Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, aber ich habe die heutigen 33km in 7,5h inkl. zwei 20-minütiger Pausen runtergerissen. Und nun hock ich hier und bin immer noch ein bisserl geflasht, weil das für jemanden, der die Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen von einigen wohlmeinenden Oberstufenschülern quasi geschenkt bekommen hat, so schlecht nicht ist. Der im Wanderführer als geschäftig beschriebene Zielort ist enttäuschend ruhig, also sitze ich auf der Terasse der Dorfkneipe und schreibe vor mich hin.
Es ging heute auch schon früh los, weil es ja ein langer Tag werden sollte. Und so stand ich um 8.00h in den Startlöchern und los gings. Saugues, diesen echt netten Etappenort, hab ich schnell hinter mir gelassen und so ging es dann weiter durch die Margeride, dieser eher kargen Hochebene, die a weng was von der Rhön hat, Richtung Col de Hospitalet auf 1300m Höhe. Da ich mitten durch Partisanengebiet marschier… äh wanderte, kamen mir nicht nur einschlägige Gedanken, sondern auch Hits und Schlager der Arbeiterbewegung über die Lippen, hab vor mich hingesungen. Bei „Drum links, zwei, drei, wo dein Platz Genosse ist“ und dem Lied des Thälmann-Batallions gehts halt dann auch flott voran, äh vorwärts…
Die Gegend durch die ich nämlich gerade gehe, war im Juni 1944 Schauplatz erbitteter Kämpfe zwischen dem Maquis und der Restistance auf der einen Seite und den Nazis auf der anderen. Der Maquis wollte mir rund 11000 Männern und Frauen seinen Beitrag zur Befreiung Frankreichs leisten und durch die Aktionen erreichen, daß die damit gebundenen deutschen Truppen den Vormarsch der Allierten nicht behindern konnten. Und das ist ihnen auch gelungen, wenn auch unter großen Opfern. Die Hoffnung die Faschisten mit den eigenen Waffen aus dem Land zu jagen, hat sich leider nicht erfüllt.
Daraus weiter denkend und singend ging es dann um die Möglichkeiten sozialer Veränderungen in Zeiten digitalisierter Überwachung, die ja beispielsweise die revolutionäre Zusammenrottung von 11000 Männern und Frauen alleine schon über deren digitalen Bewegungsprofile und falls die so blöd wären, sich außerhalb einer Metropole zusammenzurotten, schon mit Hilfe einer Wärmekamera auffliegen lassen würde. Also bleibt nur das Wort und dieTat. Mir ist dabei immer der Spruch einer lieben Freundin durch den Kopf gegangen, die behauptete, daß Unterdrückung manchmal so subtil sei, daß man sie gar nicht merkt. In der Umkehrung wird, stelle ich mal so in den Raum, ein Schuh draus. In digitalen Zeiten muß der Anspruch an gesellschaftlichen Fortschritt ungebrochen hoch sein, aber die Projekte zu seiner Umsetzung müssen anschlußfähig, also subtil gestaltet sein, was nicht heißt, daß sie nicht provozieren sollten. Ansonsten, also unter 10000 likes bei fb, droht soziale Isolierung und Repression, was keiner wollen kann.
Mit all diesen Gedanken im Kopf nähere ich mich singenderweise dem Etappenort und stellte fest, daß ich mich mittlerweile in der Region Languedoc-Roussillon/Midi-Pyrenees befinde, was sich doch schon deutlich nach Süden anhört. Ist das schön. Und ein Zimmer hab ich auch. Alles gut. Und es sollte noch besser kommen. Beim abendlichen Essen habe ich einen 67-jährigen Iren kennengelernt, mit dem ich die Themen des Tages reflektieren konnte, weil er sich historisch und politisch interessiert zeigte und die Fragen der Repression im Irland der 70ger Jahre am eigenen Leib erfahren hat. Ein schöner Abend und mein Englisch wurde immer fluffiger. Die Übung machts! ☺
Ach Klaus, du schreibst so fein, man meint, an deiner Seite zu wandern.
Weiter so.
Ich mag noch gaaaaanz viel lesen und an deiner Seite weilen…?
Oh, schon im Languedoc angekommen….da bekomme ich gleich ein wenig Sehnsucht nach Südfrankreich. Trink ein gutes Schlückchen für mich mit und freue dich deines Erfolges heute! Ich grüße dich aus der Lüneburger Heide…da bin ich zufällig gerade mit Marion gelandet 🙂 Bettina
… mit einem roten Stern am Hut…
Seit gestern, lieber Klaus, sind mir ständig die Melodien im Ohr – oft auch Ernst Buschs markante Stimme…
Und immer wieder sehe ich Dich vor meinem inneren Auge Richtung Spanien marsch… äh, wandern. Also:
… darum vorwärts, vorwärts Bolschewik…