24. Etappe: Bellemagny – Belfort

Punkt 7:30h habe ich mich auf den Weg Richtung Belfort gemacht. Die Strecke führt ohne viele Höhenmeter durch die Porte d’Alsace oder die von mir ja schon häufiger angesprochene burgundische Pforte. Es ist halt eine Frage von welcher Seite man draufschaut. Insgesamt war das Laufen relativ entspannt, eben auch weil es trocken war und – jetzt kommt’s – die Sonne schien. Es gab herrliche Rückblicke auf die Vogesen und es ging dann flott voran, so daß ich bereits nach fünf Stunden in Belfort eingetrudelt bin.

Hier werde ich nun für drei Nächte bleiben und mich und meine Ausrüstung pflegen, Wäsche waschen und den ersten Mai begehen, der ja für mich immer etwas ganz besonderes ist, seit wir 1992 in Siegen begonnen haben, unseren roten ersten Mai zu feiern. Das ich diesmal nicht dabei sein kann, beschäftigt mich schon seit ein paar Tagen immer wieder mal. Aber ich will es ja nicht anders und der rote erste Mai findet auch ohne mich statt. Basta. Ich bin übrigens auf einem Campingplatz eingecheckt und habe mir ein Mobil Home geschossen, weils zum Zelten nachts immer noch zu kalt wird, für mich zumindest. Außerdem hat der Schlafsack seine angebliche Komfortzone bei mehr als fünf Grad, und die hat es halt noch nicht. Campingplatz hat aber trotzdem den Vorteil, daß es Waschmaschinen gibt und ich mit Hilfe vom Omo die Klamotten wieder sauber und geruchsfrei kriege. Worauf ich mich aber schon seit Tagen wie ein Schneekönig freue, ist die Möglichkeit mir selber etwas zu kochen, womöglich mit frischem Gemüse vom Markt.

Deshalb flaniere ich auch nach Bezug des Mobil Home und der Waschaktion ganz galant Richtung Städtchen um einzukaufen und bei der CGT vorbeizuschauen, denn ich will schon an einer Maiveranstaltung teilnehmen. Das gehört sich nunmal so. Internet sei Dank kriege ich auch die Adresse raus und der Routenplaner führt mich bis zur Haustür. Und siehe da. Freitags nachmittags um fünf sind da noch KollegInnen bei der Arbeit. Ich stell mich als vor, sag, daß ich kein französisch spreche, aber Englisch und Deutsch und wie es denn mit der Manifestation am Dimanche aussähe, weil die nicht in Belfort, sondern in Delle an der französisch-schweizer Grenze. Eine Kollegin kramt ihr Schulenglisch aus und wir kriegen herausgearbeitet, was ich will. Ich bin nämlich einem, wahrscheinlich typisch deutschen, Mißverständnis aufgesessen. Ich habe nämlich gedacht, daß wenn die Verwaltungsstelle in Belfort ist und die Kundgebung in Delle, gewiß Busse von Belfort nach Delle fahren, in Deutschland natürlich mit Lunchpaket. Aber ein Bus hätte mir ja gereicht. Den französischen Kollegen lag dieser Gedanke so fern wie nur was, weil die davon ausgehen, daß die KollegInnen aus den Betrieben das schon selber hinkriegen.

Ich denke, daß ist ein genereller Unterschied zwischen der deutschen und französischen Kultur in Politik und Gesellschaft. In Deutschland ist die Grundhaltung eher paternalistisch, denkt für den anderen mit ( und hält ihn oder sie damit auch klein), was von Bussen mit Lunchpaketen zu einer Veranstaltung, die dreißig Kilometer weit weg ist, bis hin zu Wanderwegsmarkierungen reicht, die alle fünf Meter an einen Baum genagelt werden, damit der deppige Wanderer sich auch ja nicht verläuft. In Frankreich sind diese Markierungen eher selten und auch nicht so systematisch angebracht wie in Deutschland. Das hat mich verunsichert, und macht es immer noch, eben weil, ich ja ein Kind dieses Landes bin. Aber unabhängig davon ist der Gedanke einer weniger paternalistischen Organisationskultur auch als Personalentwicklung zu lesen, weil sich mit den Freiheitsgraden auch neue und andere Wege zu Zielen und verborgenen Talenten ergeben können. Und das wäre doch mal was, oder?

Nach diesem interessanten, aber wenig zielführenden, Gespräch mit der CGT, bin ich dann durchs Städtchen, hab eingekauft und mir dann abends was gekocht, eine Lauch-Paprika-Pfanne mit Spaghetti. Lecker wars, weil eben die Lebensmittel hier von anderer Qualität sind. Dazu einen Riesling von alten Reben aus dem Hause Wolfsberger im Elsass und ein guter Krimi auf dem Tablet. Ein gelungener Abend.

Einfach mal liegen bleiben bis der Arzt kommt, hat ja auch was. Und nicht packen müssen, hat noch viel mehr. Aber irgendwann ist auch gut. Geduscht und ab zum Bäcker. Petit dejeuner mit Butter, die nicht aus dem Eisschrank und in Portionspackungen daherkommt, genausowenig wie die Marmelade. Das ist doch schonmal ein guter Anfang. Dann will ich in die Stadt, weil Samstags Markt ist, komme aber am Campingplatzbetreiber nicht vorbei. Denn der verleiht auch Fahrräder und ich frage mal nach, wie es denn mit der Strecke nach Delle so aussieht. Die findet er prima, weil die Strecke Belfort – Delle im Rahmen der francovelosuisse, einer gemeinsamen Radfahrinitiative von Frankreich und Schweiz, schön zu befahren ist. Naja, und so fahre ich wohl mit dem E-Fahrrad zur Maikundgebung, wenn das Wetter mitspielt.

Dann aber in die Stadt und auf den Markt. Belfort hat eine Markthalle, die Freitags und Samstags, jeweils vormittags, bespielt wird und echt eine schöne Atmosphäre bietet. Gute Lebensmittel gibt es auch und so erstehe ich elsässischen Spargel, Champignons aus dem Jura und Erdbeeren, ähhh, irgendwo aus Frankreich. Die mußten aber sein, weil sie so super ausgesehen haben und jetzt echt Zeit für Frühjahr wird. Ach was, für Frühsommer wirds Zeit. Heute abend gibts also ein Spargel-Champignon-Risotto, wozu der Rest vom Riesling sicherlich gut passen wird. Der hat jetzt einen Tag Luft geholt und sich sicherlich nochmal weiter geöffnet. Nach dem Marktbesuch gibts den obligatorischen Kaffee im Straßencafe, endlich draußen. Ich ziehe meine Runden weiter durch die Stadt, besichtige die Zitadelle, von Altmeister Vauban erbaut und verharre eine ganze Zeit an einer sehr eindrucksvollen Skulptur, die die Befreiung vom Faschismus in ihrer Wirkung auf den Einzelnen, insbesondere die Inhaftierten und Verschleppten spiegelt. Sehr, sehr beeindruckend.

Danach gehe ich ins Quartier und will eigentlich nur mal kurz die Füße hochlegen. Wach werde ich durch das Trommeln der Regentropfen aufs Dach meiner Hütte. Zwei Stunden einfach mal geschlafen. Auch schön. Aber das tote Pferd im Mund muß erstmal weg. Ich geh zum Campingplatzcafe und kaufe mir eine eiskalte Cola. Genau das richtige, um wieder fit zu werden. Dann wird es auch Zeit zum Kochen, was auch ganz passabel gelingt. Wenn die Zutaten in Ordnung sind, kann ja eh eigentlich nicht viel schief gehen. Klappt auch und ich liege früh im Schlafsack.

Es regnet morgens übrigens immer noch, was meiner E-Biketour einigen Charme nimmt. Als ich früh wach werde, ist es immer noch trübe und es nieselt. Folglich liege ich da und kämpfe mit mir. Den ersten Mai virtuell angehen und hier und da ein paar Likes hinterlassen oder es drauf ankommen lassen? Ich habs dann drauf ankommen lassen und bin mit dem E-Bike die 25km nach Delle in wenig mehr als einer Stunde durch den Regen gefahren. Ob des Wetters hatte ich auf dem Hinweg auch keinen Blick für die Landschaft, sondern nur für die Straße und das Fahrrad. Ich muß nämlich gestehen, daß ich bislang nur mal ne Runde über den Hof mit einem E-Bike gedreht habe. Nach der Erfahrung dieser Tour bin ich aber mehr denn je davon überzeugt, daß das Fahrrad das Verkehrsmittel der Zukunft ist. Das ging echt flott voran und war körperlich nicht so anstrengend, daß ich mich verausgabt hätte. Super.

Angekommen in Delle gings dann noch darum, den Startpunkt der Demo zu finden. Das Angebot des Navis war menschenleer, aber mit drei Winkelementen der CGT geschmückt. So ganz verkehrt konnte ich also nicht liegen. Als dann die Gendarmerie an mir vorbeifuhr, bin ich einfach hinterher. Wo sollten die an einem 1. Mai auch anders hin? Und siehe da. Auf dem großen Parkplatz hinter dem namensgebenen Gebäude war dann auch eine erklecklich große Zahl von Kolleginnen und Kollegen und ein Lauti spielte flotte Weisen. Insgesamt herrschte gute Stimmung, auch wenn es regnete. Irgendwann (Da ähneln sich die deutschen und die französischen Bewegungskulturen. Auf dem Plakat stand zehn. Losgegangen sind wir dann um halb 11) gings dann auch endlich los und wo in Deutschland mit diesen trost- und phantasielosen Trillerpfeifen oder, noch schlimmer, Schweigen zu rechnen gewesen wäre, ging es hier mit Gesängen, Sprechchören und Musik durch die Stadt. Das erinnerte mich mehr an einen Stadionmarsch beim Auswärtsspiel, denn an eine politische Demonstration. Ich kenne es aus Deutschland halt anders, zumindest auf der gewerkschaftlichen Seite. Das stellt sich bei sozialen Bewegungen schon a bisserl anders dar, ist aber auch dort häufig von fast spießiger Ernsthaftigkeit und Strenge geprägt. Die französischen Kolleginnen und Kollegen hatten jedenfalls ne Menge Spaß und wirkten trotzdem kämpferisch. Inhaltlich ging es sehr deutlich gegen die Regierung Hollande und ihre Programme, die in den Augen der französischen Gewerkschafter nur Wege in die Prekarisierung der Lohnarbeit und die Spaltung der Gesellschaft darstellen. Am Rande ging es auch um Refuggees und Immigrees. Leider ist mein Französisch ja mehr als bescheiden, so daß ich nicht viel mehr sagen kann. Es gab noch ein Transparent, das sich gegen die Kriminalisierung der Gewerkschaften wendete, wovon ich bislang nichts mitbekommen habe. Da muß ich mal hinterherrecherchieren.

Nach der Rede, die von einer Frau Funktionärin gehalten wurde, war der politische Teil vorbei und es kam dann das, was mir das Wasser ins Auge getrieben hat. Zum Schluß, besser im Nachgang zu ihrer Rede, sagte die Kollegin irgendwas mit Singen und Internationale. Und tatsächlich stimmte der Vorsänger die Melodie der Internationalen an und alle stimmten ein. Ich auf deutsch, die anderen auf französisch. Aber es war ein so schönes und erhebendes Gefühl so weit weg von meinem roten ersten Mai in Siegen Kolleginnen und Kollegen gefunden zu haben, mit denen zusammen ich diese Hymne der Arbeiterbewegung an unserem Kampftag singen konnte. Einfach schön und in Deutschland ja eh undenkbar, daß auf einer Gewerkschaftsveranstaltung das letzte Gefecht nach dem die Sonne ohne Unterlaß scheint angekündigt wird. Obwohl es bei den Brüdern, die zu Sonne und Freiheit wollen, auch eine letzte Schlacht gibt. Die allerdings wird esoterisch als heilig überformt. Naja, mir gefällt es mit der Internationalen besser.

Trotz alledem war mir dann kalt, so daß ich auf den kulturellen Teil leider verzichten mußte und mich auf den Heimweg gemacht habe. Da es mittlerweile sogar aufgehört hatte zu regnen und aufgeklart war, wurde der Rückweg ein Genuß. Landschaftlich reizvoll und vom Baustil schon ein wenig ins Alpine gehend, ging es durch die Hügellandschaft, vorbei am TGV-Bahnhof Belfort-Montebilard an einen Kanal, der mich dann zurück nach Belfort führte. Hier habe ich dann einen gemütlichen Nachmittag verbracht, wenn man von dem Waschen der Hose einmal absieht. Der Kerl der Fahrräder ohne Schutzbleche erfunden hat, sollte sich warm anziehen, wenn ich den mal treffe. Heute abend gibts die Reste vom Risotto und ab morgen bin ich wieder on the road.

4 Gedanken zu „24. Etappe: Bellemagny – Belfort

  1. Hallo Klaus,
    deine Berichte sind intersant und lesenswert. Ich bekomme richtig Lust, dir weiter zu folgen.
    Viele Grüße aus Unterfranken
    Hans

  2. Jeden Tag schön von dir zu lesen; manchmal, wie heute, google ich dann auch Dinge, die Zitadelle zum Beispiel oder das Anti- Fa- Denkmal, um eine bessere Vorstellung zu bekommen….

  3. Ich war schon sehr gespannt wie wohl die alternative zum 1. Mai im Siegerland aussehen wird. Das Wetter in schweinfurt war auf jedenfall besser 🙂

  4. Servus Klaus,
    Lisa und ich verfolgen dich schon seit der ersten Etappe und finden es schön wie du deinen Weg und dein Eindrücke beschreibst. So ein erster Mai in Frankreich scheint auch ein gute Erfahrung zu sein. Wir waren ja heuer nicht beim Kampftag der Arbeiterklasse in Rosenheim wie sonst üblich, sondern zur Erstkommunion unserer Nichte. Wir freuen unsschon auf deine weiteren Berichte und wünschen dir Rückenwind und Sonnenschein

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