86. Etappe: Belorado – Atapuerca

Ich bin heute schon um Punkt 8:00h auf der Strecke gewesen, weil es relativ lang geht und gegen vier dann auch richtig heiß werden soll. Also gilt es die Kräfte gescheit einzuteilen, viele Pausen zu machen und trotzdem vor der großen Hitze im Zielort zu sein. Deshalb geht es ohne Kaffee los, vor allem aber ohne diesen frischgepressten Orangensaft, den es hier allerorten gibt. Das ist ein Vitaminlieferant wie ich ihn mag, vor allem schön gekühlt. Herrlich. Gesund kann auch gut schmecken.

Die Strecke führt zunächst durch den Ort, der offensichtlich hauptsächlich vom Tourismus lebt. Das ist also rasch durchschritten und es geht zunächst weiter durch wogende Kornfelder, aber ohne überwältigendes Panorama, eben weil es voll flach ist. Nach anderthalb Stunden ist ein Boxenstopp fällig und die Kaffee/Orangensaft-Kur wird nachgeholt. Frischgestärkt geht es dann wieder anderthalb Stunden bis Villafranca – Montes de Oca, wo eine frühe Mittagspause eingeplant ist. Die Bars an der Durchgangsstraße sind allerdings wenig einladend und ich mache mich schon auf das Schlimmste gefasst, als ich im Bergauf rechts in einen schönen Biergarten gucke, der zu einem Hostal gehört. Dann gibts da auch ne Bar zum Garten, denk ich mir und betrete dieses Kleinod. Richtig gedacht. Eiskalte Cola und ein Bocadillo mit Lomo, das ist ein Sandwich mit Minutenschnitzeln und eingelegten Paprika belegt. Der Hammer ist aber das Brot, eine Art Chiabatta, ich denke mit a weng Maismehl. So gut, daß ich nachfrage. Das Brot, das natürlich das Beste der Welt und wird so nur in den Bergen, die Nord-Süd verlaufen, gebacken und ich, der ich in Ost-West-Richtung unterwegs bin, hab nun keine Gelegenheit zur Verkostung mehr, weils direkt nach dem Biergarten steil bergauf geht und ich die Montes de Oca übersteige.

Es geht nun durch ausgedehnte Waldgebiete, die reichlich Schatten bieten, was bei dem mittäglichen Sonnenstand eine feine Sache ist. So mittendrin wird dann ein Monument angekündigt, also ein Denkmal, was am Jakobsweg nichts außergewöhnliches ist. Es entpuppt sich dann aber als was ganz Besonderes, weil es sich um ein Denkmal für ermordete Republikaner handelt, die dort wohl 1936 erschossen wurden. Ihre Gebeine wurden erst 2011 ausgegraben, also 75 Jahre nach der Tat und etwa 35 Jahre Jahre nach Francos Tod. Das kann als weiterer Beleg für die mangelnde und verspätete Aufarbeitung dieser Jahre in Spanien gewertet werden, aber meine Gedanken sind woanders. Rucksack bei Seite stellen, Fahne rausholen, flaggen und den Toten die Ehre erweisen, die ihnen gebührt. Das die Rast machenden Wanderer komisch gucken, stört mich nicht. Das mich niemand anspricht schon eher. Nach 20min ist die kleine Feier aber auch vorbei.

Es geht weiter durch den Wald und zwar 12km. Einziger Lichtblick ist die Oasis de Camino, eine von einem Hippiemädchen betriebene Versorgungsstation mit Hängematten und Kaltgetränken. Kaltgetränk nehm ich, Hängematte ist für andere. Auch wenn mir die chillige Musik nach einer Zeit auf den Wecker geht, ist das ein netter Fleck Erde, wo man es eigentlich aushalten kann. Eigentlich. Weiter gehts auf breiten Forstwegen durch den Wald und ich begegne einer leibhaftigen Schlange. Lebend. Schwarz mit  voll gefährlichen Zackenmustern. Aber sie tut mir nichts, ich tue ihr nichts und alles ist gut. Dann hat es sich mit dem Wald und vor mir tut sich eine schier endlose Ebene auf. Im nächsten Örtchen ist auch das erste Mal auf einem Transparent die Rede von Don Quichote, dessen Wirkungskreis ich mich wohl allmählich nähere. Und im übernächsten Ort bin ich dann endlich am Ziel. Kurz nach Vier. Eine Casa Rural, also ein umgebautes Bauernhaus. Ich erhalte ein schönes Zimmer mit Holzfußboden, aber bevor es Richtung äußerlichen Anwendungen geht, will ich erstmal ein schönes, kaltes Bier. Also werden die Wandertreter gegen die Crogs getauscht, der Gastraum betreten, ein Bier bestellt und ein schattiges Plätzchen auf der Terasse gesucht. Gefunden und gefunden worden von einer Wanderin aus Dortmund, Typ alleinerziehende Hausärztin im Ruhestand. Schön an diesen Ruhrgebietsgewächsen mit Haaren auf den Zähnen ist ja, daß der Small Talk auch schonmal derber geführt werden kann. Passt zum Bier und macht Spaß, aber mein Körper schreit nach Bad und Liege. Also verabschiede ich mich. Als die gute Frau schnallt, daß es in der Butze auch Einzelzimmer für kleines Geld gibt, sie aber im Schlafsaal unter ist, kriegt sie Schnappatmung. Naja, kann ich nich für… würde man in Ewing wohl sagen. ☺

Das Dorf ist eigentlich zu klein für einen anständigen Corso. Trotzdem ziehe ich los, entdecke einen Minimercado und fülle meine Nektarinenvorräte wieder auf. Und weil sich sonst nichts anbietet, esse ich im Resto der Unterkunft, was sich als gute Wahl erweisen soll. Zunächst gibt es eine Linsensuppe mit kleinen Berglinsen, die diesen nussigen Geschmack haben und in Italien aus Norcia, in Frankreich aus Le Puy und in Deutschland von der schwäbischen Alb kommen. Wo es die in Spanien gibt? Keine Ahnung. Die Einlagen in der Suppe sind Morcilla und Chorizoscheiben, die hier schon wieder anders schmecken, als im Baskenland und im Rioja. Alles gut. Und es soll besser werden. Lammkoteletts, wie ich sie schon lange nicht mehr oder noch nie geschmeckt habe. So gut, daß ich die Finger nehme, um auch den letzten Fitzel Geschmack mitzunehmen. In einer Casa Rural geht das eventuell, aber es ist soooo gut, daßmir das eigentlich egal ist. Dazu gibt es gegrillte grüne Chillies und Bratkartoffeln. Dazu einen weißen Verdejo, einer Rebsorte, die sich gerade in meine Top Ten spielt. In der Regel echt guter Stoff!

Ich glaub, ich frage mal, ob es noch son Viertele gibt und setz mich noch was auf die Terasse. Gegessen habe ich nämlich drinnen, wie die Spanier und ein Franzosenpärchen auch, weil es abends halt die Zeit ist, wo Mücken und Fliegen unterwegs sind. Davon bleib ich lieber unbehelligt. Und dann werde ich nochmal was zu Nizza und dem Putschversuch oder der Inszenierung eines Putschversuchs lesen. In was für einer bekloppten Zeit leben wir eigentlich? Naja, ob sie so bekloppt ist? Ein lieber Freund zitiert dazu gerne R.E.M „It’s the end of the world as we know it“ und meint damit das unaufhaltsame Ende einer Politik der fossilen Nichtnachhaltigkeit. Was wir, denke ich, in dieser Diskussion völlig unterschätzt haben, sind die gewalttätigen und perfiden Formen, die das Rat Race um den letzten Tropfen Öl, den letzten Euro und den letzten Profit annehmen wird und welchen ideologischen Überbau sich diese Auseinandersetzung sucht. Das lohnt sich doch, drüber nachzudenken. Und zwar unter Spaniens Himmel. Wo sonst?

Nachtrag. Bei der Rechnung hat sich der Kollege zu meinen Gunsten verrechnet. Als ich das moniere, freut er sich einen Ast, weil ihm das schon lange nicht mehr passiert ist. Also das sich jemand meldet, der zuwenig bezahlt hat. Und das bei den ganzen PilgerInnen… ?