Ich übernachte in einem Chalet, allerdings nicht in einem aus Stein, sondern in einer Hütte, gebaut in Leichtbauweise auf dem Campingplatz in Golinhac. Trotz des etwas großkotzig anmutenden Namens liebe ich diese Dinger, die anderswo schlicht Mobil-Homes heißen, obwohl sie nicht mobil sind oder gerade unter der Überschrift „Tiny Houses“ Karriere als Lösungen für alle möglichen Siedlungsprobleme gehypt werden. Es ist im Zielort und bei dem herrschenden Wetter die coolste Form ein Dach über den Kopf zu bekommen, ohne in einer dieser Massenunterkünfte einchecken zu müssen. Die ist allerdings auch auf dem Platz und die dort Untergebrachten werden gerade in der Campingplatzkneipe verköstigt, während ich demonstrativ an der Theke sitze. Und ich beglückwünsche mich nochmal zu meiner Entscheidung. Das sind definitiv nicht meine Leute.
Ich selber habe schon gegessen, nachdem ich bei örtlichen Tante Emma Laden ein paar regionale Käse- und Wurstspezialitäten sowie ein Landbrot, Tomaten und Zwiebeln eingeholt habe, die eine prächtige Brotzeit ergeben haben. Die Käsehäppchen sind alle vom Bauernhof und die liebe Frau hat so kleine Fitzelchen von den Käserädern gehobelt, daß es für eine fünfteilige Auswahl langte. Augen weit aufreißen, unschuldig gucken, „petit, petit“ sagen und auf alle Käse zeigen. Sie hat verstanden, was ich wollte. Dazu eine Terrine de Campard, verfeinert mit Thymian und Ziegenkäse und die Welt ist kulinarisch wieder geradegerückt.
Begonnen hatte sie nämlich eher unangenehm mit einer Begegnung, die ich im tiefsten Süden Frankreichs nicht erwartet hätte. Zum petit dejeuner erwartete mich ein chinesisches Tiefkühlbrötchen, wie ich es immer wieder in deutschen BusinesskasperHotels entdecke. Aber hier? Unfassbar. Der Verfall kulinarischer Sitten schreitet weiter voran… Leicht genervt bin ich, quasi notgedrungen, auf ein gesundheitlich deutlich wertvolleres Frühstück mit Jogurt, Nektarinen und Banane umgestiegen. Ich habe also quasi low carb gefrühstückt, was sich auf der Strecke rächen sollte.
Während des Frühstücks hatte ich noch eine sehr angenehme Lästerei mit einer Schweizerin, der die Anderen auch ein wenig auf den Keks gingen und die sehr genau beobachten konnte. Das war nun seit langem tatsächlich mal wieder ein Gespräch, wie ich es mag. Launig. Analytisch. Witzig, aber mit Tiefe und Hintergrund. Und bumms hatten wir 9.00h. Also los jetzt. Die Kollegin hatte Zeit, weil sie eine deutlich kürzere Etappe auf dem Schirm hatte, während ich 27km weit wollte.
Und dabei ging es hoch übers Tal des Lot und wieder runter. Runter ging es bei Estaing, einem netten Ort, der tatsächlich was mit Giscard d‘ Estaing zu tun hat. Der ist da nicht geboren und der Adelstitel ist erst 1922 von der Familie Giscard erworben worden. Und Giscard ist gar nicht sein Vorname, sondern Valerie. Sagt Google. Naja, und vielmehr ist mir nicht zu dem wirklich schönen Ort eingefallen, als ich draufzugelaufen bin. Aber es gibt dort Weinbau und der Ort ist eine geschützte geographische Angabe, also was besonderes. Wer dafür verantwortlich ist, der ehemalige Staatspräsident oder die Qualität des Weines, muß sich zeigen. Insbesondere auch, weil sich das Low Carb Frühstück gegen Mittag dann doch mit Hunger bemerkbar macht. Eine Snack Bar wirbt mit saucisse regionale und da ich doch so einen Bratwurstschmacht habe, geh ich rein. Und der Jefe brät die Bratwurst indem er sie der Länge nach aufschneidet und an den Breitseiten einschneidet. Damit hat er die Oberfläche der Wurst natürlich kollossal vergrößert und er legt sie mit der dicken Seite nach unten in die Fettpfanne. Als das Ergebnis eine allseits krosse Wurst ist, schneidet er ein Baguette auf, legt die beiden Wursthälften rein und schüttet Pommes drüber. Ketchup und Mayo werden in Extra-Schälchen gereicht. Dazu einen Rouge aus Estaing, ein Cuvee aus Gamay und einer autochthonen Traube, Mansoi… Herrlich. Nach einer Stunde kann es dann weitergehen.
Und es geht wieder hoch über den Lot. Und da merk ich, daß der Aufwand für die Verstoffwechselung von Bratwurst und Pommes nun in den Beinen fehlt. Merde. Aber es geht voran und vor mir taucht ein Schweizer auf, der mit Zylinder auf dem Kopf unterwegs ist. Bislang ist es mir gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen, obwohl auch er eine Vorliebe für die eher von Einheimischen besuchten Kneipen hat. Nun gibt es kein Entkommen. Einfach vorbeiflitzen geht nicht, also mal Gucken. Und es entspannt sich ein interessantes Gespräch über die Schwäche der französischen Maroni, die wohl massiv von einem gewissen Wurm befallen sind, was ihm das letztjährige Weihnachtsgeschäft vermasselt hat über die Bedeutung des Jakobswegs als europäische Kulturstraße und die Frage, ob ein amerikanischer und ein europäischer Spatz die gleiche Sprache sprechen. Eine interessante Mattinee, die bis ins Ziel führt. Da wir uns wohl bis Santiago immer mal wieder begegnen werden, verabschieden wir uns freundlich voneinander und ich marschiere Richtung Camping, während er eine andere Unterkunft gebucht hat.
Wenn ich das so durchlese und drüber nachdenke, habe ich heute das erste Mal seit längerem mit zwei, in Zahlen 2, Menschen, beides SchweizerInnen (was das heißen soll, weiß ich gar nicht), mal etwas Intensiver gesprochen. Puuh, ob ich mich da wieder dran gewöhnen werde? ☺
ein schmunzeln steht mir ins gesicht geschrieben als ich vor allem den letzten satz gelesen habe…intensiver gesprochen…ob du dich daran wieder gewöhnst? Also wenn du ernsthaft drüber nachdenkst am 01.10. Zurück auf arbeit zu sein…werden wir dir mit ziemlicher Sicherheit helfen dich wieder an intensive manchmal auch anstrengende Gespräche zu gewöhnen. Ich dachte du trainierst auf dem jakobsweg genau das Gegenteil: nämlich Geduld bei all den kreativen gesprächen mit den unterschiedlichen PilgerInnen….:-) 🙂 :-).