61. Etappe: Livinhac-le-haut – Cahors

Die Nacht war wieder mit Gewitter und Starkregen nicht ganz so leise, wie das in dieser ländlichen Gegend sein sollte, weshalb ich mich nicht ganz ausgeschlafen und in klammen Klamotten auf den Weg machte. Es ging wieder aus dem Flußtal, des Lot, hoch auf die Ebene. Nachdem ich im Trockenen losgelaufen bin, hat auch der Regen wkeder eingesetzt und hält sich bis mittags. Nach einer kurzen Einkehr in einem aire de pick-nick, einer Kombination aus Heckenwirtschaft und öffentlicher Sitzgelegenheit, klarte es auf und es zeigten sich blaue Flecken im grauen Himmel. Das gibt der Landschaft natürlich direkt einen anderen Glanz und die Weitsichten sind herrlich, auch wenn ich an der schieren Höhe merke, daß das Thema Massif Central, das mich ja nun seit dem Haute Beaujolais begleitet, also seit einem knappen Monat, sich dem Ende nähert. Das finde ich nicht wirklich schade, weil ich mal wieder was anderes an Landschaft und Gegend sehen und erleben will. Gasgogne, Baskenland und dann, endlich Spanien. All das geht mir durch den Kopf, während ich mich durch regenfeuchte und verschlammte Pfade arbeite, die zum Teil höllisch glittschig sind. Trotzdem komme ich anscheinend gut voran, denn ich bin bereits nach fünf, statt der avisierten sechseinhalb Stunden im Ziel. Ficeac. Ein kleines Städtchen mit ein paar Tausend Einwohnern und deren größtes Verdienst ist es die Geburtsstadt des Herrn Champollion, der die Hieroglyphen entzifferte, zu sein.

Der Weg in die Innenstadt führt an einem Schild Gare SNCF vorbei und ich denke mir, daß Gucken ja nix schadet. Also hin und Fahrpläne studiert und wegen Streikoptionen auch noch das Schalterpersonal befragt. Dann steht der Plan. Ich shuttle nach Cahors, hab morgen einen freien Samstag und kann in der Stadt Markttreiben und Geschäftigkeit in Ruhe auf mich wirken lassen. Der Bus fährt durchs Tal des Lot und klappert da jedes Kaff ab, weshalb der shuttle fast zwei Stunden dauert. Aber das dauert noch, weshalb ich mir Ficeac noch anschauen kann, sowie die erste Halbzeit Italien : Schweden, glaub ich. Dann gehts los. Überlandbus. Alles mögliche muß verladen werden, bevor losgefahren werden kann. Aber dann ist das eine schöne Gondelei durch ein wirklich faszinierendes Flußtal, daß noch viel mehr der Drehort für Chocolat gewesen sein kann, als die Loire.

Gegen halb Acht sind wir dann endlich in Cahors. Ich checke ein, dusche kurz, nur um dann nochmal loszuziehen, weil ich einen brachialen Hunger habe. Und dann bin ich auch wieder über den Punkt hinaus, weil ich nicht den erstbesten Kebab-Laden entere, sondern schnuckig werde, Speisekarten studiere und abwäge. Schlußendlich komme ich in einer Weinbar zu sitzen, die als Tagesgericht geschmorte Schweinebäckchen, mit Reis und Salat anbieten. Der Clou bei den Bäckchen sind mitgeschmorte Aprikosen. Sehr lecker. Und die Weinbar offeriert natürlich die bekannten schwarzen Weine der Gegend, die man entweder sehr jung, also innerhalb der ersten beiden Jahre nach Abfüllung oder nach etwa sieben Jahren trinken sollte, weil der Wein zwischendrin bockelt. Ich habe zum Tellergericht und zum Kaffee danach einen jungen und einen 2004er probiert und muß sagen, daß mir der junge Wein besser geschmeckt hat. Lebensfreudiger. Fruchtiger. Der gereifte Wein hatte was von dem Schwermut, der sich breitmacht, wenn es auf Beerdigungen Erdbeerkuchen gibt. Die Frucht ist da, wird aber überlagert…

Und dann ist der erste Abend Cahors auch schon rum und ich lege mich hin, mit dem coolen Gedanken morgen nicht packen zu müssen. Vielleicht schlafe ich deshalb recht lang? Naja, egal ich habe ja heute Zeit. So komme ich gegen halb Zehn los und nehme als erstes einen Kaffee und ein Croissant in einer Bar. Die Markthändler haben schon aufgebaut und das bunte Markttreiben nimmt seinen Lauf. Gemüse und Obst, Käse, Fleisch und Wurst, Brote und Fisch. Alles von augenscheinlich guter Qualität, auch wenn es eben nicht so standardisiert und fleckenfrei daherkommt, wie im Supermarkt bei uns. Aber es sind ja nun auch Naturprodukte. Wenn da alles gleich aussieht, ist was faul. Mir machen solche Märkte einen Riesenspaß, vor allem auch, wenn es eine intakte Markthalle gibt. Eine Markthalle ist als Ort der sozialen Begegnung und der guten Lebensmittel mit Geld nicht zu bezahlen. Wohl den Kommunen, die eine haben.

Gegen Mittag stellt sich Hunger ein und ich entscheide mich auf dem Markt ein halbes Hähnchen vom Bauernhof (label rouge) zu kaufen und dazu diese unvergleichlichen in Hühnerbrühe/-fett gegarten und mit Kräutern gewürzten Kartoffeln haben zu wollen. Alles beide wird auf einer Parkbank am Fluß mit Appetit und den Händen gegessen und schmeckt himmlisch. Aber der Samstag vormittag ist im Städtchen noch nicht vorbei. Die Markthändler bauen langsam ab, die ersten Geschäfte gehen in die Mittagspause und die Menschen bevölkern Kneipen und Restaurants. Blanc, rose, rouge, pression, pastis oder cremant. Bis auf die Kinder haben alle ein apero vor sich stehen, lachen, reden durcheinander und feiern das Leben. Es ist so schön, so unbeschwert, daß ich mich echt glücklich schätze mittendrin zu sein. Herrlich. Und nach dieser blauen Stunde am hellen Mittag kehrt langsam Ruhe ein und die Stadt leert sich. Auch ich lege mich ein wenig hin und mache Siesta. Begleitet werde ich von Kirschen und Pfirsichen, die mich bis zum Abend vorm Verhungern retten werden.

Und wieder rein ins Städtchen, das mir echt gefällt. Als erstes geht es ins Musee de Resistance, das die Geschichte der regionalen Widerstandsbewegung darstellt, einbettet in den internationalen Kampf gegen den Faschismus 33-45 und auch die unrühmliche Rolle der Vichy-Regierung nicht unter den Tisch fallen lässt. Museumspädagogisch ist das Teil nicht auf dem neuesten Stand, aber man merkt, daß da Beteiligte und deren Verwandtschaft am Werk waren. Und daß da jede Menge Sten Guns rumhängen, lässt das Herz des Gesinnungs-Partisanen auch höher schlagen. Ein Besuch, der sich gelohnt hat. Danach will ich erstmal meine Ruhe und setze mich auf eine Bank. Nun ist es irgendwas zwischen siebzig und achtzig Jahren her, daß der Faschismus sein dreckiges Haupt in Europa erhob und es sieht derzeit aus, als ob die europäische Gesellschaft nichts daraus gelernt hat. Ich hoffe nur, daß nie wieder Linke, Demokraten und Christen zur Waffe greifen müssen, um die Werte der Republik zu verteidigen. Und mein Respekt gilt natürlich all den tapferen Männern und Frauen, die das in den 30er/40er Jahren getan haben. Niemand wird als PartisanIn geboren, aber die Resistance und der Maquis haben im eigenen Land ihr Bestes getan. Chapeau!

Nach dieser Gedächtnis- und Nachdenkensminuten ist mir nach Geselligkeit und ich bestelle mir in der nächstgelegenen Bar ein Pression in der Sonne. Beim Bierchen fällt mir ein, daß ich die Kathetrale, weltberühmt und allseitig bekannt, noch gar nicht angeguckt habe. Also hin. In der Kirche gibt es sogar einen Infostand für Pilger mit Besatzung. Weil ich meinen Pilgerausweis in der Unterkunft habe, geh ich schnell los und hole ihn. Die Frau, die den Stand betreut ist sehr nett und des Englischen mächtig. Wir unterhalten uns ein wenig und sie macht mir Mut, daß der Weg nun leichter und das Wetter besser wird. Ihr Wort in Gottes Ohr. In seinem eigenen Haus könnte er das ja gehört haben.

Ich bummel dann noch ein wenig rum und sehe zu, wie die Geschäfte schließen und die Stadt leerer wird. Die ersten Restos machen auf, aber es ist noch nichts los. Und alleine im Restaurant hocken, ist auch doof. Also dreh ich noch ne Runde und komme dabei an einem Restaurant indonesienne vorbei. Aha. Karte lesen und Nasi Goreng entdecken. Freu. Nasi Goreng ist nämlich ein indonesisches Gericht, daß ich bislang nur in der Aldi-Dosenvariante aus den 80ern kenne. Und auch wenn mir diese Dosen und ihr Inhalt immer lecker in Erinnerung geblieben sind (gibts das eigentlich noch?), interessiert mich das Original doch sehr. Und siehe da. Alles ganz anders. Es ist nämlich keine Misch Masch wie etwa gebratener Reis mit Hund, Katze, Maus, wie wir es vom deutschen Chinamann kennen, sondern der Reis wird in der Mitte des Tellers platziert, und Ei, Tomaten, Prawns und Schweinefleisch sind drumrum drapiert. Der Reis ist mit Zwiebeln und Lauch angemacht und relativ fest. Und -schielen zu den Nachbartischen hilft – gegessen wird das ganze so, daß man sich was vom Reis nimmt und dann munter die Beilagen entweder einzeln oder in wilder Kombination untermischt. Das macht Spaß und eröffnet gabelweise neue Geschmachserlebnisse. Und so geht dieser Offday sehr satt und zufrieden zu Ende.