Great.Transformation.Jena Tagungsbericht Tag 2

Dieses Gefühl, ein Stück von einem frischen Baguette abzubrechen und es sofort in den Mund zu schieben, nachdem man die Bäckerei verlassen hat, ist eigentlich unbezahlbar. Und wenn das Baguette dann noch wirklich gut ist, wird es richtig schön. Der zweite Tag der Tagung und ich bin immer noch in Jena und nicht in Paris. Aber hier gibt es eine zauberhafte Bäckerei in der Grietgasse 10, die alles von einer französischen Boulangerie hat. Herrlisch…

So geht es dann gutgelaunt und frisch gestärkt zur ersten Veranstaltung des Tages. Die wird vom Ökonomen James K. Galbraith bestritten, der im breitesten Texanisch zum Thema „Inequality and the end of normal“ spricht und dabei in die Vollen geht.
Zunächst macht er mal klar, dass es auf Spitz und Knopf steht, wie und ob es überhaupt mit Welt und Gesellschaft weiter geht und lässt die Möglichkeiten regionaler Atomkriege und die Wahrscheinlichkeiten des beschleunigten Klimawandels antönen. Nach dem Einstieg wendet er sich seinem Kernthema zu und wirft den politischen Akteuren vor, sich der Phantasie hinzugeben, die zukünftigen und langfristigen Folgen des Klimawandels heute mit marktwirtschaftlichen Mitteln steuern zu wollen. Diese Idee wirkt in seinen Augen noch phantastischer, weil das dieselben Leute propagieren, die die Finanzkrise als unvorhersehbares Ereignis etikettieren und damit in die Nähe einer Naturkatastrophe rücken, was sie ja beileibe nicht ist. Er folgert, das wir politisch gerade nicht in guten Händen sind.
Aber, so Galbraith, selber schuld. Die Freunde von John Maynard Keynes konnten weder politisch noch wissenschaftlich Gewinn aus diesem offensichtlichen Versagen neoliberaler Finanzökonomie schlagen.
Und das obwohl, so führt er weiter aus, lebensweltlich die Fragen von Leistung, Einkommen und Leben sich ja seit 2008 weiter entkoppelt haben. Hieraus ergeben sich dann auch Fragen an die politische Linke, die der Ökonom nicht beantworten kann, obwohl er Teil davon ist, sondern wir im Diskurs lösen müssen.

Also geht’s weiter zum ersten Panel, das sich mit „(Gegen)Hegemonie – Emotion – Transformation“ beschäftigt. Ich hatte mich für die Veranstaltung entschieden, weil es endlich auch mal um die subjektive Seite der Transformation gehen sollte. Und darum ging es auch aus unterschiedlichen Perspektiven, die von Nudging, einer Sozialtechnologie, bis hin zur teilnehmenden Beobachtung des Lebens in der Lausitz reichte. Die Erkenntnisse waren für jemanden, der schon lange Politik macht, nicht wirklich überraschend, aber das sie ihren Weg in die soziologische Diskussion finden, ist ein Schritt nach vorne. Wir müssen doch verstehen, warum sich Menschen im Angesicht von Klimawandel und Ressourcenknappheit für den Diesel stark machen; warum es einfach „Weiter so“ gehen soll und die Angst um den Arbeitsplatz in der Automobilindustrie zu Realitätsverweigerung und nicht zu Veränderungsbereitschaft führt. Und wenn wir das verstehen wollen, müssen wir auch darüber reden, dass es Klassen, Schichten und Milieus gibt, die wir mit unseren Emotionen, Werten und Ideen eines guten Lebens schon sprachlich nicht erreichen, aber müssen, wenn das mit der SÖT (sozial-ökologische Transformation. Ich liebe die Österreicher für so ne Abkürzung) was werden soll. Dann sind die 2,5 Stunden rum und die Teilnehmer_innen sind sich irgendwie einig, dass das Thema weiter beackert werden muss.

Ich gehe auch deshalb frohgemut ins Städtchen und finde den Metzger meines Vertrauens auf Anhieb, lasse mich freundlich in die Welt Thüringer Wurstwaren einführen, gehe dann in meine FeWo, called City Appartement, und kann die Vorteile einer Unterkunft mit Einrichtung voll auskosten: Es gibt Teller und Tassen, Messer und Gabel und die Brotzeit kann anders als im Hotel anständig am Tisch eingenommen werden. Das es lecker war, ist dieser netten Begegnung französisch inspirierter Backwaren und eine gute Auswahl Thüringer Würste geschuldet. Danach noch kurz horizontal und auf geht’s zum nächsten Panel.

In diesem Panel waren die Städte als Ort von (Post)Wachstum und Transformation, Gegenstand der Betrachtung. Den Auftakt machte Oliver Schwedes von der TU Berlin, der launig und plausibel argumentierte, dass sich seit vielen Jahren schlicht nichts an der Veränderung des modal split getan hat. Es fahren zwar absolut mehr Leute Fahrrad, aber weil genauso viel mehr Leute mit dem Auto fahren, ändert sich am modal split nix. Klingt komisch, ist aber so.
In der Konsequenz heißt das aber, dass politisch nichts anderes übrig bleibt als in dem Maß, wie in ÖPV und aktive Mobilität investiert wird, die Automobilität zu beschneiden, wenn ein anderer modal split her soll. Das war die erste Lektion.
Die zweite war kurz, aber folgenreich: Wirtschaftswachstum erzeugt immer auch mehr Verkehr. Wehr weniger Verkehr will, muss über Wachstum nachdenken. Basta.
Die dritte Lektion hat Feindbilder ins Wanken gebracht, weil 40% aller Verkehre Freizeitverkehre sind. Das sind also wir. Urlaub, Freunde und Familie besuchen, mal wieder in einer Großstadt shoppen oder nach Bregenz auf die Seebühne… Alles ganz normal, aber Verkehr und damit klimaschädlich…
Danach wurde therapeutisch wertvoll sanfter fortgefahren und in der Zusammenfassung des Panels wurde dann doch deutlich, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und deshalb Infrastruktur für ÖPV und aktive Mobilität (zu Fuß und Fahrrad) gestärkt und die Autofahr- und Autoparkstrukturen aktiv geschwächt werden müssen.

Damit ist es allerdings nicht getan, weil sich Politik und soziale Akteure auch daran machen sollten, diesen Umbau transparent und plausibel zu kommunizieren. Sie müssen die Idee zu Fuß zu gehen, cool machen. Ein tolles Beispiel war der Bau von Bürgersteigen in Seattle, USA. Bürgersteige sind in den USA städtebaulich nicht selbstverständlich, aber alle, die in Europa waren kennen die, weshalb der Bau von Bürgersteigen kulturell überformt als Absicherung und Wertschätzung des Fußverkehrs wahrgenommen wird. Ein weiteres, und für mich coolstes Beispiel für ein transparentes, plausibles und cooles Instrument einer fordernden Mobilitätswende ist die Grätzloase (https://www.graetzloase.at/), wo auf Antrag Parkraum und Leerstand sozial umgewidmet werden kann. Ganz großes Kino.
Es braucht also einerseits entschlossenes Handeln politischer Entscheidungsträger und der ihnen zugeordneten Verwaltung (Hallo Klima-Kabinett) und andererseits Partizipation und Einbindung der Zivilgesellschaft.
Für dieses Andererseits war Saskia Hebert zuständig, die als Architektin an vielen Beispielen und an ihrer Biografie deutliche machte, dass sich Sozialräume nicht nur mit Beton, sondern durch Umnutzung verändern lassen. Das dazu Kreativität, ein offener Kopf und eine subkulturelle Vergangenheit gehört ist klar, oder?

Den Abschluss des Tagungstages bildete dann eine Podiumsdiskussion zum Thema „Nach dem raschen Wachstum“, die für mich deshalb interessant war, weil endlich auf großer Bühne die Subsistenzversuchung des Menschen und seine fortgesetzte Repression als zentraler Motor der Industrialisierung diskutiert wurde. Wer die aktuelle Diskussion ums „Ausschlafen als Revolution“ verfolgt, weiß, dass die fortgesetzte Repression der Kitt ist, der alles zusammenhält. Ach so, Subsistenzversuchung ist der von Prof. Streeck eingeführte Begriff, der sagt, dass Menschen über lange Zeit nicht höher gesprungen – also gearbeitet haben – sind, als sie mussten, um zu überleben und n paar Bier zu zwitschern. Fühlt sich gut an…

Ich sitze jetzt hier und reflektiere den Tag. Wenn die Subsistenzversuchung tief in uns schlummert, könnte doch genau die, der Ausgangspunkt für eine SÖT (sozial-ökologische Transformation :-)) sein, weil es aus einem Weniger an Arbeit ein Mehr an Lebensqualität geben könnte, das nix mit Konsum zu tun hat, deshalb also auch Wachstum erledigt. Das erinnert mich an einen alten Wahlkampfslogan aus Studi-Zeiten, der unser Listenkürzel DLL mit Dekadent Laues Leben! übersetzte… 🙂 Morgen geht’s weiter und hier jetzt ins Bett.