Das es anders werden würde, habe ich gestern schon geahnt. Die Stadt war voll mit Rucksackleuten, die dem Interrailalter längst entwachsen waren und trotzdem was Aufgeregtes an sich hatten, das ich nicht ganz einordnen konnte. Ich war aber auch mit meinen Erledigungen beschäftigt. Die eingesammelten Devotionalien nach Hause schicken, einen neuen Stempelausweis organisieren und neues Duschzeug brauch ich auch, weil das Alte bei der gestrigen Waschorgie draufgegangen war. Als ich durch die Stadt hektike, fällt mir ein Schild auf: Monument national de Resistance et Maquis suivre blablabla. Ein Verkehrsschild, das die Richtung weißt. Man möge sich das in Deutschland vorstellen. „Nationale Gedenkstätte für die Edelweißpiraten, den kommunistischen und christlichen Widerstand und die paar Offiziere, die kurz vor Schluß noch nen Arsch in die Hose gekriegt haben, fährste am besten über A-Hausen und B-Dorf“ Irgendwie unvorstellbar. Also gegoogelt was das ist und wo das ist. Und tatsächlich gibt es am Mont Mouton eine nationale Gedenkstätte für die Restistance und den Maquis. Also hin zum Tourist Office und gefragt, wie weit das ist und ob da ein Bus fährt. Fährt nicht. Doof, aber die Damen waren sehr hilfsbereit und sagten die Hertzens seien um die Ecke. Ich bin dann um die Ecke und hab mir einen Kleinwagen für n paar Stunden geliehen, was nicht die Welt gekostet hat. Insgesamt komm ich eh immer mehr dahinter, daß man sich für den Preis eines Neuwagens ganz viele Jahreskarten und auch ganz oft einen Leihwagen leisten kann.
Und dann bin ich rund 50km schön über Land gefahren und habe diese Gedenkstätte angeschaut. Schöne Denkmäler, die alle für sich ein buntes Bild des französischen Widerstands im zweiten Weltkrieg bilden. Die schiere Größe der Veranstaltung zeigt die Bedeutung, die das Narrativ der Selbstbefreiung für die französische Republik in der Nachkriegszeit spielte und anscheinend immer noch spielt. Und aus dieser Beobachtung heraus frage ich mich erneut, warum es im westdeutschen Nachkriegsdeutschland nicht wenigstens den Versuch gab, widerständige Narrative als Deutungen der Staatsgründung zuzulassen und die ostdeutschen KollegInnen nicht die Größe gehabt haben, fast jede und jeden ein bißchen im Widerstand gewesen lassen zu sein, sondern mit harter Hand und kaltem Herz gerichtet haben. Das hat die französische Republik, bei all dem Kladderadatsch, der da auch zwischen 1933 und 1945 gelaufen ist, anscheinend irgendwie anders hingekriegt. Wahrscheinlich kommt man besser klar, wenn jede und jeder um die Leichen im Keller des anderen weiß.
Leider konnte ich diesen Gedankengang nicht in einem Museumsbesuch vertiefen, weil das Museum zu hatte. Ich witterte eine neoliberale Verschwörung, wurde aber von meinem polyglotten Freund Frank Talky Regente beim Telefonieren anläßlich seines Geburtstags, darauf hingewiesen, das Museen in der Regel Montags zu haben. Ich werds mir merken, obwohl mir Frankreich montags eh ein wenig gelähmt vorkommt. Da haben nämlich viele zu, die sonntagsvormittags auf haben, Metzger und Gemüsedealer. Und EinzelhändlerInnen, die sich samstags bis abends reinhängen. Aber eben nicht alle, sondern jeder so wie er meint. Ob das damit zusammenhängt, daß da bislang die Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht so unter Druck geraten sind, wie in Deutschland? Und wer seine Stunden voll hat, muß halt mal zuhause bleiben. Die französischen KollegInnen kämpfen auf jeden Fall nach wie vor tapfer dagegen, daß es so wird wie bei uns.
Ich fahre dann also ohne Museumsbesuch wieder Richtung Le Puy und genieße das Autowandern. Das ist schon auch eine feine Sache mal eben 100km abzureißen. Halt. Ich wäre ja viel zu früh bei Hertzens, wenn ich jetzt durchfahre, weil der eben auch bis 14.00h Mittagspause macht. Also? Essen gehen. Nächster Ort. Rein ins Resto und erstmal anständig und mit Zeit gegessen. Das ist echt schön, da mitten unter berufstätigen Menschen zu sitzen, denen aber kein Unterschied zu mir anzumerken ist, weil die sich für diese Pause und fürs Essen eben alle Zeit der Welt lassen. Das ist etwas, was ich sehr vermissen werden, wenn ich wieder da bin.
Das Auto ist dann abgegeben und ich streife ein wenig durch die Stadt. Es ist schon interessant, wie sehr sich dieses St. Jacques-Thema und die Pilgerei in diese Stadt eingefräst haben und wie sehr es das Stadtbild prägt. Naja, und irgendwie gehöre ich ja dazu, aber ich kann nicht wirklich eintauchen. Da ist mir vieles zu konstruiert, zu beseelt und zu sehr darauf abgestellt, aus diesem Weg ein Abenteuer zu machen. Und das ist es nicht! Es geht durch Westeuropa. Überall Unterkunft, überall Essen. Keine vollständig andere Kultur und mit Deutsch, Englisch, Küchenfranzösisch und ein paar Brocken Spanisch kommste durch. Also kein Vergleich zu dem Weg, den derzeit andere Menschen auf sich nehmen müssen. Neue Sprachen, neuer Kulturkreis, kein Essen und nix über booking.com. Das machen gerade die Refugees, was nicht vergessen werden soll… All das beschäftigt mich mehr und mehr beim Schlendern durch die Stadt und ich beschließe den Stadtrundgang sehr nachdenklich.
Ich geh in meiner Unterkunft noch eine Kleinigkeit essen und bin mehr als zufrieden. Einen Salat mit Linsen, der mit Piment und Dill (spain meets scandinavia) abgeschmeckt war, dazu ein geräucherter Lachs, der das Ganze abrundete. Ich lag auf jeden Fall zufrieden im Bett und hab dann auch prächtig geschlafen, weshalb es morgens zeitig und bei bestem Wetter losging. Raus aus der Stadt, heißt wieder schnell an Höhe gewinnen und schön zurückschauen können in diesen Talkessel. Der Blick gehörte mir leider nicht alleine, weil echt eine Menge Leute unterwegs waren. Und das blieb den ganzen Tag bei einem eher entspannten Gang über die Hochebene so. Zwischendurch hats auch gedonnert und geregnet, aber das hat den Weg nicht leergefegt. Die anderen Wanderer sind jetzt da…
Das muß mir ja nichts ausmachen. Ich gehe mein Tempo. Das ist mein Weg. Das ist mein Mantra, und ich will es lernen. Ich wil mich nicht über andere aufregen, will jeden so lassen, wie er ist und echt entspannt bleiben. Das habe ich mir wirklich vorgenommen. Aber das ist so schwer. Es gibt Charaktermasken, die mich vor 35 Jahren schon genervt haben und das bis heute tun. Und die haben, so scheint mir, diesen Weg ab Le Puy für sich entdeckt (Mir graut gerade vor Spanien und ich hoffe auf die wohltuende Lebensfreude von Engländern und Spaniern). Um wen geht es? Hm, wie sag ich das denn? Wut, Trauer, Betroffenheit? Weißte Bescheid. Oder beim Abendessen zweimal den Wein umschubsen und beim Käseschneiden das Messer mit der stumpfen Seite ansetzen? Weißte Bescheid. Nach einem Tag aufm Weg schon drüber quatschen, was das Pilgern mit einem macht? Weißte Bescheid. Und damit ist auch gut. Das bleibt jetzt wohl rund zehn Tage so, dann bricht das wieder ab und da komm ich durch. Ich komm da durch. Ommm.