101. Etappe: Triacastela – Sarria

Nach dem Nebelgedöns gestern, hab ich mich einfach noch zweimal rumgedreht, bevor der Tag losging und so war ich um zehn auf der Strecke. Die Sonne war mittlerweile überwiegend präsent und die Wegführung so, daß der Touristiker wohl von einem Panoramaweg faseln würde. Halbhoch am Berg mit guten Sichten. Alles in sattgrün. Schön. Und wenig anstrengend, wobei allerdings nach anderthalb Stunden die Einkehr schief ging, weil sich in der lauschigen Bar einfach niemand blicken ließ, der mir was verkaufen wollte. Allerdings lagen Backwaren rum, die Kasse war in Betrieb und die Musik lief. Als sich nach zehn Minuten immer noch niemand blicken ließ, bin ich weiter. Weiterhin entspannt, weil Koffein- und Orangensaftpegel schon vorher auf Normal gebracht worden waren.

Nach drei Stunden war es dann soweit. Eine Bar, die ihren Namen verdient, lag am Weg und das Angebot zur Einkehr nahm ich gerne, trotz voller Belegung, an. In den letzten Tagen sind schon deutlich mehr Leute unterwegs. Also die Rückwärtsrechner. Wo muß ich einsteigen, um in ein, zwei Wochen in Santiago zu sein. Und seit ein paar Tagen sind die zehn-Tage-Wanderer dabei. Die haben 14 Tage Urlaub und ziehen je einen Tag für An-und Abreise per se ab. Müssen packen (Minus ein weiterer Tag) und sind lieber schon Samstags zuhause, wenn sie montags wieder ran müssen. Die hatte ich so nicht auf dem Schirm, scheint aber eine Menge davon zu geben. Es sind vor allem Familien, die unterwegs sind. Das bietet natürlich auch ein neues Panoptikum. Gelangweilte Pubertierende beim Wandern mit den Eltern, während sich die Kumpels an irgendeinem Strand flätzen oder das elterliche Eigenheim mit einer Sturmfrei-Party zerlegen. Einem, der seinen Wanderstab ganz selbst vergessen als Strahlenschwert sieht und damit rumfuchtelt und mich dabei fast trifft, muß ich unterwegs mal scharf die Wache ansagen. Schön ist, daß er nicht anfängt zu weinen, mich verklagen will oder nach seinem Rechtsanwalt schreit, sondern einfach wach wird und Perdon sagt. Nachdem auch keine Helikoptereltern den Kleinen beschützen wollen, signalisiere ich ihm Ok und „Tu no solo a la mundo“, was sprachlich wahrscheinlich total falsch ist, sich auf den ersten Blick so anhört, wie „You’ll never walk alone“ aber tatsächlich als Appell an die Umsichtigkeit gemeint war. Trotz meines Stammelspanisch hatte ich das Gefühl, daß die Botschaft angekommen ist. Und für die weniger pädagogisch, als kulinarisch Interessierten: Ja, es war eine dieser Bars, in der die Empanada nicht aus der Metro, sondern von mindestens der Oma gemacht wird und so lecker ist, daß ich sie mit dem Messer in kleine Stückchen geschnitten habe, um nichts zu versäumen.

Danach gehts abwärts Richtung Sarria, das schon von weitem zu sehen ist und einen wenig einladenen Eindruck macht, weil es mit fünf-sechsgeschössigen Häusern prangt und nicht mit einer Kathedrale oder so. Ich betrete also das Stadtgebiet und verstehe es nicht. Der Weg führt durch Neubaugebiete und es gibt dann einen Flußübergang an dessen Ufer Restaurants und eine dahinterliegende Einkaufsstraße auf den ersten Blick von neuem Wohlstand zeugen. Übergangslos geht es dann eine Treppe hoch und überall hängen Weltkulturerbeflaggen. Wenn das eine Bewerbung sein soll, ist noch viel zu tun. Ich muß nach rechts Richtung Unterkunft abbiegen und verschiebe die weitere Erkundung auf den frühen Abend. Von der Unterkunft bin ich mehr als positiv überrascht. Ein echt schönes Zimmer mit einem kleinen verglasten Balkon, der seine Tücken erst im Laufe des Abends zeigen sollte. Also gabs erstmal ne Runde Wohlfühlsiesta inklusive Jogurt- und Obstsnack.

Dann war es früher Abend und die Exkursion begann. Aus dem Haus rechts zunächst in das neue Stadtzentrum. Wenn es Baugeschäfte und Handwerkerbedarf bis in die Innenstadt schaffen, hat eine Stadt schon fast verloren. Danach kommen Spielhallen und Ein-Euro-Läden. Hier war eine Stadt im Stadium der Baumärkte, kleinerer Ausführung, also n Farbengeschäfte, Eisenwaren und Gartenkrams, aber wenig Damen- und Herrenoberbekleidung, Schuhe und Schniggesläden für Wohnaccessoires. Hm, also weiter Richtung Altstadt. Die wiederum war vollgestopft mit Pilgerherbergen, die nun auch nicht den Charme von Weltkulturerbe verströmen. Echt schwierig. Ich hab dann mal nachgeguckt: Industrie gibt es hier auch nicht. Echt eine komische Stadt.

Da es der letzte Bahnhof vor der 100km-Marke ist, kamen gegen Abend auch noch reichlich neue Leute an, die wohl morgen beginnen zu wandern. 100km-Marke meint, daß diejenigen Wanderer/Pilger, die sich zweimal am Tag ihren Pilgerpass abstempeln lassen, dann in Santiago auch ihre Urkunde kriegen. Das scheint einigen echt wichtig zu sein. Ich hab mich schon vor längerem dagegen entschieden, weil ich keine Urkunde brauche, die ich an die Wand hängen kann. Ich hab meinen Blog, meine Bilder und meine Erinnerungen. Mehr brauche ich nicht. Und wenn ich vor meinen Herrgott trete und der das Ding sehen will, muß ich wohl ne Tür weitergehen.

Dann geht es zum Abendessen in die Nähe des Bahnhofs, wo die Freunde von Michelin etwas empfohlen haben und zwar zu vertretbaren Preisen. Also hinein. Vorneweg eine Kichererbsensuppe mit Speck und Chorizo vom galizisch-keltischen Schwein und nachher Kotelett von eben dem Schwein mit Patatas und Piementos. Das Besondere an dem Lokal war, daß es sich um eine Parradilla handelte, also ein aufs Grillen spezialisierten Laden. Und das haben sie auch gut gemacht. Dazu einen leichten Weißen aus Ribeiro und dann heim.

Im Zimmer war es total stickig und eine Klimaanlage gab es auch nicht. Ich wollte aber noch was schreiben, weshalb ich ich dachte: „Weißte was, du machst die Fenster in deinem überdachten Balkon auf und schreibst mit Blick auf die Straße vor dich hin.“ Gesagt getan und ein Fenster hochgeschoben, das aber so schnell wieder runterkam, daß mein rechter Mitelfinger nicht mehr ganz davon kam. Der sah aus wie guilliotiniert, so daß ich mit dem Taxi ins Hospital bin, die das aber entspannter gesehen haben, weil nichts gebrochen und auch nix wirklich abgerissen ist. So hock ich nun adrenalingeschwängert auf dem Bett und schreib dann doch noch. So ein Mist. Hoffentlich heilt das schnell aus. Ich will ans Meer und ins Wasser… Morgen früh muß ich mich da wieder vorstellen und dann wohl jeden Tag mal sehen, wo es so ein Centro de Salud gibt. Jetzt leg ich mich nach dem Schreck aber erstmal hin… Guts Nächtle.