließung von Skigebieten in höheren Lagen mit vermeintlicher Schneesicherheit unvermeidlich ist. Die weitere Zerstörung des Alpenraums ist damit absehbar. Das kann niemand wollen, weshalb die Frage nach dem Winterurlaub in postfossilen Zeiten ja ihre Berechtigung hat. Die stellt sich im Übrigen nicht nur für den Winterurlaub, sondern auch für die Sommerfrische. Aber die kommt ja erst…

Neben diesen eher grundsätzlichen Grübeleien, war es aber eine rundum erholsame Woche mit Spaziergängen im Sonnenschein, gutem Food regionaler und handwerklicher Erzeuger und leckeren österreichischen Weinen!

Alle Räder drehen sich, weil sie sich drehen sollen…

Montagmorgen. 6:00h. Workshop mit einer Fertigungsgruppe zum Thema „Gesundheits-KVP am Arbeitsplatz“. Es geht darum in einem selbstorganisierten Prozess gesundheitsförderliche Maßnahmen am Arbeitsplatz zu definieren. Und das alles nach einem inspirierenden Wochenende in Tutzing , wo es um die erfolgreichen Wege zur Transformation gegangen ist. Natürlich hängt mir das nach. Und natürlich frage ich mich, ob ich mit der Priorisierung der Mitarbeitergesundheit zur Optimierung der Verwertungsbedingungen im Sinne von „Business as Usual“ beitrage oder schon einen kleinen Schritt zur Transformation gehe, weil die Mitarbeiter lernen sich selber und ihre Gesundheit ernst zu nehmen und auf Lebensqualität zu achten.

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Blick auf den Starnberger See

Es war eh sehr beeindruckend, dass im Laufe der Tagung immer klarer wurde, dass die soziale und die ökologische Frage zusammengehören wie eineiige Zwillinge. Die soziale Frage lautet dabei eben nicht nur, wohin mit der Arbeit, wenn die Ressourcen knapp werden oder schon dann, wenn wir es eventuell früher schaffen, auch Industrie und Wirtschaft nicht nur ob des Ressourcenverbrauch beim Herstellen, sondern im Hinblick auf Produkte und Konsum ökologisch auszurichten.

Es geht vielmehr um das gute Leben, jenseits von Konsumterror, Leistungswahn und der Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche. Und da gehört Gesundheit doch unbestritten dazu. Bin ich also doch richtig unterwegs, oder? Wahrscheinlich schon, denn die Transformation ins Postfossile ist ja mehr als der Verzicht auf fossile Brennstoffe, sondern es ist eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, weil diese Gesellschaft auf reichlich, billigem Öl gebaut ist.

Diese Umwälzung in all ihren Facetten zu erfassen, ist schier unmöglich, aber Jeder und Jede kann aus seinem Umfeld dazu beitragen. Und knapp 100 TeilnehmerInnen haben sich deshalb ein Wochenende lang auf die Suche nach Wegen zur Großen Transformation gemacht, und mussten dann feststellen, dass es diese Wege (noch) nicht gibt, sondern höchstens einige Gleise in die richtige Richtung gelegt werden können, was im Rahmen der Tagung auch geschah. Schön war aber dabei das Bild des Schmetterlings, der in einem nicht linearen System mit seinem Flügelschlag auch ein Gewitter auslösen kann. Das hat – mir zumindest – trotz der Größe der Herausforderung die Zuversicht gegeben, dass sich unser Tun schon lohnen wird. Es lohnt eben auch das Kleine, scheinbar Private und Individuelle.

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Blick über den Starnberger See

Aber es gilt natürlich auch die großen Räder zu drehen. Energie-, Mobilitäts- und Industriewende wurden beispielhaft verhandelt und lebhaft diskutiert. Überall gibt es bereits gute Ansätze, aber dem Auditorium war immer anzumerken, dass es eigentlich zu langsam und in zu kleinen Schritten voran geht. Das war besonders dem Vortrag zu Friedenspolitik und Transformation anzumerken, der auf beklemmende Weise deutlich machte, dass bereits heute Kriege geführt werden und Menschen sterben, weil Ressourcen, sei es Öl, sei es Wasser, knapper werden.

Große Räder, die sich drehen. Kleine Schritte, die getan werden, Schmetterlinge, die fliegen. 100 Leute, die an einem Wochenende in Tutzing Gleise in Richtung Große Transformation gelegt haben. Es war inspirierend und ermutigend. Die Tagung hat Kraft gegeben an der Selbstverliebtheit des „Business as usual“ zu kratzen. Und diese Kraft ist auch an einem Montagmorgen um 6:00h zu spüren…