90. Etappe: Itero de la Vega – Carrion de los Condes

Gut geschlafen und um sechse wach. Das passt, weil es heute auf 34km geht. Folglich trödele ich etwas fokussierter rum und bin tatsächlich um halb acht auf der Straße, aufgefüllt mit Kaffee und Orangensaft. Es ist bewölkt und hat abgekühlt, was ich gerade nicht wirklich schlimm finde. Nerviger ist dabei die steigende Luftfeuchtigkeit, die wiederum für das ganz besondere Licht dieses Morgens verantwortlich ist. So hat alles sein Gutes. Die Landschaft präsentiert sich nämlich weiterhin in ermattender Eintönigkeit, was zwar seinen Reiz hat, der aber langsam ausgespielt ist und nur durch die neuen Lichtverhältnisse wieder gewonnen hat. Dadurch wird auch die weitere Verflachung der Landschaft teilweise kompensiert, die für mich als Mittelgebirgskind ja schlimm ist. Wenn das Auge keinen Haltepunkt am Horizont findet, werde ich entweder nervös oder konzentriere mich auf die nähere Umgebung. Die Schritte vor mir, das nächste Straßenschild und den nächsten Kirchturm. Tatsächlich ist es so, daß die in dieser ländlichen Gegend als Erstes auftauchen. Vielleicht kommt das Kirchturmdenken ja von daher. Schade ist, daß es keine Interpretation dieser Begrifflichkeit gibt, die etwas mit der Neugier auf den übernächsten Kirchturm zu tun hat. Obwohl es ja schon schön wäre, wenn manche bis zum nächsten Kirchturm gucken würden.

So komme ich guckender- und grübelnderweise ins erste Dorf, komme ins zweite Dorf und so weiter, kehre hie und da ein und komme schließlich auch durch Villarmentero de Campos, was sich mir tief ins Gedächtnis gebrannt hat. Ein Kaff. Von weiten schon sind aber Indianerzelte, Zirkuswagen und Zeigsl zu sehen. Als ich näher komme, ist eine Auberge mit Bar angeschrieben. Muß ich mir angucken, will ich sehen. Ich biege also rechts durch die Hofeinfahrt auf eine Wiese ein, auf der einschlägige Stühle Kneipe signalisieren und zwei Esel in der Sonne oder besser im Schatten  dösen. Dazu kommt ein Sack Hühner und rund ein Dutzend Gänse. Zwischendurch gibt es aber auch einen Weg zur Theke und ich kann mir was zum Trinken holen. Weil die Szenerie nicht uninteressant ist, suche ich mir einen guten Platz. Einer der Esel hat nämlich angefangen zu grasen und bewegt sich stoisch auf die Hühner zu. Der Hahn findet das doof und mit ihm die Hühnerherde auch. Der Esel trampelt im Halbschlaf in die Hühnerfalle und was dann folgte, was disneyreif. Der Esel hat sich aufgeregt und IA geschrieen, als wenn es um die Menschen- bzw. Eselsrechte ging und die Hühner gaben erst Kontra und dann zackig Gummi. Ich habe noch nie im real life in das Gesicht eines aufgescheuchten Moorhuhns geguckt. Das waren jetzt auch kein Moorhühner, sondern strunznormale, aber die haben genauso geguckt. Ich schwör. Es war herrlich und ich hab Tränen gelacht.

Das hat mich auch die letzten Kilometer begleitet, die nach schier endlosem Anlauf in Carrion de los Condes endeten. Ich hab den blöden Kirchturm nämlich schon ewig gesehen, nur voran ging nicht wirklich was. Trotz aller Tricks. Aber irgendwann war ich da und habe mich gegen das Zelten und für ein Hostal entschieden. Ich war nämlich brotfertig und wollte nur noch raus aus den Schuhen und horizontal. Hat auch geklappt. Abends bin ich dann wieder raus, was so gegen sieben war, hab noch n Friseur gefunden, der das mal wieder in Ordnung gebracht hat und bin dann Essen gegangen. Schwierig im ländlichen Umfeld. Entweder die Schnitzelfraktion, die man auch aus Deutschland kennt. Große Portionen für kleines Geld. Und eben die Camino-Leute, die wenig anders unterwegs sind. Nach längerem Suchen hab ich dann was gefunden. Die Speisekarte war irgendwie origineller und es waren ein Menu especial und ein Menu pelegrino ausgeschrieben. Das ist ja schonmal was. Für mich gabs dann eine Gemüsepfanne, die sogar schön angerichtet daherkam und aus Zuccini, Auberginen, Tonaten und mit einer Käse-Mangold-Farce zusammengehalten wurde. Das Highlight schon im ersten Gang zu verbraten ist bekanntlich doof, weshalb die Kombi Fleisch, Salat, Pommes fast langweilig daher kam. Allerdings hatte da jemand selber Hand angelegt und mit Gewürzen gearbeitet, weshalb sowohl der Salat, als auch die Pommes und das Fleisch schon in der Oberliga gespielt haben. Ich kriege ja mittlerweile schon Wasser ins Auge wenn eine französische oder spanische Crew Salat wenigstens so ernst nimmt, daß sie es selber würzen und nicht einfach Salz, Pfeffer, Öl und Essig au0f den Tisch stellen. Ich finde, das geht nicht. Da sollen die sich was einfallen lassen, das ist ihr Job. Dafür kriegen die eine Ausbildung. Ich bin diese Pommes-Fleisch-Sachen so leid, weil ich die ja auch noch selber würzen muß, und wenn ich nach Paprika frage, gucken die doof… Wenn ich ruhig, ommmmm, drüber nachdenke kann das ja auch so sein, daß der Salat keinen hohen Stellenwert besitzt und deshalb eigentlich keinen Platz in der Küchencrew hat. Oder der Koch hat das Fleisch eben auf den Punkt zuzubereiten und Würzen ist Geschmackssache. Das kann in Ländern deren Spitzenköche der Welt neue Geschmackswelten erschlossen haben, eben indem sie neue Gewürze und Richtungen quasi diktiert haben, eigentlich nicht sein. Ich bin auf jeden Fall nicht gänzlich glücklich, hocke jetzt aber nach einer sprachlich anstrengenden Diskussion mit der elsässischen Servicekraft in diesem spanischen Lokal vor einem Rosado, der großartig ist. Das war deshalb ein wenig schwierig, weil ich mich zunächst etwas global ausgedrückt habe: „Wo es Rotweine gibt, gibt es auch Roses. Basta.“ Und dann in eine eventuell etwas ausführliche Beschreibung der Herstellung eines Rose-Weins eingestiegen bin. Wir haben uns aber schlußendlich verstanden und ich nehme folgendes mit. Es gibt Weinanbaugebiete, also die ganz Großen. Rioja, Rueda, Ribera di Duero. Ok. Kenn ich. Und unterhalb gibt es eben die kleineren, spezielleren Gegenden, wie eben Cigales, wo immer schon Roses gemacht wurden. Das ist wohl wie mit den Rotweininseln in Franken. Muß man aber erst hinterkommen. Von daher ein lehrreicher Abend. Und jetzt gehts heim. Morgen werden zwei Etappen zusammengelegt, was fast 4ükm gibt, aber ich will an einem Samstag mittag und nicht an einem Sonntag in Leon ankommen. Und da bietet sich das morgen einfach an. Der Nebeneffekt ist, daß ich nochmal in eine andere Wanderkohorte komme. Ich hab heute abend kaum ein bekanntes Gesicht gesehen und hab das Gefühl wieder in einem flow amerikanischer und französischer Pauschaltouristen gelandet zu sein, die dieses Jahr in zwei Wochen von Burgos nach Leon laufen. Sollen se machen, aber ohne mich. Ich freue mich gerade auf Santiago, wo ich derzeit plane ein paar Tage zu bleiben und die die noch da rumhängen oder gerade ankommen, einfach mal wiederzusehen…