Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 1

Den ersten Arbeitstag nach dem Sommerurlaub mit einem Tagungsbesuch, der bis Freitag dauert, zu beginnen, war nicht beabsichtigt, hat aber ganz unbestreitbar was von Klassenfahrt und Exkursion. Und weil ich nunmal Gymnasiumer bin, trage ich es mit Fassung und Würde. Es geht nach Jena zur Abschlusskonferenz des DFG-Sonderforschungskollegs zur Postwachstumsgesellschaft, die unter dem Motto „Great Transformation – Die Zukunft moderner Gesellschaften“ steht. In dem Thema bin ich ja halbwegs zu Hause und so geht es gut gelaunt mit der Bahn nach Jena, wie der Sport-LK in den Ski-Kurs. Die Bahn ist pünktlich. So kann ich in Ruhe die Unterkunft beziehen und die Nachbarschaft erkunden. Das ist auch nötig, weil ich nicht im Hotel unter bin, sondern mir für die vier Nächte ein City-Appartement geschossen habe und so freie Bahn für die Erkundung der  regionalen Lebensmittelszene habe. Nun ist Jena nicht so groß, im Umfeld von 800 Metern werde ich fündig (mehr als das, da ist hie und da in den kommenden Tagen nochmal ein Blick zu riskieren) und nachdem das verstaut ist, geht’s zur Anmeldung.

Das klappt gut und ich frage mich warum auf den Buchungsbeleg, am besten Digital (wegen den Bäumen und der Umwelt), soviel Wert gelegt wird, wenn’s doch klappt. Auf Nachfrage kriege ich die universitäre Antwort: Zu Viele Anmeldungen nach Anmeldungsfrist… Lovely.

Da das Volkshaus, wo die Auftaktveranstaltung stattfindet, und der Anmeldeort a bisserl auseinanderliegen, was denen die lesen können bekannt ist, denen die irgendwie anders akademische Würden erreicht haben nicht – oder verpeilt sind -, habe ich ne Menge Spaß mit Rucksäcken, die rein und wieder rausgetragen werden, weil die Security keine Gnade kennt. Dass ich pünktlich im Saal sitze, aber alle anderen das Ding mit der Viertelstunde noch im Blick haben, ärgert mich dann wiederum etwas. Dann geht’s los. Die Veranstaltung wird mit zwei Klarinetten (ich glaub das waren Klarinetten) eröffnet, die improvisierten, wobei wohl wichtig war, damit musikalisch das Thema des Unübersichtlichen deutlich wurde. Ich sag das jetzt mal so. Von sowas habe ich keine Ahnung.

Und dann moderiert Frau von Thadden von der Zeit, also dem Hamburger Wochenblatt, den inhaltlichen Teil klug und journalistisch kurz an und Minister Tiefensee spricht sein Grußwort genau wie der OB der Stadt. Alle beiden sind hocherfreut, dass es Sozialwissenschaften gibt, die sich des Themas Transformation, das sie selber offensichtlich ratlos lässt, annehmen. Ein weiteres Grußwort kommt dann von Prof. Silke van Dyk, die herzerfrischend offen darüber spricht, wie sehr die Faktizität der Naturwissenschaften und die Krise des Kapitalismus schon 2008 die Soziologie belebt hat und wie das DFG-Kolleg die Soziologie in Jena befruchtet. Das höre ich sehr gern, weil ich mich da manchmal schon recht alleine fühle, wenn ich Ingenieure, Kaufleute und Naturwissenschaftler mit dem zutiefst Menschlichen bzw. Gesellschaftlichen ihrer Themen vertraut machen darf. Eine weitere schöne Geste, ist der gemeinsame Auftritt von alter und neuer Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, weil die eine die Gründung und die andere nun den Abschluss dieses Forschungskollegs verantwortet hat. Die eine fängt an, formuliert ihren Standpunkt, übergibt freundlich und die andere formuliert ihre Position. Ohne Schärfe. Ohne Häme. Frauen halt. Tolle Geste.

Dann dürfen Klaus Dörre und Hartmut Rosa als Direktoren des Kollegs mit ihren Grußworten ran und – ganz im Sinne des Forschungsprogramms – steht eine Vertreterin des Klimaratschlags der students for future mit auf der Bühne. Dörre beginnt und erzählt die Geschichte des Kollegs. Das macht er gut und flicht ganz nett ohne explizit zu zitieren, die Gleichzeitig des Ungleichzeitigen ein. Im Anschluss dann die Studierende, die begleitet von einem Wahnsinnsapplaus der anderen Studierenden des Klimaratschlags, die Bühne betritt und zunächst mit Leichtigkeit über sich und ihren Weg zu den schweren Themen und dann über den Ratschlag und seine Beschlüsse berichtet. Und dann habe ich Pipi im Auge. Erstens hat es wohl auch in Siegen, my hometown, eine studentische Vollversammlung zum Klimawandel gegeben und dieser Klimaratschlag aus bundesweit mehreren Hochschulen hat tatsächlich beschlossen, eine alternative Vorlesungswoche zu organisieren, in der die normalen Vorlesungen ausfallen sollen und stattdessen gemeinsam und interdisziplinär dem Thema Klimawandel gewidmet werden soll. Ich fühl mich mindestens 25 Jahre jünger in einem StuPa-Raum sitzend…
Und bleibe etwa in dem Alter als Hartmut Rosa mit Verve und Leidenschaft das Forschungsprogramm und die Themen einer Soziologie des 21. Jahrhunderts unters Publikum jubelt. Es ist ihm genau wie Klaus Dörre anzumerken, dass sie in den vergangenen Jahren im Jenaer Kolleg tatsächlich methodisch, wissenschaftsorganisatorisch/-methodisch und politisch viel geschafft haben. Er faltet rhetorisch das Programm der kommenden Tage auf, wo es neben Vorträgen und Workshops, auch Konzerte, Wanderungen, Müllkippenbesichtigungen und Yoga gibt, die eigentlich für nichts anderes stehen als eine neugierige Soziologie, die Gesellschaft verstehen und nicht analysieren will, weil es das tiefe Verstehen braucht, gerade in Zeiten der Transformation.

Deshalb hält wohl auch ein Wirtschaftswissenschaftler den eigentlichen Festvortrag. Prof. Dr. Branco Milanovic stellt seine spannenden Überlegungen zur sozialen Ungleichheit vor und gibt der soziologischen Ungleichheitsforschung zunächst mal richtig was vor den Latz. Denn: Wer nur im nationalen Maßstab soziale Ungleichheit anschaut, verkennt das Karl Marx die „Proletarier aller Länder“ nur deshalb vereinigen wollte, weil der – als guter Ökonom – wusste, dass zu seiner Zeit die Proletarier_innen in England genauso arm waren, wie die in Indien. Das hat sich dann aber geändert, weshalb es heute gilt über globale Ungleichheit nachzudenken, ohne die volkswirtschaftliche, also nationale Dimension außer Acht zu lassen, weil die nämlich bewusstseinsbildend ist. Ich habe heute den Unterschied zwischen global und international gelernt. (Es lohnt sich drüber nachzudenken). Zum Abschluss stellte er noch zwei grundsätzlichere Überlegungen vor.
Zunächst geht es um den schlichten Appell die Verringerung sozialer Ungleichheit im globalen Maßstab nicht als Gewinn in der Transformation zu sehen, weil er dem rising east und dem zunehmenden Wohlstandgewinn in Asien, der leider nicht in Yoga, sondern in Konsum aufgelöst wird, geschuldet ist.
Und zweitens macht sich der Ökonom den Spaß und indexiert das steigende Wohlstandsniveau Asiens auf 100 und rechnet die anderen Weltregionen in Relation. Ich sag mal so. Das sieht nicht gut aus, ist aber fundiert und hat mehr mit dem Wachstum Asien als mit Deppigkeit Europa zu tun. Ich mach mir also Gedanken, wie wir eine Postwachstumsgesellschaft in Westeuropa stark machen und die so cool machen, dass auch die Inder_innen kein Hühnchen mehr wollen (Der Fleischkonsum in Indien steigt gerade wie doof, wegen mittelschichtigem Status „Wir gönnen uns ja sonst nix“ – Kram). oder die Inder kommen wieder vintage und traditional drauf und die Europäer_innen entdecken deshalb auch ihren Kloß mit Sauce ohne Schweinebraten wieder…
Dann ist seine Zeit um, er hat ein paar Hausaufgaben verteilt und ich bin auch mit guten Anregungen reichlich bedient.

Also heim. Thüringische Brotzeit und n Schoppen von der Unstrut.
Regional rules! Und morgen geht’s ja weiter…
Freundschaft!