a view from inside the box oder Don`t waste the crisis!

Ich glaube, es ist gerade in diesen Zeiten der Pandemie wichtig, laut darüber nachzudenken, wie aus dem täglichen Tun in den Betrieben nachvollziehbare Bezüge zu den notwendigen, grundlegenderen Debatten abgeleitet werden können, um das Danach aktiv gestalten zu können.
Ich spreche dabei von „den“ Betrieben, weil es zum Teil eigenes Erleben, zum Teil aber auch die Wiedergabe von Gesprächen mit einem Teil von Euch ist.
Ich habe meine Gedanken entlang von fünf Themenclustern strukturiert, um abschließend aufzuzeigen, wo Erfahrungen aus Corona-Zeiten auf ein „buen vivir“ danach verweisen.

1. Die Corona-Krise ist ja nur das i-Tüpfelchen.
Insbesondere bei den Automobilzulieferern ist ja bereits seit dem 3. Quartal 2019 Krisenstimmung, die Sparpakete sind längst aufgerufen und von Audi bis ZF sind Beschäftigungs- und Standortsicherungsverträge verhandelt worden. Die haben wahrscheinlich alle eine Hagelschlagsklausel und hie und da ist zu hören, dass diese Klausel arbeitgeberseitig gezogen werden soll, um die Sparschraube nochmal weiter zu drehen und evtl. betriebsbedingte Kündigungen nicht länger ausschließen zu müssen.

2. Daily Business: Kurzarbeitsverhandlungen und Sozialpolitik
Derzeit geht es in den Betriebsräten hauptsächlich um die betriebliche Ausgestaltung der Kurzarbeit mit all den detailreichen Tücken eines solchen Unterfangens. Da beschäftigen sich die Betriebsräte nun z.B. gerade damit, wie sich Kurzarbeit auf die Höhe des Elterngelds zukünftiger Mütter und Väter auswirkt und ab wann den zumindest Schwangere deshalb von der Kurzarbeit ausgenommen werden müssten. Diese Detailfragen gibt es wie Sand am Meer, wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt. Das absorbiert viel Kapazität, erzeugt aber viel Kompetenz zu Fragen des SGBIII.

3. BR und VK goes new work.
Von der Digitalisierung wird vielerorts gesprochen, und nun hält die Digitalisierung mit Gewalt Einzug in die bislang reichlich analoge Arbeitsstruktur der Gremien. BA/BR-Sitzungen via Skype, Verhandlungen mit dem AG als Videokonferenz, ein deutlich höheres Maß verschriftlichter Kommunikation via chat, whats app und was auch immer. Bereichsbetriebsräte im Homeoffice, deren Kalender bislang mit face-to-face Kommunikation und Terminen gefüllt waren, müssen lernen das virtuell zu organisieren, die Ergebnisse zu verschriftlichen und weiter zu verteilen. Das lief sonst zwischen Tür und Angel. Nun erzwingt sich eine Professionalisierung der Arbeit, die manche auch überfordert.

4. Die Transformation geht unter kapitalistischen Vorzeichen weiter
Der Umbau der Branche geht weiter und das Personalkarussell bei OEMs und Zulieferern rotiert fröhlich weiter und Portfoliobereinigungen und Zukäufe werden nicht mehr eingefangen, selbst wenn das gewollt wäre. Das ist alles keine progressive Transformation, sondern das Arbeiten an Umsätzen und Rendite in einer Welt, deren Transformation ausschließlich in der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und a bisserl autonomes Fahren besteht.

5. Der Kapitalismus frisst seine Kinder
In der Zulieferindustrie stehen die Margen ja ständig unter Druck, gleichzeitig gibt es notwendige Investitionen, die den avisierten Wandel der Branche möglich machen und bislang auch mit billigem Geld durchaus handhabbar finanziert werden konnten. Nun ändern sich die Ratings und Umsätze brechen ein, was einzelne Unternehmen in irgendwas zwischen Rentabilitäts- und Liquiditätskrise schliddern lässt. Das werden nicht alle Unternehmen schadlos überstehen.

6. Und nun?
Das alles trifft die betriebliche Mitbestimmung ganz aktuell. Und es ist an uns, Ansätze zu entwickeln, die im Sinne einer Arbeit an der sozial-ökologischen Transformation diese Alltagserfahrungen nutzbar machen.
Ich denke an
• die Digitalisierung von Beteiligungsprozessen und die Konsequenz von digitaler Meinungsäußerung
• die Erfahrung mit dem Sozialstaat und seinen Institutionen
• die Erfahrung von Immobilität, ihrer digitalen Kompensation und dem Gewinn von Lebensqualität und -zeit.
• das – zumeist virtuelle – Erleben von Delfinen in der Bucht von Venedig und der – hoffentlich realen – Erfahrung
• von sauberer Luft in unseren Städten
• die homöopathische Erfahrung von Konsumentzug
• die Handlungsfähigkeit und -geschwindigkeit von Politik, die im krassen Widerspruch zu den Zögerlichkeiten in der Klima- und Ressourcenpolitik steht.

Ich hoffe, es ist gelungen einen Eindruck zu vermitteln, was auf betrieblicher Ebene gerade los ist und hoffe damit aber auch einen Beitrag zur Debatte liefern zu können, wie wir auch in Corona-Zeiten die notwendigen Veränderungen im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation vorantreiben können.