49. Etappe: Retournac – Vorey-sur-Arzon

Heute gehts an der Loire entlang, die sich derzeit zu meinem französischen Lieblingsfluß mausert und der Gedanke mal mit dem Auto von der Quelle bis zur Mündung diesem Gewässer zu folgen und hie und da Rast zu machen, hat eindeutig was für sich. Rund 1000 Flußkilometer sind in etwa 10 Tagen zu machen, zwei Tage Anreise, zwei Tage Heimreise und fertig sind 14 Tage Erholung. Noch bin ich aber zu Fuß unterwegs und der Weg führt steil vom Ufer weg in die Berge. Das garantiert schöne Ausblicke, vor allem auch weil gutes Wetter ist und die Sonne scheint.

Die schönen Ausblicke habe ich auch, aber zwischendurch bimmelt das Telefon und ich bin erstmal wieder raus. Fluch und Segen der Digitalisierung. Es ist schön ein- und angebunden an das Geschehen bei Euch zu bleiben, aber es stellt halt auch eine Herausforderung dar, der ich mich gerne stelle, weil ich ja auch wieder heim will. Und daheim ist Zuhause, auf der Arbeit, bei fb, im Freistaat, bei der IG Metall, bei den Kickers und in Siegen… Ihr wisst, wer ihr seid!

Ich komme wieder ans Ufer der Loire, ein kleiner Ort mit Bar-Tabac und einer Boulangerie, der mir gerade recht kommt, weil das Petit Dejeuner in der Unterkunft leider wegen voll verpennter Wirtin im Morgenmantel ausfallen musste, die sich tausendmal entschuldigte, aber anscheinend ist immer die Hölle los, wenn sie ihr Couscous Royale feilbietet. Und das hat sie gestern gemacht. Deshalb kein Frühstück für mich. Aber die Bar hat nen guten Kaffee und die Bäckerei ein Ficelle, das ich mir packe und ein Plätzchen am Ufer suchen will.

Es geht bergrunter und vom Uferparkplatz her kommt mir ein alter, braungebrannter Mann mit weißem Bart entgegen und fragt ob er mir helfen kann. Kann er eigentlich nicht, ich weiß ja wo ich lang muß, weshalb ich antworte: Nö, ich bin auf dem Weg nach Compostelle. Darauf fragt er, woher ich komme und ob ich das echt zu Fuß mache. Als ich bejahe, erzählt er, daß er auch schon viel spazieren war, aber das echt n Streifen ist. (Versteh ich zumindest.) Wie ich denn heiße? Klaus. Er: Ich heiß Niklas. Dann denkt er nach und sagt Nikolaus. Selber Name. Kommt um sein Auto herum und gibt mir die Hand. Und zwar so, wie Männer sich die Hand geben. Daumen oben und die Hand um den Handrücken des Anderen gelegt. Danach umschalten und normaler Händedruck. Wir kommen weiter ins Reden und mir rutscht beim Radebrechen ein „Siga, Siga“ raus und er strahlt übers ganze Gesicht und fragt ob ich denn Griechisch könnte, weil er doch Grieche ist. Ich sage Nö, aber das ich „Siga, Siga“, im übrigen genauso wie „Que sera, sera“ für die ganz großen Gesten der Gelassenheit halte. Als er beim Abfragen griechischer Vokabeln nach Retsina fragt, und ich ihm in meinem bekannt holprigen Englisch erkläre, daß ich Retsina für ein Crime an der griechischen Weinwelt halte und die griechische Weinwelt für einen zu entdeckenden Wirtschaftsfaktor halte, weil insbesondere die Weißweine eben auch fränkische Hitzerekorde aushalten, hält er inne und sucht nach einem Wort und nennt mich zunächst Combattant und dann Kopf, weil er nach einem deutschen Wort für jemanden, der sich Gedanken macht, sucht. Combattant hat mir schon gereicht und ich hatte gewiß Pipi im Auge. Er hat den Gedanken mitgenommen, ich hab mich für die Begegenung bedankt und er mir ein D-Day-mäßiges Bonne Courage inklusiver männermäßiger Verabschiedung gewünscht. Wie schön. Genau das hab ich gebraucht, um wieder auf dem Weg zu sein. Wo begegnen einem solchen tiefen Momente im Alltag? Und genau deshalb ist es vielleicht an der Zeit mal an all die zu denken, die mir das hier möglich machen. Daaaaaaannke!

Es geht nun wieder stramm bergauf. Diese Auvergne hat es in sich. Und es geht durch regenfeuchten Wald. Also nix Fernsicht. Bis ganz oben. Und das ist gigantisch. Ich empfinde diese spitzkegligen Berge, offensichtlich vulkanischen Ursprungs als faszinierend und immer noch bedrohlich. Ob das in der Vulkaneifel auch so ist? Wohl kaum, die kommen eben nicht auf 1000Hm. Dann geht es langsam bergab Richtung Tal und prompt höre ich nach etwa einer viertel Stunde ein Donnergrollen. Es beginnt leicht zu regnen und ich beeile mich. Der Donner komt näher und der Regen wird stärker. Etwa eine halbe Stunde vorm Ziel, aber das reicht um richtig nass zu werden, weil ich auf die Regenjacke verzichtet habe. Warum? Wenn es so warm ist, daß du unter der Regenjacke schwitzt, kannste die auch gleich auslassen…

In der Unterkunft dann mal wieder die Begegnung mit der französischen Energiepolitik. Der Heizkörper an dem die Klamotten zu trocknen gewesen wären, indem ich sie dranhänge, bleibt kalt, während der elektrische Hightech-Wärmeerzeuger mit Gebläse auf drei Stangen eine Mörderhitze entwickelt hat. Naja und jetzt hängen meine Klamotten halt auf den Stangen und werden mit französischer Atomkraft trockengefönt. Merde. Aber welche Alternative gäbe es? Keine. Basta. Beim abendlichen Essen gibts zweierlei zu vermelden: Bleu de Auvergne, ein ganz interessanter Blauschimmelkäse, der die Geschmacksnoten immer mit einem Hauch Salz überzieht und so, daß kräutrig-erdige des Käse um eine interessante Note erweitert und einen, man höre und staune, Cote d Auvergne, aus Gamay und Pinot in St. Verny zusammengearbeitet. Das passt alles und da ich nun exactement heute seit zwei Monaten unterwegs bin, gibts wohl noch n Glas…