22. Etappe Gueswiller – Thann

Schweren Herzens ging es los. Ich habe mich in diesem Hotel mit seinem geschmackvollen Interieur, seiner aufgeräumten Stimmung und den schön großen Zimmern echt wohl gefühlt. Und sowas kommt ja eher selten vor. Aber ich habe mich losgeeist, was bei den frostigen Temperaturen fast schon wörtlich zu nehmen ist. Aus dem Ort raus ging es selbstverständlich bergauf, und eine weitere Facette dieser Stadt mit ihrer leicht morbiden Grundtönung kam zum Vorschein. Ich ging durch ein Quartier mit Bürgerhäusern im elsäßischen Baustil, die für den Wohlstand dieses Städtchen stehen oder gestanden haben, der unten im Tal so nicht zu spüren war. Die Häuser waren im Gegensatz zu unten im Tal auch alle glänzend in Schuß. Franz Josef Degenhardt und seine Schmuddelkinder kamen mir in den Sinn und begleiteten mich als Melodie durch den Vormittag.

Dann ging es raus aus der Stadt und rein in den Wald. An der Stelle mal ein Wort zur Waldwirtschaft, von der ich ja keine Ahnung habe. Aber entweder ist das alles irgendein Renaturierungsprojekt oder die haben hier keine Ahnung wie Holz zu lagern ist. Während in Deutschland ja noch jeder Laubhaufen mit Plastikplanen so abgedeckt wird, daß er keine Regennässe abbekommt und von unten mit Langhölzern von der Bodenfeuchte ferngehalten wird, ist das hier anscheinend schnurz und so sehen mehrjährig gelagerte Holzhaufen dann auch aus wie ein Insektenhotel. Geld kann damit aber keins mehr verdient werden. Dafür ist es aber ordentlich auf Länge geschnitten und gestapelt. Wenn jemand Arbeit investiert ohne Geld damit zu machen, ist das ja Hobby. Vielleicht gehört der französische Wald auch diesen Timbersports-Leuten von Stihl? Isch weiß es nischt.

Mit diesen und anderen nicht wirklich hochtrabenden Überlegungen würzte sich mein Weg. Ich habe dabei heute Sonne, Regen, leichtes Schneegestöber, Graupelschauer und all sowas erlebt, aber immer nur für maximal 10 Minuten. Kalt war es allerdings durchgängig, was das Pausemachen in freier Wildbahn erschwert. Bleibt man nämlich stehen und ist ob der körperlichen Anstrengung ein wenig verschwitzt, kühlt man ratzfatz aus. Also nur mal kurz stehen bleiben und ansonsten in Bewegung bleiben.

Da ich nun nicht länger in Nord-Süd Richtung unterwegs bin, sondern nun eher von Ost nach West wandere, kommen auch andere Dinge in den Blick. Und was gestern noch im Nebel lag, war heute zu sehen. Die schweizerischen und französischen Alpen tauchten schemenhaft auf. Großartig. Rechter Hand die hohen Gipfel der Vogesen an deren Südhang ich entlang gehe und auf der anderen Seite die Alpen. Im Rücken habe ich wohl den Schwarzwald, aber den seh ich nicht. Was ich allerdings sehe, ist diese Ebene zwischen den Bergen, die so wuselig, so aktiv zu sein scheint, während es hier eher beschaulich zugeht. Mir auch recht.

In dieser Stimmung komme ich in einen Ort namens Wattwiller, was für einen Westfalen ja echter Spaß ist. Watt willer? Ja, datt willer. Und so weiter… Egal, der Ort hat Kindergarten und Grundschule – der Weg führt dort lang, deshalb habe ich es gesehen – und ne eigene Marie, äh Mairie, also muß es hier doch auch n Gasthaus geben. An der Kirche ist nichts, weshalb ich Richtung Hauptstraße weiterziehe und siehe da. In der Ferne sehe ich eine verblassende Kronenbourg-Reklame und eile darauf zu. Der Laden hat offen und ein Menue de Jour für 10 Euro angeschlagen. Tja, wenn das so sein soll, soll das so sein. Ich bin da rein, hab auch einen Platz bekommen und ganz fachmännisch das Menue bestellt. Sehr zum Wohlwollen der Leiterin dieser Volksküche im übrigen, die wohl die Versorgung der Gemeindeverwaltung, des örtlichen Bauhofs und des nicht verheirateten bzw. geschiedenen pädagogischen Personals von Grundschule und Kindergarten organisiert und da braucht es keine Extrawürste, was zwei Radtouristen (Franzosen, keine BaWüler. Ich war erstaunt.) geflissentlich ignorierten und a la carte bestellten. Kann man machen, muß man aber nicht und die beiden haben es auch zu spüren bekommen.

Das Menue de Jour bestand aus drei Gängen. Zunächst wurde eine Art ensalada rusa, also was mit Erbsen, Bohnen, Eiern, alles Mögliche in einer fetten Mayo-Sauce, eingeschlagen in eine Scheibe gekochten Schinken serviert. Beim ersten Bissen schossen mir Tränen der Rührung in die Augen. Wer erinnert sich nicht an diese Schinkenröllchen mit in Mayo ertränktem Spargel aus dem Glas? Das waren die Siebziger, ich noch sehr jung, die Welt noch in Ordnung und die Schinkenröllchen von meiner Mama. Nach diesem Ausflug in meine frühe Jugend kam dan der Hauptgang bestehend aus Stubenküken mit Gratin dauphinois, also Kartoffelauflauf. Das Stubenküken ist ja leider in Deutschland recht selten auf der Speisekarte zu finden. Bei uns werden die eher geschreddert. Dabei hat die fleischliche Verwertung von ganz jungen Hühnern eine lange Tradition. Früher kamen bei Beginn des Winters die Küken in die warme Stube und wurden in Schubladen gehalten, um sie im Warmen über den Winter zu bringen. Das war nicht immer erfolgreich, so daß die schwächeren dann ins Ragout kamen oder eben am Stück zubereitet wurden. Warum das heute nicht mehr geht, etwa mit den männlichen Küken, weiß ich auch nicht. Aber es wäre ein Weg dieses zutiefst unmoralische Schreddern zu beenden. Gut. Tot ist das Küken hinterher in jedem Fall, aber ihm die Wertschätzung auf dem Teller entgegenzubringen ist doch was anderes, als irgendein Lebewesen als Abfall zu betrachten.

Zum Schluß gabs noch nen selbstgemachten Obstsalat und einen Kaffee. Während des Essens hab ich ein kleines Bier getrunken, wie im übrigen auch die meisten Anderen im Raum. In Deutschland wäre da wohl überwiegend Mineralwasser oder die unvermeidliche Apfelsaftschorle bestellt worden. Und die Kollegen im Restaurant mußten ja auch wieder arbeiten, was sie aber eben nicht hinderte ein Bier oder einen petit blanc zum Essen zu bestellen. Da scheint es einen elementaren Unterschied in der Bewertung von Alkohol zu geben, was ich als Unterstützer der Initiative „Rettet den Mittagswein“ sehr bedaure. Aber das ist wohl nicht mehr zu ändern.

Nach der ausführlich geratenen Pause gings frisch gestärkt weiter und es boten sich weitere Einblicke in die Landschaft. Irgendwann gings dann ins Tal der Thur entlang von Weinbergen in Steillagen nach Thann, dem heutigen Etappenort. Das ist ein schmuckes Städtchen mit einer beeindruckenden Kirche und einer ausgeprägten militärischen Erinnerungskultur, die mir so woanders noch nicht aufgefallen ist. Von der Resistance über die allierten Befreier vom Faschismus bis hin zu den Kämpfern im Algerienkrieg finden alle Erwähnung auf irgendeinem Denkmal. Das tut der Stadt aber keinen Abbruch. Ich selber habe mich aber frühzeitig in die Unterkunft zurückgezogen, weil ich müde bin und nach dem guten Mittagessen heute nicht schon wieder Essen gehen wollte.