87. Etappe: Atapuerca – Burgos

Bin ich froh jetzt hier zu sitzen. Etwas abseits der Altstadt und touristischen Hotspots hat sich innenstadtnah das kommunale Kino, einige KunsthandwerkerInnen und natürlich das zugehörige Cafe angesiedelt. Und wer ist drauf gestoßen. Ich. So bekomme ich ein wenig Gelegenheit die spanischen Prenzelberger unter die Lupe zu nehmen und kann gleichzeitig den Tag Revue passieren lassen. Dazu einen Rosado aus Ribera, natürlich aus biologischem Anbau. Da gleichen sich die Kulturen…

Der Tag fing heute auch eigentlich schon ruhig an, weil es heute ja nur knappe vier Stunden Wanderprogramm gab und der Rest des Tages für die Burgos-Visite reserviert war. Folglich vernahm ich das Stöckegeklapper der mitwandernden FrühaufsteherInnen um Sechse mit einem Lidzucken und hab mich nochmal rumgedreht. Aber um Sieben bin ich dann auf und bei der Trödelei, die derzeit Einzug gehalten hat, war ich kurz vor Acht soweit auszuchecken. Die Combo hatte aber schon klargemacht, daß niemand vom Haus da sein würde und ich den Schlüssel auf die Theke legen soll. Hab ich auch gemacht, steh auf der Gasse und merke, das meine Stöcke noch drinnen an der Zimmertür lehnen. Ich hatte sie aus der Hand gelegt, weil die Zimmertür klemmt und ich die Tür mit beiden Händen malträtieren mußte. Als mir das mkt den Söcken auffällt, ist die Tür gerade ins Schloß gefallen. Also Klingeln. Da macht niemand auf. Also warten. Nicht meine Stärke und wenn mir Malheurs unterlaufen, ist das besonders blöd. Also wieder mal eine Prüfung auf dem Weg, die original 45 Minuten dauerte. Dann wurde die Tür von Innen geöffnet und die Dame des Hauses öffnete. Ich weiß nicht, wie die da rein gekommen ist oder ob die 45 Minuten kläffenden Hund und klingelnden Mertens mit der Gewißheit eines arbeitsvertraglich geregelten Arbeitsbeginns einfach ignoriert hat. Es ist schlußendlich auch egal, interessieren würde es mich trotzdem. Es wäre nämlich spannend, wie Menschen das schaffen, so auf sich und ihr Ding fokussiert zu sein.

Also komm ich kurz vor Neun los und es geht sofort bergauf.Ich laufe ja eh seit Rioja auf durchschnittlich 900hm und da sind dann 200 weitere Höhenmeter schon ein Schritt in andere Fernsichten, weil die Luft einfach anders ist. Und hinter Atapuerca und eben diesem Aufstieg betrete ich kastilisches Kernland, die Heimat Cervantes und Don Quichote und als bei der Überschreitung die Ebene von Burgos vor mir liegt und auf den Hügeln und Bergen rundum Windparks in der Morgensonne strahlen, kann ich es mir nicht verkneifen. Ich glaube nämlich, daß es lohnt, diesen Klassiker nochmal anzuschauen und zu verfilmen. Die Rolle des Don Quichote kann dann ein CSU-Landrat oder jemand aus der Landesregierung übernehmen, der gegen einen bürgerschaftlich betriebenen Windpark ankämpft, weil er die Zeichen der Zeit nicht erkennt und trotz mahnender Stimmen von Stammtisch und Klientel (Sancho Panza) aus seiner Nummer nicht rauskommt. So empfinde ich das manchmal und habe seit heute ein Bild dazu. Die englischen Rentner, die sich den Hügel hochwuchten, finden jedenfalls mein Reden von den modern windmills in cervantes country irgendwas zwischen funny und interesting.

Ich komme dann Burgos näher und stehe plötzlich und unerwartet vor dem avisierten Campingplatz. Das ist aber viel zu früh und viel zu weit weg von der Stadt. Die Etappe morgen hat ab Kathedrale eh schon 30km und da nochmal fünf draufzulegen erscheint mir unnötig. Auf der Internetseite war von dreien die Rede. Das wäre irgendwie was anderes gewesen. Also, Internet sei Dank, ein nettes Hotel in der Innenstadt gerissen. Weitergelatscht und eingecheckt. Und dann in knapp zwanzig Minuten ein nettes Hotelzimmer in ein Feldlager verwandelt. Es musste Wäsche gewaschen und getrocknet werden, weshalb eine Wäscheleine durchs Zimmer gespannt ist und die Schuhe müssen stadtfein vemacht werden, weshalb es im Badezimer arg staubt, bevor ich mich selber unters Wasser stelle. Rasieren fällt aus. Danach noch schnell ausm Haus und in der Bar um die Ecke ein Feierabendbierchen und ein Tapas genommen. Eingelegte Sardine auf Ei mit gehackten Zwiebeln und Paprika. Dann Siesta und das Touri-Programm checken.

Bereits um Drei gehts mit der Besichtigungstour los. Zunächst zur Kathedrale, die Eintritt kostet, was ich, wie schonmal gesagt, eigentlich unmöglich finde. Ich drücke trotzdem ab und betrete einen Palast des Kirchlichen, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Rund um das Kirchenschiff sind weitere Kapellen angebaut, die eine wie die andere prachtvoll mit Gold überzogen sind und von wagemutig konstruierten Kuppeln lichtdurchflutet werden. Welch eine Pracht und welch ein Elend für all die Menschen, die dafür gebuckelt und geblutet haben. Aber eben auch ein beeindruckendes Konzentrat künstlerischen Schaffens.Das wird für mich beim Betrachten historischer Bauten immer schwierig bleiben. Ich kann es nicht einfach genießen, sondern frage mich immer auch, wer hat das wie gearbeitet. Ausgangspunkt dazu war, neben vielem Anderen, diese sensationelle WDR-Serie zum Kölner Dombau.Kinderfernsehen mit Anspruch bringt halt doch was. Weiter geht es zum Denkmal für El Cid, dessen Grab ja etwas profan in der Kathedrale liegt. Ist da aber auch erst 1921 angelegt worden. Da hatte man es schon nicht mehr mit der Pracht.

Nach drei Stunden ist das Programm auch abgespult und es ist eh brüllwarm. Also noch eine Limonade (KAS-limon. Herrlich) gekauft und zurück ins Feldlager. Krimi zuende gelesen und um Acht dann in den Corso eingereiht. Mein erster Corso in Altkastilien. An einem Sonntagabend in der Krönungsstadt der kastilischen Könige. Was ist also zu erwarten? Richtig. Ein paar Leute sind richtig in Schale geworfen und die Señoras fallen wegen der Kleider und Kostüme in diesem angesagten, etwas kräftigeren Lachsfarbenen zwischen all den Touris und Pilgern sofort auf. Dann gibt es junge Leute mit mehr oder weniger Geld, die durch mehr oder weniger gewagte Klamotten auffallen, aber ihre Netzwerke ins lachsfarbene Establishment schon haben.Bussibussi. Das ist mir mit diesem Habitus bislang nicht aufgefallen und als ich in der ersten Tapasbar (Morcilla) mit Caballero angesprochen werde, weiß ich, daß was anders ist. In der zweiten Bar (paniertes Spargelröllchen mit Schinken und Mayo. Die 70er lassen grüßen, aber cool) wars dann schon netter, weil Burgos eben auch ein industrielles Zentrum ist und ich da mit den Kollegen an der Theke stand. Mehrheitlich, weil es in dem abendliche-Kreise-ziehen, Tapas nehmen und was trinken, keine strikten Trennungen gibt. Mich ziehts weiter und es gibt noch einen ensaladilla rusa. Danach bin ich satt, aber noch nicht müde. Hab ja auch den Tag über genug geruht. Also streife ich durch die Randbereiche der Altstadt, komme in eine zona antifascista, in der aber reichlich tote Hose wegen Sonntagabend und Semesterferien herrscht, ziehe weiter und komme in dieses nette Cafe und endlich zum schreiben. Aber es ist auch zu schön. Es ist längst dunkel, aber die Leute kommen und gehen, alt und jung, Männer und Frauen und niemand macht den Eindruck als ob er es eilig hätte ins Bett zu kommen. Eilig habe ich es auch nicht, aber so wie andere an ihre Frühschicht denken, denke ich an die morgige Etappe. Deshalb geht es jetztmal auf die Stube. Hoffentlich sind die Sachen trocken…