Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 4

Lampenfieber. Wie immer. Heute Nachmittag muss ich in die Bütt. Ich werde das in diesem Leben wohl nicht mehr los. Aber egal, Ist ja erst heute Nachmittag. Zum Aufwärmen geht es in ein Panel, das sich mit kollektiven Arbeitszeitverkürzungen beschäftigen will. Nach dem riesigen Erfolg der letzten IG Metall-Tarifrunde und den vielen Menschen, die lieber die Chance auf mehr Freizeit genutzt haben, als noch mehr Geld zu verdienen, steht es geradezu auf der Tagesordnung über weiteren Schritt zur kollektiven Verkürzung der Wochenarbeitszeit nachzudenken. Aber die IG Metall ist erst ganz zum Schluss dran.

Vorher trägt Ursula Stöger (Augsburg) ihre Forschungen zum Thema vor, die sich im Kern auf eine 30h-Woche und einen erweiterten Arbeitsbegriff unter Einbeziehung der CARE-Arbeit beziehen. Hinzu kommt dann eine durchaus denkenswerte Verlängerung der Lebensarbeit, die der weiteren Inklusion Älterer dienen soll. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Arbeit die Menschen nicht fix und fertig macht, was ein anderes Produktions- und Sozialmodell von Nöten machen würde.
Interessant ist der Gedanke die normative Verringerung der Wochenarbeitszeit als Ausgangspunkt für ebendiese systemischen Veränderungen herzunehmen. Die Augsburger Soziolog_innen begründen das auch historisch mit dem Hinweis auf die Arbeitszeitgesetzgebung als erste Intervention in die kapitalistischen Arbeitsbeziehungen. Ob allerdings eine verkürzte Wochenarbeitszeit tatsächlich auch eine Wachstumsbremse wäre, bleibt für mich eine offene Frage. Historisch gesehen kann ja die 35h-Woche auch als ungeheurer Produktivitätsmotor  und Leistungsverdichterin gesehen werden. Hört keiner gern, ist aber so.
Und unabhängig von der wohl stärker zu beleuchtenden wachstumshemmenden Funktion, aber mit Keynes gedacht, steht eine grundsätzliche Arbeitszeitverkürzung und eine andere Verteilung der Wohlstandsgewinne doch längst auf der Tagesordnung. Eigentlich.

Im Nachgang stellt der Altmeister der deutschen Zeitforschung, Ulrich Mückenberger, das Optionszeitenmodell vor, dass er und sein Team entwickelt haben und das den „atmenden Lebensläufen“ gerecht wird. Atmende Lebensläufe ist die Klammer für die Beobachtung, dass sich Lebensphasen immer kleinteiliger gestalten und während früher mit Kindheit – Schule/Ausbildung – Arbeit – Rente alles gesagt war, gibt es heute Weiterbildungsphasen, Eltern- und Pflegezeiten, sowie Sabbaticals oder ehrenamtliche Einsätze im Ausland etc.. Dem soll mit einem zentral geführten Zeitkonto gerechnet werden, von dem Arbeitnehmer_innen im Umfang von etwa 9 Jahren bei Bedarf Zeiten entnehmen können. Zentraler Punkt der Überlegungen ist bei dem Modell, die Care-Arbeit stärker in die Erwerbsarbeit zu integrieren und somit auch die Teilung dieser Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern zu verbessern. Das machen die Schweden auch ganz klug. Die Elternzeit verfällt schlicht, wenn sich die Elternteile die Zeit nich 50:50 teilen. Wahrscheinlich geht’s nur so. Das Optionszeitenmodell macht einen seriösen Eindruck hinsichtlich Konzeption und Zielsetzungen: An den Finanzierungsfragen wird noch gearbeitet.

Dann stellt Dr. Heidi Schroth die Überlegungen der IG Metall vor, die ja eigentlich bekannt sein dürften. Es geht aktuell darum, wie das Thema Arbeitszeiten tarifpolitisch weiterverfolgt wird und wie sich die zweite Runde von verkürzter Vollzeit und T-ZUG darstellt. Es geht auch darum, abzulesen wie hoch das Interesse an weiterer Arbeitszeitverkürzung denn überhaupt ist, weil sich nur daraus die sicherlich notwendige Arbeitskampffähigkeit ableiten lässt. Alles klar. Alles sehr operativ. Die Diskussion um kollektive Arbeitszeitverkürzung als Postwachstumshebel wird leider in der IG Metall eher nicht geführt, scheint mir.

Dann ist auch dieses Panel vorbei. Es war eine gute Einstimmung in die Nachmittagsveranstaltung, bei der ich nun auch nen Part habe. Aber vorher ist Mittagspause, mache mir den Rest Nudeln von gestern warm und versuche mein Lampenfieber in den Griff zu kriegen. Geht aber nicht und so bummele ich noch ein wenig durch dieses wirklich lauschige, aber durchaus quirlige Stadt. Dann stehe ich nur ein wenig zu früh vor den Rosensälen, wo die Sause steigen soll.

Das Panel steht unter der Überschrift „Zeitwohlstand in der Arbeitswelt von Morgen“ und soll aus verschiedenen Perspektiven den Frame Zeitwohlstand genauer fassen. Und das sowohl hinsichtlich seiner Ausgestaltung, als auch der Restriktionen.
Den Einstieg machen Christoph Bader und Hugo Hanbury aus Bern, die in einem spannenden Projekt versuchen die ökologischen Effekte individuell reduzierter Arbeitszeit fassbar zu machen, indem Sie mit Menschen, die reduzieren wollen oder schon reduziert haben Interviews zu ihren Konsumgewohnheiten führen. Dieser Konsum wird dann hinsichtlich seines ökologischen Fußabdrucks bewertbar gemacht und in einer dritten Phase werden die Ergebnisse mit den Teilnehmer_innen der Studie reflektiert. Das ist von daher spannend, weil ja nicht jede Arbeitszeitverkürzung auch einen ökologisch positiven Effekt hat. Es soll nämlich Leute geben, die in jeder freien Minute mit Ryanair oder wem auch immer durch die Gegend fliegen. Und wie ein gesellschaftliches Klima für eine ökologisch vertretbare Zeitgestaltung aussehen soll, ist doch die Gretchenfrage. Vielleicht gibt das Projekt ja weiterführende Auskünfte.

Im Anschluss sprach der Berliner Jochen Dallmer zum subjektiven Wohlbefinden und der Verwendung von Zeit. Und auch er arbeitete heraus, dass die Wertschätzung eines Mehr an Zeit viel mit subjektiven Dispositionen und Konsumvorstellungen zusammenhängt und nicht zwangsläufig nachhaltig sein muss. Aber das es empirische Belege darfür gibt, dass die Zufriedenheit derer größer ist, die mehr machen und tun als kaufen und konsumieren. Klingt komisch, ist aber so!

Im Nachgang dazu stellte Shih-cheng Lien vom DJI das Optionszeitenmodell, das morgens ja schon Ulrich Mückenberger (siehe oben) vorgestellt hatte. So klein ist die Welt der soziologischen Zeitforschung.

Und dann standen Gerrit von Jorck von der TU Berlin, Elena Tzara vom Premium-Kollektiv und ich in der Bütt und stellten entlang der Projektskizze „Zeit-Rebound, Zeitwohlstand und Nachhaltiger Konsum“ das methodische Vorgehen, die inhaltlichen Thesen und die konkreten Interessen der Projektpartner_innen (zu denen ich und dieser Automobilzulieferer für den ich arbeite gehören) vor. Worum geht es?
Ausgangspunkt ist die These, dass die Belohnung für lange Arbeitszeiten und/oder fordernde Aufgaben oft genug in sinnfreiem Konsum aufgelöst werden kann, der vom 70. Paar Schuhe (Ok. die Sinnlosigkeit eines 70. Paar Schuhe wird von dem einen oder der anderen bezweifelt. Ich glaube aber fest daran.) über den immer aller neuesten Weber-Grill bin hin zu Online-Käufen, die nie ausgepackt werden, reichen kann. Wer sich dem Zeitregime oder den Leistungsanforderungen entziehen kann, hat zumindest die Option aus dem Teufelskreis von Arbeiten – Belohnen – Konsumieren auszubrechen. Diese Option ist beim Premium-Kollektiv quasi Gründungsgedanke. Selbst gewählte Arbeitszeiten, Einheitslohn und seit 17 Jahren erfolgreich am Getränkemarkt. Geht doch. Und Elena erzählt das mit so großer Selbstverständlichkeit, das die Möglichkeit einer anderen Welt greifbar im Raum steht.
Dagegen sieht die industrielle Welt in der ich unterwegs bin, anders aus. Dreischichtbetrieb: eine Woche Früh – eine Woche Spät – eine Woche Nacht; bei Wochenendarbeit bis zu zwölf Arbeitstagen am Stück; in getakteten Fertigungen mit nur wenigen Handgriffen. Monotonie. Das reiße ich an und spreche auch den Mythos männlicher Vollerwerbstätigkeit und Arbeit an. Denn der steht einer anderen Arbeitsgesellschaft oft mehr im Weg als zu vermuten wäre. Aber alle die mal versucht haben, ergonomische Schichtsysteme einzuführen, wissen, wie massiv das ist. Deshalb versucht meine kleine Firma auch diesmal nicht über Ergonomie und andere Rationalitäten zu kommen, sondern über das Narrativ des Zeitwohlstands und dem gewünschten Streben danach!
Nach den Impulsvorträgen geht das Panel, vielmehr die Teilnehmerinnen, in drei Arbeitsgruppen, die sich mit Zeitwohlstand aus individueller, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene entlang der Frage wie Zeitwohlstand im Jahr 2045 aussieht und wie wir ab heute dahinkommen beschäftigen.
Abschließend schauen wir uns die Ergebnisse des kurzen Workshops an und kommen überall eigentlich zu ähnlichen Ergebnissen: Es braucht ordnungspolitische Rahmensetzungen, die von einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um einen nachhaltigen Umgang mit der Zeit flankiert wird, der den protestantischen Leistungsbegriff genauso angeht, wie die Geringschätzung des Flaneurs.
Da bin ich dabei, da mach ich mit.
Das Panel war gut und ich bin zufrieden mit den Ergebnissen, die sicherlich im Nachgang nochmal genauer angeschaut werden müssen.

Der Tagungstag soll mit einer Podiumsdiskussion zu den Konsequenzen niedrigen Wachstums und der Zukunft Europas zu Ende gehen, aus der dann leider nichts wurde, weil sich außer Karl Aiginger sämtliche Diskutant_innen entschuldigen ließen. Nun war ich schonmal da und so habe ich mir den Mann auch angehört. Das war recht interessant, wenn das inhaltliche Zuhören nicht gerade von seinen rhetorischen Entgleisungen gestört wurde. Dazu später mehr. Er skizzierte zunächst die sieben Transformationen, die er für den europäischen Kontext zentral hält.
Es geht dabei um den Übergang von einer Wachstums-  zu einer Gesellschaft  niedrigen oder Null-Wachstum oder gar Schrumpfung. Dem niedrigen Wachstum oder der ökonomischen Schrumpfung in Europa setzt er den Aufstieg Afrikas gegenüber. Daneben spielen der demografische Wandel hin zu einer alternden Gesellschaft genauso eine Rolle wie die Entleerung ganzer Räume. Des weiteren sieht er den Bedeutungsgewinn des Themas Klimawandel und die Krise des Narrativs der notwendigen preislichen Wettbewerbsfähigkeit, sowie eine „verantwortlich“ betriebene Globalisierung am Horizont aufscheinen. Bis auf das Thema des Aufstiegs Afrikas war das jetzt nichts wirklich Neues. Das arbeitet er auch deutlich und mit einer Vielzahl Argumente heraus. Ich merke aber das ich fertig bin und nicht mehr richtig folgen kann und will, warte aber das Ende des Vortrags ab und nehme die gut vorgetragene Kritik an seinen Sprachbildern erfreut zur Kenntnis. Dann mache ich mich vom Acker.

Nun ist das ja der letzte Abend in Jena und den will ich würdig begehen und kehre in einem netten Lokal ein, dass mir schon die Tage vorher aufgefallen war. Nach der ersten Kürbissuppe der Saison, hier ein wenig aufgeschäumt und damit leichter gemacht, gabs Hühnchen auf dreierlei Möhren und einem Bratkartoffelsoufflee. Zum Schluß Creme Brulee mit rote Grütze – Sorbet. Dazu gibt’s einen unaufgeregten, aber aufmerksamen Service und n lecker Weißburgunder. Ein rundum gelungener Abend. Die Weintanne ist echt zu empfehlen. Word!